Spirit of Styria

Beim reden kommen die LEUT’ ZUSAMMEN

Mit einem diverser werdenden Arbeitsmarkt ist jeder Euro, der in Sprachausbildung investiert wird, wichtig. Denn die Zukunft sollte in einem gemeinsamen Prozess besprochen und geplant werden.

Jeder vierte Österreicher hat Migrationshintergrund. 25 Prozent der hier lebenden Menschen sprechen eine andere Muttersprache, kochen ihre Speisen nach fremden Rezepten oder feiern andere Feste und Bräuche. Verfolgt man hierzulande die Politik, so drängt sich mitunter der Eindruck auf, als habe das in unserer Gesellschaft keinen Platz. Mehr Weltoffenheit täte uns aber gut, ist der Soziologe Wolfgang Aschauer überzeugt, der sich mit dem Thema Migration und Arbeitsmarkt beschäftigt. Er hat entsprechende Zahlen parat, bei denen es sich lohnt, hinter die Kulissen zu blicken. So wird gern davon gesprochen, dass 50 Prozent der Menschen, die 2015 aus Krisengebieten nach Österreich kamen, auf dem Arbeitsmarkt integriert sind. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass 70 Prozent der Männer einen Job gefunden haben, aber nur 20 Prozent der Frauen arbeiten gehen. Es sind nicht nur Sprachbarrieren, die einer Erwerbsarbeit im Wege stehen, Frauen aus diesen Kulturkreisen trifft noch stärker das Thema der Kinderbetreuung. „In Österreich wird wenig realisiert, dass wir uns in einer multikulturellen Gesellschaft befinden“, konstatiert der Soziologe Aschauer.

Vielfalt auf dem Arbeitsmarkt bedeutet, diesen diverser zu gestalten, insbesondere Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund beziehungsweise jenen, die nicht Deutsch sprechen, Chancen zur Teilhabe zu bieten. Die Sprache ist der Schlüssel zu so vielem, sagt Paul Ergert von der Sprachschule IDEUM in Judenburg. Mit dem Abgang der Babyboomer in die Pension und der weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels in vielen Branchen werde sich der Arbeitsmarkt verändern, ist er überzeugt. Menschen aus anderen Ländern der Welt werden nach Österreich kommen, darauf müssen sich auch die Unternehmen aus ländlichen Regionen einstellen.

HEIDRUN GIRZ
Future Business Designerin Gründerin & Geschäftsführerin

PAUL ERGERT
Prokurist der Sprachschule IDEUM

KARINA GORGAN
Selbstständige Dolmetscherin

„Bei gut qualifizierten Fachkräften sehen wir immer wieder sehr große Hürden, die mit der Sprache verbunden sind.“

Eine gute sprachliche Begleitung sieht der Dienstleister Ergert nicht nur darin, Deutschkurse anzubieten. Um in einer fremden Kultur gut anzukommen, sollte sprachliche Unterstützung auch bei täglichen Routinehandlungen abrufbar sein. Vor allem brauche es andere Rahmenbedingungen und angepasste Angebote, betont der Prokurist der Sprachschule IDEUM: Eine Frau mit Migrationshintergrund und Betreuungspflichten wird nicht jederzeit zum Deutschkurs in die entfernte Bezirkshauptstadt fahren können, ebenso deren Ehemann, der in der Woche 40 Stunden arbeitet, um sich hier ein gutes Leben aufbauen und die Familie ernähren zu können. Von staatlicher und behördlicher Seite würde sich Paul Erget mehr pragmatische Bereitschaft wünschen, Geld in sprachliche Unterstützung zu investieren. „Auch wenn der Integrationsfonds oder das AMS gute Arbeit leisten, die Angebote für Sprachkurse und damit verbundene Dienstleistungen müssen stärker in den Regionen angeboten und abgerufen werden können. Gelebte Kommunikation ist ein wichtiger Schlüssel für mehr Diversität.“ Integration ist nie nur eine Holschuld, es brauche nicht nur Sprachkurse, sondern auch die Möglichkeit, das Erlernte anzuwenden. Dazu fehlt es laut Paul Erget oft an Möglichkeiten und Bereitschaft auf beiden Seiten.

Karina Gorgan ist mit ihrem Unternehmen SPATIUM – Raum für Integration Dolmetscherin für Rumänisch. Sie lebt und arbeitet in Knittelfeld, das eine große rumänische Community hat mit eigener orthodoxer Kirche. Zu ihrem Job kam die studierte Bildungs- und Erziehungswissenschaftlerin über die Nachhilfe, die sie gab. Warum sie denn nicht dolmetsche, wurde sie von Eltern gefragt, es gebe doch so viele Sprachbarrieren? Karina Gorgan weiß selbst, welche Hürden vorhanden sind, will man sich in einem anfangs fremden Land eine Existenz aufbauen. „Meine Eltern sind im Kommunismus aufgewachsen. Dieser Generation war wichtig, sich etwas aufzubauen und sich nicht mehr anstellen zu müssen für ein Stück Brot“, sagt sie. Was in weiterer Folge bedeutet: Die Prioritäten liegen bei vielen Zuwanderern nicht zwangsweise darin, die Sprache zu perfektionieren, sondern zu arbeiten, um Geld zu verdienen.

Wie wichtig Sprache ist, erfährt die Dolmetscherin tagtäglich, etwa, wenn sie Menschen auf Behörden begleitet oder im Kindergarten bei Entwicklungsgesprächen anwesend ist. Sie ist Sprachrohr und ermöglicht den Personen, gezielter nachzufragen und sich besser zu informieren, um intensiver am Leben hier teilhaben zu können. Karina Gorgan bedauert, dass dafür selten finanzielle Mittel vorhanden seien, dabei wären Dolmetscher so wichtig, vor allem an Schulen. Nachholbedarf sieht sie auch in Unternehmen, viele würden Bewerber ohne deutsche Muttersprache gar nicht zu Gesprächen einladen. In den Kommunen könne ebenfalls mehr auf Bürger mit anderem sprachlichen Hintergrund eingegangen werden, etwa, indem Aussendungen, Flyer und Infoblätter auch in deren Sprachen übersetzt werden. „Wir leben in einer multilingualen Gesellschaft, das muss man anerkennen und akzeptieren. Niemand muss Angst haben, dass die österreichische Kultur verlorengeht, im Gegenteil: Wer seine Kultur ausleben kann, wird auch mehr Verständnis für die Kultur der anderen haben. Nebeneinander zu leben bedeutet ja auch, voneinander zu lernen“, sagt Karina Gorgan. Angebote wie gemeinsame Kochnachmittage mit Frauen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, wie sie in Knittelfeld angeboten werden, würden dies beweisen, nach dem Motto: Beim Reden und Essen kommen die Leut’ z’amm.

Heidrun Girz ist Future Business Designerin und begleitet Gründer, Führungspersonen, Unternehmen und ausgewählte Regionalinitiativen auf dem Weg in eine neue Zukunft. So gut wie immer geht es aber um Zukunftsbilder, bei denen Diversität und Vielfalt omnipräsent sind. Heidrun Girz versteht darunter die jederzeitige Teilhabemöglichkeit am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben, und das ohne Vorurteile oder gelebte „Gesetzmäßigkeiten“, die Vielfalt erschweren. Sie würde sich eine Gesellschaft wünschen, in der Menschen ihre Werte für sich definieren dürfen, in der aber neben Innovation auch Tradition Platz haben darf.

Heidrun Girz ist aufgewachsen im Murtal, lebte über 25 Jahre in Wien und leitete die Customer Centricity Abteilung in einem Weltkonzern sowie die Innovationsabteilung eines heimischen Konzerns, bevor sie 2018 ihr Unternehmen in Wien gründete. Nach der Rückkehr in ihre steirische Heimat installierte sie vor drei Jahren in Kindberg ihr Zukunftsbüro und durfte davor selbst erleben, wie schwierig es ist, als Rückkehrerin kulturell an die alte Heimat anzudocken. Mit ihrem Hintergrund sieht sie viele Dinge freilich anders, Zukunft versteht Heidrun Girz mehr unter einer Öffnung für neue Ideen und einem Neugierigsein anstelle von Kirchturmdenken. Dieses bringe die Regionen nicht weiter, sagt sie. Statt wettzueifern, wer die schönste Gemeinde habe, müssten Entwicklungen visonärer und vor allem nachhaltiger gedacht werden, manchmal eben mit Unterstützung von Experten von außen, ist die Gestalterin überzeugt. Im ehemaligen Schrack-Gebäude in Kindberg im Mürztal war sie Ideengeberin, Möglichmacherin und Wegbereiterin für das heutige Co-Werk, ein wichtiger Anker für die Region. Sie sagt: „Meiner Überzeugung nach reicht es nicht, rein nur Co-Working-Plätze anzubieten, es braucht vielmehr eine übergeordnete Vision mit offenem Commitment sowie eine laufende Bespielung mit Vernetzung und Austausch, damit eine Region gemeinsam vorankommt.

Veränderungen schaffe man insbesondere mit Gleichgesinnten, mit Beteiligungsprozessen – und einer Gründercommunity, die den Wandel und die Transformation als Chance sieht. „Wir müssen uns mehr trauen, mit neuen Ideen und kollaborativen Ansätzen gemeinsam neue Wege zu gehen“, sagt Heidrun Girz. Es brauche Angebote, ohne Missgunst und Neid, „das ist für mich Co-Creation, das ist Co-Working, und das vermisse ich hier noch.“ Wichtig seien vor allem Förderprogramme für Frauen. In ihrer täglichen Arbeit erlebt sie immer wieder Frauen, die sich mangels Möglichkeiten oder Selbstvertrauen nicht erlauben, ihren beruflichen Wünschen zu folgen. „Dabei können sie, wie viele regionale Gründer Erfolgsstories beweisen, mit etwas Unterstützung ganz große Dinge erreichen“, betont Heidrun Girz.

Fotos: more-innovation©, beigestellt, istock

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