Spirit of Styria

Der KLIMAPIRAT

Der Grazer Künstler und Architekt Markus Jeschaunig beschäftigt sich in seinen Installationen mit aktuellen Herausforderungen des Klimawandels und der Wechselbeziehung zwischen Mensch und Umwelt. Als Arbeitsraum wählt der Künstler die Biosphäre und betont die Rolle der Luft, alles verbindet. Ein Gespräch über den höchsten Gemüsegarten Österreichs, Mooshelme als innerstädtische Kühlzonen und was jeder von uns für den Klimaschutz tun kann. Denn, wie Jeschaunig ins Gedächtnis ruft: Diese Welt ist unser einziges Zuhause.

Um den wohl berühmtesten Gebirgsstock der nördlichen Kalkalpen ranken sich Legenden: Der „König Dachstein“ ist mit seinen gewaltigen Wänden, einsamen Karstgebieten und wilden Gletschern unter Kletterern und Bergsteigern zum Mythos geworden. Die Dachstein Gletscherbahn und der im Mai wiedereröffnete und neu gestaltete Eispalast machen das 2995 Meter hohe Massiv auch internationalen Tagestouristen zugängig. So können Besucher nicht nur Höhenluft schnuppern, sondern im Ausstellungsraum „Eispalast“ im Gletscherinneren ein besonderes Mikroklima erleben. „Diese Eiswelt ist jedoch immer stärker am schwinden“, weiß Markus Jeschaunig. Der bildende Künstler und studierte Architekt wurde beauftragt, dieses fragile Ökosystem künstlerisch zu bespielen und auf aktuelle Herausforderungen des Klimawandels hinzuweisen. „Ich wollte in dieses Extremklima etwas Lebendiges hineinbringen“, erklärt Jeschaunig. So entstand die Installation „Klima Kohl“: Der Künstler verband die Themen Ernährung und Klima und legte auf 2.700 Metern Höhe den höchsten Gemüsegarten Österreichs an. Im Inneren des Dachsteingletschers, unter bis zu sieben Meter dickem Eis und unter Ausschluss von Tageslicht, leben bei konstant minus 6 Grad Celsius winterharte Pflanzen- und Gemüsesorten wie Schnittlauch, Porree, Kresse, Feld- und Pflücksalate oder Grünkohl. „Ich will Besucher damit konfrontieren, wie in lebensfremden Umgebungen, weit über der Baumgrenze mitten in dieser Eishöhle, Pflanzenwachstum und eine neue Art, uns zu ernähren, möglich sein können“, so Jeschaunig.

Wir haben eine Esskultur, eine Musikkultur usw.
Was uns fehlt, ist eine Klimakultur.

MARKUS JESCHAUNIG, KÜNSTLER

DIE LUFT ALS VERBINDENDES ELEMENT
In seiner „Agency in Biosphere“ beschäftigt sich Jeschaunig mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur, das zunehmend aus dem Lot gerät. „Welche Synergien oder Nicht-Synergien ergeben sich zwischen menschlichen Kulturformen und Praxen und Umwelt? Wie können wir die Ausbeutung und Zerstörung wichtiger Ökosysteme – und damit auch unseres Lebensraumes – verhindern?“, fragt Jeschaunig, der ein Zitat des Dalai Lama wiedergibt: „Planet earth is our only home“. Und wenn wir also unser Zuhause schützen wollen, müssen wir weg von fossilenergiebasiertem und kapitalistisch orientiertem Denken hin zur Kreislaufwirtschaft und damit einem natürlichen Gleichgewicht, in der die Ökologie alles dominiert“, so Jeschaunig. Der Künstler sieht sich in der Rolle eines Piraten, der nicht etwa durch Sabotage oder Protest, sondern über seine künstlerischen Arbeiten im Spannungsfeld von Ökologie, Landschaft, Architektur, Technologie sowie öffentlichen Raum verhärtete Strukturen aufsprengt: „Viele Menschen denken, leben und funktionieren in unterschiedlichen Blasen, die aber nie überlappen. Wir müssen diese Blasen platzen lassen, um Transdisziplinarität und Austausch für komplexe Aufgabenstellungen wie den Klimawandel zu ermöglichen.“ Auf die Frage, warum Markus Jeschaunig den Begriff der Biosphäre als verbindende Brücke seiner Projekte wählt, kommt er auf das Element Luft: „Ich versuche, meine Projekte in unterschiedliche Sphären, sprich Arbeitsbereiche, aufzuteilen, darunter die Hydrosphäre, die sich mit Wasser in unterschiedlichen Aggregatszuständen beschäftigt, die Lithosphäre als Erdreich, die Atmosphäre als Luftraum und die Biosphäre als alles Lebende sowie den Planeten Erde umfassende. Immer wieder steht die Luft in meiner Kunst im Zentrum. Luft ist unsere Nahrung Nummer eins. Menschen können 30 Tage ohne Nahrung und drei Tage ohne Wasser überleben, aber keine fünf Minuten ohne Luft. Die anderen Sphären sind über die Luft als verbindendes Element verknüpft und alles Leben ist interkonnektiv, das heißt global verbunden und vernetzt. Trotzdem gibt es keine Generallösung für die Klimakrise. Jede Örtlichkeit auf unserem Planeten hat regional ihre individuellen Herausforderungen, ob Trockenheit, Luftverschmutzung oder begrenzte Ressourcen. Diese zu lösen bestimmt unser aller Überleben.“ Deshalb bieten Jeschaunig‘s Projekte Antworten, die, zuerst im Kleinen, sich auch groß denken lassen und Lösungen möglicher Zukünfte bieten.

WALDOASEN FÜR EINE KLIMAKULTUR
Eines dieser Projekte, den „Klima Kultur Pavillon“- Graz, hat Jeschaunig als Teil des Breathe Earth Collective (BEC) realisiert, von dem er ein Gründungsmitglied ist. Als „Think- & Do-Tank“, ein offenes und transdisziplinäres Netzwerk bestehend aus Designern, Architekten, Landschaftsplanern und Künstlern, designt das BEC Ökosysteme, die Pflanzen, Luft und Architektur integrieren. Den Anfang der Zusammenarbeit bildete die Realisierung des „Breathe Austria Pavilions“ auf der Expo 2015 in Mailand, in dem die Kollektiv-Mitglieder als Co-Autoren einen großen Prototypen bauten. Die Installation „Klima Kultur Pavillon“-Graz während des Grazer Kulturjahres 2020 stellte eine Fortführung des Waldkonzeptes am Freiheitsplatz in Graz dar. Die rund 200 m2 große Waldoase präsentierte ein künftiges Modell zur Kühlung von Stadträumen in heißen Sommern und lud Besucher zum Verweilen ein. Das Besondere des Projektes war die Bespielung des Pavillons als Ort für Workshops, Performances und Diskurse: Bewohner wurden eingeladen, mit Experten aus den Bereichen Stadt und Architektur, Ernährung und Mobilität Lösungen zum Klimawandel in Graz zu erarbeiten.

Der Klima Kultur Pavillon Graz lud Bewohner ein, mit Experten Lösungen zum Klimawandel zu erarbeiten

„Wir haben eine Esskultur, eine Musikkultur usw. Was uns fehlt, ist eine Klimakultur“, sagt Jeschaunig. Der „Klima Kultur Pavillon“-Graz hatte das Potential, Netzwerke um das Thema zu verbinden und so Klima als gemeinsamen Denkraum neu erfahrbar zu machen. Eine beschattende Holzkonstruktion, eine Waldvegetation mit dichter Unterpflanzung sorgten an heißen Tagen im Pavilloninneren für ein circa sieben Grad kühleres Klima. „In unseren Städten, in denen es immer heißer wird, gibt es zu wenige Orte der Abkühlung. Pflanzen sind hier mit ihrer Evapotranspirationsleistung unschlagbar“, so der Künstler.

Im „Klima Kohl“-Projekt am Dachstein legte der Künstler den höchsten Gemüsegarten Österreichs an.

Im Projekt Oase Nr. 8 konnten erfolgreich exotische Früchte geerntet werden, wie hier in der Ausstellung „Habitat Graz“ im GrazMuseum zu sehen.

MOOSHELME UND OASEN
Eine mögliche Lösung gegen urbane Hitze könnte ein aktuelles Projekt namens „Mooshelm“ darstellen: „Eine im Inneren wie ein Schirm mit moosbegrünte Klimazelle für eine Person bringt den Waldboden auf die Sinnesorganebene und bietet einen kühlen Mikroraum. Vor allem ältere Personen könnten von Mooshelm zu Mooshelm gehen und sich abkühlen“, erklärt der Künstler das Konzept. Wärme birgt jedoch auch ungenutzte Potenziale, gerade in der Stadt. Das zeigte Jeschaunigs „Oase Nr. 8“ aus dem Jahr 2015/2016. Aktuell wird die Installation fotografisch als Teil der Ausstellung „Habitat Graz“ im GrazMuseum gezeigt. „Im Projekt Oase Nr. 8 beschäftigte ich mich mit der sichtbaren Nutzung von ungenutzter Energie in der Stadt“, verrät Jeschaunig. Die temporäre Gewächshaus-Installation in der Grazer Altstadt nährte sich aus der Abwärme zweier vor Ort befindlicher Tiefkühlanlagen und schuf in einer temporären, transparenten EFTE-Membran-Hülle ein tropisches Klima zum Anbau exotischer Pflanzen wie Bananen, Papaya und Ananas.

Die Oase Nr. 8, eine temporäre Gewächshaus- Installation in der Grazer Innenstadt, verwendete ungenutzte Abwärme zum Anbau exotischer Pflanzen.

Da der Genuss von Tropenfrüchten in Europa ein hohes Maß an (grauer) Energie und globaler Logistik erfordert, dachte sich Jeschaunig, über den Ansatz eines „synergetischen Urbanismus“ lokale Ressourcen, Materialien und vor Ort geerntete Energie zu nutzen. „Ich wollte das Abwärmepotenzial eines Ortes zur Straße hin sichtbar machen und aufzeigen, wie ein CO2-neutrales Leben funktionieren könnte.“ Eine Freiwilligengruppe, die „Bananahood“, überwachte via App die Sensorsteuerung und half beim Gießen, der Pflanzenpflege und der Regenwassernutzung. Jeschaunig: „Die Pflanzen gediehen und kamen gut durch den Winter.

Wichtiger war mir persönlich jedoch der soziale Aspekt und das gesellschaftliche Potenzial, das in solchen Projekten schlummert.“ Denn laut Jeschaunig kann jeder etwas für den Klimaschutz tun. „Es braucht dazu eine ökozentrischer ausgerichtete Weltsicht und ein stärkeres Miteinander. Vergessen wir nicht den Dalai Lama: Planet earth is our only home.“

Markus Jeschaunig
Geboren 1982 in Graz, lebt und arbeitet in Graz und Premstätten. Studien der Kunst und Architektur an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz, der Mimar Sinan Fine Arts University Istanbul und an der Technischen Universität Wien.
Eigene künstlerische Arbeiten der Agentur „agencyinbiosphere“ entfalten sich im Spannungsfeld zwischen Ökologie, Landschaft, Architektur, Technologie sowie öffentlicher Raum und Aktivismus.
Mitbegründer des transdisziplinären Think- & Do-Tanks „Breathe Earth Collective“ seit 2015.

Aktuelle Ausstellungen und Installationen (Auswahl):
Water Cosmos Exhibition während der Walter Munk Tage in Altaussee (13. - 15.06.2024)
Signal vom Dachstein im Schloss Trautenfels (Eröffnung 01.06.2024)
Teil der Hauptausstellungen der Klima Biennale Wien „Into the Woods - Annäherung an das Ökosystem Wald“ (Eröffnung 3. Juni 2024, KunstHausWien)

FOTOS: Oliver Wolf, Klima Kohl -c- Agency in Biosphere / Jeschaunig, Simon Oberhofer, beigestellt

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