Spirit of Styria

Global & Regional im Doppelpass

Gemeinsam für den nachhaltigen und digitalen Wandel: Patricia Neumann, Vorstandsvorsitzende der Siemens AG Österreich, und Herbert Tanner, Niederlassungsleiter von Siemens in Graz, im großen Cover-Interview mit „SPIRIT of Styria“ über den Nutzen digitaler Zwillinge, den Mehrwert  von Co-Creation, das Wesen der Triple Transformation, die Chancen der  KI für die Industrie in Europa und das Zusammenspiel aus globaler Stärke und regionaler Verankerung.

Graz zu Gast in Wien. Wir treffen Patricia Neumann und Herbert Tanner im 12. Stock der Unternehmenszentrale der Siemens City in Wien-Floridsdorf. Der Leiter der Niederlassung Graz bespricht vor Interviewstart „mit der Chefin“, der Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG Österreich, noch einige tagesaktuelle Interna, ehe sich das Duo für ein ausführliches Gespräch Zeit nimmt. Dass der Doppelpass zwischen der Zentrale in Wien und dem Standort in der Steiermark – zwischen globaler Größe und regionaler Stärke – in vielerlei Hinsicht gelingt, wird im großen Cover-Interview mit „SPIRIT of Styria“ rasch deutlich. Neumann und Tanner im Gespräch über die aktuelle Siemens-Strategie, die Transformation der Industrie und den Faktor Mensch.

Globale Kraft mit regionalem Fundament: Patricia Neumann, Vorstandsvorsitzende Siemens AG Österreich, und Herbert Tanner, Niederlassungsleiter Siemens in Graz, in der Siemens City Wien

Der Wandel ist stetiger Begleiter in der langen Unternehmensgeschichte von Siemens. Wie viel Transformation ist derzeit nötig?
Neumann: Mich beeindruckt es selbst immer wieder, wenn ich auf die lange Geschichte von Siemens angesprochen werde. Ohne permanenten Wandel wäre Siemens heute nicht da, wo wir jetzt stehen – Transformation ist Teil unserer DNA und war in jeder Phase der Unternehmensgeschichte notwendig. Mit dem Unterschied, dass die Geschwindigkeit heute eine viel höhere ist. Das Tempo der Anpassung an Veränderungen ist derzeit so groß wie nie.

Der Fokus von Siemens liegt heute auf Digitalisierung, Elektrifizierung und Nachhaltigkeit. Welche Strategie steckt hinter dieser Positionierung?
Neumann: Im Kern zielt die Siemens-Strategie darauf ab, die reale und die digitale Welt zu verbinden. Um die beiden Einheiten zu verknüpfen, braucht es Technologie – daher liegt unser Fokus auf technologischen Lösungen in den Bereichen Industrie, Gebäudeinfrastruktur, Energiesysteme, Mobilität sowie Gesundheit. Siemens liefert sozusagen das Betriebssystem für die Industrie und Infrastruktur. Unsere Lösungen stärken die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und tragen zum Gelingen der Twin Transformation, des grünen und digitalen Wandels, bei.
Tanner: Wir sehen, dass mit diesen Anforderungen auch die Komplexität zunimmt – ebenso wie der Anspruch an unsere Lösungen. Daher verfolgt Siemens den Ansatz, komplexe Lösungen nicht mehr so wie oft in der Vergangenheit alleine lösen zu wollen, sondern zunehmend in Ökosystemen. Wir nehmen bewusst Unternehmen, Partner und Kunden mit hinein, um gemeinsam an neuen Lösungen zu arbeiten. Gegenüber rein proprietären Lösungen hat das viele Vorteile.
Neumann: Co-Creation ist heute zentraler Bestandteil unserer Strategie. Wir leben das Prinzip von Partnerschaften und nützen das, was andere einfach besser können, weil es deren Kernkompetenz ist. Ein aktuelles Beispiel ist die Kooperation mit Nvidia im Bereich Halbleiterchips im Umfeld der Künstlichen Intelligenz. Wir greifen auf die Komponenten zurück und entwickeln auf deren Basis Siemens-Lösungen. Wir haben einen großen Forschungs-Footprint und pflegen eine Reihe von Partnerschaften mit Universitäten, aber auch mit unseren Kunden, wenn es um neue Lösungen geht. Bestes Beispiel dafür ist unsere Plattform Siemens Xcelerator. Diese bietet unseren Kunden einerseits Zugang zu Siemens-Lösungen und stellt andererseits anderen Unternehmen und Entwicklern einen Marktplatz für komplementäre Lösungen zur Verfügung.
Tanner: Dieses Modell kann speziell für kleinere und mittlere Unternehmen sehr attraktiv sein. Denn mit Siemens Xcelerator können sie sich voll auf die Entwicklung fokussieren, während sie unseren Marketplace perfekt für die Vermarktung nutzen können – man kann sich das wie einen App-Store für die Industrie vorstellen. Dafür hat Siemens die besten Voraussetzungen. Schließlich haben wir die größte Basis an installierten Geräten weltweit. In jeder dritten Industrieanlage auf der Welt sind Siemens-Komponenten verbaut. Gleichzeitig ist das eine notwendige Voraussetzung, um Daten zu sammeln und künftig noch besser zu nutzen. Siemens investiert seit Jahren sehr viel, um sich noch weiter Richtung Software-Company zu entwickeln.

Ist Siemens noch Hardwareproduzent oder bereits eine Softwarefirma?
Neumann: Siemens ist ein Technologieunternehmen. Wir kommen aus der Industrie und bedienen die Industrie. Dazu gehört weiterhin viel Hardware, aber zunehmend mehr Software.
Tanner: Auch in der Steiermark spielt Hardware eine wichtige Rolle – wir fertigen am Standort Graz Trafo-Stationen unter anderem für die Steiermark und Kärnten. Damit sind wir wichtiger Zulieferer für die Energiewende. Darüber hinaus haben wir in Graz einen großen Schwerpunkt in Softwareentwicklung. Wir beschäftigen hier ein rund 200-köpfiges Team, das Software für Industriekomponenten entwickelt. Dabei waren und sind wir an der Entwicklung zentraler Komponenten beteiligt und können stolz behaupten, dass es auf der Welt wohl kaum eine Siemens-Anlage gibt, in der nicht auch Software aus Graz läuft.

Wie sehen Sie die weitere Zukunft des Standorts Graz?
Tanner: Die Steiermark hat großes Potenzial, was sich einerseits im bereits Gesagten zeigt, andererseits hat die Nachfrage einen großen Einfluss auf den Markt. Wir legen daher bewusst einen starken Fokus auf Forschungs- und Entwicklungsthemen. Damit setzen wir dem Trend, dass Softwareentwicklung immer mehr in Billiglohnländer – ob Osteuropa oder Indien und China – abwandert, etwas entgegen. Dies hilft uns, den entscheidenden Schritt voraus zu sein. Uns geht es dabei immer um anwendungsorientierte Forschung mit dem Ziel, die Erkenntnisse aus diesen Projekten möglichst rasch in die Produktentwicklung zu bringen. Wir arbeiten eng mit der TU Graz und der Montanuni Leoben zusammen, aber auch mit KMU oder Großbetrieben wie Andritz oder Saubermacher. Ein Schwerpunkt ist etwa die Recycling- und Kreislaufwirtschaft, aber auch Cybersecurity ist für uns von zentraler Bedeutung. Auch hier arbeiten wir eng mit der TU Graz zusammen, die übrigens auf diesem Gebiet Weltruf genießt.

Nachhaltigkeitsthemen drohen in unserer Multi-Krisen-Welt etwas in den Hintergrund zu geraten. Wie geht Siemens damit um?
Tanner: Ich bin persönlich zutiefst davon überzeugt, dass wir den nachhaltigen Weg weitergehen müssen – er ist in jeder Hinsicht notwendig, aber wir müssen ihn stets unter der Prämisse gehen, dass sich Nachhaltigkeit auch rechnen muss – was sie tut! Wir entwickeln daher Technologien so weiter, dass sie ökologische und ökonomische Zielsetzungen gleichermaßen erfüllen.
Neumann: Für Siemens gilt ungebrochen, dass wir intensiv daran arbeiten, unsere selbst gesteckten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. So stellen wir unsere Dienstwagenflotte gerade sukzessive auf E-Mobility um, und investieren gemeinsam mit der Stadt Wien in Stadtentwicklungsprojekte, um diese nachhaltiger und energieeffizienter zu gestalten. Ich sehe die nachhaltige und digitale Transformation als Investition in die Zukunft. Wir verspüren daher derzeit auch einen starken Rückenwind bei Lösungen im Bereich Energiemanagement.

Patricia Neumann:
„Im Moment sehen wir Licht am Ende des Tunnels und sind zuversichtlich, dass die Industrie wieder etwas Rückenwind bekommt.“

Gehen Digitalisierung und Dekarbonisierung immer Hand in Hand?
Tanner: Nicht als Automatismus, aber in der Regel ist es so. Ein gutes Beispiel ist der Einsatz von Digital Twins in der Industrie – ein digitaler Zwilling ermöglicht etwa die virtuelle Inbetriebnahme einer Anlage oder Maschine. Wir wissen aus vielen Beispielen: Je mehr simuliert und vorab auf digitaler Basis getestet wird – noch bevor eine Anlage errichtet wird – desto höher der Effizienzgewinn. Zuletzt haben wir etwa bei PIA Automation in Grambach ein Projekt umgesetzt, bei dem die Inbetriebnahme einer neuen Anlage dank des Digitalen Zwillings um rund zwei Drittel schneller abgewickelt werden konnte.
Neumann: Digitale Zwillinge sind auf alle unsere Geschäftsbereiche anwendbar. Egal, ob auf Industrie, Elektrizitätsnetze oder Gebäude. Unsere Vision ist ein industrielles Metaverse, in dem die gesamte industrielle Welt mit ihren Prozessen digital abgebildet werden kann. Die großen Vorteile: Fehler werden im Voraus erkannt, man braucht weniger physisches Prototyping und ist viel schneller mit der Innovation am Markt. Unsere Kunden stehen diesem Thema grundsätzlich sehr offen gegenüber und erkennen und nutzen die Chancen der Twin Transformation.
Tanner: Am Ende des Tages wird der Druck durch die Klimakrise so groß werden, dass ohnehin keine andere Wahl bleibt, als den nachhaltigen Weg zu gehen. Daher: Je früher Unternehmen und Infrastrukturen sich mit diesen Themen beschäftigen, desto besser, um auch weiterhin erfolgreich am Weltmarkt agieren zu können. Mittlerweile redet man im Übrigen gar nicht mehr nur von der Twin Transformation, sondern bereits von der Triple Transformation. Das dritte Element ist der Faktor Mensch.
Neumann: Ein ganz wichtiger Punkt. Es ist entscheidend, die Menschen auf diese Reise mitzunehmen, damit die Transformation gelingen kann – gerade wenn wir über Technologien wie Digitale Zwillinge oder Künstliche Intelligenz reden. Wir alle kommen immer mehr mit Anwendungen in Kontakt, die schon KI-basiert sind, beispielsweise bei unserem Industrial Copilot. Wir gehen hier selbst mit bestem Beispiel voran und schulen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daher genießt auch die Ausbildung im Konzern höchsten Stellenwert.
Tanner: Aus- und Weiterbildung ist die beste Zukunftsinvestition. Wir haben hier in der Steiermark ein attraktives Modell für Werkstudenten. Diese können neben ihrem Studium bei uns arbeiten. Oder auch ihre Bachelor- oder Masterarbeiten oder auch Dissertationen bei uns abschließen. So haben wir die Chance, junge Leute nachhaltig auszubilden und können diese danach vielfach im Unternehmen halten. Ein zweiter Ansatz geht in Richtung Lehrlingsausbildung – im Bereich Applikationsentwicklung und Coding bzw. Elektro- und Anlagentechnik.

Ein Weltkonzern mit globaler Ausrichtung auf der einen Seite und regionalen Standorten auf der anderen Seite – ein Spannungsverhältnis?
Tanner: Siemens steht für Glokalisierung. Wir sind ein global agierendes Unternehmen – mit dem Vorteil, auf das Produktportfolio von Siemens weltweit zugreifen zu können. Gleichzeitig ist es notwendig, dass wir unsere Kunden vor Ort unterstützen und mit ihnen gemeinsam Projekte umsetzen. Daher sind wir auch sehr regional aufgestellt. Unsere Softwareentwicklung ist ein gutes Beispiel für den Doppelpass zwischen global und regional. Wir entwickeln am Standort Graz Software, die weltweit eingesetzt wird. Und wir haben Zugriff auf globale Siemens-Produkte, für die wir mit unseren Kunden vor Ort maßgeschneidert anpassen.
Neumann: Als Siemens Österreich sind wir stolz, von Wien aus für eine Region mit 26 Ländern im Verbund verantwortlich zu sein. Gleichzeitig sind wir sehr stolz, in Österreich in allen Bundesländern eine Niederlassung zu haben und lokal präsent zu sein. Dort, wo unsere Kunden, die Industrie und die Hoch-schulen angesiedelt sind. Gerade Graz ist dafür ein wunderbares Beispiel. Eines der weltweit elf technologischen Entwicklungsfelder ist in Österreich beheimatet. Zudem haben wir hier auch einige Kompetenzzentren wie im Tunnel- und Straßenbereich. Die übergeordnete Frage lautet natürlich immer: Wohin steuert Österreich, wohin Europa? Schaffen wir es unterm Strich mit dem, was wir tun, einen Beitrag zu leisten, und Technologien zu entwickeln, die wettbewerbsfähig sind, verglichen zu anderen Regionen auf der Welt? Das gilt natürlich auch konzernintern. Und schaffen wir es, unseren Kunden so gute Produkte und Lösungen zu liefern, dass wir damit ihre Wettbewerbsfähigkeit am Standort stärken?

Herbert Tanner:
„Unser Fokus auf Forschung und Innovation hilft uns, den entscheidenden Schritt voraus zu sein.“

Ihr aktueller Befund: Wie steht es um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich?
Neumann: Im Moment sehen wir das berühmte Licht am Ende des Tunnels und sind zuversichtlich, dass die Industrie wieder etwas Rückenwind bekommt. Die Situation war zuletzt angespannt – wir allen kennen die Diskussionen rund um Energiepreise, Arbeitskosten und Inflation, ein bunter Blumenstrauß an Themen, die dringend angegangen werden müssen. Unsere Aufgabe als Siemens ist, resilient zu bleiben. Und wenn die Industrie wieder anzieht, sind wir mit unseren Technologien in vollem Umfang da.
Tanner: Wir müssen diese Fragen offen und kritisch diskutieren, aber immer auch selbst in die Verantwortung gehen. Es ist kein Geheimnis, dass die Rahmenbedingungen in Summe für die Industrie in Österreich besonders herausfordernd sind. Ich plädiere dafür, dass jeder seine Hausaufgaben macht – ob in der Landespolitik, im Bund, in der Europäischen Union oder bei uns im Unternehmen. Es gibt einiges zu tun, um attraktivere Rahmenbedingungen zu schaffen. Als Siemens werden wir weiterhin den Fokus auf nachhaltige und digitale Lösungen legen.

KI zwischen Hype und Dämonisierung: Wo ist die KI bereits ein Game Changer in der Industrie?
Neumann: KI ist schon heute ein wichtiger Baustein in unserem Technologieportfolio – ob im Bereich Digitaler Zwilling, als industrieller Copilot oder in der Qualitätssicherung via Visual Recognition. Auch im Recyclingprojekt mit der Montanuni Leoben ist sehr viel KI enthalten. Die für mich zentrale Frage dabei: Wann lassen wir KI autonome Entscheidungen treffen oder wo bleibt die Verantwortung beim Menschen? Auf diese Schnittstellenthemen wird es letztlich ankommen. Letztlich – und davon bin ich überzeugt – braucht es immer den Menschen, der versteht, was passiert.
Tanner: Im Bereich KI sind die meisten Spielfelder bereits von den USA und China besetzt – von Large Language Models bis zur Frage der Superchips. Aber im Industriebereich hat Europa eine große, fast einmalige Chance, eines der wohl letzten verbliebenen Felder zu besetzen. Die Voraussetzungen sind gut, denn Europa hat eine breite industrielle Basis und enormes Wissen. Siemens tut sehr viel, um auf diesem Gebiet führend zu sein. Der Konzern hat angekündigt, jährlich hunderte Millionen Euro in das Zukunftsthema KI zu investieren.

Digital Twins als Treiber der digitalen Revolution: Heute werden komplexeste Produkte,
Prozesse und ganze Anlagen in der virtuellen Welt entwickelt, getestet und optimiert,
bevor sie in der realen Welt hergestellt werden.

Was wünschen Sie sich zum 125. Geburtstag des Standorts Graz?
Tanner: Wir wünschen uns, dass wir unseren eingeschlagenen, auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung basierenden Weg erfolgreich fortsetzen können. Die Herausforderungen sind groß. Wir sind jederzeit bereit, uns an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen – dafür braucht es immer wieder neue, gute Ideen, das richtige Mindset, viel Neugier und die Bereitschaft zu investieren, aber auch hart zu arbeiten – so wie unsere Vorgängergeneration. Wir sind dazu bereit.
Neumann: Erfolg bedeutet auch, den Sinn in dem, was wir tun, zu sehen. Und den haben wir klar vor Augen. Als Siemens wollen wir einen Beitrag leisten, damit die Welt von morgen – ganz allgemein gesprochen – für jede und jeden ein Stück besser wird. Das ist unser Anspruch.

Lead Country Austria: Die Siemens AG Österreich trägt
die Verantwortung für eine Wirtschaftsregion mit
insgesamt 26 Ländern sowie knapp 30.000 Mitarbeitenden.

Fotos: Oliver Wolf

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