Spirit of Styria

3 Nationen, 3 Disziplinen, 1 ZIEL

Madeleine Petschnigg aus Villach, Sara Guerreiro aus Portugal und Pooja Thakkar aus Indien tüfteln am Spitzenforschungszentrum Silicon Austria Labs (SAL) an hochfunktionalen Mikrospiegeln für Endoskope. Anwendungsfelder sind die Medizin, Telekommunikation, die Automobil- oder Raumfahrtindustrie. Die Junior Scientists gewannen einen internen Nachwuchswettbewerb und waren Finalistinnen beim diesjährigen „SPIRIT-Award for Women in Science“.

Darmkrebs zählt zu den häufigsten Krebsarten. Weltweit sind etwa 1,4 Millionen Menschen daran erkrankt, etwa 700.000 sterben jährlich daran. Die Medizin macht als häufigste Ursache einen ungünstigen Lebensstil fest und mahnt eindringlich, zur Vorsorge zu gehen: Koloskopie, also die endoskopische Untersuchung des menschlichen Darms, kann Gewebeveränderungen früh entdecken und so Leben retten. Beim Endoskop für die Darmspiegelung handelt es sich um einen etwa 1,5 Meter langen, flexiblen Schlauch von etwa einem Zentimeter Durchmesser. Am Ende des Koloskops befinden sich eine Lichtquelle und eine winzige Videokamera, durch die Ärztinnen und Ärzte die Darmwand betrachten. Die Forschung arbeitet laufend daran, medizintechnische Geräte wie diese und ihre Funktionalität zu verbessern, um bessere ärztliche Diagnosen zu ermöglichen.

So geschieht das dieser Tage auch in den Silicon Austria Labs (SAL), Österreichs Spitzenforschungs-zentrum für elektronikbasierte Systeme mit dem Headquarter an der Technischen Universität Graz sowie Infrastruktur in Villach und Linz. Unter dem Projekttitel VARIMED (varifocal PTZ micromirror for medical imaging) entwickeln die drei Nachwuchswissenschafterinnen Madeleine Petschnigg, Sara Guerreiro und Pooja Thakkar einen steuerbaren Mikrospiegel für kompakte Endoskope.

Mikrospiegel sind wichtige Komponenten dieser Geräte, da sie Licht lenken und die Bildgebung verbessern. Durch ihre Kleinheit eignen sie sich gut für miniaturisierte Endoskope und erlauben präzisere Einblicke in den Körper. Das Projekt verbindet nicht nur die drei Fachgebiete Photonik, Piezoelektrische Mikrosysteme und Dünnfilmtechnologien, sondern auch Forscherinnen aus den drei Ländern Österreich, Indien und Portugal. Das Vorhaben wird über 16 Monate mit 355.000 Euro aus dem SAL-internen Wettbewerb „Early Career Calls“ gesponsert.

VARIFOKAL: SPIEGEL ERSETZT LINSE
Projektziel ist der Prototyp bzw. das Konzept und Design eines winzigen, hochfunktionalen Spiegels – im Fachjargon piezoelektrischen quasistatischen 2D-Varifokal-Mikrospiegel. Die Wissenschafterinnen erklären: „Ein Mikrospiegel hat, ähnlich wie ein normaler Badezimmerspiegel, die Fähigkeit, Licht zu reflektieren. Im Vergleich zum Badezimmerspiegel ist die reflektierende Oberfläche jedoch viel kleiner, typischerweise im Bereich von wenigen Millimetern oder darunter. Bewegt man den Spiegel kontrolliert, können Richtung und Fokus einer reflektierten Lichtquelle wie etwa eines Lasers gesteuert werden.“ Die Bauteile sind MEMS-basiert, das heißt, es handelt sich um mikroelektromechanische Systeme, die durch das Anlegen einer elektrischen Spannung gesteuert werden können. Veränderlich ist die Neigung auf einer (1D) oder zwei Achsen (2D). Die Forscherinnen fügen eine zusätzliche varifokale Funktion hinzu und können die Spiegeloberfläche auf diese Weise nun auch konkav verformen: „Je nach Krümmung ändert sich der Brennpunkt – eine Funktion, für die man bisher optische Linsen in das Gerät einbauen musste.“ Wenn der Spiegel selbst das Fokussieren übernimmt, werden Linsen überflüssig – das Gerät wird insgesamt, kleiner, leichter und häufig auch kostengünstiger in der Herstellung. „Wir verbessern den Standard-2DScanning-Mikrospiegel um eine 3D-Funktion, indem wir dem System eine varifokale Komponente hinzufügen. So können wir nicht nur einen Bereich scannen, sondern viele Gewebeschichten. Gleichzeitig bleibt das Endoskop so klein wie möglich“, fassen die Forscherinnen zusammen.

Internationales Projektteam: Die SAL-Junior-Scientists Madeleine Petschnigg aus Villach,
Sara Guerreiro aus Portugal und Pooja Thakkar aus Indien (v.l.).

Die Herausforderung an das Material lautet: so stabil wie möglich,
aber so klein, leicht und flexibel wie nötig.

MADELEINE PETSCHNIGG, SILICON AUSTRIA LABS

„Es handelt sich um ein so komplexes System, dass wir alle drei Disziplinen brauchen“, verdeutlicht Madeleine Petschnigg: Sara Guerreiro kommt aus dem Forschungsbereich Piezoelectric Microsystems, Pooja Thakkar arbeitet in der Abteilung Photonic Systems und Madeleine Petschnigg ist auf PZT-Dünnfilmtechnik bzw. Materialwissenschaft spezialisiert. Die jeweiligen Fachkenntnisse und Fähigkeiten definieren Rollen und Verantwortlichkeiten im Projekt, die von der Konstruktion über die Implementierung bis zur Validierung reichen. Petschnigg: „Pooja definiert die Anforderungen und setzt die Lab-Test-Umgebungen fest. Sara erarbeitet das Design und die Bauanleitung: Wie sieht das Ganze aus, wo setzt man die Elektroden oder die reflektierenden Schichten, wie steuert man sie an. Und ich beschäftige mich mit den Materialien, wie gestalten wir die Komponenten so robust bzw. langlebig wie möglich und für gewisse Funktionen auch so flexibel bzw. biegbar wie nötig.“ Die Forscherinnen arbeiten mit Silizium-Substraten, auf die das piezoelektrische Material aufgebracht wird. Nach Projektende 2024 soll die Arbeit fortgesetzt werden – am Programm stehen eine Prototypenproduktion und langfristig die Zusammenarbeit mit medizintechnischen Unternehmen.

Für das Forschungsvorhaben VARIMED gewannen die
Wissenschafterinnen den Wettbewerb „Early Career Calls“.

Die Wissenschafterinnen kamen als Masterstudentinnen zu SAL und haben sich entschieden, nach der Verteidigung unserer Abschlussarbeit zu bleiben: „Wir schätzen die Flexibilität, das selbstständige Arbeiten, die spannenden und vielfältigen Aufgabengebiete“, streuen die Wissenschafterinnen ihrem Arbeitsumfeld Rosen. Kooperationen laufen mit Instituten/Unternehmen in Japan, Nordamerika, Norditalien und in der Schweiz – „die Halbleiterindustrie hat in Mitteleuropa bzw. im Inland auf der Achse Graz, Villach, Linz ein starkes Herzstück mit Spitzenunternehmen wie Infineon oder ams Osram.“ Die internationale Ausrichtung bleibt dennoch: Petschnigg macht ihren Doktor an der Pennsylvania State University, Guerreiro an der Universität Tokio. „Als Junior Scientists erhalten wir hier bei SAL viel Unterstützung von erfahrenen Forscher:innen und Manager:innen. Sie ermutigen uns, unsere Komfortzone zu verlassen und selbst Projekte zu initiieren.“ Quod erat demonstrandum.

Madeleine Petschnigg
aus Villach kam nach Abschluss ihres Masterstudiums der Technischen Chemie an der TU Wien als Junior Scientist zu SAL und macht ihren PhD in Materialwissenschaft an der Pennsylvania State University. Sie konzentriert sich auf piezo- und ferroelektrische Dünnschichtmaterialien (PZT) für mikroelektro-mechanische Systeme (MEMS).

Sara Guerreiro
aus Portugal kam als Masterstudentin zu SAL und ist seit ihrem Abschluss im Forschungsbereich Piezoelectric Microsystems tätig. Konzentriert sich auf den Prozess der Entwicklung von Mikrospiegeln vom Entwurf über Simulation und Herstellung bis hin zur Charakterisierung. Parallel absolviert sie ihr Doktoratsstudium an der Universität Tokio.

Die gebürtige Inderin Pooja Thakkar absolvierte ihren Master in Mikro- und Nanosystemen an der TU Chemnitz. Sie ist Junior Scientist bei SAL im Bereich Photonic Systems und forscht an Mikrospiegeln, charakterisiert diese und untersucht deren Modenansteuerung sowie Leistung und die Auswirkungen des dynamischen Verhaltens auf die Bildauflösung.

Fotos: SAL

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