Welche Auswirkungen hat die Zinswende? Worin liegen die wahren Ursachen der Inflation? Müssen wir mit einer Rezession rechnen? Und was ist Anlegern in Zeiten großer Unsicherheit zu raten? Christian Fegg, Vorstandsdirektor der Schoellerbank Invest AG, im Interview mit „SPIRIT of Styria“ über die aktuell drängendsten Fragen für Wirtschaft und Finanzmarkt.
„Der Zinsanstieg wird rezessive Tendenzen in der Eurozone verstärken und in einer Rezession gehen die Inflationsraten stets rasch nach unten.“
CHRISTIAN FEGG
VORSTANDSDIREKTOR
DER SCHOELLERBANK INVEST AG
Spät, aber doch hat die EZB entschieden, die Zinsen schrittweise zu erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen – eine richtige Entscheidung?
Richtig und falsch sind in dem Zusammenhang nicht mehr die maßgeblichen Kategorien. Ab einer gewissen Höhe der Verschuldung gibt es keine einfachen Rezepte mehr, sondern man kann nur noch die einzelnen negativen Konsequenzen unterschiedlicher Maßnahmen gegeneinander abwägen und sich für das vermeintlich kleinere Übel entscheiden.
KLARTEXT – DER WIRTSCHAFTS-TALK Wir luden Christian Fegg am Rande unseres neuen Diskussionsformats „Klartext – der Wirtschaftstalk“, einer gemeinsamen Veranstaltung der Wiener Städtischen Versicherung, der Schoellerbank und des Magazins „SPIRIT of Styria“, zum Interview ein. Den Nachbericht zur Veranstaltung finden Sie auf den folgenden beiden Seiten.
Also die Wahl zwischen Pest und Cholera?
Ein klassisches Dilemma. Es gibt in diesem Fall keine beste Lösung. Jede Entscheidung hängt davon ab, was ich erreichen will. Und die EZB hat sich dafür entscheiden, mit einer Zinswende die Inflation zu bekämpfen – und nimmt dafür negative Effekte auf die Wirtschaft in Kauf. Eine Rezession und damit eine Zunahme von Insolvenzen werden dadurch wahrscheinlicher. Ein Nicht-Anheben der Zinsen hätte aber wohl noch größere schädliche Wirkungen zur Folge.
Wo sehen Sie das Hauptproblem?
Es liegt in dem enormen Schuldenberg in der Eurozone. Hier sind wir bereits mit 440 Prozent unserer Wirtschaftsleistung verschuldet – also weit höher als die Staatsverschuldung von rund 100 Prozent. Die Gesamtverschuldung umfasst alle vier Sektoren der Volkswirtschaft – Staat, private Haushalte, Unternehmen und Finanzwirtschaft. Zusammen genommen kommen wir auf diese 440 Prozent des BIP im Euroraum. Zum Vergleich: Die USA liegen bei 360 Prozent, in Japan sind es sogar 620 Prozent. Es ist also längst ein globales Phänomen. Dabei sind die Schulden selbst gar nicht das Problem, sondern die Zinszahlungen. Wenn diese einen gewissen Anteil des Budgets überschreiten, wird es problematisch – diese Grenze sehe ich bei rund 15 Prozent. Liegt der Anteil für einen Schuldner darüber, wird es kritisch. Nun sind die einzelnen Euro-Staaten bekanntlich unterschiedlich hoch verschuldet und können sich auch zu unterschiedlich hohen Zinssätzen refinanzieren. Steigt der Leitzins weiter, könnte dieser Grenzwert bei einigen Staaten überschritten werden. Daher sehe ich für die EZB hier nicht mehr viel allzu Spielraum nach oben.
Wird die Zinswende das Ziel der Inflationsbekämpfung erreichen?
Wenn man die Inflation effektiv bekämpfen wollte, müssten die Leitzinsen noch viel, viel höher sein. Bei einer Inflation von 10 Prozent müssten sie bei 7 oder 8 Prozent liegen, was aber aus den genannten Gründen nicht möglich ist. Dennoch denke ich, wird sich das Problem auf andere Weise lösen. Denn der Zinsanstieg wird rezessive Tendenzen in der Eurozone verstärken und in einer Rezession gehen die Inflationsraten stets rasch nach unten. Im Gesamtkontext hoher Verschuldung, des Ukraine-Kriegs und der stark steigenden Bau- und Grundstückspreise reicht auch schon eine relativ geringe Erhöhung des Zinssatzes für eine Rezession. So wird das Ziel gewissermaßen indirekt erreicht – also Inflationsbekämpfung über den Weg einer sich abschwächenden Wirtschaft mit den damit verbundenen Konsequenzen.
Gäbe es noch andere Wege, die Inflation zu bekämpfen?
Ja, man könnte sie auch monetär bekämpfen. Das hat mit der Hauptursache für die aktuelle Inflation zu tun: der expansiven Geldpolitik der EZB. Dadurch hat sich die Geldmenge im Euroraum seit der Finanzkrise deutlich erhöht. Das Quantitative Easing der EZB, also der Kauf von Wertpapieren und Staatsanleihen, hat auf der monetären Seite die Inflation angetrieben. Begonnen hat es mit einer Asset-Inflation – also Preissteigerungen bei Aktien und Immobilien – und seit dem Vorjahr ist die Inflation in der Gesamtwirtschaft angekommen. Ein Mittel der Wahl wäre nun Quantitative Tightening, also ein Abfluss von Liquidität aus der Wirtschaft – aber dieser Schritt würde Immobilien- und Aktienpreise sehr stark drücken und hätte viele negative Effekte. Für die Euro-Zone käme der Schritt nun auch zu spät.
Was passiert mit den aufgekauften Staatsanleihen der EZB? Irgendwann werden diese fällig. Droht eine tickende Zeitbombe?
Nein, darin sehe ich keine große Gefahr. Diese Papiere stehen alle als Guthaben in den Büchern – und wenn eine Zentralbank Guthaben hat, ist dies an sich nichts Problematisches. Ein Problem ist hingegen das, was die Guthaben ausgelöst haben: nämlich den monetären Inflationsschub. Die Vermehrung der Geldmenge schafft damit keinen Wohlstand und letztlich Inflation. Und Inflation ist etwas sehr Schädliches, weil es den gesamten Wirtschaftskreislauf massiv stört.
Wie wirkt sich die aktuell komplexe und krisenhafte Gemengelage auf die Finanzmärkte aus? Was raten Sie Anlegern?
Wenn die Stimmung an den Börsen extrem schlecht ist, dann spricht das für Aktienkäufe. Euphorische Stimmung hingegen ist immer ein Verkaufssignal. Das belegt die historische Erfahrung, daher setzt auch die Schoellerbank auf antizyklische Investments. Dennoch empfehle ich die Aktienquote derzeit neutral zu halten. Das liegt an der monetären Situation durch die aktuell vorherrschende restriktivere Geldmengenpolitik – daher sollte man mit strategischen Aktienkäufen im Moment eher abwarten und nicht übergewichten. Zudem würde ich Wachstumswerte im Portfolio derzeit geringer gewichten als Dividendenwerte. Am wichtigsten sind – wie immer – ein langfristiger Planungshorizont und eine breite Streuung. Man sollte nicht den Fehler begehen, aktuelle geopolitische Entwicklungen – und seien sie noch so bedenklich – zu sehr auf sein Portfolio zu beziehen. Ein historisches Beispiel: In keiner Phase der Geschichte hatte der Dow Jones so hohe Wachstumsraten wie in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg – obwohl damals die Kriegsgefahr in Europa schon extrem hoch war. Die Botschaft: Jede Zeit hat ihre Chancen.
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