Building Future: Wie schaffen wir es, künftig Bauwerke über den gesamten Lebenszyklus ressourcenschonend und klimagerecht zu gestalten? Wie kann es gelingen, den Bodenverbrauch einzudämmen? Und wird Bestandssanierung in Zukunft wichtiger als der Neubau? Fragen, die unsere Expertenrunde am Roundtable diskutierte.
TALK IM TURM
ist ein Diskussions-format von
SPIRIT of Styria.
Jeden Monat laden wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die
Redaktion an den Technopark Raaba.
Auf einer Skala von eins bis zehn – wie nachhaltig bauen wir unsere Gebäude in der Steiermark?
SACHERER: Ich würde meinen, dass wir etwa in der Mitte liegen. Ich spreche hier für unseren Bereich, den geförderten Wohnbau, sowie zum Teil für den freifinanzierten. In der Wohnbauförderung sind ja ökologische Vorgaben einzuhalten, um Förderungsmittel zu bekommen. Aber da wäre sicherlich noch Luft nach oben und es gäbe noch Möglichkeiten, an gewissen Schrauben zu drehen. Allerdings ist das natürlich immer eine Kostenfrage – verbunden mit der Frage: Was will bzw. kann ein Nutzer am Ende des Tages für eine Wohnung zahlen?
SPENER: Ich würde es zweigeteilt beantworten: Im Bewusstsein sind wir auf der Skala schon bei sechs oder sieben. Ich habe den Eindruck, dass das Thema in den Köpfen vielfach angekommen ist – siehe die aktuellen Diskussionen rund um Bodenverbrauch, Raumordnung & Co. Aber in der Umsetzung sind wir noch nicht so weit – da würde ich auch sagen, dass wir in der Mitte liegen. Grundsätzlich ist nachhaltiges Bauen eng mit der Planung verknüpft. Denn klar ist: Bevor wir bauen, müssen wir erst einmal planen. Und damit haben wir einen Riesenhebel in der Hand. Mit einer breiten Palette an Einflussgrößen – ob durch Nachnutzungen, Nachverdichtung, die Materialwahl oder durch bedarfsgerechtes Planen. Eine Zahl dazu: Der Wohngrößenbedarf ist seit Mitte der 70er-Jahre enorm gestiegen – von 74 m2 auf 105 m2, im Durchschnitt über alle Wohnungen. Ob unser Bedarf wirklich so groß sein muss, kann man natürlich in Frage stellen.
SACHERER: Ich darf kurz einwerfen: Im geförderten Wohnbau gibt es ein Limit von 90 m2.
SPENER: Dennoch behaupte ich einmal, dass in der Vergangenheit generell zu groß gebaut wurde. Umso wichtiger wird künftig die Rolle der Planung sein. Zum einen, um bedarfsgerechter zu bauen, und zum anderen, um die Nutzung über den Lebenszyklus eines Objekts anpassen zu können. Klassisches Beispiel: Wenn die Kinder ausziehen, sollte die Immobilie redimensioniert werden können. Aber die Planung setzt natürlich schon viel früher an – bei der Raumplanung oder bei Bebauungsplänen. Es gilt künftig, Zentren und Ortskerne zu stärken und vorhandene Infrastruktur zu nutzen, ohne neue Böden zu verbrauchen. Wir werden viel mehr in den Bestand gehen und nachverdichten müssen. Gleichzeitig ist unumstritten, dass auch zukünftig gebaut werden muss – beispielsweise, wenn sich Betriebe erweitern.
DIE TEILNEHMERINNEN
Johann Harrer
Geschäftsführender Gesellschafter „Strobl Bau – Holzbau“, Weiz
Vinzenz Harrer
Vinzenz Harrer GmbH und VH Holding sowie Mitinitiator der Initiative „Bauen ohne Boden“
Alexander Passer
Universitätsprofessor
„Nachhaltiges Bauen“
an der TU Graz
Wolfram Sacherer
Vorstandsdirektor Wohnbaugruppe Ennstal, Geschäftsführer ENW
Gustav Spener
Präsident Ziviltechniker:innen-kammer für Steiermark und Kärnten
JOHANN HARRER: Ich bin in meiner Bewertung bei vier. Denn das
wesentlichste Kriterium für mich ist der Bodenverbrauch. Ich bin zwar
hauptberuflich im Baubereich tätig, aber nebenberuflicher Landwirt – und am
Ende des Tages sind unsere Böden unsere Nahrungsgrundlage und wenn wir so
weiterbauen wie bisher und die fruchtbarsten Ackerböden zubetonieren, dann
werden wir in Österreich bald nicht mehr Selbstversorger sein. Man braucht nur
in den Süden von Graz zu schauen – was wir da alles zubauen mit all den
Logistikzentren, statt uns zu überlegen, wie wir unser Leben wieder regionaler
organisieren. Ich bin auch der Meinung, dass wir aus bereits Verbautem wieder
Sinnvolleres machen könnten – z.B. aus brachliegenden Industriezentren. Oder
wir könnten anfangen, auf ein- oder zweistöckige Gebäude noch zwei, drei Stöcke hinaufzubauen. Auch viele Technologien, die die Bauwirtschaft bereits kennt – ob beim Bauen mit Holz, Beton oder Stahl – können uns helfen, nachhaltiger und kostengünstiger zu bauen. Die Rahmenbedingungen dafür, ob etwas kostengünstig ist oder nicht, schafft jedoch der Gesetzgeber. Das Problem: Die Sanierung kostet in der Regel deutlich mehr als die Bebauung der grünen Wiese.
VINZENZ HARRER: Ich beantworte die Eingangsfrage auch zweigeteilt – von den technischen Möglichkeiten sind wir schon sehr weit, da würde ich eine sieben oder acht vergeben. Aber in der Diskussion sind wir meines Erachtens erst ganz am Anfang. Hier würde ich nur eine Note von eins bis zwei geben. Was uns fehlt, ist die Gesamtsicht darauf, was wirklich wesentlich ist. Negatives Paradebeispiel ist für mich das vielzitierte BIM (Building Information Modeling), wo wir seit 15 Jahren diskutieren, aber sich nichts bewegt, außer dass es immer teurer wird. Nachhaltiges Bauen fängt für mich beim Boden an. Das heißt, die entscheidende Frage lautet zunehmend: Wo bauen wir? Im Bestand auf dem Bauwerk, im Bauwerk, ums Bauwerk oder auf eine neue Fläche? Bei Bestandsgebäuden kann eine Sanierung sinnvoll sein, manchmal ist es aber im Sinne der Nutzung gescheiter, abzureißen und neu zu bauen.
SPENER: Kurzer Einspruch: Wenn wir ernsthaft über Klimaziele sprechen, darf der Abriss von Gebäuden künftig kaum noch eine Option sein, finde ich. Das heißt aber nicht dogmatisch, dass man alles erhalten muss und die Wirtschaftlichkeit keine Rolle spielt.
V. HARRER: Dann würden aber viele Bauwerke nicht mehr entstehen – zeigt die Praxis. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Rückbau. Die Frage dabei: Bauen wir Bauwerke zurück? Bauteile? Oder Baustoffe? Dazu kommt das Themenfeld Energieeffizienz – wie viel Energie benötigt das Errichten und wie viel der Betrieb eines Bauwerks? Über die Lebenszeit eines Gebäudes gerechnet ist der Betrieb der relevantere Faktor. Dann haben wir die Frage der Baumaterialien. Was ist nachhaltiger – die sibirische Lärche oder Schotter und Kies aus der Region? Und zu all diesen Themen kommt die Frage: Wie finanzieren wir das Ganze und was können wir uns leisten? Das ist auch Teil der Nachhaltigkeit. Und über allem gibt es noch die politischen Ziele. Die müssen nicht immer richtig sein. Siehe unsere „hehren“ politischen Ziele zum Thema Elektroautos, die gerade einen der wichtigsten Wirtschaftszweige Europas an den Abgrund führen. Wir müssen beim Bauen aufpassen, nicht in die selbe Falle zu tappen.
PASSER: Ich würde sehr wohl sagen, dass den Bau schaffenden insgesamt die relevanten Themen bereits vollkommen bewusst sind. Daher meine ich, dass der Bevölkerung und den Entscheidungsträgern viel mehr zumutbar ist, als wir immer glauben. Entscheidend ist, dass wir endlich zu einer Richtungssicherheit kommen. Hier hilft nur eines: Entscheiden und tun! So wie die Schweiz, die in dieser Frage gerade eine klare Strategie auf den Weg bringt. Denn technologisch können wir schon viel – hier liegen wir meines Erachtens bei fünf auf dieser Skala. Aber wenn wir die Klimaziele als oberste Prämisse nehmen, dann sind wir bei null – ganz klar! Wir sind nicht auf Kurs und meilenweit von den Zielen entfernt. Die Sanierungsquote liegt bei 1 oder 1,5 Prozent – die jährlichen Sanierungen in Relation zum Gesamtbestand sind viel zu gering. In diesem Tempo brauchen wir 70 Jahre oder mehr. Und je länger wir zuwarten, desto teurer wird es. Denn irgendwer wird die Rechnung bezahlen – siehe die jüngsten Flutkatastrophen. Wenn es nicht die Einzelnen sind, dann sind es wir als Gesellschaft. In puncto „Nachhaltiges Bauen“ orte ich einen regulatorischen Rückstand. Das Hauptproblem liegt klar beim Bestand: Wir haben zu viele alte Gebäude – mit schlechter Dämmung, fossilen Heizsystemen und so weiter. Eine Zahl dazu: Bei einem typischen Neubaugebäude entfallen ungefähr 50% der Treibhausgasemissionen auf die Errichtung und 50% auf den Betrieb. Bei einem Bestandsgebäude kann man hingegen von einem Anteil von 80 % ausgehen, der auf den Betrieb entfällt. Das heißt: Wir müssen künftig umbauen und sanieren – das wird sich komplett drehen. Wir werden künftig nicht mehr so viel Neubauvolumen brauchen.
Wie kommen wir dorthin – über Anreize oder Ge- und Verbote?
J. HARRER: Ich bin der Meinung, es braucht regulatorische Maßnahmen. Anreize sind gut, aber besser und schneller funktionieren Ge- und Verbote mit Konsequenzen bei Übertretungen.
SPENER: Da bin ich ganz anderer Meinung. Strafen sind der falsche Weg. Es braucht Anreize, idealerweise fiskalische Anreize. Grundsätzlich bin ich bei Förderungen eher skeptisch – denn wir haben einen echten Förderdschungel in Österreich und nicht immer wird transparent und nachvollziehbar entschieden. Und wehe man vergisst, irgendwo eine Zeile auszufüllen.
PASSER: Ich spreche lieber von Lenkungseffekten. Dabei unterscheiden wir drei Arten – die Karotte, das wäre der Anreiz, das heißt, es rechnet sich zu investieren. Dann haben wir die Peitsche – also das Ge- oder Verbot – und schließlich die Trommel, also die Meinungsbildung bzw. der soziale Druck, der zu einem wünschenswerten Verhalten anregt. Man schämt sich sozusagen, wenn es beim Kamin raus-raucht und überlegt sich so vielleicht, die Heizung zu tauschen. Es braucht alle drei Instrumente.
J. HARRER: Ich gebe zu bedenken: Sanieren bedeutet sehr viel Arbeitsleistung – und diese ist in Österreich sehr teuer. Daher ist auch die Sanierung im Verhältnis teurer als ein Neubau auf der grünen Wiese. Dieser geht mit weniger Arbeitsaufwand einher und ist daher billig. Bei der Sanierung sind wir bei 60-70% Anteil Lohnkosten an den Gesamtkosten und beim Neubau liegen wir bei 40%. Das geht sich kostentechnisch nie aus. So viele Anreize kann man gar nicht schaffen. Das ist ein großer Irrglaube der Politik.
SACHERER: Gleichzeitig sind die Förderungsansuchen zuletzt bei der kleinen Sanierung, also der energetischen Sanierung des Landes Steiermark sprunghaft angestiegen. Da sind um über 1.000 Förderansuchen mehr eingelangt als in den Jahren davor. Der Gesetzgeber hat hier also sehr wohl etwas gemacht, das angenommen wird. Natürlich ist es immer noch zu wenig – aber ein wichtiger erster Schritt. Die Dekarbonisierung ist ein ganz zentraler Punkt für unsere Altbestände. Wir haben sehr viele Wohnungen in den 60er-, 70er-, 80er-Jahre errichtet – viele sind mit Gas beheizt. Wenn wir davon wegkommen wollen, müssen wir enorme Anstrengungen unternehmen – nicht nur wir gemeinnützigen Bauträger. Da muss viel geschehen. Besonders herausfordernd ist die Thematik im Eigentumsbereich. Um etwa nachträglich Solarthermie oder Photovoltaik aufzubringen, braucht es entsprechende Mehrheiten.
V. HARRER: Es macht einen Unterschied, ob der Eigentümer auch der Nutzer ist oder ob Eigentumsverhältnisse und Nutzung getrennt sind. Ist Letzteres der Fall, kann man wesentlich leichter steuern. Bei klassischen Einfamilienhäusern ist das schwieriger – wir haben ja keinen Sanierungszwang bzw. Investitionszwang – das wäre für viele auch nicht leistbar. Förderungen sollten immer möglichst maßgeschneidert sein. Damit nicht das passiert, was man in Italien gemacht hat – da gab es hohe Förderungen mit der Gießkanne, obwohl man von Südtirol bis Palermo ganz unterschiedliche Bedürfnisse hat. Das war dann mehr ein Abschöpfen als ein sinnvolles Investieren. Ich hoffe, dass wir in Österreich nicht dorthin kommen, obwohl wir bei der Haustechnik derzeit fast schon auf diesem Weg sind.
SPENER: Früher war es de facto so, dass dem Investor die Betriebskosten egal waren, weil diese hat ohnehin der Mieter bezahlt. Aber seit der Energiekrise – wo sich die Betriebskosten vervielfacht haben – haben viele Vermieter das Problem, dass aufgrund der Betriebskosten Wohnungen praktisch unvermietbar geworden sind. Daher ist es auch im Sinne der Investoren, wenn bereits in der Planungsphase Schritte unternommen werden, damit die Betriebskosten möglichst niedrig sind.
SACHERER: Zum Thema Wirtschaftlichkeit: Ich habe gerade für ein Wohnprojekt von uns einen Vergleich anstellen lassen. Ein Neubau auf der grünen Wiese kostet uns rund 2.800 oder 2.900 Euro pro Quadratmeter, eventuell noch etwas mehr mit den Aufschließungskosten. Bei einem Bestandobjekt würde die Sanierung laut Ausschreibung auf 3.400 Euro kommen. Ein Dilemma – denn das ist unmöglich zu finanzieren.
J. HARRER: Unser Unternehmen macht sowohl Neubau als auch Um- und Zubau. Wenn ich ein Gebäude neu errichte, habe ich am Ende die gewünschte Nutzung und ich bin kostentechnisch wesentlich günstiger dran. Daher spricht schon viel dafür, dass man Gebäude, die nicht sinnhaft genutzt werden können, abreißt und nach heutigen Standards der Nutzungsanforderungen wieder neu errichtet. Das ist wesentlich wirtschaftlicher als eine aufwändige Sanierung. Besonders stört mich, dass wir die Gebäude in der Steiermark in den nächsten 20 Jahren mit 20 cm Vollwärmeschutz „zupicken“ werden. Das kann nicht die Lösung sein. Aber genau so wird heute vielfach saniert.
Thermische Sanierung, neue Heizsysteme, Fassade, Dach und PV. Wie ist das für Einzelne leistbar?
PASSER: Leider für die wenigsten – das ist ja das Problem. Schon gar nicht für die große Bevölkerungsgruppe der Pensionisten, die ja auch mitziehen müssten, aber keinen Kredit mehr für Sanierungen bekommen. Beim Bestand, also dort, wo es drauf ankommt, passiert zu wenig – da gibt es zu wenig Anreize, in die Gebäudezukunft zu investieren. Und auch die Förderungen, gerade im privaten Bereich, sind in der Höhe gedeckelt und reichen nicht aus. Dabei gäbe es gute Grundlagen: Wir haben auf der TU Graz ein österreichisches Gebäudeparkmodell – nach Schweizer Vorbild – entwickelt. Damit können wir sämtliche Gebäude hinsichtlich ihres aktuellen Energiezustands sowie notwendiger Maßnahmen zur Verbesserung simulieren. Dabei sehen wir: Die schlechteste Bilanz haben jene Häuser, wo es keine entsprechenden Anreize bzw. Lenkungseffekte gibt.
V. HARRER: Die vorherrschende Frage lautet derzeit: Wie kann man sich mit seinem realen Einkommen ein qualitatives Investment noch leisten? Das ist der Faktor, der uns ja in der Bauwirtschaft gerade extrem bremst. Wir sehen die Potenziale, aber wir tun uns irrsinnig schwer, diese zu mobilisieren. So gibt es derzeit etwa knapp 150 km2 Industriebrachen in Österreich. Im Vergleich: Graz hat eine Gesamtfläche von knapp 130 km2. Daran sieht man das Potenzial. Aber da passen die Widmungen nicht bzw. auch die Raumordnung nicht – und wir können den Nutzungsbedürfnissen nicht entsprechen. Wenn es gelingt, die Flächen zu mobilisieren, geht’s im nächsten Schritt ans Finanzieren. Und hier gilt: Ein Investment muss für einen Investor wieder kalkulierbar werden. Denn wenn man bei einem Projekt fünfzehn Jahre auf eine Baugenehmigung wartet, kann das nicht funktionieren.
SPENER: Die Klimaschutzziele sind öffentliches Interesse. Das heißt, wenn es Private, Einfamilienhausbesitzer oder Unternehmen finanziell nicht stemmen können, muss es aufgrund des öffentlichen Interesses einen Gemeinschaftstopf mit entsprechenden Anreizen geben – ein öffentliches Budget. Dafür fehlt derzeit das Commitment. Klar ist: Wir werden innovative und gemeinsame Lösungen brauchen – die Herausforderungen kann niemand allein lösen.
PASSER: Der Plan von der EU-Kommission lautet, dass bis 2050 alle Gebäude frei von fossilen Energieträgern sein müssen und höchste Energieeffizienz aufweisen. Man müsste den Leuten endlich reinen Wein einschenken und ihnen sagen, dass sie rechtzeitig investieren – ansonsten steigen die Betriebskosten vielfach stark an. Wir verfügen ja mittlerweile über die relevanten Daten – so könnte man schauen, wo die Energiewerte überall nicht den Anforderungen genügen und schickt diesen ein Schreiben von der Stadtverwaltung mit der Aufforderung, für das Gebäude innerhalb einer gewissen Frist, z.B. zehn Jahre, Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen. In anderen Ländern in Europa kann man bereits öffentlich nachschauen, wie hoch der Energieverbrauch der Gebäude ist bzw. wie hoch die CO2-Emissionen sind. Wenn dann alle Nachbarn meinen Energieverbrauch sehen können, erzeugt das einen gesellschaftlichen Druck, der die Transformation vorantreiben kann.
SACHERER: Was wir gerade beobachten, ist, dass sich das Nutzerverhalten bei Wohnungen massiv ändert – in der gesamten Steiermark von Bad Aussee bis Bad Radkersburg. Gerade bei Mietwohnungen erleben wir eine große Fluktuation – daher müssen diese immer wieder erneuert werden und wir investieren jedes Mal viel Geld, um eine Wohnung wieder „brauchbar“ zu machen. Wir sind bereits bei fast zwei Jahren, nach denen die Wohnung gewechselt wird – aus unterschiedlichen Gründen, die Job-Mobilität steigt und die Hürden, selbst in eine Eigentumswohnung zu investieren, bleiben hoch. Dadurch steigt auch die Herausforderung für uns, die Planung und das Bauen so nutzergerecht wie möglich zu machen. Was uns noch beschäftigt: Wir sind gesetzlich verpflichtet, anpassbaren bzw. behindertengerechten Wohnbau zu machen. Das gilt für 100 Prozent der Flächen. Das bedeutet, dass wir entsprechend größere Flächen brauchen bzw. zusätzliche Ressourcen, etwa größere Gänge, größere Stiegenhäuser etc. Auch für die Sanierung eines Bestands gelten strenge Vorschriften – diese erschweren oder verunmöglichen oft eine sinnvolle Nachnutzung. Damit schießen wir komplett über das Ziel hinaus.
SPENER: Es ist mir unverständlich, dass wir 100 Prozent der Flächen eines Wohngebäudes barrierefrei auslegen müssen. Auch im kommunalen Hochbau etwa bei Schulen gibt es diese Vorgaben – vieles könnte man weit kostengünstiger organisatorisch lösen, etwa mit Wanderklassen in den Schulen. Hier haben wir eine Überregulierung, die zu großen Ineffizienzen führt und letztlich auf Kosten der Nachhaltigkeit geht. Wir brauchen dringend Anpassungen in der Gesetzgebung. Es braucht ein Umdenken. Wir müssen, was die Gesetze betrifft, einfacher bauen können. Daher tritt die ZT-Kammer für den Gebäudetyp E ein – E wie „einfach und effizient“. Damit definieren wir eine Gebäudeklasse, für die man – unter gewissen Spielregeln wie der Einhaltung wichtiger Sicherheitsstandards – das sinnvolle Abweichen von Normen zulässt. Denn wir haben über 8.000 Normen im Bauwesen, mit denen sich Planer und ausführenden Firmen herumschlagen müssen. Unser Konzept würde Gebäude auch kostengünstiger machen.
„Strobl Bau Holzbau“ baut sowohl massiv als auch mit Holz. Wie viel ökologischer ist Holz aus Ihrer Sicht im Vergleich zu anderen Baustoffen, wie z.B. Beton?
J. HARRER: Das Hauptargument ist, dass Holz ein nachwachsender Baustoff ist, der zusätzlich CO2 speichert und zudem regional zur Verfügung steht – Stichwort kurze Transportwege, und dadurch Arbeitsplätze in der Land- und Forstwirtschaft, der Sägeindustrie und Bauwirtschaft sichert. Dadurch bleibt die Kaufkraft in der Region. Also ausreichend Argumente, die den Baustoff Holz in puncto Nachhaltigkeit von anderen abheben.
PASSER: Jedes Baumaterial hat einen ökologischen Fußabdruck im Verarbeitungsprozess, auch Holz. Die Unterschiede zwischen den Baustoffen sind in einer Gesamt-Ökobilanz-Betrachtung gar nicht so groß. Grundsätzlich soll jeder Baustoff entsprechend dem Nutzerbedürfnis eingesetzt werden. Entscheidend ist ein guter Mix an Baumaterialien, die man stets dort einsetzt, wo sie am besten ihren Zweck erfüllen.
Wo könnte man sonst noch den Hebel ansetzen, um klimagerechter zu bauen?
V. HARRER: Ich bin der Meinung, dass wir uns in der Normung über die Struktur der Gremien unterhalten müssen. Denn darin sitzt auf der einen Seite die Industrie, auf der anderen Seite die Sachverständigen. Die Industrie versucht immer das Neueste von Neuestem zum Standard zu erklären. Und der Sachverständige, der grundsätzlich in der „Pathologie des Bauens“ lebt, sieht meist überall nur Schwammerl. Dadurch entsteht am Ende des Tages eine Wolke in der Normung, die ganz weit weg ist von dem, was wir in der Praxis an Qualitäten brauchen. Daher sollten wir schleunigst evaluieren, wie wir die Zusammensetzung verändern. Und das zweite wichtige Thema hat mit der Nutzung von Gebäuden vor allem im gewerblichen und industriellen Bereich zu tun: Wenn es um die Finanzierung geht, haben wir momentan eine fatale Entwicklung, dass der Sachwert nicht mehr relevant ist für die Finanzierung, sondern nur mehr der Ertragswert. Ich glaube, dass wir – wenn wir die heute diskutierten Herausforderungen einigermaßen schaffen wollen – dem Sachwert wieder einen höheren Stellenwert geben müssen. Das hilft uns auch, Gebäude nachhaltiger zu errichten.
PASSER: Mein Punkt ist: Wir brauchen verbindliche Vorgaben – das heißt Zielwerte und Pfade, wie zum Beispiel einen Grenzwert, wie viel Treibhausgasemissionen man künftig pro Quadratmeter emittieren darf, verknüpft mit einem klaren Absenkpfad. Es braucht einen Zielpfad, damit sich auch die Industrie darauf einstellen kann und ihre Technologien und Produkte rechtzeitig umstellt. Diese Ziele müssen klar sein und wir müssen alle, die Industrie, die Bauausführenden, die Planer und Bürger auf diesen Weg mitnehmen. Dann hat jeder etwas, an dem er sich anhalten kann. Das meine ich mit Richtungssicherheit.
ÖGNI, „klimaaktiv“ & Co. – welchen Beitrag können Gebäude-Zertifizierungen leisten?
SPENER: Ich finde, wir sollten mit diesem Zertifizierungswahn aufhören. Auch wenn die Idee dahinter gut gemeint sein mag, weil man ja Qualitätssicherung betreiben muss. Aber das Thema hat Auswüchse angenommen und ist zu einem Business Case geworden. Meist geht es nur mehr darum, Checklisten abzuhaken. Und diese sind nicht geeignet, die komplexen Themen abzubilden. Und auch die Normung – von Vinzenz Harrer angesprochen – ist so ein Business Case. Da passiert viel Lobbying. Diese Gremien gehören sofort auf eine objektive Ebene gehoben mit unabhängigen Experten – das kann nicht sein, dass die Industrie hier die Übermacht hat. Viele Normen gehen übrigens auf das Konto der Baustoffindustrie, die in der Regel wenig Veranlassung hat, Ressourcen zu schonen. Ziel ist natürlich, damit auch Kosteneinsparungen zu erreichen und letztlich den CO2-Abdruck zu verringern.
PASSER: Das Thema Gebäude-Zertifizierung sehe ich differenzierter – denn wir können nicht davon ausgehen, dass am Bau nur Experten beteiligt sind. Das Gute an Zertifizierungen ist, dass sie uns ein Kriterien-Raster bieten, damit der Nutzer mit seinem Planer unterschiedliche Themen diskutieren kann, weil eben viele relevante Punkte auf der Liste draufstehen. Das ist praktisch für Häuslbauer und Investoren.
Was wäre Ihr wichtigster Wunsch?
SACHERER: Für unseren Wohnbau wünsche ich mir in Zukunft, dass wir schon bei der Errichtung etwas mehr investieren können, um langfristig Kosten und Ressourcen einzusparen. Natürlich alles eine Frage der Finanzierung. Die technischen Möglichkeiten sind ja gegeben, das wissen wir. Aber es wird noch vieler Schritte bedürfen. Auch eine verbesserte Raumplanung wird ein Thema sein, ebenso Verdichtung und Ortskernstärkung – ein Riesenthema in den Regionen. Und gerade wir als gemeinnützige Bauträger bauen viel in den Regionen – auch in kleinen Gemeinden. Eine zentrale Frage dabei: Wie gelingt es, die Sockelzone von Immobilien zu bespielen? Denn wir brauchen eine Durchmischung. Auch dafür braucht es Anreize. Wir sehen jetzt etwa in Reininghaus, wie herausfordernd es sein kann, die Sockelzonen zu bewirtschaften. Auch hier brauchen wir neue Konzepte.
PASSER: Mein Wunsch ist, dass es endlich eine politische Zielorientierung in der Frage des Bauens gibt. Daher wünsche ich mir ein Bau-Ministerium in Österreich, so wie es das in anderen Ländern bereits gibt. Ein Schlüsselministerium, um alle Agenden in einem Haus zu konzentrieren, statt auf fünf Ministerien mit drei politischen Couleurs zu verteilen. Bauen ist als Thema der Zukunft einfach essenziell und gehört gebündelt.
Dazu passt die Forderung der VÖPE, der Vereinigung der österreichischen Projektentwickler, die seit Monaten ein Lebensraumministerium einmahnt.
SPENER: Das klingt gut, doch dem steht möglicherweise die österreichische Realpolitik entgegen – weil so ein „Super-Ministerium“ zu viel Macht auf eine Partei vereinen würde. Aber es braucht Verbindlichkeit – schließlich haben wir alle fünf Jahre Wahlen und da darf über Nacht nicht wieder alles ganz anders sein. Mein dringendster Wunsch: Wir müssen anfangen, Dinge außer Streit zu stellen. Ich wünsche mir jedenfalls Planungssicherheit bzw. einen echten Planungshorizont für uns alle, für Haushalte, Unternehmen und Industrie – das ist das Entscheidende.
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