Banking in Zeiten des neuen Realismus: Martin Schaller, Generaldirektor der Raiffeisen-Landesbank (RLB) Steiermark, im Cover-Interview mit „SPIRIT of Styria“ über dringend nötige Reformen, das ideale Zinsniveau, die Suche nach Lichtblicken in Zeiten der Flaute, Digitalisierung als nie abgeschlossenen Prozess, die Chancen der grünen Transformation und warum Nachhaltigkeit für ihn immer drei Standbeine hat.
Wenn sich das Big Picture vom Blick aus dem Fenster unterscheidet: Der Ausblick aus dem Vorstandsbüro im vierten Stock des RLB-Headquarters in Raaba zeigt eine ungebrochene Dynamik. Der sich in unmittelbarer Nachbarschaft ausbreitende Technopark Raaba wächst Bauteil um Bauteil. Der Blick ins weitere Land fällt dagegen deutlich getrübter aus. Eine Investitionsflaute hat den gesamten Wirtschaftsstandort fest im Griff. „Schönfärberei bringt uns nicht weiter. Die Kreditnachfrage ist massiv eingebrochen, eine echte Trendweite derzeit nicht in Sicht“, gibt sich RLB-Generaldirektor Martin Schaller im Interview mit „SPIRIT of Styria“ keinen Illusionen hin und hofft auf zentrale standortpolitische Weichenstellungen und tiefgreifende Reformen der nächsten Bundesregierung. „Wenn die Wirtschaft wieder anspringt, stehen wir mit viel Liquidität bereit, um die Unternehmen in der Phase des Aufschwungs voll zu unterstützen“, erklärt Schaller im Gespräch. Darin spricht der gebürtige Oberösterreicher auch über die Herausforderung der Digitalisierung, die Chancen der ökologischen Transformation und die neuen Geschäftsfelder von Raiffeisen Steiermark.
Mit Fit2Invest haben Sie jüngst einen Finanzsimulator vorgestellt, der die Finanzkompetenz der Menschen verbessern soll. Mit Blick aufs aktuelle Budgetdefizit: Könnte ein Tool dieser Art nicht auch der Politik dienlich sein?
SCHALLER: Die Idee zu Fit2Invest stammt aus einem internen Innovationsprogramm der RLB Steiermark und wurde in Kooperation mit der Uni Graz entwickelt. Es ist grundsätzlich ein Simulationstool für Veranlagungen. Ich fürchte, die nächste Bundesregierung wird nicht viel zu veranlagen haben. Aber ein Tool, das finanzmathematische Prinzipien vermittelt, kann nie schaden. Als RLB Steiermark wollen wir die Financial Education vorantreiben. Je finanzmündiger die Bürger sind, desto bessere Entscheidungen treffen sie.
Wenn die Wirtschaft wieder anspringt, stehen wir mit viel Liquidität bereit, um die steirischen Unternehmen voll zu unterstützen.
MARTIN SCHALLER, GENERALDIREKTOR RLB STEIERMARK
Woran hapert es Ihrer Ansicht nach in der Politik?
SCHALLER: Die aktuelle Situation möchte ich nicht kommentieren, aber feststeht, dass wir großen Handlungsbedarf haben. Das Budgetdefizit beginnt aus dem Ruder zu laufen – und wir müssen dringend gegensteuern. In Zeiten multipler Krisen ist Budgetpolitik natürlich alles andere als einfach – aber einiges ist hausgemacht. Zu viele Förderungen wurden etwa nach dem Gießkannen-Prinzip ausgeschüttet.
Raiffeisen Bankengruppe Steiermark (RBG)
Die Raiffeisen- Bankengruppe Steiermark umfasst 40 selbstständige regionale Raiffeisenbanken sowie die RLB Steiermark als deren Spitzeninstitut.
Derzeit 256 Raiffeisenbank-Stellen in der Steiermark
52,8 Milliarden Euro beträgt die Summe der von Raiffeisen Steiermark gemanagten Kundengelder (Kredite sowie Guthaben, Wertpapier-Veranlagungen und Rückkaufswerte von Versicherungen), davon 24,8 Mrd. Euro Finanzierungen.
Aktuell mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Bilanzsumme der RLB Steiermark nach IFRS im Jahr 2023:
17,1 Mrd. Euro
Konzernergebnis: 345,1 Mio. Euro
Eigenmittelquote: 21,6 %
Aggregierte Bilanzsumme der RBG Steiermark nach UGB: 37,4 Mrd. Euro
Betriebsergebnis: 662 Mio. Euro
Eigenmittelquote: 24,9 %
Vorstand der RLB Steiermark: Generaldirektor Martin Schaller, Vorstandsdirektorin Ariane Pfleger und Vorstandsdirektoren Rainer Stelzer und Florian Stryeck
Der ökonomische Fußabdruck von Raiffeisen Steiermark nach Berechnungen des economica-Instituts:
Der gesamtwirtschaftliche Beitrag von Raiffeisen Steiermark liegt bei 261 Mio. Euro, 76% davon direkt in der Steiermark wirksam.
Raiffeisen Steiermark schafft und sichert knapp 6.000 Arbeitsplätze. Raiffeisen leistet selbst bzw. über das Wertschöpfungsnetzwerk rund 270 Mio. Euro in Form von Steuern und Abgaben.
www.raiffeisen.at/stmk
Die dringendsten Reformen, um Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand zu erhalten?
SCHALLER: Wir müssen Investitionen in Innovation und Digitalisierung begünstigen und anfangen, massiv zu deregulieren und zu entbürokratisieren. Die Politik sollte viel stärker mit Anreizen als mit Verboten agieren. Wir wissen, dass Anreize besser funktionieren und mehr Wirkung erzielen.
Eine Maßnahme, die den Bankensektor unmittelbar betrifft, ist die KIM-Verordnung. Welchen Anteil hat sie am Einbruch der Immobilienkredite?
SCHALLER: Ich nenne sie ja die „nordkoreanische KIM-Verordnung“ und halte sie für völlig entbehrlich. Ich behaupte, wir als Banken kennen unser Geschäft, das wir seit über 100 Jahren erfolgreich betreiben, selbst am besten. Es liegt ja in unserem Interesse, dass wir die Kredite, die wir vergeben, auch wieder zurückbekommen. Dafür braucht es keine staatlichen Regulierungen. Die Rückgänge bei Immobilienkrediten in den vergangenen Jahren waren erheblich – sie liegen bei 60 bis 70 Prozent. Die KIM-Verordnung hat großen Anteil daran, dazu kommen die hohen Zinsen und die gestiegenen Baukosten. Aber nicht nur die KIM-Verordnung trifft uns, mit der Einführung eines Systemrisikopuffers für Gewerbeimmobilien kommt bereits die nächste problematische Maßnahme auf uns zu. Diese schreibt uns künftig eine höhere Eigenmittelunterlegung bei Gewerbeimmobilienkrediten vor – eine weitere Hürde in einer ohnehin angespannten Situation. Wir müssen die Wirtschaft stimulieren, statt sie mit ständig neuen Regularien zu behindern.
Wie entwickelt sich das Kreditgeschäft der Raiffeisen-Bankengruppe?
SCHALLER: Wir erleben, dass die Krise der Immobilienwirtschaft längst in der Realwirtschaft und damit in der Industrie angekommen ist. Die Steiermark ist ein Industriebundesland. Die gesamte heimische Bankenlandschaft steht derzeit vor der Situation, dass die Kreditnachfrage äußerst verhalten ist – ob Konsumentenkredite, Immobilienfinanzierungskredite oder Investitionskredite. Ausgangspunkt war der Immobiliensektor – nun sind alle Bereiche der Realwirtschaft, ob Handel, Gewerbe oder Industrie, von einer Investitionsflaute betroffen. Die Unsicherheiten im Markt sind groß.
Gibt es Lichtblicke?
SCHALLER: Wir gehen davon aus, dass wir bei der privaten Kreditfinanzierung die Talsohle bald erreicht haben und es dann wieder aufwärts geht, wenn wie erwartet weitere Zinssenkungen folgen. Dann könnte ein Licht am Ende des Tunnels sichtbar werden. Ansonsten muss man es nüchtern analysieren: Österreich ist im Augenblick Schlusslicht in Europa, gemeinsam mit unserem deutschen Nachbarn. Eine echte Trendwende ist derzeit nicht in Sicht. Ich bin vom Grunde her ein sehr optimistischer Mensch, aber im Augenblick würde ich mich tendenziell als Realisten bezeichnen. Schönfärberei macht in Zeiten wie diesen keinen Sinn. Wir haben im ersten Halbjahr 2024 noch gehofft, dass die Konjunktur im zweiten Halbjahr anspringt. Das sehen wir derzeit nicht. Auch die jüngste Umfrage der Industriellenvereinigung bestätigt: Die Stimmungslage ist getrübt – auch in Richtung erstes Halbjahr 2025. Die Hoffnungen gehen schon in Richtung 2026.
Die EZB hat den Leitzins zum dritten Mal in diesem Jahr gesenkt. Welche Effekte erwarten Sie sich dadurch?
SCHALLER: Wir gehen davon aus, dass heuer zumindest noch eine Zinssenkung stattfinden wird – um ein oder zwei Schritte. Ebenso im nächsten Jahr, sodass wir gegen Ende 2025 mit einem Einlagezins um die 2% rechnen. Mittelfristig wird sich das sicherlich stimulierend auswirken, aber Zinssenkungen alleine sind zu wenig. Es gehört mehr dazu – etwa, wie genannt, die Abschaffung der KIM-Verordnung, ein massiver Bürokratieabbau sowie maßgebliche Investitionsanreize. Es braucht ein ganzes Set an Maßnahmen.
„Nachhaltigkeit liegt in unseren Genen. Wir wollen die grüne Transformation aktiv vorantreiben und deren Chancen nutzen.“
MARTIN SCHALLER
GENERALDIREKTOR RLB STEIERMARK
Was wäre aus Ihrer Sicht ein langfristig idealer Zinssatz?
SCHALLER: Die Phase der sogenannten „Draghi’schen Zinspolitik“ mit Null- und Negativzinsen, ausgehend vom ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, haben wir hoffentlich für alle Zeiten überwunden. In Wirklichkeit befinden wir uns historisch gesehen derzeit auf einem relativ normalen Zinsniveau. Wir sind es nur nicht mehr gewohnt, dass es Zinsen gibt. Wenn sich das Zinsniveau um die zwei Prozent – mit einer ähnlich hohen Inflation – einpendelt, dann sind wir auf einem „normalen“ und guten Pfad.
In Zeiten multipler Krisen – wie krisenfest ist Raiffeisen in der Steiermark?
SCHALLER: Die RLB sowie die Raiffeisen-Bankengruppe Steiermark sind sehr resilient – was gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten enorm wichtig ist. Wir haben die vergangenen Jahre dafür genutzt, um uns liquiditäts- und kapitalmäßig bestens aufzustellen. Wir verfügen über ausreichend Eigenmittel, um auch Krisen durchzustehen. Mit unserem Liquiditätspolster sind wir auch bestens für die Zeit gerüstet, wenn die Kreditnachfrage wieder anspringt. Wir sind für die Zeit des Aufschwungs bereit.
Wo sehen Sie derzeit die größte Herausforderung für das Unternehmen?
SCHALLER: Die Digitalisierung und die grüne Transformation – diese sehe ich aber als positive Herausforderungen, die wir optimistisch in Angriff nehmen. Es bedarf freilich großer Anstrengungen, um sie erfolgreich umzusetzen. Und es wird nur funktionieren, wenn wir nicht durch zu viele Regularien behindert werden.
Österreichs Banken, darunter auch die RLB Steiermark, schreiben seit zwei Jahren hohe Gewinne. Was antworten Sie Befürwortern einer Übergewinnsteuer?
SCHALLER: Solche Ideen werden immer dann aus dem Hut gezaubert, wenn der Staat dringend Geld braucht. Ich halte die Idee für populistisch und völlig kontraproduktiv. Österreichs Banken haben in den letzten beiden Jahren zwar gute Erträge erwirtschaftet, aber man muss stets einen längeren Betrachtungszeitraum heranziehen. So gab es etwa in den Jahren der Null- und Negativzinsen oder der Finanzkrise ganz andere Zeiten mit deutlich unterdurchschnittlichen Erträgen. Klar ist: Die österreichischen Banken brauchen Erträge, um Kapital aufzubauen, um künftige Krisen gemeinsam mit den Kunden gut überstehen zu können.
Stichwort Digitalisierung: Welche Prozesse sind bereits digitalisiert bzw. welche sind noch digitalisierbar?
SCHALLER: Manchmal werde ich gefragt, wann wir fertig sind mit der Digitalisierung? Dann sage ich: Die Digitalisierung wird nie zu Ende sein. Wir sind dabei, immer wieder neue Prozesse zu digitalisieren. Es ist schon viel passiert – sowohl auf Kundenseite, ob Online-Sofortkredit, digitale Vermögensverwaltung WILL oder digitale Unterschriften bei einem Kontowechsel, als auch bei vielen internen Prozessen. Zudem arbeiten wir verstärkt mit künstlicher Intelligenz und Machine Learning, um Prozesse weiter zu beschleunigen. Dazu haben wir im Haus eine eigene Abteilung „Data Science, Business Intelligence und Automation“ geschaffen, die sich mit diesen Themen beschäftigt.
Sind die Kunden digital ready?
SCHALLER: Ja, die allermeisten Kunden sind es. Und fordern das auch ein. Wir dürfen aber auch jene Bevölkerungsgruppe nicht vergessen, die sich mit den neuen Instrumenten noch schwerer tut. Dafür setzen wir Digital Coaches in den Bankstellen vor Ort ein.
„Wir müssen die Wirtschaft stimulieren, statt sie mit ständig neuen Regularien zu behindern.“
MARTIN SCHALLER
GENERALDIREKTOR RLB STEIERMARK
Wie entwickelt sich das Netz der Bankstellen bei Raiffeisen? Wie wichtig ist die Vor-Ort-Präsenz?
SCHALLER: Die Vor-Ort-Präsenz ist eines der Herzstücke von Raiffeisen. Wir sind die regionalste Bankengruppe in der Steiermark und werden das immer sein. Natürlich hat die Anzahl der Bankstellen über die Jahre abgenommen. Das hat sich verändert und an Kundenbedürfnisse angepasst. Die Mobilität der Menschen wird größer und die Frequenz in den einzelnen Bankstellen nimmt ab. Die Kunden nutzen verstärkt Online-Banking, das Mengengeschäft wandert aufs Smartphone. Das gibt uns die Möglichkeit, kleinere Bankstellen zusammenzuführen und dafür größere Kompetenzzentrum zu schaffen – mit stärkerem Fokus auf die Beratung. Klar ist aber auch: Wir werden nie eine reine Digitalbank werden. Wir sind eine digitale Regionalbank. Die Kundin bzw. der Kunde soll sich aussuchen können, ob sie bzw. er mit uns digital oder persönlich in Kontakt treten möchte.
Eine Schattenseite der Digitalisierung sind Cyberattacken. Wie geht die RLB damit um?
SCHALLER: Das Thema ist heute in der gesamten Wirtschaft allgegenwärtig – für Banken aber alles andere als neu. Da die Finanzwelt sehr früh im Visier der Cyberkriminellen war, mussten wir von Beginn an in Abwehrmechanismen investieren und haben bereits viel Erfahrung im Umgang mit diesen Bedrohungen. Cybersicherheit hat bei uns naturgemäß höchste Priorität. Ein erfolgreicher Cyberangriff für eine Bank wäre schließlich ein Super-GAU. Daher setzen wir neben allen technischen Vorkehrungen stark auf Mitarbeiterschulungen. Awareness bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu schaffen, ist das Um und Auf.
Stichwort grüne Transformation: Wie nachhaltig sind die Veranlagungen bei Raiffeisen bereits?
SCHALLER: Im Veranlagungsbereich ist die Nachhaltigkeit schon weit fortgeschritten. Im Retailbereich werden acht von zehn neuen Fondssparverträgen bereits nachhaltig investiert, somit sind bereits 60 % des Gesamtbestands an Wertpapierfonds nachhaltig. Zuletzt haben wir auch ein grünes Online-Fixzins-Sparbuch aufgelegt – inklusive offiziellem Testat. Uns ist wichtig, dass auch überall grün drin ist, wo grün draufsteht. Auch der Anteil unserer Kredite, die ESG bzw. Taxonomie-konform sind, steigt. Wir sind stolz, dass wir von ISS ESG, der international renommiertesten Agentur für Nachhaltigkeits-Ratings, das begehrte PRIME-Rating erhalten. Damit gehört die RLB Steiermark in Bezug auf ESG zu den Top-10-Prozent der von ISS ESG gerateten Regionalbanken. Das sichert uns auch günstigere Refinanzierungsmöglichkeiten am Markt. Wir haben zudem bereits eine grüne Anleihe begeben – ein Thema, das auch in Zukunft eine größere Rolle spielen wird. Mit all diesen Maßnahmen sind wir Vorreiter der grünen Transformation. Nachhaltigkeit liegt in unseren Genen. Der Ursprung geht auf unseren Gründer, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, zurück, der auf Basis nachhaltiger Prinzipien die ersten Genossenschaften gegründet hat. Wir transformieren dieses Prinzip jetzt in die Gegenwart.
Was genau bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?
SCHALLER: Nachhaltigkeit hat für uns drei Standbeine: die ökologische, die soziale und die ökonomische. Gerade in Zeiten, in denen die Gesellschaft zunehmend polarisiert ist, ist uns der soziale Aspekt ein großes Anliegen. Es geht um den sozialen Zusammenhalt – um das Wir. Denn wir wissen: Wir bewegt mehr! Raiffeisen will künftig über das traditionelle Kerngeschäft hinaus auch ganz bewusst in Themenfeldern des „Beyond Banking“ aktiv sein. Überall, wo wir als RLB einen Mehrwert für Bevölkerung und Wirtschaft leisten können – etwa im Bereich Energie. So sind wir zum Beispiel Gründungshelfer bei privaten Energiegenossenschaften im Bereich erneuerbarer Energie, zudem widmen wir uns intensiv dem Thema Kreislaufwirtschaft – alles im Sinne der Regionalität und der grünen Transformation. Wir haben bereits acht Energiegenossenschaften mitgegründet, weitere werden folgen.
Fotos: Oliver Wolf