Spirit of Styria

Partikel im Blick

Mit ihrem in Graz ansässigen Start-up „BRAVE Analytics“ haben Christian Hill  und Gerhard Prossliner, gestützt auf ein internationales Mitarbeiterteam, ein  Verfahren zur automatisierten Detektion und Bestimmung von Mikro- und Nanopartikeln in Flüssigkeiten auf den Markt gebracht. Die Aussichten auf  einen beträchtlichen unternehmerischen Wurf stehen günstig.

HHell und wohnlich eingerichtet strahlen die Firmenräumlichkeiten im 2. und 4. Stock des Ende 2022 fertiggestellten ZWT-Accelerator-Turms des „Zentrums für Wissens- und Technologietransfer“ (ZWT) am Campus der Med Uni in der Grazer Stiftingtalstraße Freundlichkeit und Zuversicht aus. Ein Aufenthaltsraum, Büros, darunter ein paar leere, die Wachstumswillen signalisieren, schließlich Labors und Werkstätten. Von der Terrasse aus bietet sich ein High-End-Ausblick über den LKH-Vorplatz Richtung Ruckerlberg – gute Aussichten auch im übertragenen Sinn oder könnten, wenn auch noch so winzige, Partikel das Wahrnehmungsbild trüben?

Klar, geben Christian Hill und Gerhard Prossliner, Gründer und geschäftsführende Gesellschafter der BRAVE Analytics GmbH, zu verstehen, so etwas schreibe man sich nicht expressis verbis in den Businessplan: dass nämlich, kurz bevor die Post – sprich Skalierung – abgehen soll, ein Zoll- und Handelskrieg vom Zaun gebrochen wird und gleich auch noch die Lage an allen möglichen Ecken und Enden der Welt zu eskalieren droht; womit unweigerlich der eine oder andere bereits so gut wie in den Startlöchern stehende Big Point im letzten Moment doch noch on hold gestellt wird, wenigstens vorübergehend – bis die Nebel sich lichten. Doch Hill und Prossliner zeigen sich entspannt. Immerhin hatte das 2020 aus dem Start-up-Startblock geschnellte Unternehmen auf seinem Weg zum Ziel bereits corona-, kriegs- und inflationsbedingte Hindernisse in den Weg gestellt bekommen – und sich davon weder von seinen Zielen abbringen noch aus der Bahn befördern lassen. Die Erkenntnis, dass der Weg zum Erfolg in den seltensten Fällen einem Sprint, viel öfter jedoch einem Langstreckenbewerb gleicht, der auch schnell mal Züge eines Orientierungs- oder Hindernislaufs annehmen kann, zählt ohnedies zum Common Sense der Start-up-Community.

Mutiger Ansatz bei BRAVE Analytics: Christian Hill (r.) und Gerhard Prossliner bringen mittels Laser Mikround Nanopartikel dazu, ihre Eigenschaften zu outen.

15 hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in der Grazer Stiftingtalstraße mittlerweile tätig. Ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag, teils aus Förderungen und Projektfinanzierungen, zu einem namhaften Teil allerdings auch schon aus selbst erwirtschafteten Erträgen, sei, so Hill und Prossliner, bislang in den Aufbau des Unternehmens und die Entwicklung des Partikelmessverfahrens investiert worden. Dieses beruht auf der von Hill im Zuge seiner Dissertation an der Med Uni Graz entwickelten und mehrfach patentierten „OptoFluidic Force Induction“-, auf Deutsch „Optofluidische Kraftinduktions“-Methode (kurz OF2i). „Dabei wird“, erklärt Hill, „ein Laser durch eine flüssige Probe fokussiert, um eine Kraft auf die darin enthaltenen Partikel auszuüben. Die Partikel werden dadurch beschleunigt und die daraus entstandene Geschwindigkeitsänderung gemessen. Sie korreliert mit der Partikelgröße.“ Die Entwicklung beruhe auf wissenschaftlichen Erkenntnissen des US-amerikanischen Experimentalphysikers Arthur Ashkin, der dafür 2018 den Nobelpreis erhielt.

Partikelanalyse in Echtzeit: In den Kurven manifestieren sich Partikelgröße,
-eigenschaften und -verteilung.

PHARMA-PILOTPROJEKT
Das von BRAVE Analytics entwickelte Gerät, ein quaderförmiges „Kastl“ mit knapp einem halben Meter Seitenlänge und einem hochentwickelten Hightech-Innenleben, ist über das Prototypenstadium längst hinaus – ausgereift, serientauglich und marktfähig. Mehr noch: Es tut bereits Dienst, und zwar an fordernden und verantwortungsvollen Positionen. Zum einen unter der Typenbezeichnung „BRAVE B-Curious“ als Laborgerät in Wissenschaft, Forschung, Entwicklung und Produktion. Zum anderen – unter dem Namen „BRAVE B-Continuous“ – als über eine Schnittstelle fix installierte Anwendung in Herstellungsprozessen. Zum Beispiel in der Pharmaindustrie, um die Partikelgröße und Partikelgrößenverteilung etwa bei der Konzeption neuer Verfahren zur Erzeugung parenteraler Ernährungsprodukte kontinuierlich und in Echtzeit zu überwachen. In einem Testsetting mit einer Pilotanlage konnte BRAVE Analytics eine solche Anwendung bereits am Grazer Standort des weltweit agierenden deutschen Gesundheits- und Pharmakonzerns Fresenius Kabi installieren.

Gerade die zuletzt erwähnte Anwendung kann auch als Beleg für den Stellenwert der – abgeleitet vom Firmennamen „Brave“ – „mutigen“ Innovation des Med-Uni-Spin-offs angesehen werden. Schließlich, so Hill, verrichte BRAVE B-Continuous seinen Dienst in einem hochsensiblen Bereich. „Bei parenteraler Ernährung gelangt eine Nährstofflösung über einen Port direkt in die Blutbahn, es fehlen jegliche bei konventioneller Ernährung gegebenen Schutz- und Filterbarrieren. Die Qualität der Produkte ist also im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig.“ Und genau hier werden USP sowie Nutzen des von Hill und Prossliner lancierten Verfahrens auch ökonomisch greifbar. Durch die kontinuierliche Echtzeitanalyse von Partikelgröße, -konzentration und -verteilung kann der Herstellungsprozess nämlich unverzüglich gestoppt oder korrigiert werden, sollten Abweichungen auftreten. Im herkömmlichen Qualitätssicherungsverfahren hingegen werden in Abständen Proben entnommen und im Labor analysiert. Ganz abgesehen vom Analyseaufwand: Erweisen sich Proben als auffällig, ist potenziell die gesamte Produktionsmenge zwischen dieser und der vorhergehenden Probenentnahme betroffen und muss vernichtet werden.

Gerade die hochsensible Materie der Pharma- und Biotechbranche, aus der sich attraktive Business-Cases rund um den Globus zu entwickeln versprechen, lässt das Warten auf den Skalierungseffekt allerdings auch zu einer Geduldsprobe werden: Denn die Entscheidungsprozesse seien, lassen Hill und Prossliner durchklingen, entsprechend vorsichtig aufgesetzt und könnten von der ersten Absichtserklärung bis zum Serienauftrag mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Rund 80 Prozent der Geschäftstätigkeit werden aktuell aus den Bereichen Pharma und Biotech gespeist.

BREITES ANWENDUNGSSPEKTRUM
An der Schwelle zur Skalierung habe das Unternehmen sein Augenmerk daher auch auf andere Anwendungsgebiete gerichtet. Speziell auf die Halbleiterindustrie, wo das Verfahren etwa zur hochpräzisen Analyse und Überwachung der bei der Herstellung sogenannter Wafer für die Chipproduktion verwendeten Schleifmittel eingesetzt werden kann. Hier seien, schildern Hill und Prossliner, sogenannte „Integratoren“, System- und Automatisierungsdienstleister im Vorfeld der Semiconductor-Industrie von sich aus auf sie zugekommen. Einer davon arbeite etwa dem weltweit größten Halbleiterfertiger mit Sitz in Taiwan zu. Auch bei weiteren industriellen Anwendungen würden sich, so die BRAVE-Gründer, viel-versprechende Anwendungsfelder auftun, etwa bei der Beschichtung metallischer Oberflächen, wo es darum gehe, das krebserregende Chrom 6 durch keramische Partikel zu ersetzen. Und schließlich zeichne sich auch im Bereich des Abwassermonitorings zur Analyse von Mikroplastik, Schwermetallen und anderen Kontaminationen ein riesiges Einsatzgebiet ab. Der gebürtige Spielberger Hill und der einst aus Südtirol zum Studium nach Graz gekommene Prossliner waren beim Preisträgeressen eines akademischen Wettbewerbs ins Gespräch gekommen, hatten sich danach immer wieder zum Gedankenaustausch getroffen und schließlich zur Weiterentwicklung und Vermarktung des von Hill entwickelten OF2i-Verfahrens gemeinsam die BRAVE Analytics GmbH gegründet. Schon einmal haben sie dabei das Einsatzspektrum des Verfahrens strategisch erweitert. War es nämlich ursprünglich vorwiegend für den Einsatz im Laborkontext bestimmt, hatten sie rasch das Potenzial eines kontinuierlichen Monitorings erkannt und – teilweise in Projekten mit Partnern – entsprechende Lösungen entwickelt. So wurde das OF2i-Verfahren etwa mit der am Grazer Zentrum für Elektronenmikroskopie erforschten Raman-Mikroskopie kombiniert, um damit neue Möglichkeiten in der Partikelanalytik zu schaffen. Um das enorme Skalierungspotenzial der Innovation nun zielstrebig zu aktualisieren, werden, so zeigen Hill und Prossliner Flagge, die Strukturen des Unternehmens gerade massiv Richtung Sales ausgebaut. Die dafür laufende Finanzierungsrunde schreite gut voran. Bisher befinden sich die Anteile – abgesehen von einem Depot zur Beteiligung von Mitarbeitern – noch zur Gänze im Besitz der Gründer. Bei einer Preisgestaltung von gut 100.000 bis ca. 450.000 Euro pro Device, je nach Leistungsumfang, und einem mittelfristig ins Auge gefassten Jahresabsatz von etwa 100 Einheiten liegt die Umsatzvision jedenfalls im zweistelligen Millionenbereich. Langfristig sei das Potenzial aber noch deutlich größer. Was dann kommt, darauf wollen sich Hill und Prossliner noch nicht festlegen. Organisches Wachstum oder strategischer Einstieg etwa eines großen Analysetechnikproviders bis hin zu einem Exit – alles möglich, deuten sie an, „aber viel zu früh, um darüber bereits konkret nachzudenken“. Sinngemäß: Jetzt muss das Ding erst mal abheben.

Partikelanalyse in einem automatisierten Verfahren

Hightech-Innenleben

Fotos: Oliver Wolf

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