Mit einem bahnbrechenden Verfahren will die im Technopark Raaba ansässige Annikki GmbH die Herstellung von Polyethylenfuranoat (PEF) als biobasiertem PET-Ersatz sowie Dutzender weiterer Substanzen ökonomisch effizienter und ökologisch nachhaltiger gestalten und damit nichts Geringeres als eine grüne Revolution in der Chemieindustrie vom Zaun brechen.
Ja“, beantwortet Ertl, Gründer und CEO der Annikki GmbH, unsere fragenden Blicke, „wir nutzen hier die gesamte Etage. Gerade sind wir dabei, unsere Flächen wieder zu erweitern.“ Eine mittlere zweistellige Millionensumme sei hier am Standort bisher investiert worden. Batterien von Laborgeräten bevölkern die Räumlichkeiten. Schüttlerplatten für jeweils Dutzende Laborgefäße, mit denen Hunderte Versuche täglich durchgeführt werden können; Schüttlerturmreihen, in denen sich Zellkulturen entwickeln; Hochleistungsflüssigchromatografie- sowie Ionenchromatografie-Türme, deren automatisierte Analysen von einem uhrenartigen Klicken begleitet werden; Batterien von Reaktoren bzw. Fermentern; schließlich ein großer Bioreaktor, in dem Fermentations- und Biokatalyseprozesse, sprich die Umwandlung organischer Stoffe in Folgeprodukte mittels Enzymen, in einer kontrollierten Umgebung über die Bühne gehen. 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt die Annikki GmbH derzeit (weitere würden laufend gesucht) – diese eilen von Raum zu Raum, prüfen Fort-schritte und Ergebnisse der Versuchsreihen, überwachen Analyse- und Produktionsprozesse.
WELTOFFEN
Seit gut 25 Jahren, spannt Ortwin Ertl einen Bogen in die Zeit vor der Gründung der Annikki GmbH, befasse er sich mit zellfreier Redoxbiokatalyse. In Kärnten geboren und aufgewachsen und später unter anderem in den USA, Japan und Deutschland tätig, habe er bereits 2001 den ersten in dieser Form entwickelten biokatalytischen Prozess in Lizenz an ein Chemieunternehmen vergeben, das das Verfahren in industrieller Form zum Laufen brachte. Und zwar für die Herstellung der Seitenkette des Cholesterinspiegel-Senkers Atorvastatin, besser bekannt unter dem Markennamen Lipitor von Pfizer. Darauf folgten zahlreiche andere derartige Verfahren für Pharma-Applikationen.
Die Gründung der Annikki GmbH – die Eintragung erfolgte 2007 – sei der Vision entsprungen, Biomasse als Rohstoffbasis zu verwenden und diese anders als bislang in reine Stoffströme zu trennen, um sie für weiterführende, chemische Reaktionen nutzbar zu machen. „Diese reinen Stoffströme können dann direkt in mehrstufigen, biokatalytischen Verfahren, die in einem Reaktor, also ohne Abtrennung von Zwischenprodukten ablaufen, weiter umgesetzt werden.“ Ein Ansatz, der in seiner Gesamtheit die disruptive Perspektive eröffne, weite Bereiche der chemischen Produktion nicht nur effizienter und damit kostengünstiger, sondern, von fossilen Quellen befreit, auch ökologisch nachhaltiger zu gestalten.

im Technopark Raaba an der grünen Wende in der Chemie.
Annikki GmbH
Das 2007 in der Grazer Rankengasse gegründete und heute im Technopark Raaba ansässige Unternehmen nutzt serielle, kaskadenartige Redoxbiokatalyseprozesse, um aus lignozellulosehaltiger Biomasse (z. B. Stroh) im One-Pot-Verfahren kostengünstig und mit geringem Energieverbrauch die unterschiedlichsten Chemikalien herzustellen. Lignozellulose, das Strukturmaterial in der Zellwand aller holzigen Pflanzen, ist der am häufigsten vorkommende nachwachsende Rohstoff.
Zu den Produkten, die auf diese Weise gewonnen werden können, zählen unter anderem Süßstoffe wie Allitol, Allulose, Arabinose, Fructose, Sorbitol, Tagatose sowie diverse Fein- und Massenchemikalien, die wiederum für Weiterverarbeitungsprodukte in den unterschiedlichsten Bereichen von der Kunststoff- über die Arzneimittel- bis zur Lebensmittelherstellung genutzt werden können.
LANGER ATEM
Staunen lässt den Zuhörer, in dem 58-Jährigen nicht etwa einen Biochemiker als Gegenüber zu haben, sondern einen Absolventen der Wirtschaftsuniversität Wien. Zwar habe er sich im Zuge seiner Tätigkeiten ein umfassendes fachliches Wissen erworben und ursprünglich auch damit geliebäugelt, Physik zu studieren, diese Option jedoch zugunsten eines mutmaßlich lohnenderen Wirtschaftsstudiums verworfen. „Es braucht“, beschreibt er seine Rolle in dem von ihm gegründeten Unternehmen, „in solchen Innovationsprozessen jemanden, der verrückt – sprich mutig – genug ist, eine Idee, die sich in einem spezifischen Zusammenhang bewährt hat, visionär in einen noch viel größeren Zusammenhang zu projizieren und ihre Realisierung langfristig und konsequent zu verfolgen. In diesem von aufwendigen Forschungsprozessen gekennzeichneten Umfeld mit seinen langen Entwicklungszeiten benötigen neue Ideen oft einen besonders langen Atem, um sich durchzusetzen.“ Hätten sie sich jedoch erst einmal durchgesetzt, dann könne der Effekt enorm und weitreichend sein.
Dutzende internationale Patente hat Annikki in den vergangenen Jahren angemeldet und erworben. Die Forschung wird von Nicole Staunig, dem wissenschaftlichen Mastermind des Unternehmens geleitet. Staunig agiert neben Ertl, der knapp 50 Prozent der Unternehmensanteile besitzt, auch als Co-Geschäftsführerin. Unter den zahlreichen Investoren, auf die sich die weiteren gut 50 Prozent verteilen, finden sich prominente Namen aus der heimischen wie internationalen Kapitalanleger- sowie Biotechnologieszene, darunter etwa der ehemalige DuPont-Topmanager Peter Hemken oder der in den USA tätige deutsche Biotechnologieunternehmer und -investor Antonius Schuh. In Chicago unterhält die Annikki GmbH auch eine strategische US-Niederlassung, in Bayern ein Tochterunternehmen.
Die Anzahl der Mathematik stunden muss an den Gymnasien auf ein Niveau, wie es in technisch führenden Ländern üblich ist, erhöht werden.“
ORTWIN ERTL, Gründer und CEO Annikki GmbH
„HEILIGER GRAL“ DER ORGANISCHEN CHEMIE?
Hunderte Substanzen und Produkte, erklärt Ertl, ließen sich – etwa auf Basis von Zucker oder Stärke als Rohstoff – mittels Redoxbiokatalyse herstellen. So etwa Milchsäure zur Darstellung von Polymilchsäure für die Herstellung von Plastiksackerln, Brenztraubensäure, aus der wiederum Nahrungsergänzungsmittel oder Aminosäuren hergestellt werden können, Glycerin und Dihydroxyaceton, etwa für die Herstellung von Kosmetika und andere Anwendungen, Mannitol als Füllstoff in der Pharmaindustrie sowie Süßungsmittel wie Sorbitol, Fruktose, Tagatose und Allulose, um nur einige zu nennen. Wobei sich Annikki auf mehrstufige Verfahren in „One-Pot Reaktoren“ spezialisiert habe, die zahlreiche Produktionsstufen energetisch günstig miteinander verknüpfen und damit nicht nur ökonomisch wesentlich effizienter, sondern auch ökologisch um ein Vielfaches nachhaltiger seien. „Unter Annikki-Lizenz“, bilanziert Ertl, „werden auf diese Weise hergestellte Produkte seit einigen Jahren etwa in der Pharmaindustrie genutzt. Auch Verfahren für Süßstoffe wurden in Lizenz vergeben. Zudem arbeiten wir an der industriellen Aufbereitung zahlreicher weiterer Verfahren.“

der nachwachsenden Rohstoffbasis des Unternehmens: Holz, Stroh und Co.
5 %
der Treibhausgasemissionen stammen aus Plastikproduktion.
70 %
der Weltplastikproduktion sind aus PE, PP und PET hergestellt.
Ziel der Annikki GmbH ist es, fossil erzeugte Chemikalien weitgehend durch umweltfreundliche und kostengünstige Biochemikalien und Biomaterialien zu ersetzen. Besonders im Fokus steht die Herstellung von Polyethylenfuranoat (PEF) als biobasiertem Ersatz für „fossil“ erzeugte PET-Flaschen oder Textilfasern. Die Annikki GmbH beschäftigt am Standort Technopark Raaba 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
In einem zweiten Innovationsstrang, so Ertl, beschäftige sich die Annikki GmbH – ebenfalls seit ihren Anfängen – mit dem Biomasse-Aufschluss aus Stroh. „Im Markt fand diese Technologie in den ersten Jahren weniger Interesse, als wir angenommen hatten. Auch weil damals noch alle Bioethanol produzieren wollten, was uns jedoch zu riskant erschien, weil der Wirkungsgrad der Verbrennungsmotoren mit den aufkommenden E-Autos nicht mithalten kann und damit absehbar war, dass damit der Markt für Bioethanol wegbrechen würde.“ Doch die steigende Nachfrage nach effizienten und sauberen, sprich grünen chemischen Produktionsverfahren habe diesen Bereich wieder interessant gemacht. Aus Stroh, einem reichlich verfügbaren nachwachsenden Abfallprodukt aus der Landwirtschaft, ließen sich nämlich so viele Produkte herstellen: Zellstoff etwa; Lignin für Klebstoffe;
Polyurethan; aber auch Chemieprodukte wie Ethylenglykol, das unter anderem für die Herstellung von Polyethylenfuranoat (PEF) als biobasiertem Ersatz für „fossil“ erzeugte PET-Flaschen oder ebensolche Textilfasern herangezogen werden könne. Und hier schließe sich auch wieder der Keis zum zentralen innovativen Asset der Annikki GmbH: der Redoxbiokatalyse. „Für eine Realisation des Stroh-Aufschlusses“, erklärt Ertl, „sind nämlich auch Technologien der Redoxbiokatalyse nötig, weil damit aus den Primärprodukten Folgeprodukte hergestellt werden können.“
GRÜNE CHEMIEREVOLUTION
Zwar sei eine industrielle PEF-Produktion bereits auf dem Markt. „Allerdings“, ist Ertl überzeugt, „ist unser Verfahren das in jeder Hinsicht effizientere und nachhaltigere. Wir zerstören in unseren Prozessen die Ordnung der Natur nicht in dem hohen Ausmaß wie unsere Mitbewerber. Und so entstehen bei unseren Prozessen keine wilden Mischungen aus vielen Nebenprodukten, die dann erst teuer und energieintensiv getrennt werden müssen.“
„Die Treibhausgasemissionen von Plastik“, rechnet Ertl vor, „machen derzeit gut 5 Prozent der gesamten Emissionen aus: 2,24 Milliarden Tonnen CO₂, während Flugverkehr und Schifffahrt gemeinsam nur auf 1,32 Mrd. Tonnen kommen. Der Hauptteil der Emissionen kommt von ein paar Monomeren zu Produkten wie PE, PP, PET. Diese drei allein machen rund 70 Prozent der Weltplastikproduktion aus. Wir können mit unseren Verfahren bei PET 100 Prozent sowie bei PE und PP jeweils 50 Prozent ersetzen und mit 2,5-Furandicarbonsäure (FDCA) auch ein Vorprodukt zu Nylon 6 und Nylon 6/6 erzeugen.“ Der Firmenname Annikki, erklärt Ertl, gehe auf den Namen der Tochter eines finnischen Waldgeistes zurück und beziehe sich auf die Naturverträglichkeit der von Annikki entwickelten Prozesse. „Wenn es uns gelingt, unseren disruptiven Ansatz entweder selbst, in Joint Ventures oder in Lizenz industriell breit auszurollen, dann leisten wir damit – neben allen ökonomischen Vorteilen – auch einen enormen Beitrag zur Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgase.

miteinander und machen Produktionen ökonomisch und ökologisch um ein Vielfaches nachhaltiger.
„Mehr denn je zuvor“, formuliert der Annikki-Gründer abschließend auch noch sein Standort-Credo, „ist jedoch die Bildung das eigentliche Kapital für die weitere Entwicklung unseres Landes – nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Für ein Begreifen des Wesentlichen muss an den Gymnasien die Anzahl der Stunden in Mathematik, der zentralen Grundlage all unserer technischen Kompetenzen, deutlich erhöht werden, und zwar auf ein Niveau, wie es in technisch führenden Ländern üblich ist. Außerdem müssen die Bibliotheken endlich wie sonst überall auch an Wochenenden geöffnet sein. Innovation fußt immer auf Bildung. Wer innovative Unternehmen will, muss den Zugang zur Bildung öffnen.“
Fotos: Annikki GmbH