Lokal, präzise und hochkonzentriert – an einer revolutionären Art der Tumorbekämpfung forscht die Grazer Biochemikerin Linda Waldherr. Gelingt der Leiterin eines Forschungsteams an der Med Uni Graz mittels Hightech-Implantaten ein Paradigmenwechsel in der Krebsbehandlung? Fix: Mit ihren Forschungen sicherte sie sich den ersten Platz unseres Science-Award in der Kategorie „Junior Scientist Grundlagenforschung“.
Ihrer Verantwortung ist sich Linda Waldherr bewusst. Behutsam balanciert sie im Gespräch zwischen Euphorie und Realismus – zwischen authentischer Forschungsfreude und dem Zügeln vorschneller Hoffnungen. „Nach Medienberichten bekomme ich jedes Mal Emails von teils verzweifelten Menschen, die unsere Methode lieber heute als morgen ausprobieren würden“, erzählt die 29-Jährige in ihrem Labor am Institut für „Medizinische Physik und Biophysik“ der Med Uni Graz. „Darauf kann ich nur antworten: Noch sind wir nicht soweit. Wir rechnen damit, mit unserer Anwendung in fünf Jahren in der Klinik zu sein. Aber“, blitzt es in ihren Augen, „wenn alles nach Plan läuft, sehen wir gute Chancen, damit künftig ein mächtiges Tool im Kampf gegen Krebs in der Hand zu haben.“
Im Zentrum dieser Methode stehen sogenannte elektro-phoretische Implantate (ELPHIs). „Diese ermöglichen eine lokal kontrollierbare Chemotherapie bei schwer behandelbaren Tumoren, vor allem im Gehirn und in der Bauchspeicheldrüse“, erklärt die Biochemikerin, die im Rahmen ihrer Doktorarbeit 2018 auf die neuartigen Implantate einer Forschergruppe an der schwedischen Universität Linköping stieß. Herzstück ist eine Ionenpumpe, die es erlaubt, elektrisch geladene Wirkstoff-Moleküle durch eine Membran in umliegendes Gewebe zu transportieren. „Eine spannende Hardware, die mich von Anfang an faszinierte. Rasch kam ich auf der Suche nach medizinischen Anwendungen gemeinsam mit unserem Teamleiter Rainer Schindl auf die Idee, diese Implantate für eine neue Art von Chemotherapie einzusetzen“, erinnert sich Waldherr, die sich nach intensiver Literaturrecherche auf eine der härtesten Herausforderungen in der Medizin fokussierte: Glioblastome, bösartige Hirntumore. „Für die Betroffenen leider ein vernichtender Befund – schnell wachsend und schwer behandelbar, da die meisten Wirkstoffe die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden. Die Behandlungsmethoden haben sich in den vergangenen 20, 30 Jahren kaum geändert“, so Waldherr. „Der Einsatz von ELPHIs könnte hier ein Game Changer sein.“ Das Prinzip: Im Zuge der Tumor-Entnahme wird an der operierten Stelle im Kopf des Patienten das Implantat eingesetzt und mit einer Steuereinheit unter der Haut verkabelt – ähnlich einem Herzschrittmacher. Das Implantat enthält den Wirkstoff Gemcitabin, der dann – wie oben beschrieben – in das betroffene Gewebe abgegeben werden kann. „Das Entscheidende ist, dass wir den Wirkstoff in einer sehr hohen Dosis auch über längere Zeiträume und – im Gegensatz zu einer intravenösen Chemotherapie – ganz gezielt dort einsetzen können, wo wir ihn brauchen, um die Krebszellen zu killen. Wir nehmen den Tumor also gezielt aus nächster Nähe ins Visier – mit hochwirksamen Waffen.“ Die Folge: höhere Wirksamkeit der Chemotherapie bei geringeren Nebenwirkungen.
Das Einwerben von Forschungsmitteln ist sehr zeitintensiv, aber die Verwirklichung unserer Vision ist jede Mühe wert.
LINDA WALDHERR, MED UNI GRAZ
Laborversuche mit Tumorzellen bei befruchteten Hühnereiern verliefen sehr erfolgreich, erklärt Waldherr. „Die Ergebnisse werden demnächst in einem wissenschaftlichen Journal publiziert“, freut sich die Forscherin über den nächsten Meilenstein. Jüngst starteten auch erste Studien an Rattenhirnen – Tierversuche seien in diesem Fall unvermeidlich. „Noch liegen einige Etappen vor uns, aber unser Team ist hochmotiviert und das Forschungsumfeld am neuen Med Uni Campus mit seiner modernen Laborausstattung hat internationales Top-Level“, schwärmt Waldherr, die einst an der renommierten US-Universität Berkeley studierte und mittlerweile eine achtköpfige Forschungsgruppe in Graz leitet. Derzeit sind es bereits drei Forschungsprojekte parallel, die sich mit dem Einsatz von ELPHIs beschäftigen. Neben dem Gehirntumor-Projekt gibt es auch ein Projekt zu Behandlung von Pankreaskrebs und ein weiteres, das die Kombination von ELPHIs mit der Immuntherapie erforscht. „Wir haben festgestellt, dass die Wirkstoffabgabe durch ELPHIs das Immunsystem insgesamt ,scharf‘ auf Krebszellen im Körper stellt – die Synergie der Th erapieformen ist daher ein spannender Forschungsansatz“, so Waldherr. „Auch bei Bauchspeicheldrüsen-Krebs erwarten wir gute Erfolge durch den Einsatz der Implantate – denn dieser ist mit herkömmlichen Methoden bekanntlich schwer behandelbar. Zudem spricht nichts dagegen, künftig auch andere Krebsformen mit unserer Methode zu behandeln – wir gehen Schritt für Schritt vor“, so Waldherr. „Dafür braucht es allerdings einen großen Mitteleinsatz. Daher bin sehr dankbar für die bisherige Unterstützung, ob vom Land Steiermark, BioMedTech, FWF, ÖAW und der EU, die zuletzt eine wichtige Förderung im Rahmen des Projekts EIC Pathfinder gewährte. Ich hoffe sehr, dass wir auch in Zukunft Unterstützung bekommen“, betont die Forscherin, die einräumt, einen nicht geringen Teil ihrer Zeit mit dem Verfassen von Forschungsanträgen zu verbringen. „Eine herausfordernde und zeitintensive Aufgabe, aber die Verwirklichung unserer Vision ist jede Mühe wert“, so die Steirerin, die in ihrer Freizeit auf ganz andere Weise biochemische Prozesse in den Köpfen von Menschen beeinflusst. Linda Waldherr agiert als Sängerin der Formation „Die Tanzspielerei“, einer gut gebuchten steirischen Hochzeitsband.
Linda Waldherr Studium der Chemie und Biochemie an der Nawi Graz, einer Kooperation von Uni Graz und TU Graz. Masterarbeit an der University of California in Berkeley (USA). 2020 Promotion an der Med Uni Graz. Ihre Publikation über „ElektroPHoretische Implantate“ wurde 2021 im Fachjournal „Advanced Materials Technologies“ unter die besten 25 gewählt. Waldherrs Team am Institut für „Medizinische Physik und Biophysik“ der Med Uni Graz gehören acht Forscherinnen und Forscher an. Gemeinsam mit den Forscherteams im schwedischen Linköping (Implantat-Technologie) und der TU Wien (Synthesechemie/Click-Chemie) sowie weiteren Forschenden im In- und Ausland umfasst das interdisziplinäre Projekt rund 40 Personen. Die Forschung von Linda Waldherr wird unter anderem vom Land Steiermark, der BioTechMed Graz und dem European Research Council (EIC Pathfinder, bioSWITCH, #101099963) finanziert. www.medunigraz.at
Fotos: MIAS PHOTOART