Von der Senkung der Lohnnebenkosten über mehr Lohn für Leistung und Attraktivierung der Vollzeitbeschäftigung bis zum Bürokratieabbau – die Forderungen der Wirtschaft liegen auf dem Tisch. Welchen Hintergrund sie haben und wie sie umgesetzt werden könnten, darüber diskutieren Gerd Zuschnig, Obmann der Fachgruppe der gewerblichen Dienstleister, und Leopold Neuhold, Wissenschafter, ehemaliger Professor für Ethik und Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Uni Graz.
Herr Fachgruppenobmann, als Vertreter der Unternehmen und der Wirtschaft wollen Sie erreichen, dass wieder mehr Vollzeit gearbeitet wird: Wie soll das realisiert werden?
GERD ZUSCHNIG: Indem konkrete Anreize gesetzt und Voraussetzungen dafür geschaffen werden – von der Kinderbetreuung bis zum steuerlichen Anreizsystem. Das Letzte, was wir wollen, ist, uns in die privaten Lebensentwürfe unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzumischen. Jeder und jede soll selbst entscheiden, in welchem Ausmaß er oder sie beschäftigt sein will. Aber es kann nicht sein, dass denen, die Vollzeit oder darüber hinaus arbeiten wollen, im Vergleich zu denen, die weniger arbeiten, vom Mehrlohn oft kaum etwas in der Tasche bleibt und es in vielen Fällen sogar attraktiver ist, weniger zu arbeiten als mehr. Und das in einer Zeit, in der unsere Unternehmen händeringend nach Menschen suchen, die bereit sind, sich mit ihrer Leistung einzubringen. Das wollen wir mit unserer zentralen Forderung proklamieren: Leistung muss sich wieder lohnen.
Herr Professor Neuhold, was sagt der Gesellschaftswissenschafter und Ethiker zu Forderungen wie dieser?
LEOPOLD NEUHOLD: Generell will ich vorausschicken, dass solche Fragen, wenn sie sich auf komplexe dynamische Systeme beziehen, vom ethischen Gesichtspunkt aus nicht letztgültig zu beantworten sind. Wir werden also kein System beschreiben können, das im ethischen Sinn perfekt im Sinne von absolut gültig ist. Und wir sollen auch nicht in solchen Kategorien denken. Es gibt in dieser Hinsicht kein alles oder nichts, kein ganz oder gar nicht. Einem Zustand, der im ethischen Sinne tragfähig ist, können wir uns am ehesten dadurch annähern, dass wir die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten, aber auch gesellschaftliche Ziele wie etwa die soziale Gerechtigkeit oder denunser Projekt überhaupt durchzubringen. Das kann es nicht sein. Klimaschutz berücksichtigen und zu einem Ausgleich zwischen diesen Interessen und Zielen kommen. Bezogen auf die Forderung, dass sich Leistung lohnen soll, sehe ich vor allem folgende Fragepunkte: Erstens, wie hoch besteuere ich Arbeit im Verhältnis zu anderen Steuerquellen und wie teuer mache ich damit die menschliche Arbeitskraft für Unternehmen?
ZUSCHNIG: Sprich, sind die Lohnnebenkosten für die Unternehmen zu bewältigen und was bleibt den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern netto vom Bruttoverdienst?
NEUHOLD: Zweitens, ist Vollzeit- oder freiwillige Mehrarbeit wie zum Beispiel Überstunden oder Arbeit im Ruhestand im Vergleich zu Teilzeitmodellen, sozialen Ausgleichszahlungen oder Ruhestandsbezügen attraktiv genug, um Menschen zur Arbeit zu motivieren?
ZUSCHNIG: Sprich, zahlt es sich überhaupt aus, arbeiten zu gehen bzw. mehr zu arbeiten?
NEUHOLD: Und daran anknüpfend die dritte Fragestellung: Ist unsere Wirtschaft unter den gegebenen Voraussetzungen der Besteuerung von Arbeit im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig?
ZUSCHNIG: Und da bemerken wir leider, dass das zunehmend nicht mehr der Fall ist. Die Lohnnebenkosten sind im internationalen Vergleich hoch, zu hoch, was die Standortkosten der Unternehmen in die Höhe treibt. Den Menschen bleibt netto zu wenig vom Bruttoverdienst, was sich wiederum negativ auf Kaufkraft und Konsumlaune auswirkt. Und die Anreize für Voll-zeit- oder Mehrleistung sind denkbar gering. Auch der Weg aus der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung ist nicht gerade mit Anreizen gepflastert. Eine toxische Mischung für Wirtschaft wie Wohlstand. Wenn wir nicht rasch entgegensteuern, wird sich die Spirale leider weiter nach unten drehen – mit spürbaren Auswirkungen für die breite Bevölkerung. Dass es geht, wenn der Wille da ist, hat ja die Entschärfung der kalten Progression bewiesen.
Eine weitere Maßnahme, die vonseiten der Wirtschaft vehement gefordert wird, ist ein Bürokratieabbau.
NEUHOLD: Bürokratie soll ein Mittel sein, um ein gedeihliches gesellschaftliches Zusammenleben zu sichern und bestimmte gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Der Bürokratie als Apparat wohnt aber auch die Tendenz inne, sich selbst zum Ziel ihres Handelns zu machen und ihren eigentlichen Daseinszweck tendenziell immer weiter aus den Augen zu verlieren. Diese Eigengesetzlichkeiten der Bürokratie und ihres Wachstums sind ja in der wissenschaftlichen Literatur, aber auch in der Satire, etwa in den Parkinson’-schen Gesetzen, hinlänglich beschrieben worden.
ZUSCHNIG: Was sich auch beobachten lässt, ist, dass der bürokratische Apparat immer mehr Ressourcen auch personeller Art bindet und zu einem ernst zu nehmenden Mitbewerber privatwirtschaftlich geführter Unternehmen im Wettbewerb um Arbeits- und Fachkräfte geworden ist – gespeist nicht zuletzt aus den Steuerleistungen unserer Unternehmen.
NEUHOLD: Das kann man durchaus erkennen, dass die Bürokratie einen gewissen Sog entwickelt und Menschen, um es vorsichtig auszudrücken, danach trachten, vor den doch manchmal beträchtlichen Unberechenbarkeiten in der Privatwirtschaft in den geschützteren Bereich der Verwaltungsbürokratie auszuweichen.
ZUSCHNIG: Geschützt und mittlerweile auch sehr gut bezahlt. Wir brauchen ein gewisses Maß an Bürokratie, aber sie darf sich nicht um ihrer selbst willen auf Kosten unserer Unternehmen und der Wirtschaft immer noch weiter ausdehnen. In vielen Bereichen wird schon mehr für die Erfüllung ausufernder bürokratischer Vorgaben als für den Unternehmenserfolg gearbeitet. Es ist auch bezeichnend, dass wir in Österreich in vielen Fällen zur Übererfüllung von EU-Regeln neigen. Das muss ein Ende haben. Was wir jetzt wirklich brauchen, ist ein Turnaround für Wirtschaft und Wohlstand.
DIENSTLEISTER-TABLE – RUNDE 9
Im Dienste von Unternehmen und Wirtschaft: Die gewerblichen Dienstleister repräsentieren zahlreiche besonders wirtschaftsaffine Berufsgruppen. Obmann der Fachgruppe der gewerblichen Dienstleister in der WKO Steiermark ist KR Mag. Gerd Zuschnig (Foto). In dieser Talk-Serie beleuchten namhafte Berufsgruppenvertreter und Experten die aktuelle Lage. Am Dienstleister-Table: KommR Mag. Gerd Zuschnig, Unternehmer (Freiraum GmbH & Co KG) und Obmann der Fachgruppe der gewerblichen Dienstleister in der WKO Steiermark, sowie Univ.-Prof. Mag. Dr. Leopold Neuhold, ehemaliger Leiter des Instituts für Ethik und Gesellschaftslehre an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz sowie Vortragender, Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und ehrenamtlich in zahlreichen Funktionen engagiert.
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Foto: Oliver Wolf