Wie geht es einer gebürtigen Amerikanerin in Österreich in einer Zeit der transatlantischen Entfremdung? Die in Graz lebende Kommunikationstrainerin Melanie Tomaschitz über eine US-Gesellschaft im Wandel, den zweiten Griff auf die Herdplatte und die Hoffnung auf eine Katharsis.
Die Frage nach dem Warum beschäftigt auch Melanie Tomaschitz. Wie konnte es passieren, dass ihr geliebtes Heimatland, die USA, das führende Land der freien Welt, das – wie sie betont – wie kein anderes stets für „Freiheit, Hoffnung, Zuversicht und Chancen“ stand, plötzlich als Land wahrgenommen wird, in dem Hass, Menschenverachtung und Lügen als neue Richtschnur in Politik und Gesellschaft gelten? „Es ist wie ein Albtraum, der mich bestürzt und traurig macht“, resümiert Tomaschitz, seit 27 Jahren in Österreich wohnhaft und mittlerweile Doppelstaatsbürgerin, und stellt sich die Frage nach den Ursachen. „Wie kann es sein, dass Menschen zweimal auf die heiße Herdplatte greifen? ,Touch the hot stove twice‘, wie man in den USA sagt.“ Sprich: Wie konnten sie Donald Trump ein zweites Mal ins Weiße Haus wählen?

gebürtige Kalifornierin mit Lebensmittelpunkt Graz
AUS EINEM TRAUM WURDE WUT
Ihre Antwort ist eine schonungslose Gesellschaftsanalyse, die an den Grundfesten des American Dream rührt. „Die Wurzeln des Übels liegen für mich im darniederliegenden Bildungs- und Gesundheitssystem des Landes. Sowohl Bildung als auch Gesundheit sind in den USA zu Luxusgütern geworden – immer weniger Menschen können sich Gesundheitsversorgung leisten, immer weniger eine gute Schuldbildung. Diese Menschen empfinden den einstmals hoch gehaltenen American Dream, wonach jeder Einzelne den sozialen Aufstieg schaffen kann, als Illusion – ein Gefühl, das leicht in Wut umschlagen kann, wenn rücksichtslose Populisten wie Trump es für ihre Zwecke nutzen. Dieser hat seine Fähigkeit perfektioniert, Sündenböcke für Missstände zu finden – seien es ,die Woken‘, die Immigranten oder Trans-Menschen. Diesen Gruppen gibt er die Schuld, dass es seinen Anhängern schlecht gehe. Und wenn man jene bekämpfe, würde es seinen Wählern auch wieder besser gehen – so die zynische Botschaft. Schockierend, wie viele darauf reinfallen“, seufzt die gebürtige Kalifornierin.
Das Land der Hoffnung und Zuversicht wird nun als Land von Hass und Lügen wahrgenommen. Das macht mich traurig – aber ich lasse mir die Hoffnung nicht nehmen.
MELANIE TOMASCHITZ, Kommunikationstrainerin
Ebenso schockiert es sie, wie unverhohlen ruchlos von Seiten des Präsidenten agiert wird. „Wüste Beschimpfungen und direkte Beleidigungen gehören längst zum Alltag. Der Präsident macht sich in aller Öffentlichkeit über Menschen lustig, weil sie dick, dünn, groß oder klein sind oder einfach weil sie eine Frau sind – um sie zu diskreditieren. Und er kommt damit durch – und erntet Beifall von Millionen. Bekanntlich sagte er einmal, dass er jemanden auf der 5th Avenue in New York erschießen könne und seine Wähler werden ihn immer noch lieben. Übersetzt bedeutet das, dass er seine Wähler für Dummköpfe hält. Und auch daran stößt sich niemand“, so die Unternehmerin, die Kurse für Business English und Kommunikationstraining anbietet. „Im Gegenteil, viele Amerikaner sind geblendet von seinem Reichtum und glamourösen Leben. Sie sehen das goldene Logo auf dem Trump Tower und denken sich: Wenn ich ihn wähle, fällt auch ein bisschen Glamour auf mich ab. Und das Schlimmste: Sie sehen, dass es sich auszahlt, ein Bully zu sein. Übersetzt: Es lohnt sich, ein Arschloch zu sein. Eine verheerende Botschaft für die Menschen in den USA – vor allem für die jungen Leute“, zeigt sich Tomaschitz ernüchtert.
Melanie Tomaschitz
Geboren in Los Angelos, Kalifornien (USA), lebt seit 27 Jahren in Graz
Die Unternehmerin bietet Kurse, Workshops und Einzeltrainings im Bereich interkulturelle Kommunikation, Business English sowie Kommunikation und Präsentation.
Zahlreiche renommierte Kunden aus Wirtschaft und Politik in Graz, Wien und Kärnten
Lektorin an der FH Joanneum
Verheiratet (Ehemann Markus Tomaschitz ist Vice President Corporate HR bei AVL List), zwei gemeinsame Kinder
https://mtlc.at
DER REST IST HOFFNUNG
„Ich kann nur hoffen, dass die Menschen in Europa nicht glauben, dass alle Amerikaner so sind und denken – denn das ist zum Glück nicht so“, betont sie. „Derzeit fehlt leider eine laute und geeinte Gegen-stimme – aber sie wird sich erheben. Immer mehr Menschen, gerade in den großen Städten, wo Trump-Fans in der Minderheit sind, werden ihren Protest zum Ausdruck bringen“, so Tomaschitz, die gesteht, seit dem 5. November kaum noch US-Medien zu konsumieren. „Es schmerzt zu sehr.“ Trotz allem trage sie Hoffnung im Herzen. „Es braucht Hoffnung – mehr denn je. Die Zeit ist auf unserer Seite. Und ich glaube fest daran, dass auch aus Schmerzhaftem etwas Gutes entstehen kann – wie bei einer Katharsis, einer Läuterung. Selbst nach einem Griff auf die heiße Herdplatte“, so Tomaschitz, Mutter zweier mittlerweile erwachsener Töchter, die beide in Österreich leben. „Muttersein ist das beste Beispiel – Kinder auf die Welt zu bringen ist überaus schmerzhaft, und dennoch sind meine beiden Kinder das Beste, das mir je passiert ist. Daher ja – ich und alle meine amerikanischen und nicht-amerikanischen Freunde lassen uns die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht nehmen. Die Menschlichkeit wird siegen.“
Foto: Oliver Wolf