Das Next Liberty in Graz – eines der bedeutendsten Kinder- und Jugendtheater im deutschsprachigen Raum – feiert 2025 seinen 30. Geburtstag. Der geschäftsführende Intendant Michael Schilhan spricht im Interview mit „SPIRIT of Styria“ über die Erfolgsgeschichte des Hauses, was nächstes Jahr am Spielplan steht, dass Bildung, Theater und Kunst zusammengehören und das soziale Engagement des Next Liberty weit über die Bühnengrenzen hinaus reicht.
Sie leiten seit der Saison 2001/02 die Geschicke des Next Liberty. Seitdem haben sich die Zuschauerzahlen mehr als verdoppelt und das Next Liberty ist aus der Grazer Kulturszene nicht mehr wegzudenken. Wie kam das Theater über die Jahre zu seinem guten Ruf?
MICHAEL SCHILHAN: Früher war das Haus eine Disko, dann wurde es zum Thalia-Kino, dem größten Kino der Steiermark, in dem ich noch als Bub den „Weißen Hai“ angeschaut habe, bevor daraus ein eher loses Theater wurde. Richtig gestartet hat es erst, als wir in meiner Zeit eine GmbH geworden sind und ich bestimmen konnte, was rennt. Als die Kleinsten innerhalb der Bühnen Graz arbeiten wir ausschließlich mit professionellen Schauspielern und Bühnenarbeitern. Die Requisiten sind wahre Kunstwerke. Mit unseren 300 Sitzplätzen sind wir weder zu groß noch zu klein. Die Kinder sehen und spüren, was auf der Bühne passiert. Das schlägt sich in den Zahlen nieder: In den rund 180 Aufführungen pro Jahr haben wir eine Auslastung von mehr als einem Dreiviertel. Hinzu kommen unsere Tourneen – von Mattersburg bis nach Washington.
Dramaturgisch versteht sich das Next Liberty als reines Kinder- und Jugendtheater. Was ist „anders“ im Vergleich zum Erwachsenentheater?
Das Kinder- und Jugendtheater ist nicht umsonst die Königsdisziplin, da Kinder und Jugendliche einem direkt mitteilen, ob es ihnen gefällt oder nicht. Wir verstehen uns jedoch als ein Haus für alle. Für mich ist Theater immer Familiensache. Denn das Geheim nis ist beim Kindertheater, dass wir Kinder auf ihrer Wellenlänge treffen, die Erwachsenen aber genauso. Der Erwachsene fiebert genauso mit und haut sich über die Schmähs ab. Und Theater hört nicht nach der Vorstellung auf, da daheim am Küchentisch eine Konversation darüber entstehen kann.
„Wenn Kinder kulturell gebildet werden,
haben sie später
einmal viel bessere Chancen.“
MICHAEL SCHILHAN
INTENDANT NEXT LIBERTY
Was berücksichtigen Sie bei der Inszenierung der Stoffe? Welche Themen stehen für Sie im Vordergrund?
Die Themen beim Jugendtheater holen den Außenseiter von außen in die Mitte. Wir müssen uns natürlich überlegen, für wen wir spielen, die Stoffe alterstechnisch richtig aufbereiten. Dazu schauen wir uns um, was es alles gibt, lesen viel, und oft entscheidet sich auf den ersten zehn Seiten, ob ein Stoff was hergibt. Außerdem suchen und finden wir Autoren, die sich mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen wollen und haben viele Neuentdeckungen.
Zum Beispiel?
Wenn man den Spielplan für nächstes Jahr ansieht, möchte ich Erica Lillegg erwähnen, eine Grazer Kinderbuchautorin, die komplett in Vergessenheit geraten war. Ihren surrealen Roman „Vevi. Viele Grüße von deinem Ebenbild“ – als hätte Astrid Lindgren „Das doppelte Lottchen“ geschrieben – haben die Dramaturginnen Dagmar Stehring und Iris Harter für die Bühne aufbereitet. In einem anderen, neuen Stück namens „Undine Undone“ holen wir zwölf junge musikalische Ausnahmetalente (im Alter von 11 bis 20 Jahren) aus den Hochbegabten- und Vorbereitungslehrgängen der Kunstuniversität Graz aus dem Proberaum auf die Bühne, wo sie den Undine-Stoff als Orchester eigenständig auf ihre Weise neu vertonen werden. Mit „Faust. Der Tragödie erster Teil“, von Wolfgang von Goethe haben wir auch klassische Stoffe im Programm. Den von Nikolaus Habjan als Schau- und Puppentheater inszenierten Faust haben wir seit 2016 hundertmal für über 25.000 Kinder und Erwachsene gespielt.
Michael Schilhan
Geboren 1964 in Judenburg und aufgewachsen in Wartberg im Mürztal, Schauspielausbildung an der Elisabeth-Bühne Salzburg und akademisch geprüfter Kulturmanager, seit 1992 als freischaffender Regisseur tätig; mehr als 140 Inszenierungen in Schauspiel und Musiktheater im In- und Ausland, und berufliche Stationen u.a. in Deutschland, Bulgarien, Portugal, Taiwan, Japan
Seit 2001 künstlerischer Leiter des Next Liberty und seit 2004 auch geschäftsführender Intendant
Auszeichnungen
Josef-Krainer-Heimatpreis (2015)
Ehrenzeichen des Landes Steiermark für Wissenschaft, Forschung und Kunst
www.nextliberty.com
Merken Sie in den Ansprüchen der jungen BesucherInnen heute einen Unterschied im Gegensatz zu früher? Was muss Theater heute können?
Wichtig in dem Kontext ist, nie stehen zu bleiben. Es ist immer ein ständiges Mit-der-Zeit-gehen. Trotzdem gehen wir zum Teil immer wieder zurück zu alten Stoffen, die zeitlos sind, greifen aber durchaus aktuelle Themen auf: Im Kindermusical „Tusnelda Nieselbrimm“ von August Schmölzer steht beispielsweise das Thema Umweltverschmutzung im Vordergrund.
Was macht für Sie ein gutes Theaterstück aus?
Ich möchte Qualität für viele bieten, denn in erster Linie soll ein Theater lesbar bleiben. Die Thematik in der Aufbereitung ist wichtig, macht aber alleine noch kein gutes Stück aus. Nicht zu vergessen, muss eine Produktion sprachlich hochwertig sein. Kinder und Jugendliche sollen im Theater einen sprachlichen Glanz miterleben.
Sie sprechen die Vorbildfunktion des Theaters an: Ihnen wurde vor Kurzem das Ehrenzeichen des Landes Steiermark für Wissenschaft, Forschung und Kunst verliehen. Ein wichtiges Signal in Zeiten der Wissenschaftsfeindlichkeit und der eher elitär gesehenen Kulturzugänge. Wie stark soll der Bildungscharakter des Theaters ausgeprägt sein?
Wenn Kinder kulturell gebildet werden, haben sie viel bessere Chancen für später. Bildung, Theater und Kunst gehören zusammen. Friedrich Schillers „Theater als moralische Anstalt“ wurde lange Zeit abgelehnt, kommt aber langsam wieder. Am Next Liberty wollen wir deswegen nicht nur Theater spielen, sondern die Menschen an der Theaterwelt teilhaben lassen.
Sprechen Sie den theaterpädagogischen Zweig „Nextra“ an?
Ja, Kinder können bei uns vor, auf oder hinter der Bühne aktiv Theaterluft schnuppern und am Ende des Jahres bei der Aufführung vor Publikum auf der Bühne stehen. Sie sind stolz, über ihre Schwelle gegangen zu sein, und sind später z. B. besser in Referaten. Nextra kommt auch Lehrpersonal zugute: In Workshops an Schulen geben unsere Theaterpädagogen den Lehrern unterschiedliche Werkzeuge aus der Schauspielerei mit, die sie auch in Fächern wie Physik, Chemie, Mathematik oder Geschichte anwenden können. Wer die Planetengesetze oder die Vererbungslehre mit theaterpädagogischen Übungen einmal selbst durchgespielt hat, prägt sie sich leichter ein.
Das Next Liberty engagiert sich sozial. Über welche Maßnahmen setzen Sie diesen Anspruch um? Ich wollte immer ein Theater haben, das den Leuten etwas zurückgibt. Gemeinsam mit Marguerite Dunitz-Scheer haben wir 2001 den „Skating Amadeus Chor“ gegründet: Die Ur-Idee war, dass „kranke und gesunde“ Kinder unterschiedlicher Altersgruppen, Kulturen und Religionsgruppen auf der Bühne gemeinsam Theater spielen. Seither bringen wir jedes Jahr ein Werk zur Aufführung und konnten vielen Jugendlichen aus sozial schwachen Familien über unser Netzwerk und über den Kontakt zu Eltern zum Beispiel zu Lehrausbildungen und Jobs verhelfen. Weiters haben wir Sozialkarten eingeführt, die es Kindern aus finanziell benachteiligten Familien ermöglichen, das Theater zu besuchen.
Das Next Liberty eröffnet Kindern die erste Kulturerfahrung. Nicht umsonst gilt das Kindertheater als die Königsdisziplin, das sowohl Kinder als auch Erwachsene gleichermaßen begeistert.
Philipp Löhle, einer der meistgespielten deutschsprachigen Dramatiker seiner Generation, entwirft in „Frida und der NeinJa-Ritter“ eine humorvolle Philosophie von der Leichtigkeit des Findens.
Gibt es einen speziellen „Grazer Spirit“, den Sie und die Besucher spüren?
Ja, das Grazer bzw. steirische Publikum ist, was neue Projekte betrifft, sehr aufgeschlossen, weshalb wir kreative und risikoreiche Stücke umsetzen können. Die Menschen hier verstehen den „Grazer Humor“, kennen die Eigenheiten der Region. Dieser lokale Bezug hilft uns, auch in schwierigen Zeiten das Publikum ins Theater zu bringen.
Die Leitung des Next Liberty ist sowohl kreativ als auch unternehmerisch eine Mammutaufgabe. Das Grazer Kulturbudget für 2025/26 für die Grazer Bühnen beträgt 24,3 Millionen Euro und wird zwischen Land Steiermark und Stadt Graz aufgeteilt. Wie gut sehen Sie die Bundesförderung in Zeiten der Rezession aufgestellt – auch in puncto freie Kunstszene?
Die aktuellen Kosten für Infrastruktur, Sicherheitsauflagen und notwendige Modernisierungen sind sehr hoch. Subventionen decken längst nicht alles ab. Für die finanzielle Stabilität sorgt ein breit aufgestelltes Geschäftsmodell, damit wir als Theater auf lange Sicht existieren können. Man darf nicht vergessen: Ich beschäftige Künstler, das technische Personal, das Verwaltungsteam, von denen viele eigene Familien haben. Zusätzlich müssen wir unsere künstlerische Arbeit weiterhin auf hohem Niveau leisten können. In all dem geht es nicht nur darum, wie viel Geld in der Kulturszene da ist, sondern auch, wie wir dieses Geld sinnvoll einsetzen. Ein Beispiel: Wir stellen viele Mitarbeiter aus der freien Szene ein. Wird durch Sparmaßnahmen jedoch eine ganze Produktion eingestellt, haben Basiskürzungen auch immer Einfluss auf die freie Szene. Deshalb hoffe ich, dass wir seitens der Politik und von den Menschen weiterhin als Ort der Inspiration, kulturellen Vielfalt und qualitativ hochwertiges Theaterhaus wahrgenommen werden.
Fotos: Stella