Spirit of Styria

Gemeinsam anpacken IN MURAU MURTAL

Die Region Murau Murtal ist über die Grenzen hinaus für ihr Miteinander bekannt. Was treibt die Region voran, wo müssen die Weichen für die Zukunft neu gestellt werden? Ein Talk mit den Politikerinnen Manuela Khom und Gabriele Kolar, dem Unternehmer Florian Hampel und Günter Leitner vom Regionalmanagement Murau Murtal.

Wollen wir über Diversität und Vielfalt in der Region Murau Murtal reden? Was bedeutet das wirtschaftlich gesehen für Sie, Frau Khom?
MANUELA KHOM: Diversität ist schon einmal aus der Unterschiedlichkeit unserer Betriebe gegeben. Unsere Region zeichnet aus, dass wir so vielfältig aufgestellt sind, offen mit neuen Dingen umgehen und gute Partnerschaften leben. Mit Sicherheit sind es die Mitarbeiter, die mit ihren unterschiedlichen Zugängen für Diversität sorgen und immer wieder neue und unterschiedliche Ideen einbringen. In unserer Region findet sich die gesamte Bandbreite – vom Familienunternehmen bis zu den Großbetrieben und internationalen Konzernen, von Menschen, die auf der ganzen Welt arbeiten bis zu kleinen Handwerksfamilien.

Manuela Khom ist Landtagspräsidentin und Vorsitzende der Region Murau Murtal.
Sie wohnt in der Gemeinde Murau.

Florian Hampel leitet mit seinem Bruder das Unternehmen Hage in Obdach.
Er ist Vorsitzender der Netzwerkorganisation Kraft! Das Murtal.

Vielfalt und Diversität, gesamtgesellschaftlich gesehen, was bedeutet das für Sie, Frau Kolar? Gerade in Zeiten, wo Babyboomer in Pension gehen und der Arbeitsmarkt auf Zuwanderung angewiesen ist und die Gesellschaft zwangsläufig diverser wird?
GABRIELE KOLAR: Was die Wirtschaft betrifft, stimme ich Frau Khom zu. Es wird seit der Pandemie stark auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter geschaut, die sich zuletzt stark verändert haben. Will ein Betrieb seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten, wird er auch künftig auf deren Bedürfnisse eingehen müssen, etwa in Bezug auf Arbeitszeiten oder Homeoffice. Es geht aber auch darum, zu schauen, dass wir in den Regionen diese Auslaufzeit, bis die Babyboomer in Pension sind, gut mit Kinderbetreuung abdecken. Es ist enorm wichtig, dass wir die Familien gut abholen, indem wir sie bei der Betreuung ihrer Kinder unterstützen.

Herr Hampel, was bedeutet Diversität in Ihrem Unternehmen?
FLORIAN HAMPEL: Wir befinden uns auf einem Arbeitnehmermarkt, das heißt, die Bewerberinnen und die Bewerber suchen sich ihre zukünftigen Arbeitgeber aus und nicht umgekehrt. Als Unternehmer muss man sich darauf einstellen. Da spielt Work-Life-Balance eine große Rolle, auf die reagieren wir mit flexiblen Arbeitszeitmodellen oder Teilzeitkonzepten. Für die Generation Z muss die Arbeit sinnstiftend sein, ebenso müssen die Freizeitaktivitäten berücksichtigt werden. Das bedeutet für uns, ein komplettes Package anbieten zu müssen, damit sich die Menschen nicht nur in der Arbeitsstätte, sondern auch in der Region wohlfühlen.

Betrachtet man Diversität in Bezug auf unterschiedliche kulturelle Hintergründe: Wie sieht es damit in den Unternehmen aus?
HAMPEL: Wir haben in unserem Unternehmen zwei junge Migranten beschäftigt, die ihre Lehre mittlerweile positiv abgeschlossen haben. Wir haben sie auch privat unterstützt, die beiden wohnen in Obdach und werden von allen absolut gleich behandelt. Die große Herausforderung für die Unternehmer ist, über ihre Betriebe hinauszudenken. Ein weiteres großes Thema ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Kinderbetreuung ist wichtig, genauso die Ausbildung. Kinder sind unsere Zukunft, auch wir Unternehmer müssen da etwas bieten. Wir sehen natürlich ebenso die Politik, den Bund, das Land und die Gemeinden aufgefordert, zu schauen, dass wir etwa genügend Kinderbetreuungsplätze in der Region haben. Nicht jedes Unternehmen kann sich einen eigenen Kindergarten leisten.

KOLAR: Zum Thema Migration möchte ich noch ergänzen, dass vielfach Sprachbarrieren extrem hoch sind, gerade in Betrieben mit Fachsprache. Hier haben wir Luft nach oben, damit wir diesen vom Ausland kommenden Menschen, die wir ja dringend brauchen, Unterstützung bei einer guten Sprachausbildung bieten können.

Die 2. Landtagspräsidentin, Gabriele Kolar, gebürtige Judenburgerin, ist nach wie vor politisch wie privat mit der Region verbunden.

Günter Leitner ist Geschäftsführer des Regionalmanagements Murau Murtal. In der Netzwerkorganisation laufen wichtige Themen zusammen.

Zusammengefasst kann man sagen: Von Unternehmerseite sind neue und weitere Herausforderungen zu stemmen, die weit darüber hinausgehen als nur einen Job anzubieten. Die Politik hat dafür zu sorgen, dass etwa Kinderbetreuungsplätze vorhanden sind. Wie sähe nun ein übergreifendes Miteinander aus, um passende Rahmenbedingungen zu schaffen, Herr Leitner?
GÜNTER LEITNER: Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir dieses Miteinander leben, dass jeder seine Verantwortung sehr wohl kennt, dass die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft wissen, was ihre Aufgaben sind. Wir als Netzwerkorganisation können hier neue Dinge einwerfen, manches ausgleichen oder verstärken. Als große Herausforderung sehe ich, die Offenheit dieses Miteinanders nach außen hin zu vermitteln. Alles für sich im stillen Kämmerlein auszumachen, gibt wenig Sinn.

KHOM: Ich glaube auch, dass unsere Zusammenarbeit großartig ist, da werden wir sicher oft unterschätzt. Das wird auch Herr Hampel, der Vorsitzende von „Kraft! das Murtal“, bestätigen. Er ist Vorsitzender des Unternehmensnetzwerkes, das mit regionalen Mitteln initiiert und im Regionalmanagement gefördert wurde. Und das mittlerweile gelernt hat, selbst zu laufen. Wir ergänzen einander gut, wir kennen die Probleme. Seitens der Politik gab es die Kindergartenmilliarde, das Land Steiermark arbeitet intensiv am Ausbau der Kinderbetreuungsplätze, in der Region haben wir den Kindersommer ins Leben gerufen, wer hat schon so viel Urlaub im Sommer, um alles selbst überbrücken zu können? Im Bildungsbereich versuchen wir gerade, die Erwachsenenbildung auf festere Beine zu stellen. Davon werden auch jene Menschen profitieren, die die Sprache erst lernen müssen. Es geht auch um Freizeitangebote, damit Menschen zu uns kommen wollen und wir die Region lebendig halten.

HAMPEL: Der Kampf um die besten Köpfe hat längst begonnen und wir müssen versuchen, unsere Kräfte zu bündeln. Ich kann nur unterstreichen, dass alle Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten, an einem Strang ziehen. Auch mit Unterstützung des Regionalmanagements versuchen wir alles, um die Region, unsere Heimat, die Betriebe, bestmöglich nach außen darzustellen. Ohne Zuwanderung werden wir früher oder später in der Region ein Problem bekommen. Hier wird es nicht reichen, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren, wir müssen weiterdenken. Es kommen ja auch Familien aus Ballungszentren zu uns, dazu braucht es ein Welcome Center, eine Anlaufstelle für alle Belange, für Sprache, Jobmöglichkeiten für die Partnerin, Schulen und Freizeitbeschäftigung für Kinder etc. Wir wissen, dass die Anzahl der Schülerinnen und Schüler rückläufig ist, wir denken momentan an neue Projekte, um die Bevölkerungszahl wieder nach oben zu bringen. Seit 2022 haben wir sogar einen Zuzug von tausend Menschen geschafft.

Wie sieht die demografische Situation in der Region Murau Murtal generell aus, welche Prognosen gibt es?
HAMPEL: Wir hatten vor Kurzem einen Statistiker vor Ort, der uns bis 2040 einen zweistelligen Abgang genannt hat, er meinte, die Bevölkerung werde um bis zu 17 Prozent schrumpfen. Wir müssen alle zusammen mit allen Anstrengungen gegenarbeiten, dass sich dieser Trend umkehrt.

Welche Ideen gibt es dafür?
HAMPEL: Einer der Gründe, warum „Kraft Das Murtal“ vor 15 Jahren gegründet wurde, war das Fachkräfteproblem, wir haben uns als eine der Gegenmaßnahmen mit einem Tag der offenen Tür für die Bevölkerung geöffnet. Heuer veranstalten wir am 18. Oktober die erste KRAFT:nacht, in der Betriebe von Knittelfeld bis Murau von 16 bis 22 Uhr wieder ihre Tore für die gesamte Bevölkerung öffnen. Wir haben Jugendprojekte ins Leben gerufen, um auf die Schülerinnen und Schüler zuzugehen, damit starten wir sogar in Kindergärten. Wir nutzen jede Möglichkeit, um mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen. Wir gehen sogar so weit, Menschen, die einmal hier gelebt haben und nun in großen Städten gelandet sind, zu fragen, ob sie nicht wieder in ihre alte Heimat zurückkehren wollen. Einen Ur-Wiener in die Region zu bekommen, wird uns wahrscheinlich nicht gelingen.

Wo sind für die Zukunft die Weichen zu stellen, auf unternehmerischer, politischer und gesellschaftlicher Seite?
KOLAR: Wir müssen die Bevölkerung stärker einbeziehen, hier sind wir auf einem guten Weg, das Regionalmanagement kommuniziert die Region positiv nach außen. Doch leider ist in unserer Bevölkerung ein Krankjammern und Schlechtmachen fest verankert. Andere Regionen blicken fast neidvoll auf uns, auf die Betriebe, die hier angesiedelt sind, unsere Veranstaltungen, die vielen Möglichkeiten im Tourismus. Wir haben so viel, auf das wir stolz sein können. Wenn wir noch schaffen würden, dass die Menschen hier das auch leben und nach außen tragen, wäre das die beste Werbung für jene, die sich bei uns niederlassen wollen. Ein Wort möchte ich noch über die Zuwanderung sagen: Wenn wir jetzt von Familiennachzug reden, wo viele Kinder kommen werden – was ja auch gut und richtig ist –, brauchen wir mehr Personal an den Schulen und Bildungseinrichtungen, um diese Kinder gut integrieren und sprachlich unterstützen zu können. Jene Kinder, die hier leben oder hier geboren sind, sollen dadurch keine Nach-teile erfahren.

KHOM: Wir sollten nicht nur von jenen reden, die bei uns Asyl suchen und bleiben wollen, wir müssen uns auch auf Menschen konzentrieren, die nicht aus Krisengebieten zu uns kommen, sondern deshalb, weil sie gern bei uns arbeiten wollen. Hier müssen wir das Thema Rot-Weiß-Rot-Card, das schon verbessert wurde, weiter vereinfachen. Es ist nach wie vor für Personen aus anderen Ländern schwierig, dass etwa ihre Ausbildung anerkannt wird. Darauf müssen wir als Politiker viel mehr reagieren. Was auch die Menschen in den Regionen positiv sehen: Wenn Menschen zu uns kommen, die sich einbringen wollen.

HAMPEL: Uns ist noch ein anderes Thema sehr wichtig: Wir müssen schauen, dass die jungen Frauen in der Region bleiben. Es sind diejenigen, die Kinder bekommen, sie brauchen attraktive Jobs, damit sie überhaupt hier bleiben. Die Frage ist: Wie können wir als Unternehmen unterstützen, um attraktiv für Frauen zu sein? Gerechte Arbeitsbedingungen, Ergonomie am Arbeitsplatz, Wiedereinstieg, Vereinbarkeit, solche Themen. Hier ist es notwendig, in die Tiefe zu gehen und alle personalverantwortlichen Konzepte auf den Tisch zu legen, um entsprechend auf die unterschiedlichen Situationen reagieren zu können. Da sind wir gerade mittendrin.

KHOM: Und wir starten gerade ein Projekt, um zur ersten kinder- und familienfreundlichen Region Österreichs zu werden. Wir wollen signalisieren, dass man als Familie bei uns willkommen ist.

KOLAR: Wir sind außerdem eine der MINT-Regionen geworden auf Schulebene, wo wir besonders für Mädchen einen Schwerpunkt in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik gesetzt haben.

LEITNER: Ich ergänze und runde diesen Teil gern insofern ab, als dass es ein schönes Beispiel dafür ist, wie wir als Region zusammenarbeiten. Indem jeder seine Verantwortung durchdenkt, fertig denkt und umsetzt. Nur so kommen wir inhaltlich weiter, können die Region bestmöglich nach außen hin kommunizieren und erklären, wie toll man hier leben kann und welche Rahmenbedingungen Menschen hier finden. Wir haben eigentlich alles, was man braucht. Außer die Nachteile einer Großstadt.

KOLAR: Dafür haben wir vieles, was Großstädter nicht haben: leistbare Wohnpreise zum Beispiel. Solche Aspekte müssen die Menschen auch honorieren.

Fakt ist, die Gesellschaft wird sich verändern, in der Großstadt anders als am Land. Wie müsste ein gesellschaftliches Commitment aussehen, damit sich eine Region bestmöglich entwickeln kann? Was wären Ihre Ideen, von der Beseitigung sprachlicher Barrieren angefangen?
HAMPEL: Das mit der Sprache haben wir bei Hage relativ einfach gelöst, indem wir einen Computer genommen haben, und das, was wir sagen wollten, in die jeweiligen Sprache übersetzen ließen. Wir haben aktuell mit dem Schulungszentrum Fohnsdorf und dem AMS Wien ein Projekt laufen, um interessierte Personen aus Wien zu uns in die Region zu bekommen. Sprachliche Unterstützung bekommen sie im Schulungszentrum. Mit wenigen Wochen Sprachtraining erreicht man schon ein Level, um in der Gesellschaft gut durchzukommen. Das setzen wir als Unternehmen auch voraus. Um derlei umsetzen zu können, braucht es zuverlässige Partner.

KHOM: Von der Öffentlichen Hand wird viel angeboten, ich möchte auch persönliche Initiativen hervorheben wie die Soroptimistinnen, die seit vielen Jahren ehrenamtlich Deutschkurse in unterschiedlichen Levels für Frauen anbieten. Das Problem ist ja oft, dass Familien mit kleinen Kindern zu uns kommen, der Mann geht arbeiten, die Frau bleibt zuhause, wo lediglich die Muttersprache gesprochen wird. Es gibt hier großartige Unterstützungsangebote aus der Bevölkerung und ich denke, dass ein großer Teil der Menschen bereit ist, jene zu unterstützen, die Hilfe brauchen beim Zurechtfinden hier. Das wird oft zu wenig gesehen, stattdessen heißt es: Wir mögen keine Ausländer. Das ist nicht so.

HAMPEL: Dem stimme ich zu. Meine Mutter war Lehrerin, sie und andere Kolleginnen, die mittlerweile in Pension sind, geben ebenfalls Deutschunterricht.

KOLAR: Nicht ganz so einfach ist es in Ballungsräumen an Familien zu kommen, um ihnen Unterstützung anzubieten. Deshalb wiederhole ich mich: Wir müssen schauen, dass wir im Bildungsbereich mehr Ressourcen bekommen, um Kinder gut abzuholen und ihnen die Sprache beizubringen. Kinder lernen ja relativ schnell. Aber man kann von keiner Lehrerin erwarten, dass sie neben dem normalen Regelunterricht noch Sprachunterricht gibt. Da brauchen wir dringend mehr Personal.

LEITNER: Dem kann ich nichts hinzufügen oder habe ich nichts hinzuzufügen, dafür einen anderen Aspekt: Wir haben im Moment einen Wettbewerb laufen, bei dem Jugendliche eingeladen sind, deren Sicht auf gesellschaftliche Themen zu lenken, und zwar in einem Kreativprozess mit Zeichnen und Malen. Damit provozieren wir auch Gespräche in Klassen. Wir haben mit der Bildungsdirektion einen Projektpartner, der auch die Pädagogen adressiert. Derlei ändert nichts an der Tatsache, dass es noch einige Herausforderungen gibt. Doch solche Projekte leisten gute Beiträge zur Integration, sie führen in kleinen Schritten zu einem besseren Miteinander. Als Regionalmanagement sind wir jetzt nicht in der Lage, die großen politischen Probleme zu lösen, aber wir können mit unseren Projekten weiterdenken und die Zukunft mitverändern.

Fotos: Furgler, Otmar Winterleitner, Spekner, beigestellt

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