Bautätigkeiten anregen, ohne zusätzliche Bodenressourcen zu verbrauchen – die Quadratur des Kreises oder eine Frage der Notwendigkeit? „SPIRIT of Styria“ erkundet gemeinsam mit Experten aus Bauwirtschaft, Architektur und Wissenschaft die Möglichkeiten und Instrumente, wie wir künftig bauen, ohne dabei unsere Lebensgrundlagen zu zerstören.
Harmonisch fügt sich in Naas bei Weiz das zweigeschossige Gebäude in die Landschaft zwischen dem Weizbach und bewaldeten Hügeln. Ein Gebäude, das die nächste Generation im Blick hat – im doppelten Sinn: Als Heimstätte für den örtlichen Kindergarten, aber auch als Best-Practice für das Bauen der Zukunft. „Für mich ist es ein Paradebeispiel für nachhaltiges Bauen mit geringstmöglichem Bodenverbrauch“, erklärt Johann Harrer, Geschäftsführer von Strobl Bau, das für die Umsetzung des Holzbaus verantwortlich war. Das Besondere: Das Gebäude wurde nicht auf der grünen Wiese errichtet, sondern auf einen bestehenden Baukörper – den Küchentrakt der Fachschule Naas – gesetzt. „Die Gemeinde und die beauftragten Architekten haben sich hier auf ein beispielhaftes Konzept verständigt. Eine Win-win-Situation für alle“, so Harrer. Nicht weniger als 12 Hektar Boden werden in Österreich im Schnitt pro Tag verbaut. „Umso wichtiger ist es, aufzuzeigen, dass es auch anders geht. Wir können nicht so weitermachen wie bisher und die Natur zubetonieren. Das wird uns früher oder später auf den Kopf fallen“, so der Bauexperte. Nicht nur in der Aufstockung, sondern auch in der Nachnutzung bestehender Gebäude sieht er großes Potenzial – und verweist auf ein weiteres Referenzbeispiel von Strobl Bau: die Generalsanierung dreier, historischer Wohngebäude in Leoben und ihre Nachnutzung als Studierendenheim mit 30 Wohneinheiten. „Wir haben es geschafft, der alten Substanz neues Leben einzuhauchen, und das Gebäude zudem um ein Geschoß aufgestockt“, freut sich Harrer über den doppelt nachhaltigen Nutzen. „Ich bin sicher, es gibt unzählige Leerstände dieser Art, die wir künftig revitalisieren können und damit Bodenressourcen schonen.“ Auch eine dritte Form des „Bauens ohne Boden“ spielt eine zunehmende Rolle – die Assanierung, also der Abbruch eines Altbestands inklusive Neubau an selber Stelle. Ein Projekt dieser Art realisiert Strobl Bau derzeit im Auftrag der Siedlungsgenossenschaft Gemysag in Kapfenberg. Nachkriegsgebäude am Schirmitzbühel werden hier sukzessive erneuert – damit entsteht moderner, nachhaltiger Wohnraum für Menschen aus der Region. Rund 220 Wohnungen wurden bzw. werden abgebrochen und an selber Stelle bis 2028 mehr als 260 Wohnungen neu errichtet. „Der klassische Neubau im Wohnbausegment ist massiv zurückgegangen – und macht bei uns derzeit nur noch einen geringen Teil des Auftragsvolumens aus“, bestätigt Harrer. „Ein Großteil entfällt aktuell auf kommunale Bauten, vielfach im Bereich Aufstockungen, Umbau, Sanierungen und Erweiterungen. Der Wohnbau wird zwar wieder steigen, aber wohl nie mehr das Volumen erreichen, das wir in den vergangenen zwanzig Jahren hatten.“
Referenzprojekte für Bauen ohne Bodenverbrauch: Der Kindergarten in Naas bei Weiz (o.) wurde auf ein bestehendes Gebäude gesetzt. Sowie Nachnutzung eines Leerstands als Studentenwohnheim in Leoben – beides umgesetzt von Strobl Bau.
BAUDYNAMIK OHNE ZUBETONIEREN
Ähnlich sieht es Vinzenz Harrer von der Vinzenz Harrer GmbH, Spezialist für Lösungen im Holzbau. Gemeinsam mit Gleichgesinnten startete der Unternehmer die Initiative „Bauen ohne Boden“, ein Zusammenschluss von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Bauwirtschaft, Planung und Wissenschaft, um der fortschreitenden Bodenversiegelung im Land entgegenzuwirken. „Darin setzen wir uns für einen bewussten Umgang mit unseren Bodenressourcen ein, ohne dabei die Notwendigkeit von Bautätigkeit zu vernachlässigen“, erklärt Vinzenz Harrer. Bauen ohne Bodenverbrauch und gleichzeitig Bautätigkeit anregen – eine Quadratur des Kreises? „Ganz und gar nicht, wenn man es richtig macht. Bautätigkeit und Flächenverbrauch müssen in Balance gebracht werden“, so Harrer, der auf ein Zehn-Punkte-Programm der Initiative verweist. „Zum einen wollen wir darin Perspektiven entwickeln, die einen bewussten Umgang mit Ressourcen ermöglichen. Der jährliche Flächenverbrauch soll ab sofort immer weiter gesenkt werden – vor allem Biodiversitätsflächen sowie landwirtschaftliche Flächen sind zu schützen“, so Harrer. „Gleichzeitig muss uns klar sein, dass wir auch weiterhin Räume zum Leben und Arbeiten brauchen.
„Bautätigkeit und Flächenverbrauch müssen in Balance gebracht werden.“
VINZENZ HARRER
VINZENZ HARRER GMBH,
MITINITIATOR DER INITIATIVE
„BAUEN OHNE BODEN“
Bauen schafft Lebensräume, Bauwerke dienen den Menschen und überdauern die Zeit“, so der Experte und nennt die wichtigsten Instrumente für den schwierigen Balanceakt: Nachverdichtung im Bestand, Nutzung von Industrie-Brachflächen, Assanierung sowie Nachnutzung von bestehenden Gebäuden. Ein zentraler Punkt im genannten Zehn-Punkte-Programm betrifft die Raumordnung. „Es braucht eine Neuausrichtung des Kompetenzgefüges in der Bodenpolitik. Die gemischte Kompetenz von Bund, Ländern und Gemein-den führt zu großen Ineffizienzen“, so Harrer. Die derzeitige Rechtslage lasse Bürgermeistern etwa zu viel Raum, um Eigeninteressen auf Kosten nachhaltiger Regionalentwicklung zu verfolgen. „Gleichzeitig müssen wir die Raumordnung dahingehend flexibilisieren, dass wir die Nachnutzung alter Bestände – unabhängig von ihrer bisherigen Nutzung – erleichtern. Beispielsweise Industriebrachen, die nach ihrer Revitalisierung als Gewerbe-, Büro- und Wohnflächen dienen. Wohnen und Arbeiten sollen wieder näher aneinanderrücken.“ Auch Parifizierungen von Einfamilienhäusern – aus denen mehrere Wohnungen entstehen – sollen erleichtert werden, um bestehende Gebäude effizienter zu nutzen und Grünflächen zu erhalten. „Beim Neubau sollte der Flächenbedarf beschränkt werden – auf maximal 700 m² Grundfläche, in besseren Lagen auf nur mehr 250 m²“, fordert er. „Auch sollten wir anfangen, Mindestbebauungsdichten für alle neuen Baulandwidmungen festzulegen, um den Flächenverbrauch effizient zu gestalten.“ Großes Potenzial sieht Harrer auch in der Mobilisierung von Leerstand.
„Wir können nicht so weitermachen wie bisher und die Natur zubetonieren.“
JOHANN HARRER
GESCHÄFTSFÜHRER STROBL BAU
„Ob im Ortskern oder bei Gewerbeflächen, hier gibt es großes Volumen. Im ersten Schritt müssen wir es schaffen, aktuelle Daten zu erheben – etwa mit Einmeldepflichten in öffentliche Register. Was es braucht, ist eine systematische Identifizierung und Katalogisierung von Leerständen und Brachflächen, um deren Potenziale voll auszuschöpfen“, so der Unternehmer. „Lenkungseffekte könnte durch einen erhöhten Steuersatz für Leerstand sowie für nicht-genutztes Bauland und nichtgenutzte Gewerbe- und Industrieimmobilien erzielt werden. Damit könnten wir jenen, die mit Bauland nur spekulieren, die Rute ins Fenster stellen.“ Zudem fordert Harrer Maßnahmen im Bereich Finanzierung und Förderung. „Bauen auf verbautem Boden ist meist teurer als Bauen auf der grünen Wiese. Umweltkosten sind derzeit kaum eingepreist. Daher braucht es hier eine Anpassung des Rechtsrahmens im Baurecht und im Steuerrecht“, so Harrer. Mit Bestand zu bauen solle grundsätzlich gefördert werden. „Ich weiß, die Fragen, die in diesem Kontext gelöst werden müssen, sind komplex – daher ist ein interdisziplinärer Ansatz entscheidend“, erklärt er. „Was wir dringend brauchen, ist eine neue Baudynamik, aber ohne das Land zuzubetonieren. Die Bauwirtschaft ist sehr angeschlagen – es braucht daher Impulse, um die Bautätigkeit anzukurbeln und leistbaren Wohnraum zu schaffen.“
Initiative „Bauen ohne Boden“
Die Initiative ist ein Zusammenschluss von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Bauwirtschaft, Planung und Wissenschaft. Die Initiatoren setzen uns für einen bewussten Umgang mit Bodenressourcen ein, ohne dabei die Notwendigkeit von Bautätigkeit außer Acht zu lassen.
Ein Zehn-Punkte-Programm umfasst Empfehlungen in den Bereichen Kompetenzgefüge, Recht, Förderung und Finanzierung und Umsetzung.
Die Initiatoren:
Wolfgang Amann (Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen GmbH),
Philipp Buxbaum (smartvoll Architekten ZT KG),
Heinz Hackl (Velux Österreich),
Vinzenz Harrer (Vinzenz Harrer GmbH),
Christian Kircher (smartvoll Architekten ZT KG),
Johannes Kislinger (AH3 Architekten ZT GmbH) und
Thomas Pipp (ÖBB Immobilienmanagement GmbH)
FÖRDERUNGEN FÜR SANIERUNGEN UND NACHVERDICHTUNGEN
Dass die Rückgänge in der Bauwirtschaft massiv sind, bestätigt auch Christian Murhammer, Geschäftsführer des österreichischen Fertighausverbandes. „Im Vorjahr sind die Aufträge der Fertigbaufirmen im privaten Bau um rund 40 Prozent eingebrochen. Im gewerblichen Bereich sind die Rückgänge teilweise noch gravierender.“ Das erste Quartal 2024 laufe zwar etwas besser, aber noch lange nicht zufriedenstellend. „Geschehen müsste hier einiges. Der Hemmschuh KIM-Verordnung gehört endlich an die Realität angepasst. Und es braucht viel mehr Tempo bei der Umsetzung des im März groß angekündigten Wohn- und Baupakets. So brauchen die Bundesländer für die Umsetzung der Zinsstützung mindestens bis September – das ist untragbar – sowohl für die Baufirmen als auch für die Konsumenten“, so Murhammer, Mitinitiator der Initiative „Bauen ohne Boden“, der auch einen großen Beitrag der Unternehmen der Fertighausbranche in diesem Bereich sieht: „Unsere Branche beschäftigt sich neben dem Neubau von Einfamilienhäusern seit geraumer Zeit intensiv mit dem großvolumigen Bau, der Nachverdichtung und der seriellen Sanierung. Auch in diesen Segmenten kommen die Vorteile der industriellen Vorfertigung der Elemente in Werkshallen voll zum Tragen.“
Schrittweiser Abriss und Neubau – ein gelungenes Beispiel für Assanierung realisiert die Siedlungsgenossenschaft Gemysag derzeit in Kapfenberg: Am Schirmitzbühel werden 219 Altbestandswohnungen durch 262 neue Wohneinheiten ersetzt.
Die wichtigsten Maßnahmen aus seiner Sicht, um die Bautätigkeit anzuregen und den Bodenverbrauch einzudämmen: „Wir müssen den Zu-, Auf- und Anbau – sprich die Nachverdichtung – intensivieren, attraktive Gemeinschaftswohnformen fördern und Einfamilienhäuser dort bauen, wo es mit geringstem Bodenverbrauch möglich ist. Darüber hinaus gilt es, den Leerstand und die Baulandreserven genau zu evaluieren und Maßnahmen zu setzen, damit diese ,blockierten‘ Flächen auch ihrer Widmung gemäß genutzt werden müssen.“ Architekt Johannes Kislinger von AH3 Architekten ZT GmbH, ebenfalls in der Initiative engagiert, ergänzt: „Förderungen sollte es ab sofort ausschließlich für Sanierungen und Nachverdichtungen geben. Dafür müssten die Antragstellung und Abrechnung wesentlich vereinfacht werden. Zudem sind ein Abbau der Bürokratie sowie rasche und jederzeit vorhandene und kompetente Bearbeitung durch die Förderstellen erforderlich. Die Wohnbauförderung sollte in Wohnbausanierungsförderung umbenannt werden. Leider sind derzeit die Neubauförderungen attraktiver als die Sanierungsförderungen.“ Murhammer: „Es wäre schön, wenn in Österreich einmal eine Herausforderung so angegangen wird, dass die naheliegenden Lösungen auch leicht umsetzbar sind. Konkret: Zu-, Auf- und Anbau gut und schön, doch müssen gleichzeitig die Bauordnungen und Widmungspläne so rasch wie möglich mitziehen. Der Wille zur Verdichtung ist zu wenig, solange Vorschriften zu maximalen Bauhöhen, Grenzabständen oder Ortsbildthemen vieles verunmöglichen!“
„Förderungen sollte es ab sofort ausschließlich für Sanierungen und Nachverdichtungen geben.“
ARCHITEKT JOHANNES KISLINGER
VON AH3 ARCHITEKTEN ZT
„Wir müssen Maßnahmen setzen, damit ,blockierte‘ Flächen wie Leerstand und Baulandreserven auch genutzt werden.“
CHRISTIAN MURHAMMER
GF DES ÖSTERREICHISCHEN
FERTIGHAUSVERBANDES
NACHNUTZUNG ALS ORTSKERN-BELEBUNG
Ein Best-Practice aus dem Bereich Nachnutzung realisiert die Stadtgemeinde Voitsberg derzeit direkt am Hauptplatz. Zwei ungenutzte Altgebäude wurden von der Stadt erworben und abgerissen – dort entsteht nun eine Tagesbetreuungsstätte für Senioren sowie ein Bildungs- und Begegnungszentrum inklusive öffentlicher Bücherei. „Damit schaffen wir auch einen echten Frequenzbringer für die Innenstadt“, freut sich Bürgermeister Bernd Osprian. Gleichenfeier ist im Juni – die Eröffnung soll bis Jahresende erfolgen. „Ein Beweis dafür, dass man auch ohne Boden zu verbrauchen, Raum für öffentliche Funktionen schaffen kann. Zudem haben wir weitere Projekte in der Pipeline, mit denen wir versuchen, leerstehenden Gebäuden eine neue Funktion zu geben.“ Darunter ein geplantes Ärztezentrum, das anstelle des ehemaligen Lagerhaus entstehen soll. Stolz ist Osprian auch auf das jüngst initiierte EU-Leader-Projekt „Ortskern- und Innenstadtentwicklung“, das Musterberatungen für Immobilien in der Innenstadt finanziert. „Liegenschaftseigentümer können hier gemeinsam mit Architekten und Statikern Zukunftskonzepte für leerstehende Immobilien entwickeln.“ Ebenfalls ein Vorzeigeprojekt der Stadt: das VORUM auf dem Areal der ehemaligen ÖDK-Gründe, das heute als Gewerbe-, Handels- und Freizeitpark betrieben wird. „Ein einstiges Industriegebiet wurde entsiegelt und hochwertig erschlossen.“
Best-Practice in der Nachnutzung: Am Hauptplatz in Voitsberg entsteht aus einem Leerstand ein Bildungsund Begegnungszentrum inklusive Senioren-Tagesbetreuungsstätte.
POSITIONSPAPIER DER ZT-KAMMER
Ins selbe Horn stößt Gustav Spener, Präsident der Kammer der Ziviltechniker:innen für Steiermark und Kärnten. Die ZT-Kammer hat Handlungsempfehlungen zum Thema Klima, Boden und Gesellschaft in einem eigenen Positionspapier zusammengefasst. Welche Maßnahmen wären aus Sicht des Präsidenten prioritär umzusetzen? „Zunächst brauchen wir ein Bodenschutz-Rahmengesetz auf Bundesebene, das klare Vorgaben für alle Verwaltungsebenen festlegt“, fordert Spener. Das Gesetz sollte Regelungen zur Bodenversiegelung, Kompensationsflächen und Förderung von blau-grünen Infrastrukturen enthalten. „Zudem müssen wir bestehende Gebäude besser nutzen und attraktiver machen – durch Revitalisierung, Renovierung oder innovative Nutzungskonzepte. Die Verdichtung bereits erschlossener innerörtlicher Flächen und das Konzept der 15-Minuten-Stadt, bei dem alle wichtigen Einrichtungen in weniger als 15 Minuten erreichbar sind, verhindern die Expansion in unerschlossene Gebiete und reduzieren den Bedarf an Neubauten.“ Eine umfassende Raumplanung, die den Verkehr berücksichtigt, sei ebenfalls entscheidend. „Dazu gehören der strategische Ausbau und die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, besonders im ländlichen Raum. Förderungen wie die Städtebauförderungen und Steuerreformen sollten Anreize für qualitatives Wachstum in diesen Bereichen schaffen und die Bautätigkeit anregen.“ Schließlich müssten die Länder ihre Steuerungs- und Kontrollkompetenzen gezielt nutzen, um einen umfassenden Bodenschutz sicherzustellen. „Österreich ist vielfach bebaut, aber noch lange nicht gebaut. Wir müssen es nur richtig angehen.“
„Wir betreiben aktive Grundstückspolitik und setzen vermehrt auf Nachnutzungen.“
BERND OSPRIAN
BÜRGERMEISTER VOITSBERG
„Österreich ist vielfach bebaut, aber noch lange nicht gebaut. Wir müssen es nur richtig angehen.“
GUSTAV SPENER
PRÄSIDENT DER KAMMER DER
ZIVILTECHNIKER:INNEN FÜR STEIERMARK UND KÄRNTEN
WOLFGANG AMANN
IIBW –Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen, Mitinitiator der Initiative „Bauen ohne Boden“
„VON DEN ORTSRÄNDERN INS ORTSZENTRUM“
Bautätigkeit anregen und gleichzeitig Bodenverbrauch eindämmen – wie kann die „Quadratur des Kreises“ gelingen?
Wir haben Unmengen an „angepatztem Boden“ – Industriebrachen, Grundstücke mit Nachverdichtungspotenzial, Gebäude, die auf eine Wiederinstandsetzung oder Umnutzung warten. Die Bautätigkeit sollte von den Ortsrändern wieder in die Ortszentren wandern.
Welche der Maßnahmen Ihres Zehn-Punkte-Programms wären dafür prioritär umzusetzen?
Es bräuchte die Umsetzung aller Maßnahmen, um beim Bodenverbrauch das Ruder herumzureißen. Zentral aus meiner Sicht ist aber sicherlich die Weiterentwicklung der Grundsteuer. Nicht umsonst hat das Wort „Steuern“ mehrere Bedeutungen. Steuern dienen eben nicht nur der Finanzierung der öffentlichen Haushalte, sondern auch der Lenkung. Lenkungseffekte können hier durch einen erhöhten Steuersatz für Leerstand, Zweitwohnsitze sowie für nichtgenutztes Bauland und nichtgenutzte Gewerbe- und Industrieimmobilien erzielt werden. Widerstände dagegen könnten in Grenzen gehalten werden, wenn die Reform überwiegend bei unbebauten gewidmeten Grundstücken ansetzt und sich beim typischen Häuslbauer wenig ändert. Selbstverständlich müsste eine Reform der Grundsteuer aufkommensneutral gestaltet werden – das heißt, dass gleichzeitig Steuern in anderen Bereichen gesenkt werden, z. B. Steuern auf Arbeit.
Welchen Beitrag kann Ihr Institut in diesem Bereich leisten?
Wir betreiben seit 25 Jahren Forschung und Beratung in allen möglichen Bereichen des Bauens und Wohnens. Einer der Schwerpunkte ist seit Langem die Dekarbonisierung des Gebäudebestands – und zwar gleichermaßen mit analytischen Studien, Politikberatung und Umsetzungsprojekten gemeinsam mit Bauträgern und Bestandshaltern. Die nächsten großen Themen sind Bodenschutz und der Erhalt der Biodiversität.
SIMONE SCHMIEDTBAUER
Wohnbau-Landesrätin
„SANIERUNGEN SIND ECHTE
WIN-WIN-SITUATION“
Welche Maßnahmen setzt das Land, um Bodenversiegelung hintanzuhalten und dennoch Bautätigkeit zu fördern?
Wir setzen in der Steiermark ganz gezielt auf Sanierungen. Damit lässt sich neuer Wohnraum mobilisieren, ohne neue Flächen zu versiegeln. Außerdem kann dabei auf bestehende Aufschließungen und vieles mehr zurückgegriffen werden, was nicht zuletzt auch den Bauwerbern Kosten erspart. Oftmals können wir durch gezielte Sanierungen auch einen zusätzlichen Beitrag zur Belebung von Ortskernen leisten. Sanierungen sind eine echte Win-win-Situation, weshalb sie vom Land Steiermark mit attraktiven Förderangeboten unterstützt werden. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass es auch in Zukunft nicht ohne Neubau gehen wird. Auch hier setzen wir gezielte Anreize, um boden- und ressourcenschonender zu bauen. Mit der Raumordnungsgesetz-Novelle haben wir in dieser Periode einen wichtigen Schritt für einen pragmatischen, aber effektiven Bodenschutz gesetzt.
Die Bauwirtschaft wartet auf Umsetzung der vom Bund angekündigten Wohnbau-Pakete. Wann werden die Mittel abgerufen werden können?
Ich bin stolz, dass es uns als Team unter der Führung von LH Christopher Drexler gelungen ist, das Paket als erstes Bundesland umzusetzen und dabei sogar noch weit über die vorgeschlagenen Maßnahmen hinauszugehen. Ich erwarte mir von diesem rund 300 Millionen Euro schweren steirischen Paket einen weiteren entscheidenden Impuls für die Bauwirtschaft. Wir hatten hier sicher einen Startvorteil, nachdem wir die Geschoßbauförderung bereits im letzten Jahr reformiert haben und die Bautätigkeit in der Steiermark aktuell schon wieder Fahrt aufnimmt. Jetzt haben wir hier ein weiteres sehr umfangreiches und gut durchdachtes Paket. Dafür möchte ich mich auch beim Koalitionspartner bedanken. Meine Prioritäten – umfassende Unterstützung für junge Familien bei der Eigentumsbildung, mehr Leistbarkeit auch für Mietwohnungen, Impulse für nachhaltiges Bauen bzw. den Holzbau sowie der Schutz von Bodenressourcen – sind dabei gut abgebildet.
Fotos: Strobl/Jean Van Lülik, pierer.net, Rodarich, beigestellt