Stille Größe, Teil der Lösung: Die steirische Papier- und Zellstoffindustrie ist nicht nur wirtschaftliche Großmacht, sondern auch Vorreiter der Energiewende und Schrittmacher der Dekarbonisierung. „SPIRIT of Styria“ machte die (Papier-)Rolle vorwärts und begab sich auf Fabrikstour durch eine Hightech-Industrie.
Fluss, Wald, Hirnschmalz. Die drei Hauptzutaten, die die Steiermark zu einem Hotspot der Papier- und Zellstoffindustrie machen. Man nehme das waldreichste Bundesland, das Wasser der Mur und die Maschinenbaukompetenz heimischer Betriebe – am Ende steht ein Industriezweig, der zwar vielfach im Schatten von Automotive oder der Stahlindustrie steht, aber trotz federleichter Produkte – Papier, Pappe & Co. – zu einem echten Schwergewicht der steirischen Wirtschaft zählt. Nicht weniger als fünf der 23 österreichischen Standorte der Papier- und Zellstoffindustrie sind in der Steiermark angesiedelt. „Die Branche ist mit mehr als 1,6 Milliarden Euro Jahresumsatz einer der wichtigsten Wirtschaftszweige unseres Bundeslandes.
Internationale Marktführer haben ihre Produktionsstandorte in der Steiermark und sichern damit knapp 3.000 Arbeitsplätze – vor allem in ländlichen Regionen“, bestätigt Brigitte Marold von der Fachvertretung der Papierindustrie in der WKO Steiermark. „Papier ist – auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht – ein absolutes Hightech-Produkt. In einer Papiermaschine steckt mehr Technik als in einem Jumbo-Jet“, so Marold. „Zudem ist die Industrie seit Jahrzehnten eine der wirtschaftlich stabilsten Branchen und sorgt mit vielen Maßnahmen für attraktive Arbeitsplätze. Aus- und Weiterbildung wird großgeschrieben – vor allem bei Lehrlingen.“ Knapp zwei Mio. Tonnen Papier der österreichweiten Jahresproduktion von 5 Mio. Tonnen entfallen auf die Steiermark, dazu 700.000 Tonnen Zellstoff von rund 2 Mio. in Österreich. Darüber hinaus sind heimische Papierproduzenten längst unverzichtbarer Teil der Energieversorgung. Der Energieüberschuss der Betriebe wird in lokale Netze gespeist und versorgt tausende Haushalte mit Wärme und Strom.
PAPER FACTS Fünf Betriebe der Papierund Zellstoffindustrie sichern in der Steiermark direkt knapp 3.000 Jobs. Jahresumsatz: 1,6 Milliarden Euro. Inklusive Verpackungsindustrie sind es 4.500 Beschäftigte sowie 2,1 Milliarden Euro Umsatz. Steirische Papier- und Zellstoffhersteller: Brigl&Bergmeister, Niklasdorf Mayr-Melnhof Karton, Frohnleiten Norske Skog, Bruck/Mur Sappi, Gratkorn Heinzel Pöls/Zellstoff Pöls AG
Sappi Werk in Gratkorn mit integrierter Papier- und Zellstofffabrik. Gesamtpapierproduktion: 950.000 Tonnen im Jahr – 860.000 Tonnen grafisches Papier und 90.000 Tonnen Etikettenpapier. Der neue und der scheidende Geschäftsführer Peter Putz (l.) und Max Oberhumer (r.)
SAPPI – AUF DEM WEG ZUR DEKARBONISIERUNG
Bestes Beispiel ist das Werk von Sappi in Gratkorn. „Unsere Fabrik versorgt die umliegenden Gemein-den und die Stadt Graz über unterirdische Leitungen mit Fernwärme. Damit decken wir rund 15 Prozent des Grazer Fernwärmebedarfs“, erklärt der neue Geschäftsführer Peter Putz. Max Oberhumer, der bis Ende Jänner die Geschäftsführung innehatte, er gänzt: „Dazu wurde eine hochmoderne Wärmepumpentechnologie installiert, die die Nutzung von mehr Niedertemperatur-Wärmequellen ermöglicht – eine Investition in Höhe von 30 Millionen Euro.“ In Gratkorn betreibt Sappi eine integrierte Papier- und Zellstofffabrik. Rund 250.000 Tonnen chlorfrei gebleichter Zellstoff werden hier jährlich erzeugt. Dieser wird ausschließlich für die eigene Papierherstellung verwendet. Im Werk werden grafische Papiere für Premiummagazine, Kataloge, Bücher und High-End-Druckwerbung hergestellt. Seit knapp eineinhalb Jahren ebenfalls im Portfolio: Etikettenpapiere für Flaschen, Dosen, Gläser und Kanister. Die Gesamtproduktion beläuft sich auf 950.000 Tonnen im Jahr – 860.000 Tonnen grafisches Papier und 90.000 Tonnen Etikettenpapier. Oberhumer: „Unser wichtigster Rohstoff ist Holz, den wir zu rund 80 Prozent aus Österreich und den umliegenden Nachbarländern beziehen. Es fällt bei der Durchforstung und in den Sägewerken als Sägenebenprodukt an. Auch Schadholz kann zu Zellstoff verarbeitet werden.“
„Die Papier- und Zellstoffindustrie gehört zur energieintensiven Industrie und arbeitet seit Jahrzehnten an Energieeffizienz und der Reduktion von CO2-Emissionen“, betont Peter Putz. „Auf unserem Weg zur Dekarbonisierung schreiten wir bei Sappi ehrgeizig voran. Mit unserer Dekarbonisierungs-Roadmap haben wir uns klare Ziele gesetzt, die auf den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen basieren. Bis 2025 möchte Sappi Europe seine spezifischen Treibhausgasemissionen um 25 Prozent im Vergleich zu 2019 reduzieren.“ Ein Meilenstein im Werk Gratkorn war der Ausstieg aus Kohle dank einer Investition von 35 Millionen Euro im vergangenen Jahr. „Durch den Umbau des Kraftwerkskessels auf Biomasse und Erdgas wird der CO2-Fußabdruck um fast 30 Prozent reduziert“, so Oberhumer.
Brigitte Marold
Fachvertretung der Papierindustrie in der WKO Steiermark
„In einer Papiermaschine steckt mehr Hightech als in einem Jumbo-Jet.“
„In Zukunft sollen sogar nur noch erneuerbare und CO2-neutrale Brennstoffe im Kessel eingesetzt werden.“ Ist damit ein vollständiger Gasausstieg möglich? „Durch den umgebauten Kraftwerkskessel ist ein weitgehender Ersatz von Erdgas durch Biobrennstoffe möglich“, so Oberhumer. „Aber 20 Prozent des heute im Werk eingesetzten Erdgases können aus technologischen Gründen nicht ersetzt werden. Dieses wird für die Infrarottrocknung in der Papierproduktion und als Start- und Stützbrennstoff in den Energieanlagen benötigt.“
Heinzel Pöls bzw. Zellstoff Pöls AG: Seit 2005 wurden rund 690 Mio. Euro in Umwelt- und Klimaschutz investiert, darunter zwei Wasserkraftwerke sowie großflächige Photovoltaik-Anlagen
HEINZEL PÖLS – GLOBAL PLAYER MIT FOKUS AUF NACHHALTIGKEIT
Ebenfalls größte Anstrengungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz übernimmt Heinzel Pöls bzw. die Zellstoff Pöls AG, ein Unternehmen der Heinzel Group. Das Unternehmen, das sich vom europäischen Zulieferer von Papier und Zellstoff zu einem Global Player entwickelte und mittlerweile zu den Weltmarktführern im Bereich Papier für Verpackungen zählt, investierte seit dem Jahr 2005 rund 690 Mio. Euro in die Ökologisierung. Diese reichen von Investitionen in zwei Wasserkraftwerke (Pöls und Katzling) über die Installierung von Photovoltaik-Anlagen (installierte Fläche: 5.800 m²) und einer Dampfturbine, die Dampf aus der Produktion in Strom umwandelt, bis zur Einspeisung von Restwärme ins Fernwärmenetz.
„Wir legen den Fokus auf Nachhaltigkeit in allen Unternehmensbereichen. Im Mittelpunkt steht dabei die CO2-Neutralität“, so COO Werner Hartmann.
„Der Standort ist seit Langem energieautark. Der gesamte elektrische und ein Großteil des thermischen Energiebedarfs für den Herstellungsprozess kann durch Eigenerzeugung abgedeckt werden.“ Laufende Optimierungsmaßnahmen und Forschungsprojekte sollen dabei helfen, die Wertschöpfung aus dem Rohstoff Holz weiter zu erhöhen und eine CO2-neutrale Produktion zu erreichen.
Heinzel Pöls erzeugt mit über 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebleichten Zellstoff und gebleichtes Kraftpapier. Die Kapazitäten konnten in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut werden – von 300.000 auf 470.000 Tonnen im Bereich Zellstoff und von 13.000 auf 200.000 Tonnen Kraftpapier der Marke STARKRAFT, das in Pöls aus dem eigenen Zellstoff erzeugt wird. Hartmann: „Die Nachfrage nach dem Produkt steigt, da es vielfach eine Alternative zu herkömmlichen Kunststoffprodukten darstellt und beispielsweise für Brotbeutel und umweltfreundliche Verpackungen im Lebensmittel- und Hygienebereich eingesetzt wird.“
Gleichzeitig ist Heinzel Pöls bereits einer der größ-ten Energielieferanten der Region. Durch Photovoltaik, Wasserkraft und Biomasse wird ausreichend Überschussenergie erzeugt, um damit rund 6.000 regionale Haushalte zur Gänze mit Ökostrom aus erneuerbarer Energie zu versorgen – das sind mehr als 20 GWh Ökostrom pro Jahr. Gleichzeitig beheizt die Abwärme aus der Produktion über ein 18 km langes Fernwärme-Leitungsnetz rund 15.000 Häuser und Wohnungen im Großraum Aichfeld.
Stammwerk der Mayr-Melnhof Karton AG in Frohnleiten: Hersteller von 575.000 Jahrestonnen Faltschachtelkarton sowie Innovationszentrum des Konzerns. „Sind einer der energieeffizientesten Recyclingkartonhersteller weltweit“, Gernot Schleiss, Geschäftsführer der MM Karton Frohnleiten
MM KARTON: 100 MILLIONEN FÜR DIE MODERNISIERUNG
Investitionen in Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz sind auch bei Mayr-Melnhof Karton in Frohnleiten seit Jahren strategisches Kernthema. Kürzlich erfolgte der Umbau einer großen Kartonmaschine im Werk – Teil des aktuellen Investitionsprogramms einer 100 Mio. Euro umfassenden Modernisierung. „Vollautomatisierte und optimierte Produktionsabläufe werden die Effizienz der Stoffaufbereitung deutlich erhöhen und den spezifischen Energieverbrauch senken“, erklärt Geschäftsführer Gernot Schleiss. „Und neueste Produktionstechnologien in der Kartonherstellung werden die Produktqualität und die Kapazitäten erhöhen.“ Zudem werde der Materialfluss durch digitalisierte Logistikprozesse deutlich beschleunigt. „Der Standort Frohnleiten ist nachweislich einer der energieeffizientesten Recyclingkartonhersteller weltweit“, so Schleiss. „Weitere Investitionen in Photovoltaik auf freien Dachflächen sind geplant und eine neue Power-to-Heat-Anlage wird die aktive Teilnahme am Strommanagement in Mitteleuropa ermöglichen.
Zudem kommt eine höchst effiziente Wärmetauschertechnologie in verschiedensten Bereichen zur Anwendung.“ Das österreichische MM Kartonwerk Frohnleiten mit 580 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 320 Millionen Euro (2021), verfügt über eine Gesamtkapazität von 575.000 Jahrestonnen gestrichenem Recyclingkarton (Faltschachtelkarton für den Lebensmittelbereich). Das Altpapier bezieht das Werk aus geprüften Quellen werksnaher Ballungszentren. Schleiss: „Karton ist global das meist recycelte Verpackungsmaterial und verfügt über eine fast unbegrenzte Anzahl an Leben.“ Als Stammwerk der Mayr-Melnhof Karton AG ist Frohnleiten geografischer Mittelpunkt und Zentrum der Innovationsaktivitäten. Das hier angesiedelte Kompetenzzentrum ist das größte in Europa und umfasst drei Schwerpunktbereiche: F&E, Produktsicherheit & Compliance sowie Analytische Chemie.
20 Standorte weltweit mit über 750 Mitarbeitern: die IBS Paper Performance Group mit Sitz in Teufenbach-Katsch. Der Exportanteil liegt bei 95 %. Klaus Bartelmuss, geschäftsführender Gesellschafter der IBS Group
IBS-KNOW-HOW FÜR PAPIERHERSTELLER WELTWEIT
Nicht nur die steirische Papier- und Zellstoffindustrie ist ein internationales Schwergewicht, auch ihre Maschinen- und Technologielieferanten haben globales Format – darunter die IBS Paper Performance Group mit Sitz in Teufenbach-Katsch im Bezirk Murau. Das Unternehmen ist weltweiter Technologieführer in der Optimierung von Papier-, Karton-, Zellstoff- und Tissuemaschinen. Neben hochqualitativen Entwässerungssystemen umfasst das Angebot für die Papier- und Zellstoffindustrie auch Technologien und Services in über fünfzehn Anwendungsgebieten. „Nahezu alle namhaften Papierhersteller weltweit haben IBS-Produkte täglich im Einsatz“, erklärt Klaus Bartelmuss, geschäftsführender Gesellschafter des 1967 gegründeten Hidden Champions. Am Beginn stand die Entwicklung des weltweit ersten einteiligen Entwässerungsbelages aus Keramik für Papiermaschinen. „Durch klare Fokussierung und ständige Innovationen schaffen wir es immer wieder aufs Neue, der Branche einen Schritt voraus zu sein“, so Bartelmuss. „Mit inzwischen 20 Stand-orten weltweit ist das Unternehmen überall dort präsent, wo unsere Kunden zuhause sind.“
Gleichzeitig ist das Familienunternehmen regional stark verwurzelt. Sinnbildlich dafür steht die vor Kurzem neu errichtete Firmenzentrale in Teufenbach-Katsch, der IBS-Tower. „Darüber hinaus wurden allein im abgelaufenen Jahr mehrere Millionen Euro in den Produktionsstandort in der Steiermark investiert“, so Bartelmuss, der sich freut, seine Kunden auch in den Bereichen Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz unterstützen zu können. „IBS-Produkte und Technologien helfen dabei, die Produktion von Papier und Karton noch effizienter zu gestalten. Mit dem iTABLE haben wir die weltweit erste, vollständig konfigurierbare Blattbildungszone für Langsiebmaschinen präsentiert. Die Systemlösung optimiert die Entwässerung des Papiers und führt so zu einer nachhaltigen und erheblichen Senkung des Energiebedarfs für die Trocknung des Papiers.“ Mit der Innovation könne nicht nur die Produktionsmenge gesteigert, sondern auch der Einsatz von Zellstoff und Chemikalien gesenkt werden – bei gleichbleibender Papierqualität. „Weltweit sind inzwischen mehr als 200 dieser Systeme in Betrieb.“
FOTOS: LICHTMEISTER, BEIGESTELLT