Spirit of Styria

FLEISCH oder NICHT-FLEISCH?

LABOR-STEAK, BIO-SCHNITZEL ODER FLEISCHERSATZ – WAS MACHT UNS MORGEN SATT?

Wie viel Fleisch vertragen Mensch und Umwelt?  Sind Tiermast und eine nachhaltige Landwirtschaft in Einklang zu bringen? Können Fleischersatzprodukte oder In-vitro-Fleisch aus dem Labor einen Ausweg aus der Klimakrise bieten? Expertinnen und Experten diskutieren bei unserem SPIRIT-Talk über die Ernährung der Zukunft.

Angeregte Diskussion über die Zukunft der Ernährung in den
Räumlichkeiten von „SPIRIT of Styria“ mit Herausgeber
Siegmund Birnstingl und CR Wolfgang Schober
TALK AM RING 
ist ein Diskussionsformat
von SPIRIT of Styria. Jeden Monat laden
wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion am Grazer Opernring. 

Das acib forscht an innovativen Verfahren für die Produktion von In-vitro-Fleisch. Kann diese Methode helfen, den Fleischhunger der Welt zu stillen?
Vidimce-Risteski: Das ist unser Ziel – und scheint auch mehr als notwendig, wenn wir in die Zukunft schauen. Studien prognostizieren, dass die Menschheit im Jahr 2050 doppelt so viel Fleisch brauchen wird wie noch Anfang des Jahrhunderts. Da der Planet nicht über die dafür nötigen landwirtschaftlichen Flächen verfügt und der CO2-Ausstoß viel zu hoch wäre, brauchen wir dringend Wege, um auf ressourcen- und klimaschonende Weise Fleisch zu produzieren.

Woran forschen Sie genau?
Vidimce-Risteski: Im Wesentlichen konzentrieren wir – meine Kollegin Aleksandra Fuchs und ich – uns auf zwei Anwendungen: Einerseits forschen wir an einem Cocktail für ein Nährmedium, das die Herstellung alternativer Fleischprodukte verbessern kann, und andererseits suchen wir nach neuen Methoden, um tierische Proteine, wie die wichtigen Eisenträger Myoglobin und Hämoglobin, zu produzieren, die man auch Fleischersatzprodukten zugeben kann. Einer der Vorzüge unserer Methode ist, dass wir – im Vergleich zu bestehenden Verfahren – ohne Rinderserum, das meist aus Kälberföten gewonnen wird, auskommen. Für die Herstellung vom kultiviertem Fleisch reichen winzige Gewebeproben, die Tieren auf schonende Weise entnommen und dann in einem biologischen Verfahren vermehrt werden, ohne dass Tiere leiden müssen. Zellen in einem Bioreaktor zu züchten, ist in der Biotechnologie nichts Ungewöhnliches – das machen wir auch mit vielen Mikroorganismen, in diesem Fall sind es eben Zellen von einem höheren Organismus, einem Tier. Theoretisch können aus einer wenige Millimeter großen Probe bis zu zwei Tonnen Fleisch gewonnen werden. In unserem Verfahren wird das natürliche Wachstum von Muskelzellen nachgebildet. Muskelzellen im Labor in möglichst hoher Dichte wachsen zu lassen, ist äußerst komplex – wir arbeiten an einem innovativen Weg, der einen Meilenstein in Richtung ethische Fleischproduktion darstellt und speziell unsere Forschungsergebnisse werden eine vergleichsweise kostengünstige Herstellung erlauben. Wir nennen es übrigens nicht „Labor-Fleisch“, sondern „kultiviertes Fleisch“ – weil die Methode dafür wird zwar im Labor entwickelt, aber produziert wird später als Zellkulturen in Bioreaktoren, daher „kultiviert“.

DIE TEILNEHMER

Viktorija Vidimce-Risteski
Forscherin am acib (Austrian Centre of Industrial Biotechnology),
Leiterin eines Forschungsprojekts rund um „In-vitro-Fleisch“/„Kultiviertes
Fleisch“

Norbert Hackl
Biohof Labonca, Pionier in der Haltung von Bio-Freilandschweinen,
Autor des Buchs „Dürfen
Schweine glücklich sein?“

Josef Mosshammer
Inhaber Fleischerei Mosshammer, Landesinnungsmeister der
Fleischer

Johannes Haas
ehemaliger Leiter des Studiengangs für Nachhaltiges Lebensmittelmanagement
an der FH JOANNEUM

Stephan Wiesenhofer
Co-Gründer und Geschäftsführer des Startups „Goldblatt“
(pflanzliche Bio-Delikatessen)

Wie viel bzw. welches Fleisch sehen Sie am Teller der Zukunft, Herr Hackl?
Hackl: Eine spannende Diskussion, aber ich frage mich, ob wir Laborfleisch wirklich brauchen? Meines Erachtens haben wir nur ein Problem zu lösen. Wir bräuchten nur deutlich weniger Fleisch essen und anders mit Tieren umgehen. Dann brauchen wir keine Labor-Burger. Die Menschheit hat sich über tausende Jahre Evolution entwickelt, weil wir gut mit der Natur gearbeitet haben – nicht weil uns Labortechnik geholfen hat. Das Problem begann in den 60er und 70er Jahren mit der Industrialisierung der Landwirtschaft – Spritzmittel, Mähdrescher, Massentierhaltung & Co. Danach lief vieles aus dem Ruder. Davor haben die Menschen nicht viel Fleisch gegessen. Was würde passieren, wenn wir nur 20 % Fleisch essen würden? Nichts! Es ginge uns nicht schlechter, vermutlich sogar besser. Daher: Wir bräuchten nur den Fleischkonsum zurückdrehen und könnten uns viel sparen. Wenn es, global gesehen, weniger Tierhaltung gäbe, hätten wir auch ausreichend pflanzliche Nahrung, um die Menschheit zu ernähren.

Haas: Ich sehe das ähnlich und würde sagen, fünf bis zwanzig Prozent des heutigen Fleischverbrauchs wären angemessen. Aber – und das ist entscheidend – zu den gleichen Kosten wie heute, damit die Bauern dasselbe bekommen und davon leben können. Wenn man sich anschaut, was einem kleinen naturnahen Schweinebauern die Produktion kostet, kommt man rasch auf 25 Euro pro Kilo. Da steckt schon eine Logik drin – daher täte ich mir wünschen, wir zahlen das Fünf- bis Sechsfache fürs Fleisch und essen um diesen Faktor weniger. Generell ist es ein Riesenunterschied, ob wir über ein Tier reden oder über Fleisch – bei Fleisch denken wir an Steak, Karree oder Hendlbrust, also etwas Denaturiertes, losgelöst vom Tier. Fleisch ist einfach da, billig und abgepackt. Aber wenn wir über ein Tier reden, ist das etwas ganz anderes – zu einem Tier haben wir eine Beziehung, da haben wir Freude. Tiere hatten früher auf Höfen auch noch andere Funktionen, z.B. einen Arbeitswert, die Kühe gaben Milch etc. Sobald es vom Fleisch zum Tier kommt, beginnt für mich Kultur. Daher sehe ich den Begriff „kultiviertes Fleisch“ problematisch. Mit einem Tier zu leben und gemeinsam eine Landwirtschaft zu betreiben, das ist Kultur. Ich halte Laborfleisch nicht für die Antwort auf unsere Probleme, aber glaube, dass das eine tolle Forschungsrichtung ist, die uns noch großen medizinische Nutzen bringen wird. Wir werden damit eines Tages Gewebe und Organe produzieren. Dieser Mehrwert wird für uns deutlich größer sein, als die Konkurrenz zu echtem Fleisch.

Vidimce-Risteski: Ich verstehe, dass es noch Skepsis gibt – schließlich ist „kultiviertes Fleisch“ noch etwas Neues und Ungewöhnliches. Daher wollen wir aufklären und Vorbehalte abbauen. So neu ist die Idee übrigens gar nicht, wie sie klingt. Erste Erwähnungen sind schon vor fast 100 Jahren dokumentiert, Winston Churchill etwa hat Anfang der 30-Jahre von der Vision gesprochen, statt Hühner nur Hühnerkeulen zu züchten. Der technologische Durchbruch war die Verkostung des ersten In-vitro-Burgers – entwickelt von einem niederländischen Forscherteam – im August 2013. Seither ist das Thema in den Medien präsent und die Forschung macht große Fortschritte. In einem Restaurant in Singapur wird bereits das erste kultivierte Hühnerfleisch eines amerikanischen Start-ups aufgetischt.

FLEISCH FACTS

58,9 Kilogramm Fleisch verzehrt jede/r ÖsterreicherIn im Schnitt pro Jahr – damit zählen wir zu den Spitzenreitern in Europa. (Statistik Austria)

Fleisch macht zwar nur 9 Prozent unserer gesamten Ernährung aus, verursacht aber 43 Prozent der ernährungsbedingten 
Treibhausgas-Emissionen. (WWF)

77 % der globalen Anbauflächen werden für Viehhaltung und Milchproduktion herangezogen. Daraus werden nur 18 % der Kalorien produziert, die die Menschheit zu sich nimmt. (FAO)

14,5 Prozent aller weltweiten Treibhausgasemissionen stammen aus der Haltung und Verarbeitung von Tieren. Der Anteil ist höher als jener des weltweiten Verkehrs. (FAO)

Würden Sie In-vitro-Fleisch verkaufen, Herr Mosshammer?
Mosshammer: Ich halte das für ein unglaublich spannendes Thema und ein Produkt, das eines Tages seinen Markt finden wird, da bin ich sicher – aber für unseren Betrieb schließe ich Labor-Fleisch aus. Ich kann mir vorstellen, dass das eher in die Industrie Eingang finden wird – etwa für Feinwurstprodukte. Mir persönlich fehlt da einfach das Handwerkliche – ein ganz wichtiger Aspekt meiner Arbeit. Generell beobachte ich unsere Kundschaft und den Markt sehr genau und sehe, es ist gerade viel in Bewegung. Eine spannende Zeit. Ich halte Fleisch für eine hochwertige und wichtige Energiequelle, mit der wir entsprechend sorgsam umgehen müssen – ein Schweinsbratl mit Kraut und Knödel ist etwas Feines. Aber es ist ein Unterschied, ob ich ein Büroangestellter bin, der nach dem Genuss möglicherweise über seiner Tastatur einnickt, oder ein Schöpfer am Bau oder im Wald, der diese Kalorien braucht. Nicht nur mit Arbeit und Lebensstil hängt der Fleischkonsum zusammen, auch ganz stark mit dem Alter. Ein Thema, dem viel zu wenig Bedeutung geschenkt wird. Ein junger, noch im Wachstum befindlicher Mensch, hat einen ganz anderen Fleischbedarf als ältere Menschen – ich sehe es an meinen Eltern, die mit viel weniger Fleisch auskommen.

Wie viel Fleisch werden wir künftig essen?
Wiesenhofer: Wenn es nach mir geht, dann ist die Antwort klar: Je weniger, umso besser. Der Österreicher ist ein Fleischtiger und verzehrt knapp 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr – damit zählen wir zu den Spitzenreitern in Europa. Aber natürlich ist es ein globales Problem: Der Konsum von Fleisch ist alles andere als nachhaltig. Fleisch verursacht einen riesigen ökologischen Fußabdruck und einen enormen Flächenverbrauch. Wir verwenden 77 % der globalen Anbauflächen für Viehhaltung und Milchproduktion und produzieren daraus 18 % der Kalorien, die die Menschheit zu sich nimmt. Das heißt, der Großteil der Ernährung passiert sowieso schon über Pflanzen, aber wir verbrauchen den meisten Platz für die Fleischproduktion. Diese Produktion ist extrem ineffizient. Für eine einzige Kalorie Rindfleisch müssen wir rund 100 pflanzliche Kalorien aufwenden. Die Argumente sind vielfach bekannt – aber wir müssen ins Tun kommen. Die Frage ist: Wie viel CO2 dürfen wir noch emittieren, um das Pariser Klimaziel von 1,5 Grad noch zu schaffen? Aus diesem Grund können wir gar nicht anders, als den weltweiten Fleischkonsum, vor allem in westlichen Ländern zu senken. Die Produktion pflanzlicher Lebensmittel erzeugt zehn bis 50 Mal weniger Treibhausgase als jene tierischer Produkte.

Eine Zukunft ganz ohne Fleisch?
Wiesenhofer: Es ist utopisch, dass sich in Zukunft die ganze Welt vegan ernährt – schließlich haben wir auch Grünflächen, die bewirtschaftet werden. Kühe halten etwa die Almen frei, damit sie nicht zuwachsen. Eine Studie geht davon aus, dass unsere Ernährung im Jahr 2040 ungefähr so sein wird: Pflanzliche Fleischalternativen werden 25 % ausmachen, „Cultured Meat“, also Laborfleisch, rund 35 % – und es werden dann immer noch 40 % Fleisch gegessen. Das Problem ist: Gesellschaftlich ist der massive Fleischkonsum ganz tief verankert. Wir müssen mehr Bewusstsein dafür schaffen, welche Vorteile es bringt Pflanzen zu essen. Aus Studien wissen wir inzwischen, dass eine pflanzenbasierte Ernährungsweise bei guter Planung für alle Lebensphasen geeignet ist. Ich selbst bin mit Fleisch aufgewachsen, mein Lieblingsessen war jahrelang Steak – am liebsten Dreiviertelkilo T-Bone-Steak Rare. Heute fehlt es mir nicht mehr – ich fühle mich mit 100 % pflanzlicher Ernährung viel wohler und voller Energie.

Mosshammer: Kritisch sehe ich es, wenn gut situierte Kundschaft bei mir Fleisch für die Haustiere kauft, während mir der siebenjährige Sohn daneben erklärt, dass er vor zwei Jahren beschlossen hat, sich nur noch vegan zu ernähren – da sind wir dann schnell im Ersatzreligiösen, wo ich mir schwer tue. Ich habe ja selber drei Kinder und denke nicht, dass ein Kind von sich aus auf die Idee kommt zu sagen: „Ab jetzt nur noch vegan!“ Mir persönlich ist das zu extrem. Aber nicht falsch verstehen: Ich habe nichts gegen pflanzliche Ernährung – im Gegenteil: Wir bieten bei uns im Geschäft seit Jahren täglich ein vegetarisches Menü an. Auch die Produkte, die Stephan Wiesenhofer macht, schmecken großartig. Ich selbst beschäftige mich immer wieder mit neuen fleischfreien Rezepten, ob Tofu-Chili oder Käferbohnen-Pattys. Zuletzt habe ich probiert, eine Weißwurst auf Pilzbasis zu entwickeln. Leider hab ich es von der Konsistenz nicht hinbekommen. Es tut sich viel und wir werden das im Auge behalten.

FLEISCH FACTS

Die Produktion von 1 kg Rindfleisch verbraucht ungefähr 
15.000 Liter Wasser. 
(FAO)

60 % der gesamten Säugetier-Biomasse entfällt auf Nutztiere, der Mensch hat einen 
Anteil von 36 % und Wildtiere machen nur 4% der Biomasse der 
Säugetiere aus.

Laut einer Studie von Kearney könnte unser Fleischkonsum bis zum Jahr 2040 ungefähr so aussehen: 40 % konventionelles Fleisch, 35 % „Cultured Meat“ 
und 25 % pflanzliche Fleischalternativen. 

325.000 Dollar kostete der im Jahr 2013 erstmals präsentierte „Cultivated Meat Burger“ des niederländischen Forschers Mark Post umgerechnet pro Kilo.

Wie weit sind Sie mit den Forschungen? Wann gibt es „kultiviertes Fleisch“ im Supermarkt?
Vidimce-Risteski: Unsere Projekte laufen noch mindestens ein Jahr. Wir haben sehr gute Ergebnisse bei der Nährlösung und auch die Herstellung von Myoglobin und Hämoglobin aus Kuh und Huhn im Labormaßstab haben wir schon geschafft. Es wird noch in diesem Jahr ein Antrag auf Zulassung von kultiviertem Fleisch in der EU erwartet, danach sollte die EU-Kommission binnen 18 Monaten entscheiden. Dann steht einem Marktstart nichts im Wege. Eine Reihe von Firmen arbeiten gerade an der Entwicklung leistungsfähiger Bioreaktoren, die eine Produktion großer Mengen erlauben. Ich gehe davon aus, dass Fleisch, das auf dieser Technologie basiert, in den nächsten fünf bis zehn Jahren im Supermarkt erhältlich sein wird. Jedenfalls sollte es ein hochqualitatives Produkt sein, das gesundheitlich völlig unbedenklich sein wird. Ich würde mir wünschen, dass es preislich in der Kategorie von heutigem Bio-Fleisch angeboten wird.

Hackl: Ehrlich gesagt, finde ich das Wort Fleisch in diesem Zusammenhang wenig angemessen. Ich verstehe auch nicht, warum es veganes Bratwürstl heißen muss. Warum nicht „vegane Masse zum Grillen“? Andererseits zeigt der Begriff „Fleischersatz“, wie wichtig Fleisch für uns Menschen ist. Mein Credo bleibt: Weniger Fleisch, viel weniger! Und dieses Fleisch sollte ganz anders – mit weit höheren Standards – hergestellt werden. Ich bin mir sicher, dass wir die Welternährung mit nur 20 % Fleisch hinbekommen.

Vidimce-Risteski: Bei wissenschaftlichen Konferenzen wird tatsächlich darüber diskutiert, ob es kultiviertes Fleisch heißen oder einen ganz neuen eigenen Namen bekommen soll, damit es nicht den Eindruck erweckt, es sei etwa Nachgemachtes oder gar von minderer Qualität. Das ist noch nicht entschieden.

Nur ein Fünftel des Fleisches konsumieren. Wie bringen wir die Menschen dazu?
Hackl: Sehr einfach. Indem wir den Preis in die Höhe schrauben! Wenn der Preis steigt, wird auch weniger konsumiert – und viel bewusster.

Haas: Wenn die Energiepreise weiter steigen, wird das ohnehin in diese Richtung gehen. Dann ist es irgendwann auch mit Billigsoja aus Argentinien vorbei. Wir sind ebenso süchtig nach Energie wie nach Fleisch. Die Themen hängen stark zusammen – Ernährung und Energieverbrauch sind in unserer Wirtschaft parallel zu sehen. Wir haben uns durch niedrige Preise in eine gefährliche falsche Richtung locken lassen – durch Billigangebote, durch Massenkonsum und den Glauben an unbegrenztes Wachstum. Die Rolle eines Tieres auf dem Bauernhof war eine ganz andere, bevor das Erdöl billig geworden ist – das Tier war integriert, es war eine sehr integrierte Wirtschaftsweise, davon sind wir heute weit weg. Die Frage ist, wie schaffen wir die Herausforderungen der Zukunft? Ich glaube, dass wir lernen. Die Evolution läuft nicht nur genetisch, sondern auch sozial. Ich sehe, meine Kinder sind vernünftiger als ich – was das Mobilitätsverhalten betrifft, aber auch die Ernährung.

Vidimce-Risteski: Ich verstehe den Wunsch, dass wir den Konsum von Fleisch reduzieren sollten – aber ohne neue, ressourcenschonende Technologien werden wir den gewaltigen Fleischhunger der Welt nicht stillen können. Aber wenn wir von Reduktion reden: Vielleicht schaffen wir es ja auch, die Mengen an Fleisch zu senken, die jährlich weggeschmissen werden – da gäbe es viel Potenzial. In Europa werden 22 Prozent der Lebensmittel weggeworfen – auch hier sollten wir ansetzen.

Mosshammer: Natürlich entscheidet der Preis ganz stark über die Menge des Fleischkonsums – Fleisch ist, wie erwähnt, gerade in Zeiten wie diesen eine Frage der Leistbarkeit. Das wird auch bei der In-vitro- Geschichte die spannende Frage sein – wird das etwas Exklusives im hochpreisigen Segment oder ein Massenprodukt, mit dem wir den Rest der Welt ernähren wollen? Wir sehen derzeit leider auch, dass diverse  Tierwohlprogramme des Lebensmittelhandels nicht  die Nachfrage haben, die man sich erhofft hat. Leider  klaffen auch bei den Konsumenten Wunsch und Realität oft auseinander – weil Tierwohl will jeder, aber  dafür mehr bezahlen? Während die Betriebe Investitionen tätigen, die sie erst wieder verdienen müssen.  Klar ist auch, dass die Zahl der Schweinemastbetriebe  in der Steiermark dramatisch zurückgeht – wir hatten früher ein Vielfaches mehr und diese waren viel  kleiner, die meisten hatten gerade einmal 10 oder 20  Schweindln, die sie gehegt und gepflegt haben. Davon  sind wir heute weit weg. Dafür hat die Zahl der Direktvermarkter stark zulegt.

Wie lautet die Idee hinter Goldblatt?
Wiesenhofer: Wir sind angetreten, um hochwertige  pflanzliche Produkte zu kreieren und unterscheiden  uns von anderen Anbietern pflanzlicher Alternativprodukte dadurch, dass wir nur natürliche, vollwertige Zutaten verwenden – keine Zusatzstoffe, keine  Aromen, nix aus der Retorte. Wir sehen uns als Hersteller von Premiumdelikatessen. „Goldblatt“ wurde  von meinem Bruder, einem gelernten Koch, seiner  Freundin und mir gemeinsam gegründet. Wir haben  vor ein paar Jahren beschlossen, dass wir uns nur  noch pflanzlich ernähren wollen und bald gesehen,  dass dabei neue Welten für uns aufgehen. In der Pflanzenwelt gibt es über 30.000 essbare Pflanzen – ich habe  schon Blätter gegessen, die nach Camembert schmecken. Die geschmackliche Vielfalt ist unglaublich –  daraus kann man ganz viel zaubern. Wir wissen, dass  unsere Lust nach Fleisch, nach diesem blutigen Geschmack offensichtlich in unseren Genen liegt, aber  wir sind bei unseren Versuchen draufgekommen, dass  wir diese herzhaften Geschmacksrichtungen auch mit  Pflanzen, Pilzen, Gewürzen und Kräutern erreichen  können. Wir wollen ein echtes, Geschmackserlebnis  schaffen – einen Genuss, der die Menschen glücklich  macht. Weil Essen soll satt und glücklich machen – aber auch nachhaltig sein!

Wer ist Ihre Zielgruppe?
Wiesenhofer: Nicht unbedingt Veganer, sondern  Flexitarier, also Menschen, die sehr wohl auch tierische Produkte konsumieren, aber eben aus diversen Gründen weniger Fleisch essen. Wir sind im hochpreisigen Segment, weil auch unsere Produkte  Premium-Qualität haben. So liegt unser „Schwein g’habt – Bratlfett“ bei 7,25 Euro für ein Glas mit 130  Gramm und damit gleichauf zu vergleichbaren tierischen Pendants. Wir kaufen 90 Prozent der Zutaten in Österreich ein. Diese kosten drei- bis fünfmal so viel, als wenn man das irgendwo im Ausland bestellt. Uns war wichtig, dass wir eine regionale Wertschöpfungskette aufbauen. Wir wollen alles selber  produzieren und investieren laufend in neue Maschinen und Anlagen. Aus vollwertigen Zutaten, den richtigen Gewürzen und traditionellem Handwerk  erreichen wir den gleichen, wenn nicht besseren Geschmack und können die Menschen genau da abholen wo sie sind. Viele, die unsere „vegane Bratlfettn“  essen, fragen oft, von welcher Schweinerasse es stammt, weil sie den Unterschied nicht schmecken.

Haas: Es gibt tatsächlich viele geniale pflanzenbasierte Alternativen zu Fleisch oder Fisch – eines dieser  Produkte ermöglicht mir auch wieder den Genuss von  Thunfisch. Auf den echten Fisch verzichte ich seit Jahren, weil es einfach verrückt ist, was mit diesen Tieren in den Weltmeeren gemacht wird. Aber zum Glück  gibt‘s einen exzellenten veganen Thunfisch aus Erbsenprotein – der schmeckt großartig.

Mosshammer: Auch ich gebe zu, ich hatte zuletzt ein Geschmackserlebnis der dritten Art. Spitzenkoch Hans Reisinger hat bei einer Veranstaltung der TU Lebensmittelchemie eine Zwiebelsauce zubereitet – und zwar vollkommen vegan. Ich habe mir gedacht: Unfassbar, da fehlt nichts, gar nichts, die perfekte Sauce für einen Zwiebelrostbraten! Das Beispiel zeigt, was heute möglich ist. Ein Problem sehe ich in Familien, wo die Kinder aufgrund eines gewissen sozialen Drucks in der Schule plötzlich auf die Idee kommen, sie müssen sich vegetarisch oder vegan ernähren. Das kann zu einem Dilemma daheim werden, wenn der Papa oder die Mama gerne ein Bratl isst und man kann nicht, weil die Kinder rebellieren – auch dafür sind Produkte wie Goldblatt eine gute Lösung.

Werden Konsumenten in der Krise mit weniger Fleischkonsum reagieren? Mosshammer: Während der Corona-Zeit wurden auch bei uns Steaks gekauft, als gäbe es kein Morgen. Jetzt, wo es eng wird im Brieftascherl, sieht man, das ändert sich. Auch wenn man sich die Flugblätter des Lebensmittelhandels anschaut, sieht man, dass die Angebote zurückgehen. Mit Fleisch, Wurst und Schinkenprodukten wird weniger geschleudert und der Preis marschiert in eine Richtung. Auch unsere Betriebe sind immer mehr gefordert, den Bleistift zu spitzen. Die Einkaufspreise steigen laufend, oft sprunghaft. Als Innungsmeister bekomme ich die Stimmung in den Betrieben mit – auch Forderungen an die Regierung werden immer lauter. Aber wir müssen auch realistisch sein. Der Staat kann nicht auf Dauer das Füllhorn über alle ausschütten. Durch die Änderung des finanziellen Gefüges verschiebt sich gerade einiges. Unglaublich, wie viel Leute sich mittlerweile bei der „Tafel Österreich“ um Lebensmittelspenden anstellen. Wir werden uns diese Überschussproduktion nicht mehr leisten können – und die Verschwendung wird zurückgehen. Daher müssen wir auch zeigen, welche leistbaren Alternativen es geben kann. Warum nicht einmal Erdäpfelgulasch statt Rindsgulasch? Das wäre auch vom CO2-Fußabdruck her eine gescheite Alternative.

Wiesenhofer: Fleisch ist eigentlich gar nicht billig. Denn wir zahlen zwar den billigen Preis im Supermarkt, aber die hohen Umweltkosten – in Form von Naturschäden, Klimafolgekosten und Gesundheitskosten, die sich nicht im Preis widerspiegeln, zahlen wir alle gemeinsam.
Was mich auch schockiert hat: Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft rotes Fleisch als wahrscheinlich krebserregend (Gruppe 2A) ein. Rotes verarbeitetes Fleisch ist sogar in derselben karzinogenen Gruppe wie Zigaretten. Da beginnt langsam ein Umdenken.

Hackl: Nein, rotes Fleisch aus biologischer Freilandhaltung ist sicher nicht krebserregend. Bloß die Verarbeitung mit bestimmten Zutaten kann es krebserregend machen. Deshalb haben wir bei Labonca auch für Verarbeitungswaren eine Lösung, wo der hohe Wert des Fleisches erhalten bleibt. Was Preise und Kosten betrifft: Mein Preis ist schon dort, wo er hingehört. Das Problem derzeit ist, dass Preise für Fleisch in die Höhe gehen, aber leider nicht zugunsten des Tierwohls. Die Preise steigen aktuell wegen der hohen Energiekosten, aber den Tieren nutzt das nichts – weil die Menschen nun zum billigeren Fleisch greifen. Das Billigfleisch dürfte es gar nicht mehr geben. Der Preis von Fleisch müsste dort sein, wo er hingehört.

Haas: Wir wissen, dass wir genug Wissen haben, um uns weitgehend pflanzlich zu ernähren – wenn wir das geschickt machen. Es braucht nur ein bisschen Hirnschmalz. Wir müssen anfangen, anders zu denken – so wie in Dan Barbers Buch „The Third Plate“. Darin beschreibt er sein „Gericht der Zukunft“ so (ausgehend vom derzeit beliebten Beefsteak mit Babykarotten): Ein Karottensteak mit einer Sauce aus Fleisch„neben“-stücken, in denen der volle Geschmack enthalten ist – also etwas Pflanzliches, das unser offensichtliches Urbedürfnis nach fleischlichem Genuss befriedigt. In diese Richtung wird es gehen.

Abschließend Ihr Wunsch, Ihre Vision?
Vidimce-Risteski: Für uns ist es vor allem wichtig, dass wir Aufklärungsarbeit betreiben und die breite Bevölkerung sachlich darüber informieren, was kultiviertes Fleisch bedeutet und warum die Vorurteile unbegründet sind. Es ist nicht unser Wunsch, dass kultiviertes Fleisch die Existenz kleinerer Betriebe gefährdet – das wollen wir keinesfalls. Aber im Moment sind wir noch am Forschen und diese Forschungen sind spannend und vielversprechend. Auch wenn kultiviertes Fleisch einmal etabliert sein sollte, heißt das nicht, dass ich nicht auch weiterhin zum Fleischhauer meines Vertrauens, zum Herrn Mosshammer, gehe (lacht) – oder wohlschmeckende pflanzliche Ersatzprodukte genieße. Die Vielfalt macht es aus.

Wiesenhofer: Mit jeder Mahlzeit gestalten wir unseren persönlichen Fußabdruck. Wenn Pflanzen den gewohnten Genuss bieten, ohne Tiere oder Umwelt auszubeuten, dann ist der Griff zur Fleischalternative die bessere Wahl. Wichtig wäre es, dass die Politik an der Bewusstseinsbildung arbeitet, man klar kom muniziert und endlich handelt: Fleisch verursacht einen enormen Fußabdruck und wenn wir die Pariser Klimaziele noch erreichen wollen, dann braucht es neben der Mobilitäts- und Energiewende auch eine weitgehende Reduktion von tierischen Produkten.

Haas: Die Anzahl der Bauerhöfe kennt nur eine Richtung – sie sinkt stetig. Ich würde mir wünschen, dass es wieder mehr Bäuerinnen und Bauern gibt – weil es eigentlich ein geniales gutes Leben ermöglicht. Tiere haben dabei eine wichtige Rolle, auf den meisten Höfen werden sie am Ende ihres Lebens auch gegessen. Zudem darf ich die Essenz des Buchs „Food Rules“ von Michael Pollan zitieren – die wichtigsten unter insgesamt 64 Food Rules fasst er in drei kurzen Sätzen zusammen: „Eat Food!“ Also wirklich ein Lebensmittel. „Not too much! Mostly Plants!” Da steckt sehr viel dahinter. Dieses „Mostly Plants“ ist eben nicht „Only Plants“. Daher bleibe ich bei meinen fünf bis zwanzig Prozent des heutigen Fleischkonsums.

Hackl: Vor 20 Jahre habe ich meine Vision in die Realität umgesetzt. Ich wollte Tiere so halten und so aus dem Leben herausnehmen, dass es für die Tiere möglichst fair, artgerecht und naturnahe ist. Schweine sollen ihre Naturinstinkte und ihre natürlichen Bedürfnisse ausleben dürfen. Auch für das Thema Schlachtung wollte ich eine gute Lösung. Was gibt es Schöneres für ein Lebewesen, als „in seinem Wohnzimmer“ einfach tot umzufallen und nichts mitzubekommen – wie in unserem Weideschlachthaus? Das war mein großes Ziel und das alles konnte ich umsetzen. Denn anders möchte ich kein Fleisch essen! Ich wünsche mir, dass Fleisch den Stellenwert bekommt, den es verdient – von der Zucht angefangen über die Haltung bis zum Ableben. Ich wünsche mir, dass Fleisch wertschätzend verarbeitet wird und irgendwann nur noch hochwertiges Fleisch – als Beilage – auf den Teller kommt.

Mosshammer: Wir dürfen nie vergessen: Österreich ist ein kleines Land, vieles wird uns vom Weltmarkt diktiert und vorgegeben. Vieles ist derzeit im Umbruch und wir wissen noch nicht, wohin sich Politik und Gesellschaft entwickeln. Umso wichtiger ist es zu versuchen, selber mit eigenen Ideen und Visionen, die wir alle haben, zu lenken und die Richtung vorzugeben, statt nur wie Lemminge hinterherzulaufen. Wir haben auch die Verpflichtung, aufzuklären und zu zeigen, was möglich wäre. Ich finde diese In-vitro-Versuche faszinierend, auch die pflanzlichen Ersatzprodukte sind großartig. Aber bei meinen Produkten sage ich ebenso laut: Leider geil! Das Spannende, das uns eint: Wir sind allesamt Geister, die entwickeln, forschen und probieren – und davon lebt die Wirtschaft und damit wir alle.

Fotos: ISTOCK, OLIVER WOLF

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