Spirit of Styria

Globales Pilzwachstum

Mit hoch automatisierten Produktionseinheiten für Shiitakes, Braune Kräuter-Seitlinge oder Austernpilze will das von Graz und St. Ruprecht an der Raab aus agierende Start-up SpawnX des 2022 aus Russland emigrierten Entrepreneurs Vladimir Kaverin das globale Geschäft mit anspruchsvollen Zuchtpilzen revolutionieren.

Freitagmittag. Vladimir Kaverin trägt „schwere“ Arbeitskleidung, robustes Schuhwerk, auf der Jacke prangt das Caterpillar-Logo. Er komme gerade von der Baustelle, erzählt der Gründer, während er den Laptop in Betrieb nimmt, auf dem er in Kürze eine gefühlt lückenlose Dokumentation seiner unternehmerischen Aktivitäten präsentieren wird. Wir sitzen dem gerade 36 Jahre alt gewordenen Unternehmer in einem Meetingroom des „Science Parks Graz“ in der Grazer Sandgasse gegenüber – ein „Hightech-Inkubator“, der laut Leitbild Unternehmen in der Gründungsphase dabei unterstützt, ihre Visionen zu verwirklichen und sich zu international florierenden Unternehmen zu entwickeln. Und genau das ist das Ziel, das Kaverin mit seinem vor drei Jahren in Graz gegründeten Unternehmen, der SpawnX GmbH, verfolgt.

Vladimir Kaverin (36) setzte sich mit seiner Vision aus Russland ab
und startete sein Pilzzucht-Start-up im Science Park Graz neu.

Auf erwähnter Baustelle im oststeirischen Unterfladnitz, einem Ortsteil von St. Ruprecht an der Raab, entstehe, so Kaverin, in einer Halle gerade eine Produktionsstätte für die Zucht von Pilzen – nicht die weit verbreiteten Champignons, sondern seltenere Spezies wie Shiitakes, Braune Kräuter-Seitlinge oder Austernpilze. Hoch automatisiert und alle Schritte der Pilzproduktion von der Myzelvermehrung bis zur Verpackung in einer lückenlosen Linie integrierend, soll die Halle, wenn es nach den durchaus überzeugend vorgetragenen Plänen des Gründers geht, zur Keimzelle für einen das Pilzbusiness disruptiv revolutionierenden, global erfolgreichen Pilzbrand werden; Brand im Sinne von Marke.

Vor der Flucht:
Pilzzucht in einer ehemals sowjetischen Fabrikshalle.

MEHRERE GESCHÄFTSFELDER
Dabei habe er, erläutert Kaverin sein visionäres Konzept, gleich mehrere potenzielle Erfolgsstränge im Auge: zum einen die Pilze selbst, die in den von Grund auf neu gedachten Produktionseinheiten zu konkurrenzlosen Gestehungskosten hergestellt und damit selbst zum Myzel einer Marktmultiplikation werden könnten; zum anderen die Produktionseinheiten selbst, die sich auch von Pilzlaien problemlos bedienen ließen und – dezentral marktnah positioniert – ein globales Netz der Pilzproduktion bilden könnten; und schließlich – im Stile eines internationalen Saatgutproviders – auch noch der Vertrieb des Myzels unter eigener Flagge. Businessszenarien, mit denen Kaverin unter anderem die in St. Ruprecht an der Raab ansässige Alwera AG („Steirerkraft“, „Estyria“, „Milteco“, „Ascon3“) überzeugen und ins Boot holen konnte, die am Unternehmen mit knapp 25 Prozent beteiligt ist.

Einige der Maschinen für den Produktionsprototyp, gibt Kaverin Einblick in den aktuellen Stand der Errichtungsarbeiten, seien bereits in Unterfladnitz eingetroffen und aufgebaut, weitere Teile der Produktionslinie seien bestellt – zum Teil in Ostasien, wo ein weltweit einzigartiges technologisches Know-how für diesen Bereich angesiedelt sei. Und bestimmte Schlüsselelemente, etwa Regalsysteme, die einen effizienten automatisierten Transport der Substratballen über die gesamte Fertigungsstrecke ermöglichen, würden vor Ort selbst entwickelt. Mindestens so fesselnd wie der visionäre Ausblick gerät jedoch der Blick zurück in die Geschichte des Unternehmens und die Biografie seines Gründers – zurück in die viel zitierten „Tiefen“ Russlands und seiner (Gründer-)Seele. Noch vor etwas mehr als drei Jahren stand Kaverin nämlich in einer für seine Zwecke adaptierten alten Fabrik aus Sowjetzeiten nur wenige Kilometer von Moskau entfernt und wähnte sich beinahe am Ziel seiner visionären Agenda. Bereits zu Schulzeiten – dort hätten auch seine Deutschkenntnisse ihren Ursprung – habe er sich als Serien-Entrepreneur positioniert: neben diversen Versuchen als Unternehmensberater, Designstudiogründer und Autowerkstattbetreiber unter anderem auch als Börsentrader. „Gemeinsam mit einem Freund, der Mathematik studierte, habe ich damals auch schon entsprechende Tradingsoftware entwickelt“, lässt Kaverin diese Phase Revue passieren. Im Hinblick auf eine Familiengründung seien ihm jedoch die von den Ausschlägen der Aktienkurse geprägten Ups und Downs seiner Einkommenskurve zu volatil erschienen. Also habe er sich was Kalkulierbareres gesucht und als Supply-Chain- und Produktmanager für einen Bekleidungs-Brand bei der Russland-Tochter der französischen Sportartikelkette Decathlon angedockt.

Schauplatz St. Ruprecht:
Die ersten Maschinen, darunter spezielle Autoklaven zur Aufbereitung des mit Myzel geimpften Substrats treffen ein.

WIE ER AUF DEN PILZ KAM
Schließlich, so Kaverin, habe er den Entschluss gefasst, seine Begeisterung für Hiking und Outdoor zum Motiv einer eigenen Bekleidungsproduktion zu ma chen. „Mir wurde jedoch schnell klar, dass der Aufbau einer Fabrik mit geringen finanziellen Ressourcen kaum möglich sein würde.“ Also vertiefte er sich in eine Idee mit weniger Kapitalbedarf. „Pilzzucht war in Russland um 2018 eigentlich kein besonderes Thema; ist es auch heute noch nicht. Ich habe Betriebe besucht, auch in anderen Staaten. Was mir dabei auffiel, war der geringe Grad an Automatisierung und der hohe Anteil an klassisch-landwirtschaftlicher Handarbeit.“

Gemeinsam mit seiner Frau, heute ebenfalls am Unternehmen beteiligt, habe er auf 50 Quadratmetern mit Hochregalen eine erste Produktionsstätte errichtet – selbst gebaut bis hin zur Steuerung von Feuchtigkeit, Temperatur und Luftzirkulation. Sogleich hätten sich, so Kaverin, die ersten Learnings eingestellt. Zum Beispiel: Ertragssteuerung. „Wir übernachteten teilweise tage- und wochenlang im Auto vor der Fabrik, um die ungeheuren Mengen zu ernten, die förmlich aus den Substratballen schossen. Teilweise haben wir die Pilze an kirchliche Einrichtungen verschenkt. Und dann nach ein paar Wochen herrschte wieder Flaute. Wollten wir den Handel beliefern, brauchten wir Kontinuität und Verlässlichkeit.“ Ein weiterer Punkt: Verpackung und Transport zu den Kunden. „Über die enormen russischen Distanzen waren Qualitätsverlust und Ausschuss kaum in den Griff zu bekommen. Wir hatten zudem von Anfang an auch nichtrussische Märkte im Visier.“ Also die zündende, auch heute noch zentrale Idee von SpawnX: „Statt unsere Kunden von einer zentralen Produktionsstätte aus zu beliefern, siedeln wir uns mit dezentralen Produktionsunits in deren unmittelbarer Nähe an.“

„Wir standen knapp vor bedeutenden Entscheidungen, hatten Zusagen von Investoren und waren drauf und dran, mit großen Handelskonzernen ins Geschäft zu kommen“, erinnert sich Kaverin an den Jahreswechsel von 2021 auf 2022. Da warf der russische Angriff auf die Ukraine alle Pläne über den Haufen. „Investoren suchten das Weite, Kapital rüstete sich für Kriegswirtschaft, sprich Drohnen, die europäischen Märkte verschwanden von unserer Road Map.“ Also: Abverkauf und Abschreibung. Die Ausreise über die usbekische Hauptstadt Taschkent: abenteuerlich. Die Entscheidung, Russland gemeinsam mit seiner Frau zu verlassen, sei unternehmerischen wie auch sehr persönlichen Überlegungen entsprungen. „Kurz nach meiner Ausreise läutete das Rekrutierungskommando an der Tür.“

Rendering: Pilzzucht als geschlossenes System

WILLKOMMENSKULTUR
Tausende Blindanfragen, erinnert sich Kaverin, habe er in dieser Zeit – teilweise noch aus Moskau – kreuz und quer durch Europa gesandt. Zielgruppe: potenzielle Investoren, Start-up-Inkubatoren, mögliche Partner und Kunden. Meistens habe es geheißen: „Kommen Sie erst einmal zu uns, leben Sie eine Zeit lang hier, vielleicht können Sie Ihre Idee ja irgendwann umsetzen. Aber Geld haben wir leider keines für Sie.“ Aus Österreich, von der Austrian Business Agency, sei eine der wenigen motivierenden Rückmeldungen gekommen. Sinngemäß: „Okay, du willst Pilze züchten. Komm zu uns, wir werden das irgendwie hinkriegen.“ Dass es schließlich Graz geworden sei – keine zufällige Fügung, sondern auch Folge der hier mittlerweile angesiedelten Business-Willkommenskultur. Der Science Park Graz bot die unternehmerische Startrampe. Rechtsanwalt und Business-Angel Arno Likar, heute mit seiner Beteiligungsgesellschaft ebenfalls bei SpawnX investiert, habe ihn bei den Formalitäten unterstützt. Und über einen vor Jahren nach Graz emigrierten und hier sesshaft gewordenen Landsmann sei der Kontakt zu Michael Stelzl, Gründer und Geschäftsführer der Hygienicum GmbH, eines Kom petenzzentrums für Lebensmittelsicherheit und Hygiene, zustande gekommen. Stelzl hält ebenfalls einen Anteil an SpawnX und steht dem Gründer mit Rat und Tat zur Seite. Das Substrat ist mit (Business-)Myzel geimpft. Vor dem Hintergrund des neuen Standorts und der hier herrschenden Voraussetzungen sei das Konzept systematisch perfektioniert, die Technik verfeinert und der Automatisierungsgrad bis ins letzte Detail ausgebaut worden. Unter anderem habe er, schildert Kaverin, einen eigenen Algorithmus entwickelt, um die Ertragsmengen perfekt prognostizieren und steuern zu können. Nun sollen die Sporen wachsen. „Der Markt ist da“, zeigt sich Kaverin zuversichtlich. In der Investmentsprache bedeute to spawn skalieren. Und das X? „Exponentiell!“ Ein Nachbarortsteil von Unterfladnitz nennt sich übrigens – ja – Wolga.

Fotos: Oliver Wolf, SpawnX

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