Spirit of Styria

„Klimaschutz kann man nicht schönsaufen“

Thomas Brudermann, Psychologe und Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Graz sowie Buch- und Blogautor, erklärt, warum das menschliche Hirn den Klimawandel so schwer begreift, wieso die Gesellschaft das Thema Verantwortung neu verhandeln muss und was die Angst vor dem Wohlstandverlust so mächtig macht.

Wenn Sie nur eine einzige Botschaft in den Köpfen der Menschen verankern könnten durch dieses Interview, wie würde diese lauten?
Es ist zwar höchste Eisenbahn, aber es ist nie zu spät. Der Zug ist nicht irgendwann abgefahren für unsere Generation. Aber: Die Fahrt wird ungemütlicher, mitunter deutlich ungemütlicher, je später wir aufspringen. 2,5 Grad Celsius globale Erwärmung sind katastrophal, aber immer noch besser als 3 oder 3,5 Grad.

Was muss jetzt sofort dringend passieren?
Wir müssen schnellstmöglich raus aus Kohle, Öl und Gas, den fossilen Brennstoffen, die unseren ganzen Lebensstil durchdringen. Dann können wir machen, was wir wollen mit dem, was wir an erneuerbarer Energie haben. Sehr überspitzt formuliert.

Und wer macht das möglich?
Die Politik muss international und national zusammenarbeiten und sachlich, auf Basis von Fakten, verhandeln. Der öffentliche Diskurs muss die Welt der Wunschvorstellungen und Märchen verlassen. Das Problem existiert aber nicht nur in der Führungsebene. Wir sehen derzeit ein fast gesamtgesellschaftliches Versagen, denn die Mehrheit der Wähler fordert die Haltungsänderungen von ihren Parteien nicht vehement genug ein.

Thomas Brudermann:
„Der Mensch bewertet
mögliche Verluste höher
als Gewinne.“

„Geht es um Wohlstandsverteidigung und die Verantwortungsübernahme für die Klimakrise, müssen wir unsere gesellschaftlichen Verträge neu verhandeln.“

THOMAS BRUDERMANN Psychologe und Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Graz

Was erwartet uns, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten?
Ich bin kein Klimaforscher, sondern Sozialwissenschafter, aber ich habe mich mit den Konsequenzen unterschiedlicher Szenarien beschäftigt. Ich glaube zwar nicht an ein Aussterben der Menschheit in der näheren Zukunft, aber: Wenn die Erderhitzungsfolgen dicht bevölkerte Teile des Planeten unbewohnbar machen und die landwirtschaftlichen Flächen verringern – und das ist leider ein realistisches Szenario – dann bringt dies riesige Umbrüche mit sich. Diese stellen die Zivilisation, wie wir sie kennen, auf eine ernste Probe.

Wieso kommen wir nicht in die Gänge?
Menschen tun sich schwer mit komplexen Systemen und indirekten Zusammenhängen. Darauf hat uns die Evolution nicht vorbereitet. Das Denken in „Ursache und (relativ direkte) Wirkung“ hat uns als Spezies ja auch weit gebracht. Nun stehen wir vor einer Herausforderung, die die Menschheit so noch nie erlebt hat. Der Link zwischen dem, was wir tun, und dem Schaden, den wir anrichten, ist intuitiv nicht nachvollziehbar. Das zeigt sich auch daran, dass selbst nach klimabedingtem Extremwetter jene Parteien die Wahlen gewinnen, die Klimawandel verleugnen oder kleinreden. „Das Erdklima zu retten“ ist eine für viele zu theoretische und somit nicht sehr wirksame Motivation.

Thomas Brudermann
verreist nicht mehr mit dem Flugzeug.

Die Wissenschaft hat heute ein hervorragendes Standing, und doch glauben wir ihr in diesem Punkt nicht? Wissenschaft vermittelt Daten und Erkenntnisse. Diese in gesellschaftliche Zusammenhänge einzubetten, ist nicht ihre Aufgabe – oder noch nicht, denn Wissenschaftskommunikation ist ein relativ junges Feld. Die fossile Industrie schafft es hingegen sehr gut, mit ihrem Geschäftsmodell in existierende kulturelle und soziale Praktiken reinzukommen: Sie hat attraktive Erzählungen, die zu den Lebensrealitäten ihres Zielpublikums passen: die Liebe zum Auto, zum Motorsport, zu Fernreisen, zum brasilianischen Rindfleisch. Dagegen kommt das Verzichtsnarrativ des Klimaschutzes nicht an. Wenn Expertinnen und Experten nun über notwendige Veränderungen sprechen, kommt sehr schnell das Abwehrargument: „Die wollen uns ja nur das Schnitzel und das Auto verbieten, das lassen wir uns nicht gefallen!“

Es herrscht die Angst vorm Wohlstandsverlust – paradoxerweise oft genau bei jenen, die objektiv privilegiert sind.
Das ist auch so eine evolutionäre Eigenschaft des Menschen: Er bewertet Verluste oder mögliche Verluste stets stärker als mögliche Gewinne. Das Spannende: Das trifft auch zu, wenn ich auf einem sehr hohen Level stehe. Dazu kommt ein gewisses Framing – Akteure, die die Wichtigkeit des wachsenden Wohlstands öffentlich sehr stark propagieren. Dabei geht es beim Klimaschutz ja nicht um eine Rückkehr ins Mittelalter, sondern um einen Fortschritt, der uns noch immer Wohlstand bietet, aber eben innerhalb der planetaren Möglichkeiten. Es geht eigentlich um bessere langfristige Lebensqualität für möglichst viele Menschen. Zum Glück wird der Mensch nicht nur monetär motiviert, sondern auch ideell durch das Gefühl, etwas Sinnvolles und Sinnstiftendes beizutragen. Klimaschutzmaßnahmen werden übrigens auch dann eher akzeptiert, wenn Sinn und Effektivität der Maßnahmen verständlich gemacht werden, was derzeit nicht gut gelingt.

Ist Klimaschutz fair?
Mangelnde Fairness schadet der Sache jedenfalls. Als Otto Normalverbraucher verliert man das Gefühl, etwas wirksam beitragen zu können, solange Elon Musk und Richard Branson mit ihren reichen Freunden ins Weltall fliegen, Superjachten bauen und Bitcoin-Mining-Farmen betreiben. Wenn es um Wohlstandsverteidigung und die Verantwortungsübernahme für die Klimathematik geht, müssen wir unsere gesellschaftlichen Verträge neu verhandeln. Privilegierte, wohlhabende Menschen sind hier viel stärker in der Verantwortung als weniger Privilegierte. Sie haben auch ganz andere Hebel, nicht nur bei den Lebensstilen, sondern auch bei Investitionsentscheidungen.

Das Problem ist auch, dass Klimaschutz so unsexy ist, oder?
Brandschutzbeauftragte gewinnen keine Beliebtheitspreise, Feuerwehrleute hingegen schon. Wir machen Menschen zu Helden, die uns aus einem akuten Schlamassel retten. Jene, die es erst gar nicht so weit kommen lassen, erklären wir zu Spielverderbern, das ist nichts Neues. Natürlich gibt es das Thema „inner development“, wo man durch Reifen und Wachsen irgendwann auch erkennt, dass Klimaschutz im ideellen Sinn Freude machen kann, dass Urlaube mit Fahrrad und Bahn genauso toll sind, regionales Essen schmeckt und man in kleinerem Rahmen ebenso gut wohnt. Aber, und ich glaube, so ehrlich müssen wir sein, es gibt halt einen nicht kleinen Teil in der Gesellschaft, für den Klimaschutz weder schönzureden noch schönzusaufen ist.

Was haben Sie persönlich kürzlich für das Klima getan?
Ich engagiere mich in der Klimakommunikation und spreche bei 50 bis 80 Veranstaltungen pro Jahr. Aber das mache ich nur dann glaubwürdig, wenn ich auch auf den eigenen Lebensstil schaue. Ich fliege nicht mehr und bin zum begeisterten Pflanzenesser geworden. Als in unserem Tennisverein kürzlich die Diskussion aufkam, doch das nächste 5-tägige Tenniscamp auf Mallorca zu machen statt im nahen Kroatien, bin ich aber schon aufgestanden, um zu sagen: Nein, Leute, das machen wir in diesen Zeiten nicht mehr.

„Ihr wisst es, und ihr wisst es doch nicht“ zitieren Sie in Ihrem Blog den japanischen Schriftsteller Kazuo Ishiguro.
Der Satz stammt aus seinem utopischen Roman, der gar nicht von Klimaschutz handelt. Und dennoch ist es ein Zitat, das mir als Klimakommunikator aus der Seele spricht. An das ich jedes Mal denke, wenn wieder ein Politiker vom Autoland spricht oder jemand von der x-ten Flugreise schwärmt, obwohl man gleichzeitig über den Klimawandel Bescheid weiß. Aber der gelebte Paradigmenwechsel beginnt eben nicht mit einer Mehrheit, sondern mit einer kleinen Minderheit. Und außerdem: Es gibt immer etwas, wofür es sich lohnt zu kämpfen: Ja, für die österreichischen Gletscher ist es wahrscheinlich zu spät. Dass weite Teile des Planeten unbewohnbar werden und Europa in der Folge überrannt wird von einer Milliarde Klimaflüchtlinge, das können wir aber schon noch abwenden.

Fotos: Oliver Wolf

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