Spirit of Styria

Mittels Schluckimpfung INS BEE-TO-BEE-BUSINESS

Von der Grundlagenforschung auf den Weltmarkt: Dalial Freitak, Professorin am Institut für Biologie an der Uni Graz, entwickelte die erste Schutzimpfung für Bienen weltweit. Ein von ihr gegründetes Start-up in den USA vertreibt den Impfstoff bereits höchst erfolgreich. Das brachte ihr den Sieg in der Kategorie „Senior Scientist Angewandte Forschung“.

Nein, mit Stichen hat das nichts zu tun, so nach dem Motto: Bienen stechen Menschen – jetzt stechen wir die Bienen. „Schon eher kann man von einer Schluckimpfung sprechen, die wir den Bienen verabreichen“, erklärt Dalial Freitak, Professorin am Institut für Biologie der Uni Graz. „Damit gelang uns die Entwicklung der ersten Impfung für Insekten weltweit.“ Doch der Reihe nach: Schon während ihres Studiums der Zoologie bzw. Tierökologie in ihrer Heimat Estland interessierte sich Freitak in besonderem Ausmaß für Insekten, vor allem für deren Immunsystem. „Zu Beginn lag mein Schwerpunkt auf Schmetterlingen und Motten, danach Ameisen, alles faszinierende Wesen. Erst durch Zufall kam ich zu den Bienen, die mich seither nicht mehr loslassen“, lacht die Forscherin in ihrem Büro. „Insekten bilden, anders als wir Säugetiere, keine Antikörper.

Der Stand der Wissenschaft war: Eine Impfung für Insekten ist unmöglich. Wir haben bewiesen, dass es sehr wohl möglich ist.

DALIAL FREITAK – INSTITUT FÜR BIOLOGIE, UNI GRAZ

Daher galt die herrschende Lehrmeinung, dass eine Immunisierung von Insekten nicht möglich wäre. Es hieß: Eine Impfung bei Bienen kann nicht funktionieren!“, erzählt Freitak, der im Zuge ihrer Doktorarbeit am Max Planck Institut in Jena erste Zweifel an diesem „Naturgesetz“ kamen. „Das Thema Immunität bei Insekten schien mir wie eine Blackbox, ein großes Rätsel – umso mehr hat es mich gereizt, hier weiter zu forschen.“ Tatsächlich konnte sie schon in ihrer Dissertation nachweisen, dass die Nachkommen von Insekten immunresistenter sind, wenn die Elterngeneration mit bestimmten Bakterien in Kontakt kam. „Der Zusammenhang war mir aber noch völlig unklar.“ Ein Durchbruch gelang ihr während eines Forschungsaufenthalts in Helsinki. „Dort erzählte mir eine Kollegin von ihrer Forschung mit Fischen, bei denen sie feststellte, dass sich das Protein des Eigelbs (Vitellogenin) an Bakterien binden kann. Für mich ein Aha-Moment! Ich fragte mich: Kann es sein, dass sich auch bei Bienen Vitellogenin an Bakterien bindet und deren Fragmente dann an die nächste Generation weitergegeben werden?“, so die Zoologin, die das Prinzip auf Honigbienen übertrug und Bienenköniginnen mit einem Protein-Bakterien-Mix fütterte. Und tatsächlich: Das Experiment gelang. „Wir konnten nachweisen, dass die nächste Generation gegen das eingesetzte Bakterium – den Auslöser der Amerikanischen Faulbrut – in hohem Maß geschützt ist. Der erste dokumentierte Fall einer generationenübergreifenden Immunität.“ Und damit die erste Bienenimpfung der Wissenschaftsgeschichte.

„In meiner Heimat Estland gibt es gar kein Wort für Hausfrau.“

DALIAL FREITAK


„Die Amerikanische Faulbrut ist eine tückische Infektion. Sie befällt zwar nur die Larven, kann aber für den ganzen Bienenstock existenzgefährdend sein“, so Freitak. Strenge Gesetze zwingen Imker dazu, betroffene Bienenvölker zu vernichten und umliegende Stöcke mit Quarantäne zu belegen. „Die Krankheit ist ein globales Problem, das Bakterium weit verbreitet – eine riesige Herausforderung für die Imker. Denn es gibt keinerlei Behandlungsmöglichkeit.“ Bereits 2018 – das Jahr, in dem Freitak ihre Professur in Graz antrat – meldete sie den Impfstoff zum Patent an und gründete mit zwei Kolleginnen ein eigenes Unternehmen, „Dalan Animal Health“, mit Sitz im US-Bundesstaat Georgia. Das Start-up konnte mittlerweile einen zweistelligen Millionenbetrag an Investorengeldern einsammeln – die Gründerin sieht enormes Potenzial. „Unser Impfstoff ist sehr wirksam, wie wir inzwischen auch in einem großangelegten Feldversuch in den USA nachweisen konnten. Dort haben wir die Impfung an 400 Bienenstöcken getestet – alle Stöcke blieben gesund“, freut sich Freitak in einer Doppelrolle als Forscherin und Unternehmerin. „Am Anfang war es reine Grundlagenforschung, ich wollte eine Erklärung für etwas, was ich nicht verstehen konnte – und jetzt ist es ein Produkt. Das ist total cool! Der Weg war hart, fast niemand hat am Anfang an den Erfolg geglaubt. Umso schöner, dass wir nun ein Unternehmen haben, das motivierte Menschen beschäftigt, und ein Produkt anbieten können, das der Gesellschaft dient. Denn“, betont Freitak, „Bienengesundheit geht uns alle an. Die Biene ist Bestäuberin fast aller Obst- und Gemüsesorten. Nicht auszudenken, was eine Welt ohne Bienen für uns Menschen bedeuten würde.“ Daher denken Freitak und ihr Team bereits weiter. Ihre Entwicklung beinhaltet eine Plattformtechnologie, die künftig auch für andere Infektionskrankheiten bei Insekten anwendbar sein soll. „Allen voran arbeiten wir derzeit an Impfungen gegen die Europäische Faulbrut und gegen Kalkbrut.“ Eines Tages hofft die Forscherin mit der Technologie auch dem größten Feind der Biene zu Leibe rücken zu können: dem Virus der Varoa-Milbe. „Das ist noch ein langer Weg, aber die Chance besteht.“ Weitere potenzielle Anwendungen: die Schutzimpfung von Grillen & Co., die den Menschen künftig vermehrt als Proteinquelle dienen. „Um damit den Antibiotika-Einsatz in landwirtschaftlicher Insektenhaltung zu vermeiden bzw. zu reduzieren“, so Freitak.

Wie sieht die polyglotte Forscherin das Thema Gleichstellung von Geschlechtern in Österreich? „Es gibt schon Unterschiede zwischen dem deutschsprachigen und skandinavischen Raum. In Estland oder Finnland gibt es den Begriff der Hausfrau etwa gar nicht – alle Frauen arbeiten. Viele auch in Führungspositionen. Aber ich denke, auch in Österreich wird es besser. Wir sind auf dem richtigen Weg.“

Dalial Freitak
Geboren und aufgewachsen in Estland, Studien- und Forschungsaufenthalte in Deutschland, Norwegen und Finnland, seit 2018 Professorin am Institut für Biologie an der Uni Graz.

Gemeinsam mit ihrem Team entwickelte sie die erste Impfung für Bienen – gegen die Amerikanische Faulbrut. Der Impfstoff wurde 2023 in den USA und Kanada zugelassen. Amerikanische Faulbrut ist hochinfektiös und meldepflichtig. In Österreich gibt es pro Jahr 50 bis 200 Fälle. Erwachsene Bienen werden nicht befallen, aber für die Brut ist die Krankheit tödlich.

Das TIME Magazin kürte die Bienen-Impfung zu eine der 200 besten Innovationen 2023.

Zahlreiche Publikationen in hochangesehenen Journalen wie z.B. im „Nature Biotechnology“.

Der patentierte Impfstoff wird von der Firma „Dalan Animal Health“ vertrieben, die die Forscherin 2018 mitgründete. 
www.dalan.com
www.uni-graz.at
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