Spirit of Styria

Strukturen mit TIEFGANG

Der steirische Künstler Georg Dinstl bringt uns in seinen farbenfrohen Werken „Colours against boredom“ und legt in seinen Ausstellungen dennoch sozialkritisch den Finger in die Wunde. Warum er als erfolgreicher Punkrock-Sänger vor Jahren das Mikro gegen den Pinsel tauschte, er in seinen Werken Botschaften hinter Abstraktion verbirgt und Strukturen seinen Malprozess zwischen Auftragen und Wegnehmen bestimmen, erzählt er im Gespräch in seinem Grazer Atelier.

Denkt der steirische Maler Georg Dinstl an die Anfänge seiner Kunst, war da schon immer etwas Rebellisches: „Ich bin in Frohnleiten aufgewachsen und laut meiner Mutter hatte ich von klein auf Stifte in der Hand. Später, sehr zum Leidwesen meines Vaters, habe ich als Teenager immer die Rückwand der Garage beschmiert, als Street Art, Skateboarden und Graffiti einen wichtigen Teil in meinem Leben ausmachten“, erinnert sich Dinstl, der jedoch bald nach Graz übersiedeln sollte, um mit 18 Jahren Musik zu machen. Als Sänger der 1998 gegründeten Ska-, Hardcore Punk- und Punkrock-Band Antimaniax tourte Dinstl mit einer Mischung aus politisch-sozialkritischen Texten bis 2005 mehrmals durch Europa. „Wir haben teilweise 200 Shows im Jahr gemacht und schon damals in sozialkritischen Texten gesungen, dass wenn wir so weitermachen, unser Planet zugrunde geht“, so Dinstl. Nebenher fing der Künstler damit an, Konzertposter und Flyer zu machen, und auch die Malerei sollte immer ein Bestandteil seines Schaffens bleiben. „Das Darstellen von Etwas, egal ob geschrieben, gesprochen, gesungen, gemalt, gepinselt, gesprüht oder geschrien, ist der Grundkern meines Schaffens. Da ist einfach etwas, das raus muss.“

Mit einem speziellen Nagelsystem hängt Dinstl seine
unterschiedlich großen Werke im Atelier auf und malt
bis zu 12 Stunden lang an mehreren Bildern gleichzeitig.

VON STREET-ART ÜBER GRAFIK BIS ZUR MALEREI
Nach zehn Jahren der Musik gründete Georg Dinstl mit Thomas Pokorn, Mischa Mendlik und Gernot Passath das Künstlerkollektiv „Das Voyeur“ sowie mit Simon Lemmerer, Oliver Tomann und Josef Wurm „Permanent Unit“, die die Straßen zum Street-Art-Projekt machten. Seine allumfassenden künstlerischen Tätigkeiten wie Grafik, Malerei, Street-Art-Projekten, Raumgestaltungen und Installationen bewegten den Maler, die Meisterklasse für Malerei an der Grazer Ortweinschule zu besuchen, um „mich später ganz der Kunst zu widmen“, so Dinstl, der bis heute in seinen Werken Kritik an die Menschheit und ihr teils unverantwortliches Handeln übt. „Der Unterschied ist, dass von den wilden zu den ernsten Jahren meine Haltung anders, subtiler formuliert ist. Heute geht es nicht darum, kaltschnäuzig mit dem Zeigefinger auf jemanden zu zeigen und zu sagen: Tu das nicht!, sondern Alternativen aufzuzeigen. Meine Kunst ist ein Display, wo ich in Momentaufnahmen meine Betrachtung auf das Weltgeschehen darstelle, bewusst abstrakt, um offen zu lassen, ob der Betrachter meine Aussage lesen kann oder nicht, oder zumindest darüber reflektiert. Dann habe ich mein Ziel erreicht. Und wenn das Bild einfach nur gefällt, ist das ein schöner Nebeneffekt“, erklärt Dinstl. Aus diesem Grund gibt der Künstler seinen Bildern keine Titel. „Der Rezipient denkt sofort in eine Richtung, wird fehlgeleitet. Das will ich offenlassen und meinen Werken dadurch größeren Raum geben.“

Georg Dinstl stellt in seiner Kunst sozialkritische Fragen und möchte über die Kunst als Display Betrachter zur Reflexion anregen.



„War ich früher
als Sänger
die Rampensau
im Mittelpunkt,
kann ich es mir
heute als Maler

nicht vorstellen,
dass jemand im
Raum ist, wenn

ich male.“

GEORG DINSTL
STEIRISCHER KÜNSTLER

AUFTRAGEN UND ABARBEITEN BIS ZUR AUFLÖSUNG
Diese Individualität zeigte sich nicht zuletzt in seiner Werkserie für die letztjährige Ausstellung „Autonomie des Bildes“ in der Grazer Galerie Grill in der Bürgergasse. In der Ausstellungsbeschreibung heißt es: „Dinstl probiert, malt, übermalt, überdenkt, verändert und konzipiert neu, bis er an einem bestimmten Zeitpunkt sein Werk als fertiggestellt sieht. Der Entstehungsprozess seiner Gemälde ist wichtiger Bestandteil seiner Kunst, denn nur der Prozess macht es möglich, einen eingeschlagenen Weg auch zu ändern, ihn anders zu gehen, oder auch wieder zu ihm zurückzukehren.“ Darauf angesprochen, verrät er: „Meine Bilder enthalten Codes, verborgene Nachrichten, greifen alltägliche Themen auf, erzählen in vielen sich überlagernden Schichten eine Geschichte“. Die erste Schicht wird mit dem „für mich natürlichsten Material überhaupt, mit Kohlestift“ appliziert, und das sind „meistens impulsivste Striche, die letztendlich gar nicht über-bleiben, den Kohlestrich am Anfang, dieser Impuls, der gibt dem Bild eine Richtung vor, und durch das Abarbeiten, das Auftragen und wieder wegnehmen, kristallisiert sich auch eine Struktur heraus, die für mich über allem steht und den Malprozess bestimmt. Beim Auftragen und Wegnehmen kommt irgendwann der Punkt, wo es sich auflösen muss, dann, wenn bis ich nicht mal mehr einen Bleistiftstrich drauf machen will. Das zeigt, dass das Bild fertig ist“, so Dinstl. Für ihn sind die Strukturen seiner Bilder gleichgesetzt mit jenen Strukturen in unserer Gesellschaft, in denen manches verborgen und anderes offen liegt, sich aber nichts ändert.

SOZIALE BUNKER ALS GESELLSCHAFTSKRITIK
Diese Metapher griff Dinstl u.a. in seiner im April 2023 in der Galerie Lisi Hämmerle in Bregenz gezeigten Ausstellung „Soziale Bunker“ auf. „Mit Sozialen Bunkern sind nicht nur Bunker als Schutz oder Rückzugsort gemeint, wenn die Welt untergeht, sondern auch die Abkapselung in der Pandemie, oder eine sich ändernde familiäre Situation, wenn man zum Beispiel aufs Land zieht“, sagt Dinstl. Die abstrakten Gemälde der Ausstellung zeigten figurative Formen, tierähnlichen Wesen gleich, die zwischen geometrisch angeordneten Elementen den Betrachter aus fernen Welten anzublicken schienen. „Wie gehen wir mit den endlichen Ressourcen unseres Planten, überhaupt mit der Erde und unseren Mitmenschen oder mit Tieren um?“ fragt Dinstl, der hinzufügt, dass „viele Menschen immer Ich-zentrierter in einer Welt der Scheinheiligkeit leben. Wir machen Yoga und besuchen Mindfulness-Seminare, um runter-zukommen, denken aber nicht darüber nach, dass wir eigentlich entspannter leben und unsere Werte überdenken sollten“, fasst Dinstl die gesellschaftskritischen Aussagen seiner Ausstellung zusammen.

Der Künstler trägt in mehreren Durchgängen Farbe in mehreren Schichten auf und wieder ab.
Solange, bis die Struktur des Bildes stimmt.

FARBEN ALS GEFÜHLSVOLLES NARRATIV
Dass Dinstls Werke aber nicht nur eine düstere Seite haben, zeigt sich in der bunten, leuchtenden Farbwelt seiner Bilder, die er „Colours against boredom“ nennt. „Ich wollte in der Coronazeit Fröhlichkeit reinbringen in diese Tristesse. Und es ist so, dass Farben für mich eine persönliche Bedeutung haben, jede Farbe ein bestimmtes Gefühl transportiert. Aneinandergereiht entsteht eine Sprache, eine Aussage, die eine in Farben übersetzte Gefühlswelt entstehen lässt.“ Die Farbpalette reicht von Pastelltönen, kräftigem Rot über Gelb oder Blau bis hin zu schwarzen Linien und bildstrukturierenden, grafischen Flächen. Sie stehen nebeneinander, sind übermalt, und überlappen sich, entwickeln als Bildteile ein Eigenleben. „Nur grün wird man bei mir so gut wie nie sehen“, schmunzelt Dinstl. Für seine Soloausstellungen arbeitet der Künstler in Zyklen von meist 23 Bildern in unterschiedlichen Formaten in selbstgemischten Acryl- und Ölfarben. „Als Naturmensch würde ich mir nie anmaßen, grüne Farben so schön und vielfältig malen zu können, wie die Natur es tut“, so Dinstl, der als Inspirationsquelle etwa Egon Schiele nennt. „Schiele beeinflusst mich auf jeden Fall. Er hat die Auseinandersetzung mit Farben so gut draufgehabt. Seine Farbflächen hatten nicht das Glatte, Saubere, Ausgemalte, Lineare, sondern wiesen Strukturen wie die Striche eines ranzigen Pinsels auf. Diese Störer nehme ich auch in meine Bilder auf“, so Dinstl, der teilweise zwölf Stunden lang sich an mehreren Bildern abarbeitet, solange bis er leer ist. „So wie der Samen sich mühsam durch den Erdboden kämpfen muss und dann erblüht, gibt es einen Kampf dazwischen. Man sieht nur diese vergängliche Schönheit am Ende, oder in meinem Fall eben ein Bild als Resultat“, beschreibt Dinstl.

Und vielleicht ist dieser Kampf das, was seine Werke so faszinierend macht. Dass aus einem Gefühl, das raus muss, sich über einen Prozess, gleichzeitig intuitiv und kontrolliert, in Farben eine Aussage auf Leinwand bannt, die zum Nach- und Umdenken anregt – damit sich auch in anderen Strukturen endlich etwas ändert.

Georg Dinstl
Geboren 1978 in Wien
Lebt und arbeitet in Graz
2007 Gründung der Werbeagentur/CEO von Permanent Unit
2012 Mitgründer „Das Voyeur“
2015 Abschluss der Meisterklasse für Malerei (Ortwein), Graz
Nationale und internationale Einzel- und Gruppenausstellungen
www.georgdinstl.com

Fotos: Oliver Wolf

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