Unternehmen, die für ihre Studien Teilnehmerinnen und Teilnehmer suchen – Menschen, die sich für Studien als Testpersonen zur Verfügung stellen wollen: Mit der Idee einer Matchmaking- Onlineplattform hat die Grazer Probando GmbH das Tor zum Scale-up-Status weit aufgestoßen.
Einzig ein diskretes Schild neben dem Einfahrtstor weist darauf hin, dass hier, Graz, Glacisstraße 11, die Probando GmbH, ein Start-up im Bereich digitaler Dienstleistungen, seinen Unternehmenssitz hat. Zwei weitere Firmennamen auf der Tafel erinnern an Unternehmen, die die einstige Gründungs-WG mittlerweile verlassen haben. Nun werden die Altbauräume im ersten Stock des Frühgründerzeithauses ganz von dem Probando-Gründerteam und seinen mittlerweile bald 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, so sie nicht remote arbeiten, eingenommen. Wer über die Schwelle der vermeintlichen Wohnung tritt, erlebt einen ziemlich überraschenden Szenenwechsel. Helle, freundliche Altbauräume tun sich auf, Firmenlogos zieren die Wände wie Graffiti, Tisch an Tisch, Arbeitsplatz an Arbeitsplatz; es herrscht ein Mix aus konzentrierter Arbeitsatmosphäre und angeregter Kommunikation. Auf einer Arbeitsfläche liegen – bereit zur Montage – drei neue Firmenschilder, die nunmehr exklusiv auf das 2020 gegründete Start-up verweisen.
Die PROBANDO GMBH wurde 2020 von Julia Harrer, Manuel Leal Garcia, Matthias Ruhri und Gernot Winkler gegründet. Die vier Gesellschafter halten heute jeweils 18,44 % der Anteile und sind alle in operativen Führungsfunktionen tätig. Neben dem Gründerteam halten folgende Unternehmen Beteiligungen an Probando: ALLIN-Investbeteiligungs GmbH (Alfred Luger), ZEN 11 Holding GmbH (Georg Zenker), Lisentis GmbH (Schweiz), Technopark-Raaba Holding GmbH (Johann, Hannes und Peter Schreiner), StiBra Beteiligungs GmbH (Stephan Sticher, Manfred Brandner). Auf der Onlineplattform www.probando.io werden Menschen, die sich als Teilnehmer für Studien, Untersuchungen, Testreihen oder Umfragen zur Verfügung stellen wollen, mit Unternehmen verbunden, die diese in Auftrag geben. Zu den Firmenkunden zählen beispielsweise Studienzentren wie die Berliner Charité oder die MedUni Wien sowie deren Sponsoren wie etwa die bekannten Pharmaunternehmen Bayer, Novo Nordisk, Lilly und weitere. Die Plattform bietet umfassende Informations- und Serviceleistungen und seit Neuestem mit Probando Pay www.probandopay.com auch ein Tool für die Abwicklung von Zahlungen wie etwa Vergütungen und Aufwandsentschädigungen für Studienteilnehmer.
WACHSTUM IM VISIER
Beim Gespräch im Meetingroom ist die Atmosphäre unter den vier Gründern Julia Harrer, Manuel Leal Garcia, Matthias Ruhri und Gernot Winkler – sie halten jeweils 18,44 Prozent – entspannt, eine Kultur wechselseitiger Wertschätzung ist zu spüren. Für Frust und Streit bestünde derzeit allerdings auch gar kein Anlass. Rund sieben Jahre nach der Initialidee und gut drei Jahre nach der offiziellen Unternehmensgründung stehen die Zeichen bei Probando, das sich selbst als Scale-up definiert, auf Wachstum. Und das nicht zu knapp.
Bereits 6 der 20 weltweit führenden Pharmaunternehmen zählen zu den Kunden des steirischen Start-ups und nutzen die von diesem aufgesetzte Matchmaking-Plattform, die es ermöglicht, Probandinnen und Pro-banden für Studien, Testreihen und Umfragen mit Unternehmen zu vernetzen. Zurzeit ist das Start-up mit seiner digitalen Dienstleistungsplattform bereits in 17 Sprachen und 22 Ländern präsent. Eben wurde neben der bloßen Matchmaking-Funktion mit „Probando Pay“ eine weitere Serviceebene eingezogen und auch bereits gelauncht. Damit können Kunden wie etwa die besagten Pharmaunternehmen Zahlungen an Studienteilnehmer – Aufwandsentschädigungen und Vergütungen – direkt über die Plattform abwickeln. Diese Funktion zu implementieren sei nicht zuletzt angesichts der Vielzahl von teilweise höchst unterschiedlichen Datenschutz- und Zahlungsverkehrsregularien, aber auch im Hinblick auf eine tadellose Usability eine „superkomplexe“ Herausforderung gewesen, wie Gernot Winkler, als CTO für die digitale Entwicklung des Unternehmens verantwortlich, rekapituliert.
Scale-up mit komplexer
Dienstleistung:
das Probando-Gründerteam
Manuel Leal Garcia,
Julia Harrer,
Gernot Winkler und
Matthias Ruhri (v. l.).
UNIVERSELL EINSETZBAR
Der Vorteil der Lösung: Die Zahlungen werden nicht in Form irgendwelcher Tokens oder Gutschriften geleistet, sondern direkt auf das hinterlegte Konto überwiesen. Und das, obwohl die Unternehmen aus der Medizintechnik- und Pharmabranche die persönlichen Daten ihrer Studienteilnehmer gar nicht kennen dürfen. Sie habe, erinnert sich Julia Harrer, die im Unternehmen die Chief-Marketing-Officer-Funktion (CMO) innehat, selbst einmal an einer Untersuchung teilgenommen und eine gefühlte Ewigkeit auf die Vergütung gewartet. Und oft gelange diese gar nicht zu den Adressatinnen bzw. Adressaten. „Die Nutzung von Probando Pay“, präzisiert Matthias Ruhri, neben Manuel Leal Garcia „Managing Partner” des Start-ups, „ist auch unabhängig von der Matchmaking-Funktion möglich. Wir sind damit zertifizierter Payment Agent.“
Althergebrachte Wege funktionieren nicht mehr. Wir haben die Suche nach Studienteilnehmern auf digitale Beine gestellt.
JULIA HARRER, MANUEL LEAL GARCIA, GERNOT WINKLER, MATTHIAS RUHRI –
PROBANDO-GRÜNDERTEAM
ÜBERZEUGENDE IDEE
Rückblende ins Jahr 2017: Manuel Leal Garcia, damals in einem Pharmaziestudium, besucht an der Seite seiner Lebensgefährtin, einer forschenden Medizinerin, einen Kongress in den USA. Als sie sich mit einem US-Kollegen über das Recruiting von Studienteilnehmern für medizinische Studien unterhalten, wird Leal Garcia bewusst, dass althergebrachte Überzeugungsmethoden hüben wie drüben nicht mehr funktionieren. Viele Studien können mangels Teilnehmern gar nicht erst begonnen, andere müssen vorzeitig beendet werden, weil diese abspringen.
„Da hatte ich die Idee, die Suche auf digitale Beinezu stellen.“ Zurück in Österreich konfrontiert er seine Fachkollegin Julia Harrer, mit der er zuvor bereits zwei Start-up-Projekte gestartet hatte, mit der Idee.
Diese, anfangs skeptisch, lässt sich schließlich überzeugen. „Ich habe regelrecht vor ihr gepitcht.“ Und danach auch noch vor Gernot Winkler, einem befreundeten Software- und IT-Experten mit beruflicher Erfahrung im Pharma-Umfeld.
Als Vierten im Bunde holen sie schließlich Matthias Ruhri ins Boot, der Harrer und Leal Garcia am Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship der Karl-Franzens-Universität (KFU) noch als Lehrender gegenübergestanden war. Ruhri sollte die operativen unternehmerischen und betriebswirtschaftlichen Skills einbringen. Der gebürtige Grazer hatte nach Studien an der Johannes-Kepler-Universität Linz und der KFU selbst mehrere Start-ups vor allem im digitalen Fitnessbereich gegründet und sich als Manager bei hochkarätigen Adressen wie der Runtastic GmbH, der 8eyes GmbH, einem Beteiligungsunternehmen der vormaligen Runtastic-Gründer rund um Florian Gschwandtner und Alfred Luger, sowie der Up to Eleven Digital Solutions GmbH, einem Digital-Start-up-Company-Building- und Investmentunternehmen der steirischen Sms.at- und Nuki-Türschloss-Gründer Martin und Jürgen Pansy, profiliert. Dementsprechend auch Erfahrung und Netzwerk, auf die er im neuen Setting zurückgreifen konnte.
START-UP-SCHRECKSEKUNDE
Rund eineinhalb Jahre habe die Entwicklung der Plattform in Anspruch genommen. Ihr Zweck: Unternehmen bzw. von diesen beauftragten Studienzentren die Möglichkeit zu geben, für ihre Untersuchungen, Testreihen und Umfragen Teilnehmer anzuwerben. Und umgekehrt: Interessierten einen selbstbestimmten digitalen Zugang zu solchen Untersuchungen zu bieten. Die Gründung sei exakt in den ersten Corona-Lockdown hinein erfolgt – mit einem kompletten Studienstillstand.
Die Gründer griffen bootstrappend noch einmal in die eigenen Schatullen und fanden mit dem Kuratorium für Verkehrssicherheit einen ersten, wenn auch atypischen, weil nichtmedizinischen Kunden. In der Folge kam es zu einer ersten Investmentrunde. Mittlerweile ist eine zweite erfolgt, die auch international besetzt ist. Die SFG-Anschubbeteiligung wurde mittlerweile wieder zurückgekauft. Das Team hält insgesamt knapp 74 Prozent, der Rest verteilt sich auf Investoren (siehe Seitenspalte Seite 28).
START-UP-STERNSTUNDE Im Jänner 2021 dann ein weiterer Durchbruch. Mit Bayer Austria wird die Dependance eines der Großen der internationalen Pharmaindustrie auf das Grazer Start-up aufmerksam. Probando wird eingeladen, eine Studie auf seiner Plattform zu platzieren. „Eine extrem herausfordernder Auftrag“, wie sich Manuel Leal Garcia erinnert, „mit einer ungemein spitzen Zielgruppe.“ – „Ich glaube, das war ein Test“, wirft Julia Harrer ein. Ein Test, den sie bestanden haben. Und so ergab eines das andere. Bald stand auch die deutsche Bayer-Konzernmutter vor der Tür – Initialzündung zu einer Eigendynamik, wie sie sich ein Start-up mit Scale-up-Fantasie nur wünschen kann: immer mehr Kunden, immer mehr Sprachen, immer mehr Traffic.
Aktive Bewerbung auf allen nur erdenklichen Social-Media-Netzwerken („Wir haben mittlerweile eine eigene Ansprechperson bei Meta!“) mit ihren unterschiedlichen Altersschichtungen und Zielgruppen sorgt dafür, dass potenzielle Studienteilnehmer den Weg auf die Plattform finden. Auch in diesem Bereich seien die Learnings rasch und intensiv erfolgt. Die Plattform selbst wurde sukzessive weiterentwickelt und biete heute sowohl Studienteilnehmer wie auch Firmenkunden und Studienverantwortlichen ein hohes Maß an Usability und Services. „Service is our success, um es mit einem geflügelten Claim zu sagen.“ Für ihre Kunden auf beiden Seiten der Dienstleistungsmedaille glaubwürdig und greifbar zu sein, das sei, sind sich die vier einig, bei aller digitalen Dienstleistungsqualität doch der eigentliche Kern ihres Erfolges. Und das Bestreben, Studieninhalte so verständlich wie möglich aufzubereiten. „Es ist sogar schon passiert, dass sich Interessenten zu uns ins Büro verirrt haben, um sich für die Teilnahme an einer Studie anzumelden.“
SKALIERUNGSTREIBER
Mit Probando Feasibility stehe bereits ein weiteres Tool in den Startlöchern. Gestützt auf algorithmische Intelligenz und frei verfügbares Online- und Datenbankwissen soll dieses Kunden ermöglichen, für ihre Studien die am besten geeigneten Umgebungen zu eruieren. Das Potenzial für ihre Anwendungen, nennen Harrer, Winkler, Leal Garcia und Ruhri einen weiteren Skalierungstreiber, reiche über die Pharma- und Gesundheitsbranche weit hinaus. So würden heute bereits Konsum- und Verbrauchsgüterhersteller die Plattform etwa für Umfragen nutzen. Ein Paradigmenwechsel, der dem Grazer Start-up in den kommenden Jahren das zuletzt viel zitierte exponentielle Wachstum bescheren könnte. An Exit denke derzeit niemand. „Wir haben ein tolles Arbeitsklima, ein motiviertes Team und verstehen uns auch untereinander super. Warum also aussteigen?!“
Beim SPIRIT-STARTUP-AWARD 2023 wurde PROBANDO mit dem 3. PREIS in der Kategorie SCALE-UPS ausgezeichnet.
Fotos: OLIVER WOLF, PROBANDO