Spirit of Styria

Der hämatologische CODE

Als CEO des Start-ups „RobotDreams” will Ulrich Weigelt von Graz aus die Herzinfarktdiagnostik revolutionieren. Innovativer Kern des Konzepts ist eine mit Künstlicher Intelligenz gespickte Blutanalysesoftware.

ROBOTDREAMS GMBH
2017 stieß der St. Petersburger Labordiagnostiker und Molekularbiologe 
Alexandr Pushkin auf eine US-amerikanische Studie. Deren Gegenstand: 
die Herzinfarktdiagnose mittels bestimmter hämatologischer Parameter. 
Der in Hamburg lebende Softwareexperte Dimitrij Shulkin kreierte eine mit 
Künstlicher Intelligenz arbeitende Software, um dieses Konzept zu einem bahnbrechenden Diagnoseverfahren weiterzuentwickeln. Der deutsche 
IT- und Software-Unternehmer und -Manager Ulrich Weigelt stieß als Mitgründer und CEO dazu: Das ist, kurz gefasst, die Geschichte der RobotDreams GmbH.


Heute ist das Start-up am „European Space Agency Business Incubation Centres“ (ESA BIC)” des Science Parks Graz angesiedelt. Weigelt (CEO) und Shulkin fungieren als Hauptgesellschafter, Pushkin ist aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und die Embargomaßnahmen formell ausgeschieden, agiert jedoch weiterhin im Hintergrund als Mastermind. Neu im Team: die IT-Expertin Giulia Gallico als CTO.  Demnächst soll eine umfassende Studie zur Zulassung des Verfahrens beginnen.

Er kenne, versucht Ulrich Weigelt Exit- Ambitionen erst gar nicht von sich zu weisen, kaum Gründer, die ihre Start-ups auf lange Sicht im Sinne mittelständischer Handwerksbetriebe führen wollten, so sich die Chance eines lukrativen Ausstiegs eröffne. Er selbst, macht der 59-Jährige gebürtige Düsseldorfer – nach Selbstdiagnose eine typisch rheinländische Frohnatur – im Zuge des Gesprächs in den Räumlichkeiten des im Science Park in der Grazer Stremayrgasse 16 ansässigen „European Space Agency Business Incubation Centres“ (ESA BIC) aus seinen Visionen kein Hehl, würde die Gelegenheit eines lukrativen Exits jedenfalls beim Schopf ergreifen.

„Wir denken groß, unsere Innovation hat weltweites Skalierungspotenzial und wenn alles so läuft, wie wir es uns erhoffen, dann hat RobotDreams möglicherweise sogar das Zeug zum Unicorn“, lässt Weigelt an seinen – in diesem Falle allerdings menschlichen – Träumen teilhaben: eine „dritte Lebenshälfte“, wie man sie sich nur wünschen kann, Essenz eines vertriebs- und gründungsintensiven Lebens, der Big Point als unternehmerischer Schlussakkord. Eine Innovation wie diese, nämlich eine mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete Blutanalysesoftware zur raschen und sicheren Diagnose des akuten Koronarsyndroms – sprich Herzinfarkt –, schlagartig weltweit auszurollen, kehrt Weigelt auf den Boden der operativen Tatsachen zurück, das sei für ein kleines Start-up allein gar nicht möglich. Das würde Jahre dauern – mit allen Unwägbarkeiten, die sich daraus ergäben.

Wir denken groß.
Wenn alles so läuft, wie wir
es uns erhoffen, dann hat
RobotDreams möglicherweise
sogar das Zeug zum
Unicorn.

ULRICH WEIGELT
CEO ROBOTDREAMS GMBH

DISRUPTIVE DIAGNOSE
Drei, vier Jahre etwa – das könne, skizziert Weigelt, der Horizont für einen Exit sein. Die Akquise von Fördermitteln: die Zulassung der Diagnosesoftware nach einer klinischen Studie; eine zweite Beteiligungsfinanzierung im Ausmaß von etwa 500.000 Euro, nachdem zwei Prozent der Gesellschaftsanteile – nach Präsentationen auf internationalen Venture-Capital-Veranstaltungen – bereits für 250.000 Euro an die in Pendleton, Oregon, ansässige und im Nordwesten der Vereinigten Staaten tätige Laborgruppe „Interpath Laboratory“ gegangen waren; die Ausweitung des Diagnosetools auf weitere Anwendungsfälle und damit einhergehend dessen schier unbegrenzte Skalierbarkeit; und schließlich Verhandlungen mit möglichen strategischen Investoren, die auch schon potenzielle Käufer sein könnten – zum Beispiel weltweit tätige Hersteller von Hämatologie-Analysatoren, also medizintechnischen Geräten zur Analyse des Bluts. Das seien die Schritte auf dem Weg zu einem möglichen Exit. Kontakte zum Analysatoren-Weltmarkführer gebe es bereits.

Renommierte Kardiologen, die mit dem Verfahren bekannt gemacht worden seien, gingen, so Weigelt, davon aus, dass diese Innovation die Welt (der Diagnose) radikal verändern könne – sollten sich die bislang in informellen Versuchen erzielten Ergebnisse in den geplanten Studien bestätigen lassen. Gegenüber herkömmlichen Diagnoseverfahren steigere das von RobotDreams entwickelte KI-basierte Verfahren nämlich die Spezifität, also die Zuverlässigkeit der Diagnose signifikant – und reduziere dabei auch den zeitlichen, organisatorischen und logistischen Aufwand erheblich. „Zielgruppe“ des softwaregestützten Analyseverfahrens seien jene Menschen, die mit akuten Brustschmerzen und Verdacht auf einen Herzinfarkt in stationäre Notaufnahmen eingeliefert würden. EU-weit seien das jährlich fast 10 Millionen. Mit der Analyse einer Blutprobe, präzisiert Weigelt, könne mit dem RobotDreams-Verfahren quasi in Echtzeit die Frage beantwortet werden: Herzinfarkt, ja oder nein? Und das mit einer Zuverlässigkeit (Spezifität) von fast 94 Prozent.

Herkömmliche Diagnosemethoden – Bewertung der klinischen Symptome, zwei bis drei im Abstand von mehreren Stunden ermittelten Elektrokardiogrammen (EKG), Bestimmung des kardialen Troponinspiegels – würden hingegen eine Zuverlässigkeit von nur rund 70 Prozent erreichen. Die restlichen 30 Prozent der Verdachtsfälle verblieben im diagnostischen Niemandsland und würden entweder zur Sicherheit, aber eigentlich unnötigerweise hospitalisiert und (auch invasiv) behandelt – mit all den damit einhergehenden Kosten und körperlichen Folgen – oder nach Hause geschickt, wo sie letztlich schlimmstenfalls an einem nicht diagnostizierten Herzinfarkt sterben. Ein diagnostisches Dilemma, das der Auflösung harrt. „Selbst eine Steigerung der Spezifität von 70 auf – sagen wir – 75 Prozent“, so Weigelt, „wäre schon ein medizinischer Paradigmenwechsel und als solcher höchst willkommen.“

Die KI-getriebene Software, erläutert Weigelt das Funktionsprinzip der von RobotDreams entwickelten Lösung, stütze sich dabei auf Daten, die zwar im Zuge von Blutanalysen verfügbar, allerdings zuvor nie in diagnostischer Absicht ausgelesen worden seien. Da es sich zudem um eine Unmenge von Parametern handle, die komplex zu interpretieren seien, könne diese Aufgabe ohne den Einsatz von Künstlicher Intelligenz gar nicht zweckdienlich bewältigt werden. Das laut Weigelt mittlerweile zum Patent angemeldete Innovationsprinzip des RobotDreams-Verfahrens besteht folglich aus einer spezifischen Methode der informationstechnologischen Verarbeitung bestimmter Daten von Blutwerten.

Die Richtung stimmt: Als CEO des Start-ups RobotDreams will Ulrich Weigelt von Graz
aus mit einem innovativen Verfahren die Herzinfarktdiagnose revolutionieren.

VON TIMMENDORF NACH GRAZ
Doch wie kommt man zu einem innovativen Diagnosekonzept wie diesem? Und wie wird daraus ein Grazer Start-up? Die von Weigelt geschilderten Geschehnisse im Schnelldurchlauf: Der an einer St. Petersburger Klinik als Laborleiter und an der dortigen Medizinuniversität als Professor für klinische Labordiagnostik und Molekularbiologie tätige russische Wissenschafter Aleksandr Pushkin, wohl nur zufällig namensgleich mit dem berühmten Dichter, stößt 2017 in einer in Boston publizierten Studie auf ein spannendes Konzept zur Diagnose von Herzinfarkten mittels hämatologischer Analysen. Allerdings brachte ein auf der „analogen“ Auswertung der darin beschriebenen Daten beruhendes Verfah ren keinen diagnostischen Mehrwert und wurde ad acta gelegt. Doch Pushkin bleibt dran und erwägt den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Bei einer Konferenz lernt er den aus Belarus stammenden und in Norddeutschland lebenden IT- und Softwareexperten Dimitrij Shulkin kennen. Dieser hatte sich nach einem Masterstudium an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg einen Ruf als Entwickler KI-basierter Softwarelösungen für Topunternehmen und Global Player aus Luft-und Raumfahrt-, Automobil- sowie IT-Industrie gemacht, findet an Pushkins Idee Gefallen und kreiert eine Software. Eine informelle Studie im Wirkungsbereich Pushkins zeitigt vielversprechende Ergebnisse. So fassen Pushkin und Shulkin den Entschluss, ein Unternehmen zu gründen. Via LinkedIn gerät ihnen Ulrich Weigelt ins Netz. „Ich hab das zufällig gesehen, suchte eigentlich gar keinen Job, war aber von dem Konzept auf Anhieb total geflasht.“ Weigelt, ursprünglich gelernter Koch, hatte es rasch ins boomende IT-Business verschlagen. Mit jahrzehntelanger Erfahrung als Unternehmer sowie in Management- und Führungsfunktionen bei internationalen Playern vor allem in den Bereichen E-Learning und Performance-Support-Software, darunter als Senior Vice President bei dem in Berlin ansässigen Autorensoftwarespezialisten „PRE-A Process Robotics Easy Automation GmbH“, sah der damals an der Ostsee (Timmendorfer Strand) lebende Weigelt die Chance, seinem – wie er selbst sagt – bunten, ungewöhnlichen und alles andere als konventionellen beruflichen Lebensweg noch einmal einen spannende Wendung zu geben. Unter 40 Interessenten erhält er den Zuschlag, steigt ein und beginnt sofort, das Konzept auf Fach- und Investorenveranstaltungen weltweit zu promoten.

START-UP WAHLHEIMAT GRAZ
Beheimatet ist das Unternehmen vorerst an der Ostsee. Doch bei seinen Versuchen, Partner für die entscheidende Studie zu finden, sei ihm an deutschen Kliniken und Universitäten „typisch deutsche Skepsis“ begegnet. In Graz hingegen sei das innovative Konzept gleich auf Interesse gestoßen. So gehören heute mit Andreas Zirlik, Universitätsprofessor und Leiter der Abteilung für klinische Kardiologie an der Medizinischen Universität Graz, sowie Oberarzt Heiko Brugger zwei führende Kardiologen dem „Advisory Board“ des Unternehmens an. 2022 übersiedelt Weigelt mit seiner Frau und dem Unternehmen nach Graz. Eingebettet in die „Human Technology Styria“ findet RobotDreams im Weltrauminkubator des Science Parks Graz eine Bleibe. Hintergrund: Astronauten sehen sich in den kritischen Phasen vor Raumflügen einem erhöhten Infarktrisiko ausgesetzt.

Alexandr Pushkin hat sich nach dem Angriff Russlands auf seinen Nachbarn Ukraine formell aus dem Unternehmen zurückgezogen, fungiert jedoch weiterhin als fachliches Mastermind und stiller Teilhaber. Eine alles andere als erfreuliche Situation, wie Weigelt betont. Doch Weigelt, Shulkin, der von Hamburg aus agiert, im Hintergrund Pushkin und die neu zum Team gestoßene Software-Engineering-Expertin Giulia Gallico, die als RobotDreams-CTO fungiert, treiben die Entwicklung weiter. Wird das Studiendesign von der Ethikkommission zugelassen, steht dem nächsten – vorentscheidenden – Schritt nichts mehr im Wege. Es bleibt spannend.

Beim SPIRIT-STARTUPAWARD 2023
wurde RobotDreams mit dem 3. PREIS ausgezeichnet.

Fotos: Oliver Wolf

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