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KOOPERATION statt Konkurrenz

20 Jahre NAWI Graz: Die enge strategische Kooperation von Uni Graz und TU Graz in Lehre, Forschung und Infrastruktur hat sich über anfängliche Vorbehalte hinweg zum Musterschüler in Sachen Synergien entwickelt. Das im Entstehen befindliche Graz Center of Physics wäre ohne diesen Schulterschluss nicht denkbar, unterstreichen die Rektoren Peter Riedler und Horst Bischof. Das NAWI Graz Geozentrum wird folgen, die Visionen für die Zukunft sind groß.

Gemeinsam stärker für den Wissenschaftsstandort: Horst Bischof,
Rektor der TU Graz, mit Peter Riedler (r.), Rektor der Uni Graz.

Vom ersten Konzept auf einer Papierserviette, so ist es überliefert, zum Jubiläum 20 Jahre NAWI Graz – wie kam es damals zu dieser strategischen Kooperation?
HORST BISCHOF: Die Zusammenarbeit zwischen TU Graz und Uni Graz ist traditionell eng und gut. So gab es auch in den Naturwissenschaften seit den 1960er-Jahren punktuell gut etablierte Kooperationen in der Forschung. Den weitsichtigen NAWI Graz-Gründungsvätern Hans Sünkel und Alfred Gutschelhofer ist es zu verdanken, dass sie die Chancen des neuen Universitätsgesetzes 2002 nutzten, um die Kräfte in Forschung und Lehre zu bündeln.

PETER RIEDLER: Die Initiatoren haben ihre Vision mit Leben erfüllt. Diese strategische Kooperation ermöglichte es, neben der optimalen Betreuung von Studierenden, schließlich auch, Infrastruktur effizient zu nutzen und gemeinsame Forschungsprojekte zu fördern. Der Erfolg von NAWI Graz zeigt, wie viel wir zusammen erreichen können.

Gegen welche etwaigen Vorbehalte musste man sich wappnen?
RIEDLER: Damals gab es sicherlich Vorbehalte, oder zumindest Sorgen. Etwa vor dem Verlust von Eigenständigkeit, Konkurrenzdenken zwischen den Institutionen oder die Frage, ob gemeinsame Strukturen wirklich effizienter sind. Heute beweist der Erfolg von NAWI Graz, dass es nicht nur richtig war, auf Kooperation statt Wettbewerb zu setzen, sondern vor allem eines war: zukunftsorientiert und klug!

BISCHOF: Jede Veränderung birgt Unsicherheiten und es brauchte überzeugungskräftige Multiplikatoren innerhalb der Unis. Es galt, kulturelle Unterschiede zu überwinden, die Sorge vor Kompetenzverlusten auszugleichen und inneruniversitäre Skepsis zu überwinden. Schon bald überzeugte die Idee NAWI Graz aber interne wie externe Stakeholder.

Welche Synergien haben sich ergeben, was sind aber auch die Herausforderungen?
BISCHOF: Im Rahmen von NAWI Graz werden alle 22 Studienprogramme, davon 6 Bachelorstudien und 16 Masterstudien, gemeinsam angeboten. In der Praxis studieren die Studierenden an beiden Unis und lernen so die Breite des jeweiligen Faches kennen. Erst im Master entscheiden sie sich für eine Vertiefung. In der Forschung setzen wir auf gemeinsame Forschungsanträge und Berufungen und auf hochkarätige, kostenintensive Infrastruktur, sogenannte Core Facilities, die wir gemeinsam anschaffen und betreiben.

Spitzenforschung international sichtbar machen: das Graz Center of Physics ab 2030

NAWI Graz umfasst 4.700 Studierende, 1.300 Lehrende und 36 Institute an TU Graz und Uni Graz.

Zukunftsprojekt: ein NAWI Graz Geozentrum

RIEDLER: Besonders die Zusammenarbeit in Fächern wie Physik, Chemie oder Molekularbiologie hat durch den Austausch enorm gewonnen. Kontinuierliche Abstimmung ist notwendig, um eine effiziente Zusammenarbeit und transparente Kommunikation sicherzustellen. Das alles lohnt sich angesichts der Erfolge und lässt Neues entstehen. Ohne NAWI Graz würde es auch eines der aktuell größten Universitätsbauprojekte Österreichs nicht geben. Unser gemeinsames Zukunftsprojekt Graz Center of Physics wird ab 2030 die Physik-Institute unserer beiden Universitäten unter einem Dach vereinen.

Was waren besondere Meilensteine im Zuge dieser vertieften Zusammenarbeit?
BISCHOF: Bereits 2005 startete das erste gemeinsame vom FWF geförderte Großforschungsprojekt Molecular Enzymolgy und lief 14 Jahre. 2006 gab es die ersten gemeinsamen Studien, ab 2016 wurden alle Studien der Kooperationsbereiche gebündelt. Die Anzahl der Studierenden konnte in 20 Jahren um mehr als die Hälfte gesteigert werden, der Anteil der weiblichen Studierenden um zehn Prozent auf knapp 50 Prozent Gesamtanteil. Der Anteil der Drittmittel liegt in NAWI Graz bei knapp 35 Millionen Euro und hat sich seit 2006 mehr als verdoppelt. Das Studienangebot wird laufend auf die englische Sprache umgestellt – aktuell sind es 11 von 16 Masterprogrammen. So ist NAWI Graz für internationale Studierende und hochkarätige Forschende und Lehrende attraktiv.

RIEDLER: Die vertiefte Zusammenarbeit zwischen Uni Graz und TU Graz hat zu einer signifikanten Stärkung der wissenschaftlichen Exzellenz und Innovation geführt. Die gemeinsame Beteiligung am Exzellenzcluster Circular Bioengineering ist ein weiterer Beweis dafür. Gerade in der „Grünen Chemie“ liegt viel Zukunftspotenzial. Das erfüllt mich nicht nur mit Stolz, sondern auch mit Zuversicht, dass wir unsere Position als führende Institutionen der Wissenschaft, Forschung und Lehre in Österreich weiter festigen.

Die Anzahl der Studierenden konnte in 20 Jahren um mehr als die Hälfte gesteigert werden.

HORST BISCHOF, TU GRAZ

Ohne NAWI Graz würde es auch eines der aktuell größten Universitätsbauprojekte Österreichs nicht geben

PETER RIEDLER, UNI GRAZ

An welchen Hebeln kann man in Bezug auf die Unterrepräsentation von Frauen in den Naturwissenschaften ansetzen?
RIEDLER: An den Universitäten sind transparente Karrierewege, geschlechtersensible Auswahlverfahren und Förderprogramme sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheidend. Indem wir Mädchen und Kinder schon im Kindesalter ermutigen, sich für MINT-Themen zu interessieren, fördern wir nicht nur ihre persönliche und berufliche Entwicklung, sondern tragen auch aktiv zur Lösung komplexer, wohl auch globaler Herausforderungen bei. Diese Aufbauarbeit müssen wir als Gesellschaft langfristig verfolgen. Es braucht Vorbilder und den Dialog auf Augenhöhe.

BISCHOF: In NAWI Graz halten wir bei den Studierenden aktuell bei fast 50 Prozent Frauenanteil, das ist sehr gut. In Forschung und Lehre liegen wir durchschnittlich bei rund 30 Prozent, bei Professorinnen bei 18 Prozent. Beide Universitäten haben starke und vielfältige Frauenförderprogramme, die von Frauenlaufbahnstellen bis hin zu Mentoring- und Karriereprogrammen reichen. Die TU Graz versucht mit Österreichs größtem universitären MINT-Labor sehr früh Kinder und Jugendliche für Naturwissenschaft und Technik zu begeistern und bietet spezielle Programme nur für Mädchen an.

Was kann das Center of Physics künftig leisten, mit welchen Ambitionen geht man an den Start?
RIEDLER: Wir sind besonders stolz auf das Graz Center of Physics, das gerade im Univiertel entsteht. Es signalisiert Aufbruchstimmung, Inspiration und Zukunft. Es wird nicht nur ein Zentrum für Spitzenforschung sein, sondern auch ein Katalysator für interdisziplinäre Zusammenarbeit und Innovation, der die Grenzen der physikalischen Wissenschaften erweitert und eine neue Generation von Talenten inspiriert. Unsere Ambition ist es, physikalische Grundlagenforschung mit anwendungsorientierter Forschung zu verknüpfen und zugleich den Dialog zwischen den Disziplinen zu fördern.

BISCHOF: Das Graz Center of Physics, das ab 2030 die sechs Physikinstitute unserer Häuser an einem Ort zusammenführt, ist ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte von NAWI Graz, denn erstmals manifestiert sich unsere Kooperation auch in physischer Form. Der Neubau schafft einen Leuchtturm der Physik, der die Synergien in Forschung, Lehre und Infrastruktur nach innen noch besser bündelt. Das Forschungsprofil wird getragen vom gemeinsamen Forschungsschwerpunkt beider Universitäten, Functional and Quantum Materials. Dazu gehören Festkörper- und Materialphysik, Elektronenmikroskopie, Optik und Computational Physics. Darüber hinaus sind weitere Schwerpunkte die Fachdidaktik, die Elementarteilchenphysik sowie der Komplex der Astrophysik, Klimaphysik und Weltraumwissenschaften.

Und welche Ziele verfolgt das geplante NAWI Graz Geozentrum?
BISCHOF: Das NAWI Graz Geozentrum ist ein österreichweit einzigartiges interuniversitäres Zentrum, das Erdwissenschaften und Geotechnik verbindet und die vertretenen Disziplinen – von Mineralogie über Felsmechanik und Tunnelbau, bis zu Bodenmechanik, Geologie, Hydrogeologie oder Petrologie, um nur einige zu nennen – gemeinsam weiterentwickelt. Eine physische Heimat für das derzeit noch virtuelle Zentrum ist zukünftig am Campus Inffeldgasse der TU Graz geplant.

RIEDLER: So können innovative Lösungen für die Herausforderungen der Energiewende und des Klimawandels entwickelt werden. In Zeiten dringender Umweltprobleme ist das durchaus ein Wettlauf mit der Zeit. Deshalb ist der direkte und rasche Transfer von Forschungsergebnissen in konkrete Anwendungen unerlässlich.

Welches Resümee können Sie ziehen, was bedeutet das Jubiläum für den Wissenschaftsstandort Graz und Steiermark?
RIEDLER: Dass wir gemeinsam stärker sind. Das Jubiläum von NAWI Graz zeigt eindrucksvoll die Erfolgsgeschichte des Forschungs- und Wissenschaftsstandortes Steiermark. Das Jubiläum ist ein Beweis dafür, dass Kooperation statt Konkurrenz der Schlüssel zum Erfolg ist.

BISCHOF: Zentrale Vision für NAWI Graz war vor 20 Jahren, einen One-Stop-Shop für naturwissenschaftliche Forschung, Lehre und Kooperationen zu schaffen, der national und international Anerkennung und Aufmerksamkeit findet. Dies ist hervorragend gelungen.

Was sind Wünsche, Pläne und Visionen für die Zukunft?
RIEDLER: Wir haben eine klare Vorstellung. Sie fußt auf der Erfolgsgeschichte von 20 Jahre NAWI Graz und inspiriert uns, mit vereinten Kräften an einem zukunftsorientierten wissenschaftlichen Umfeld zu arbeiten, in dem innovative Ideen gedeihen und junge Talente eigene Wege in Wissenschaft und Forschung finden können.

BISCHOF: Meine persönliche Vision ist es, unseren Forschenden die bestmöglichen Bedingungen für bahnbrechende Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen. Vielleicht kommt ja schon einer oder eine der nächsten Physiknobelpreisträger oder Physiknobelpreisträgerinnen aus Graz!

FOTOS: FOTO FISCHER, RENDERING: FASCH&FUCHS.ARCHITEKTEN, NAWI GRAZ

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