Reformen rasch und tiefgreifend – das fordert IV-Steiermark-Präsident Kurt Maier und sieht gerade jetzt den idealen Zeitpunkt dafür. Im großen Interview mit „SPIRIT of Styria“ spricht er über die Notwendigkeit von Strukturreformen statt bloßer Symptombekämpfung, seine Erwartungen an die neue Landesregierung, Digitalisierung als Schubkraft für den Bürokratieabbau und warum Zuversicht trotz allem ein wichtiger Motor bleibt.
„Feuer am Dach“ des Wirtschaftsstandorts lautet vielerorts der Befund. Wie können wir es löschen?
MAIER: Wie in jeder schwierigen Phase ist der Faktor Zeit entscheidend. Wir müssen rasch und entschlossen handeln. Zögern ist keine Option mehr. Was es sofort braucht: Für die energieintensive steirische Industrie ist der Beschluss des Stromausgleichsgesetzes bis 2030 essenziell, um bei der Wettbewerbsfähigkeit zumindest innerhalb von Europa wieder aufschließen zu können. Wir haben in den vergangenen beiden Jahren auch gegenüber Deutschland massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Wir haben heute deutlich höhere Lohnstückkosten als unsere Nachbarn und preisen uns damit aus dem Markt hinaus. Ein Punkt, der unverzüglich angegangen werden muss. Ebenso wie die Flut an Regulierungen, die wir rasch eindämmen müssen. Daher auch die klare Forderung an die nächste Bundesregierung: kein Gold-Plating mehr!
Und was braucht es mittel- und langfristig, um den Standort feuerfest zu machen?
Die IV-Steiermark hat in ihrem Arbeitsprogramm 18 Handlungsfelder definiert und konkrete Forderungen formuliert. In Wahrheit darf es keine Tabus geben. Was wir brauchen ist eine Radikalkur für unseren Standort. Wir brauchen strukturelle Veränderungen und keine Symptombekämpfung. Wir müssen endlich beginnen, die Dinge aufzubrechen – ob in der Bildung, der Verwaltung oder im Pensionssystem.
Die Frage nach den „Brandursachen“: Welcher Anteil an der Problemlage ist hausgemacht, welcher extern bedingt?
Natürlich gibt es globale Faktoren, die auf die Konjunktur wirken. Aber wir haben uns das Leben zusätzlich schwer gemacht und uns selbst Wettbewerbsfähigkeit geraubt – allen voran mit den hohen Energiekosten und den hohen Lohnkosten, die wiederum die Inflation getrieben haben. Es gibt viele hausgemachte Themen.
Das berüchtigte D-Wort geht um – D wie Deindustrialisierung. Hat der Prozess bereits eingesetzt?
Es gibt zum Glück noch keine Abwanderung im großen Stil, aber es gibt Tendenzen. Betriebe hören etwa auf Ersatzinvestitionen durchzuführen. Das merkt man nicht sofort, aber es ist ein schleichender Prozess. Investitionsentscheidungen sind kennzahlengetrieben und hier hat der steirische Standort aktuell nicht die besten Werte zu bieten. Umso wichtiger ist es, wieder ein investitionsfreundliches Klima zu schaffen.
Kurt Maier
Geboren 1961 in Graz, Studium Wirtschaftsingenieurwesen, Maschinenbau an der TU Graz Nach Stationen im Automotivebereich ab 2005 in der Zellstoff- und Papierindustrie tätig.
Von 2005 bis 2006 CFO und ab 2006 bis 2016 CEO der Zellstoff Pöls AG.
Von 2016 bis 2022 CEO der Heinzel Group und bis 2024 deren COO. Seither vertritt Maier die Heinzel Group in Beiräten und Interessenvertretungen und fungiert als Aufsichtsratsvorsitzender des Zellstoffwerks in Pöls.
Seit 2005 im Landesvorstand der IV-Steiermark aktiv, seit 2017 bekleidet er auch ein Mandat im Bundesvorstand. Seit Juli 2024 Präsident der IV Steiermark. Vorstandsmitglied der Austropapier wie auch der Kooperationsplattform Forst-Holz-Papier sowie Mitglied in diversen Aufsichtsräten
Arbeitsprogramm IV-Steiermark
Im umfassenden Arbeitsprogramm „Immer einen Fortschritt voraus“ legt die IV-Steiermark 18 Handlungsfelder für eine wettbewerbsfähige Steiermark vor. Diese wurden mit über 100 Mitgliedsunternehmen sowie ausgewählten Stakeholdern erarbeitet.
Das Aktionsprogramm umfasst sechs Themenbereiche:
1) Arbeit, Bildung und Gesellschaft
2) Digitalisierung, Infrastruktur und Vernetzung
3) Energie, Klima und Umwelt
4) Europa und Internationalität
5) Forschung, Entwicklung und Innovation
6) Politik und Verwaltung
https://steiermark.iv.at
„Wir haben es selbst in der Hand und müssen jetzt die Zeit für Veränderungen nutzen.“
KURT MAIER
PRÄSIDENT IV-STEIERMARK
„Die Industriellenvereinigung ist bereit, ihren Beitrag für strukturelle Veränderungen zu leisten“, so IV-Steiermark-Präsident Kurt Maier im Interview
Welche der genannten 18 Handlungsfelder sind für Sie zentral?
Wir müssen grundsätzlich unterscheiden zwischen Bund und Land. Im Bund halte ich – wie gesagt – drei Maßnahmen für wesentlich: das Stromausgleichsgesetz, die Reduktion der Lohnnebenkosten und die Eindämmung der Regulatorien. Prioritär auf steirischer Ebene wäre eine Vereinfachung und Beschleunigung von Verfahren. Denn Unternehmen werden durch die Dauer und Ineffizienz der Genehmigungsverfahren massiv darin gehindert zu investieren. Der zweite Punkt: Uns fehlen nach wie vor Fachkräfte. Obwohl die Arbeitslosigkeit steigt, können wir viele Positionen nicht besetzen. Hier kann das Land Impulse setzen – etwa durch den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze. Darüber hinaus ist für uns als energieintensives Land die Umsetzung des Masterplans Grüne Energie entscheidend.
Wie ließe sich der Bürokratieabbau beschleunigen?
Verfahren müssen digitaler und damit schneller werden. Wie es gehen kann, beweist ein aktuelles Pilotprojekt in Oberösterreich. Dort wurde eine digitale Plattform initiiert, die Verfahren bündelt, Echtzeitkommunikation mit allen Beteiligten zulässt und an alle öffentlichen Register angeschlossen werden kann. Das würde auch in der Steiermark funktionieren. Darüber hinaus treten wir für eine Gesetzesbremse ein und die Einführung einer ‚Sunset Clause‘, das heißt, eine befristete Wirkung von Gesetzen. Wir erleben vielfach, dass aufgrund des Wildwuchses an Gesetzen und Vorschriften immer mehr Vorsicht waltet und oftmals keine (raschen) Entscheidungen mehr getroffen werden.
„Kein Weiter wie bisher!“, heißt es mantraartig. Was tun, damit es nicht bei einer Phrase bleibt?
Indem wir dranbleiben! Die Maßnahmen, die wir mit 100 Mitgliedsbetrieben erarbeitet haben, sind ein Spiegelbild dessen, was die heimische Industrie bewegt und wo ihre Prioritäten liegen. Daher werden wir diese Maßnahmen den neuen politischen Verantwortlichen in der Steiermark umgehend übermitteln und alles tun, damit möglichst viele unserer Punkte in Umsetzung gelangen und seitens des Landes auch in die Bundesregierung getragen werden.
Was erwarten Sie sich von der neuen Landesregierung nach dem Machtwechsel?
Die Industriellenvereinigung agiert parteipolitisch unabhängig – entscheidend ist für uns, dass wir Partner in einer Regierung haben, die mit uns gemeinsam die wichtigen Themen anpacken. Dazu gehört, dass die Regierenden bereit sind, die Realität zu akzeptieren – und dass sie uns zuhören. Ich denke, dass man der Industriellenvereinigung seitens der Politik ein gewisses Vertrauen entgegenbringt – wir sind nicht nur Mahner und zeigen Probleme auf, sondern wir bringen ganz konkrete Lösungsvorschläge ein und verstehen uns als zuverlässiger und konstruktiver Partner. Es geht nicht um ein Krankjammern, sondern um ein Problembewusstsein und ein klares Commitment.
Standort 2030 – Sie fordern im Land ein Standortressort und ein Zukunftsressort. Was würden diese bewegen?
Das Thema Wettbewerbsfähigkeit muss in der neuen Landesregierung höchste Priorität genießen. Am besten umsetzen lässt sich das in einer neuen Ressortzusammensetzung. Ein Standortressort mit den Bereichen Energie, Infrastruktur, Klima und Umwelt könnte die notwendigen Projekte im Bereich Infrastruktur und Energie wie etwa den ‚Masterplan Grüne Energie‘ zügig vorantreiben. Und ein Zukunftsressort mit den Bereichen Arbeit, Bildung, Forschung und Wirtschaft könnte die Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik bündeln und Fachkräftestrategien umsetzen.
Welche Bundesregierung brauchen wir?
Eine, die rasch ins Tun und Umsetzen kommt. Und die Dinge anpackt, auch wenn sie unpopulär sind. Ich glaube, dass die Bevölkerung mittlerweile schon sehr verunsichert ist. Aber wenn man erklärt, dass gewisse Maßnahmen jetzt notwendig sind, dann wird sie das auch verstehen und mittragen. Klare Kommunikation und Leadership – das ist es, was ich mir von Politik erwarte. Nur Kopfwehtabletten zu verteilen, wird nicht mehr reichen.
Die F&E-Quote in der Steiermark ist überragend hoch. Haben wir uns zu sehr darauf verlassen, dass uns Innovation allein vor Krisen schützt?
Nein, Forschung und Entwicklung ist ganz entscheidend für den Wohlstand in der Steiermark und wird es auch weiterhin sein. F&E ist ein kontinuierlicher Prozess, der nicht immer gleich kurzfristig wirksam wird, daher darf diese Kette – von der Forschung zu den Hightech-Anwendungen – nicht abreißen. Die Steiermark und allen voran die steirische Industrie werden weiterhin in F&E investieren – drei Viertel der Forschungsausgaben in der Steiermark entfallen auf Industriebetriebe, die hervorragend mit den Unis und Fachhochschulen zusammenarbeiten. Das ist beispielgebend für Österreich. Aber F&E allein kann uns nicht vor Krisen schützen, da müssen auch andere Rahmenbedingungen, wie besprochen, stimmen.
„Wir sind nicht nur
Mahner und zeigen Probleme auf, sondern
wir bringen ganz konkrete Lösungsvorschläge ein.“
KURT MAIER
PRÄSIDENT IV-STEIERMARK
Ein Industriebereich, der besonders leidet, ist der Automotive-Bereich. Wie kommen wir aus der Sackgasse?
Die Zulieferindustrie in Österreich ist stark von Deutschland abhängig. Und das, was dort gerade passiert, hat Auswirkungen auf uns. Trotz allem: Wir haben exzellente Unternehmen in der Steiermark und diese arbeiten mit Hochdruck an der notwendigen Transformation. Dafür braucht es aber auch die notwendigen Rahmenbedingungen, vor allem Planungssicherheit für die Betriebe. Die Transformation geht nicht von heute auf morgen und wird kurzfristig auch schmerzhaft sein, aber sie wird gelingen – davon bin ich überzeugt.
Die aktuellen wirtschaftlichen Krisen drängen das Thema Klimaschutz in den Hintergrund. Stimmt der Eindruck?
Das sehe ich überhaupt nicht so. Jede Branche in der Industrie hat einen klaren Plan, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Seit vielen Jahren investiert die Industrie in die grüne Transformation. Klar ist aber auch: Der Pfad muss realistisch und leistbar sein. Und er muss auch zeitlich machbar sein. Ehrlicherweise haben wir noch nicht alle Technologien zur Verfügung, um auf null Emissionen zu kommen. So wissen wir heute noch nicht, was ein Kubikmeter Wasserstoff in der Herstellung kosten wird und wo wir überhaupt die Mengen herbekommen werden. Daher verstehe ich nicht, warum wir in Österreich immer Musterschüler sein müssen und schon 2040 CO2-neutral sein wollen – und nicht 2050 wie der Rest Europas.
Die Firma TCG United in Oberösterreich meldete ihre Beschäftigten unlängst beim AMS-Frühwarnsystem an, um der KV-bedingten Lohnerhöhung zu entgehen. Haben Sie dafür Verständnis?
Ich werte das als einen Hilferuf, weil es offenbar nicht mehr anders geht – als letzten Ausweg, den man gehen muss, um Schlimmeres abzuwenden. Die Frage ist, was wir daraus lernen können. Ich meine, es zeigt, dass die Praktiken der Kollektivvertragsverhandlungen offensichtlich obsolet sind – die Benya-Formel ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Hier müssen wir neue Modelle finden. Dafür brauchen wir einen Schulterschluss in der Sozialpartnerschaft.
Zweitwichtigster Exportmarkt der Steiermark sind die USA. Blicken Sie sorgenvoll auf Trump 2.0?
Wir beobachten das natürlich mit Interesse. Zölle sind logischerweise nicht in unserem Interesse. Für uns ist das ein Anlass, die österreichische Bundesregierung aufzufordern, bei Freihandelsabkommen aller Art dranzubleiben. Wir schaden uns, wenn wir uns reflexartig gegen den Freihandel wehren und uns von irrationalen Ängsten leiten lassen – Stichwort Chlorhühner, die – so hieß es damals – den österreichischen Markt überschwemmen würden, was nie stattgefunden hat. Wir müssen hier offener werden, um Zukunftschancen nicht zu verpassen.
Was gibt Ihnen Zuversicht?
Wir brauchen Zuversicht ganz dringend. Zuversicht ist der Motor. Und sie ist auch begründet – ich bin sicher, dass die Industrie eine positive Zukunft vor sich hat. Wir haben unzählige tolle Unternehmen mit hochqualifizierten Mitarbeitenden, die sich täglich auf dem Weltmarkt behaupten und die auch weiter in Österreich investieren wollen. Das motiviert mich und treibt mich an, an den Themen dran zu bleiben. Ich stehe für einen realitätsnahen Optimismus. Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben und ihnen sagen: Wir haben es selbst in der Hand und müssen jetzt die Zeit nutzen. Veränderungen sind notwendig, um wieder einen Fortschritt voraus zu sein. Also wann, wenn nicht jetzt?! Die Industriellenvereinigung Steiermark ist bereit, einen positiven Beitrag dafür zu leisten.
Fotos: Oliver Wolf