Wasserstoff gilt als Schlüsselelement für eine klimaneutrale Zukunft und als grüner Treibstofffür Energie, Industrie und Mobilität von morgen. Entscheidende technologische Fragen auf diesem Weg löst das HyCentA, eines der führenden Wasserstoff-Forschungszentren Europas, am Standort der TU Graz in der Inffeldgasse. Zum 20. Geburtstag des Zentrums traf „SPIRIT of Styria“ die beiden Geschäftsführer Alexander Trattner und Gisele Amancio zum Gespräch über aktuelle Forschungsschwerpunkte und das ungeheure Wertschöpfungspotenzial von Wasserstofftechnologien.

Die HyCentA-Geschäftsführer Alexander Trattner und Gisele Amancio vor einem Prüfstand am Gelände des Wasserstoff Forschungszentrums am Gelände der TU Graz
„Wir schaffen hier Innovationen in einem Hightech-Sektor der Zukunft von hoher strategischer Bedeutung für Europa.“
ALEXANDER TRATTNER
CEO Research HyCentA
Das große Ganze und die Summe seiner Teile. Fast hätten wir beim Anblick des Prüfstands mit seinem feingliedrigen Gewirr an Leitungen, Kabeln, Anschlüssen, Ventilen und Messinstrumenten – ein Gesamtkunstwerk aus Mechanik, Elektronik und Sensorik – das Wesentliche übersehen: die Brennstoffzelle. Schuhschachtelgroß verbirgt sich diese im hinteren Teil des raumfüllenden Prüfstands, nahtlos in die Prüf- und Testumgebung integriert. Bereits seit Monaten wird die neuentwickelte Brennstoffzelle, die Wasserstoff in elektrische Energie umwandelt, hier am Gelände des HyCentA in der Grazer Inffeldgasse getestet, geprüft und optimiert. „Dabei handelt es sich um eine Brennstoffzelle einer neuen Generation, die künftig zum Antrieb von Quads, also Sport- und Freizeitfahrzeugen, eingesetzt werden soll“, erklärt Alexander Trattner, technischer Geschäftsführer des HyCentA, eines der führenden Forschungszentren für Wasserstofftechnologien in Europa. Mit BRP-Rotax als Konsortialführer ist ein renommierter Industriepartner im – vom Klima- und Energiefonds geförderten – Leitprojekt HyFleet an Bord. Ziel ist es, die Technologie gezielt weiterzuentwickeln und damit die Grundlage für ein anschließendes Serienentwicklungsprojekt zu schaffen. „Ein Beispiel, das die große Vielfalt der Einsatzbereiche von Brennstoffzellen von eben Sportfahrzeugen über den Schwerverkehr bis hin zur Luftfahrt demonstriert“, so Trattner. Insgesamt werden in Graz Forschungsprojekte mit rund 300 Partnern aus der halben Welt durchgeführt. „Den Großteil der Projekte dürfen wir gar nicht nennen oder herzeigen“, so Trattner, der auf die diskret verspiegelten Fenster im Prüflabor hinweist. „Die Palette der Projekte am HyCentA reicht von der grundlagennahen Forschung über die anwendungsorientierte Forschung bis hin zur reinen Auftragsforschung“, ergänzt Gisele Amancio, als Business Director für die kaufmännische Belange des Zentrums verantwortlich. „Ein wichtiger Meilenstein für uns war die Aufnahme ins COMET-Programm vor zwei Jahren – damit ist eine strategisch ausgerichtete Forschung möglich und die Finanzierung in Förderperioden gesichert und auch das Commitment unserer Industriepartner ist gestiegen. Das ermöglicht uns, langfristiger zu planen – ein Riesenvorteil in der Forschung.“
HyCentA
→ Gegründet 2005
→ Das HyCentA „Hydrogen Research Center Austria” ist die führende außer-universitäre Forschungseinrichtung in Österreich, die sich ausschließlich mit der Forschung und Entwicklung an Wasserstofftechnologien beschäftigt. → Seit der Gründung
führt das HyCentA mit führenden Unternehmen und wissenschaftlichen Partnern gemeinsame Projekte zur Erzeugung, Verteilung, Speicherung und Anwendung von erneuerbarem Wasserstoff durch – und deckt damit die ganze Wertschöpfungskette ab.
→ Das HyCentA betreibt eines der modernsten Wasserstoff-Testzentren in Europa mit Labors, Prüfständen für Elektrolyse und Brennstoffzellen sowie Wasserstoffbetankungsanlagen. Umfassendes Know-how im Bereich Sicherheit, Prüfung, Genehmigung und Zertifizierung von Wasserstofftechnologien.
→ Seit 2023 gefördertes K1-Zentrum im COMETProgramm, 40 (inter-) nationale wissenschaftliche Partner und Unternehmen forschen mit dem HyCentA an innovativen Wasserstofftechnologien – darunter: Magna, AVL, OMV, Verbund, E-Steiermark, Voestalpine oder Andritz. Finanziert werden COMET-Zentren vom Bundesministerium für Innovation, Mobilität und Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft, Energie und Tourismus, sowie von den Ländern Steiermark, Oberösterreich, Tirol und Wien. Die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) ist seit über 20 Jahren
für das professionelle Programmmanagement verantwortlich.
→ Insgesamt rund
300
Partner aus Industrie und Forschung.
→ Das HyCentA als Pionier: Das Zentrum errichtete die erste Wasserstoff-Tankstelle Österreichs, entwickelte gemeinsam mit FVT den ersten Wasserstoff-Pkw mit Straßenzulassung, entwickelte gemeinsam mit AVL Europas modernsten Brennstoffzellensystemprüfstand, errichtete die erste Hochdruckelektrolyse-Anlage in Österreich ebenso wie die europaweit höchstgelegene Wasserstoff-Infrastruktur Österreichs (Hinterstoder) sowie die europaweit erste Indoor-Betankungsanlage.
→ Rund
110
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Großteil Forschende
→ Gesellschafter: TU Graz (50 Prozent) sowie die Forschungsgesellschaft für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik, Magna und die OMV
INVESTITIONEN ZUM 20. GEBURTSTAG
Die Bandbreite der Forschung wird bei einem Streifzug am Gelände sichtbar. Neben Prüfständen für Brennstoffzellen passieren wir modernste Prüfstände für Elektrolyse zur erneuerbaren Wasserstoffherstellung, (elektro-)chemische Labore, Versuchsanlagen zu Materialprüfungen, stoßen auf Betankungsanlagen, allen voran eine Wasserstofftankstelle für Pkw, Lkw und Busse (die erste österreichweit, seit 2005 in Betrieb), und finden uns plötzlich gleich auf zwei Baustellen wieder – rechtzeitig zum 20. Geburtstag des Zentrums steht die nächste Ausbaustufe des HyCentA an: die Errichtung eines zweigeschossigen Gebäudes, das Platz für weitere Prüf- und Testlabors Platz bieten soll. Rund fünf Millionen Euro umfasst die Investition in modernste Forschungsinfrastruktur, so Amancio. Ein weiterer Neubau entsteht direkt angrenzend ans HyCentA durch den Hauptgesellschafter TU Graz, wo ein Freiluft-Testzentrum für Groß-Elektrolyseure Gestalt annimmt. Künftig können hier containergroße Elektrolyseure im MW-Bereich – also Energiewandler, die effizient und emissionsfrei aus Wasser Wasserstoff gewinnen – getestet und optimiert werden. „Elektrolyse ist eine der Schlüsseltechnologien für die Energiewende, da wir Wasserstoff als Speicherlösung in der Zukunft dringend brauchen werden“, erklärt Trattner. „Wasserstoff eignet sich perfekt als saisonaler Speicher, um erneuerbare Energie nutzbar zu machen und um Energie vom sonnenreichen Sommer in den Winter zu transferieren.“
WASSERSTOFF – DAS LEICHTE SCHWERGEWICHT
Das große Ganze und die Summe seiner Teile – das gilt auch für die Ausrichtung des Kompetenzzentrum Hy-CentA, das von Beginn einen holistischen Ansatz verfolgte. „Auch wenn unser Schwerpunkt vor 20 Jahren auf dem Bereich Mobilität lag, haben wir schon damals die notwendige Infrastruktur und Elektrolyse immer konsequent mitentwickelt. Heute tun wir das um so mehr“, so Trattner. „Mobilität ist nur ein Bereich, der am HyCentA intensiv bearbeitet wird – unser Fokus gilt der gesamten Wertschöpfungskette im Bereich Wasserstoff.“ Diese Wertschöpfungskette wird inhaltlich in vier Forschungsfelder abgebildet – von der Wasserstoff-Erzeugung und Distribution über die Speicherung und Verwertung in Brennstoffzellen bis zum Thema Kreislauffähigkeit und Systemoptimierung. Die große Vision: den Aufbau einer Wasserstoff-Gesellschaft vorantreiben und damit eine Zukunft gestalten, in der Wasserstoff ein zentraler Baustein für Energie, Industrie und Mobilität in einer weitgehend dekarbonisierten Welt darstellen wird. Das Zauberwort dazu: Sektorkopplung. Sprich: Die (nicht mehr zu trennenden) Sektoren Energie, Industrie und Mobilität intelligent miteinander vernetzen, um die Energiewende bei Strom, Gas und Wärme effizient und sicher zu gewährleisten.
Klassisches Beispiel: Überschussstrom aus Wind und Sonne wird in Form von Wasserstoff saisonal gespeichert und im Winter rückverstromt bzw. zur Wärmegewinnung (Wärmepumpe) eingesetzt. H2, das häufigste Element des Universums, auch das leichteste – auf dem Weg zum Schwergewicht für die Menschheit? „Davon bin ich überzeugt“, so Trattner. „Denn wir dürfen das Big Picture nicht aus den Augen verlieren. Unsere Forschungen hier sind kein Selbstzweck, sondern dienen dazu, Lösungen für das drängende Menschheitsproblem der Klimakrise zu finden. Und wir brauchen mehr denn je Antworten auf die ungelösten Fragen.“ Zwei aktuelle Fragenstellungen mit Riesen-Impact: die Umstellung der Frachtschifffahrt auf Wasserstoff und der Einsatz von Wasserstoff in der chemischen Industrie und Stahlproduktion der Zukunft. „Wasserstoff ist eines der dynamischsten Technologiefelder überhaupt und wir wollen mit der Dynamik nicht nur Schritt halten, sondern Pulsgeber der Entwicklung sein.“


Das HyCentA als Single-Point-of-Contact für Partner aus Industrie und Forschung. Allein 40 Partner gibt es im COMET-Programm, insgesamt sind es 300.
ENORMES WERTSCHÖPFUNGSPOTENZIAL
Nicht zu unterschätzen sei dabei das ökonomische Potenzial. „Wir schaffen hier Innovationen in einem Hightech-Sektor der Zukunft von hoher strategischer Bedeutung für Europa“, betonen Trattner und Amancio. „Als Technologie- und Industriestandort ist Österreich darauf angewiesen, hochinnovative Produkte in die Welt zu liefern. Wasserstofftechnologien bergen ein riesiges Potenzial, künftig Wertschöpfung zu generieren – gerade auch in Zeiten rückläufiger Automotive-Produktionen eine ungeheure Chance, diese Kompetenzen in neue Industriebereiche zu transferieren“, so Trattner und verweist auf einen steirischen Maschinenbauer, der ein enger Forschungs- und Entwicklungspartner des HyCentA ist und in diesem Sektor Millionenbeträge erwirtschaftet. „Wenn diese Industrie einmal voll angelaufen ist, lässt sich die Produktion weiter hoch skalieren“, so Trattner, der die strategische Bedeutung der Forschung unterstreicht: „Ein Euro Fördergeld in unsere Forschung fließt xfach als Wertschöpfung in die heimische Industrie zurück.“ Das große Ganze und die Summe seiner Teile – gilt auch für das Selbstverständnis des Kompetenz zentrums. „Wir sind Teil eines umfassenden Ökosystems rund um das Thema Wasserstoff – dazu gehören auch die Industrie, Universitäten und Forschungseinrichtungen, Politik sowie unsere Gesellschafter und Fördergeber. Ebenso binden wir die Gesellschaft zielgerichtet in unsere Aktivitäten ein und fördern junge Menschen, um sie in Richtung saubere Technologien zu motivieren“, erklärt Gisele Amancio. Allein 40 Partner sind Teil des COMET-Programms. Zuversichtlich stimmt die beiden Geschäftsführer auch ein jüngster Erfolg auf EU-Ebene. Die drei Bundesländer Steiermark, Kärnten und Oberösterreich erhielten Ende vergangenen Jahres gemeinsam den Zuschlag als neue Förderregion „Wasserstoff-Valley“. Damit sind Investitionen in die regionale Produktion und Nutzung von grünem Wasserstoff für eine nachhaltigere Industrie in Höhe von über 500 Mio. Euro verbunden. Trattner: „Hier müssen wir dranbleiben und möglichste viele Projekte rasch in die Umsetzung bringen.“

Das HyCentA ist eines der modernsten Wasserstoff-Testzentren Europas mit Labors, Prüfständen und Wasserstoffbetankungsanlagen.
Fotos: Oliver Wolf, HyCentA
In Kooperation mit HyCentA