Thomas Schmickl vom Institut für Biologie der Universität Graz forscht mit seinem Team und internationalen Partnern daran, wie Honigbienen im Schwarm funktionieren, was Roboter von ihnen lernen können und wie digitale Technik dem Artensterben entgegenzuwirken vermag.
Der Honigbienenstock ist die genialste Datenbank der Natur überhaupt. So etwas Komplexes würde man in der Informatik gerne programmieren können.“ Thomas Schmickl ist in beiden Zünften zuhause, in der Tierwelt gleichermaßen wie in der Technik. „Ich hatte mein Biologiestudium schon fast an den Nagel gehängt und war als Programmierer in der Softwareindustrie tätig. Ein Seminar des Honigbienenforschers Karl Crailsheim entfachte die Faszination Schmickls für das emsige Staatenvolk: „Die Honigbienenwaben schildern den Zustand ihrer Umwelt in den letzten Tagen und sogar Wochen. Allein an der Tatsache, wie der Pollen in den Waben abgelegt ist, spiegelt das Wetter, die Jahreszeit und die klimatischen Verhältnisse.“
HONIGBIENE: VORBILD DER TECHNIK
Sein duales Talent vereint der Wissenschafter in Form seiner Forschungsprojekte – sie fußen allesamt an der Schnittstelle von Biologie und Digitaltechnik. „Zu Anfang haben wir die Smartness der Honigbiene in die Robotik gesteckt.“ So beobachtete Schmickl in den Nullerjahren das Verhalten und den Stoffwechsel der Tiere, er untersuchte ihre Lagerhaltung, ihren Verbrauch und die komplexe Kommunikation im Schwarm. Alsbald traten Informatiker u. a. deutscher Universitäten und der Schweizer EPFL mit Kooperationswünschen an den Biologen heran: Könne man sich die intelligenten Mechanismen der Tiere nicht in der Entwicklung von Roboterschwärmen zunutze machen? Man konnte. „Roboter produzieren zwar keinen Honig, aber sie sammeln virtuellen Nektar, also Information, und tauschen sie aus.“ Zehn Jahre lang übersetzen die Forscher die Verhaltensweisen der Tiere in bioinspirierte Schwarmrobotik; Einsatzgebiet war vorwiegend das Unterwasser-Monitoring zu Umweltzwecken, darunter ein Roboterschwarm zur Langzeitbeobachtung der Lagune von Venedig.
ZUSAMMENBRUCH DER ÖKOSYSTEME
Die Neuausrichtung kam rund um das Jahr 2007, als der Wissenschaft immer klarer wurde, wie frappierend sich der ökologische Wandel auf die Artenvielfalt auswirkt. „Der Klimawandel ist medial und in den Köpfen präsent. Im Vergleich zum Massensterben der Insekten jedoch bildet er ein eher langfristiges Bedrohungsszenario“, räumt Thomas Schmickl mit Irrtümern auf. „Wir sehen einen Rückgang der Biomasse um bis zu 70 Prozent. Das gleicht dem Beginn eines Zusammenbruchs des Ökosystems.“ Das Verschwinden der Arten ließe sich nicht allein mit dem Klimawandel erklären. Gewiss sei dennoch der menschliche Einfluss in Form von Umweltgiften, Monokulturen, Bodenversiegelung und Fragmentierung der tierischen Habitate. „Wir setzen die Natur unter Stress. Es handelt sich um eine exponentielle Entwicklung – und was das bedeutet, wissen wir spätestens seit Corona.“
„Wir setzen die Natur unter Stress. Es handelt sich um eine exponentielle Entwicklung – und was das bedeutet, wissen wir spätestens seit Corona.“
THOMAS SCHMICKL
ARTIFICIAL LIFE LAB GRAZ
DAGEGENHALTEN
Vor 15 Jahren also verpflichteten sich die Grazer Forscher dazu, ihr Knowhow nur mehr in ein Dagegenhalten zu investieren. „Wir setzen die Technik ein, um die Natur zu unterstützen.“ Das Ziel: neue Methoden in der Grundlage zu erforschen, die künftigen Konzepten zum Artenschutz den Weg bereiten. Die Honigbiene ist, obwohl massiv bedroht, ein Stabilisator im Pflanzenreich. Sie bildet die weitaus wichtigste Spezies unter den Bestäubertieren und befliegt Tausende verschiedene Pflanzen in einer so großen Diversität, die andere spezialisierte Arten wie Hummeln, Wespen oder Schmetterlinge auf die Plätze verweist. Auch zahlenmäßig sind die Honigsammlerinnen überlegen, absolvieren sie doch hunderttausende Bestäuberflüge am Tag aus nur einem einzigen Honigbienenstock – kulminiert ergibt das Milliarden von Flügen im Dienste der Pflanzenfruchtbarkeit; unabdingbar für die Erhaltung des Ökosystems.
TANZEN UND ERNTEN Der technologische Rettungsschirm der Grazer Wissenschaft kommt vielfältig daher. Freilich handelt es sich um keine krabbelnden Metallinsekten, u. a. aber um Honigbienen-Attrappen auf Stäben, die den typischen Kommunikationstanz imitieren und so Einfluss auf die Befliegung gewisser Gebiete nehmen können: Es gilt etwa, die Tiere von Habitaten fernzuhalten, um Schmetterlingen und Wildbienen ein geschütztes Reservat zu bieten, oder den Schwärmen ein Naturgelände schmackhaft zu machen, das ihre Bestäubungsleistung dringend benötigt. Weitere technische Unterstützungstools sind in der Pipeline und stehen kurz vor dem Release. Neben Kamerasystemen entwickelten die Forscher weiters eine integrierte „Erntefunktion“, die den Honig aus dem Inneren der Waben absaugt und über einen Zapfhahn ausleitet. Das Institut unterhält selbst hunderte Honigbienenstöcke, die u. a. vorm Gebäude der Zoologie, im botanischen Garten, in der Landwirtschaftsschule Grottenhof oder im Honigbienenforschungspark am Hilmteich angesiedelt sind – in Letzterem gibt es auch die Möglichkeit, eine Patenschaft für Bienenstöcke zu übernehmen.
ZEBRAFISCHEIERSORTIERMASCHINE
Schmickls Forschungsprojekte bilden immer EU-geförderte internationale und interdisziplinäre Kooperationen. „Unser Team im Artificial Life Lab umfasst im Schnitt knapp 20 Personen unterschiedlicher Kompetenz vom Biologen, TU-Techniker über den Materialdesigner oder Mathematiker bis hin zum Simulationsingenieur.“ Die Grundlagenforscher erarbeiten eine Beta-Version, einen „proof of principle“, der die Funktionalität der neuen Methode durch Wiederholbarkeit belegt. Greift die – meist außerösterreichische – Industrie die Innovation auf, steht am Ende dreier weiterer Jahre ein Produkt sowie eine Spin-off, das es vertreibt. Aus dem EU-Projekt ASSISIbf, das Thomas Schmickl initiierte und koordinierte, entstand beispielsweise ein Startup der EPFL in Lausanne mit einer Zebrafischeier-Sortiermaschine für die Pharmaindustrie.
HOCHKOMPLEX
Die Honigbiene bleibt Königin der Forschungsinhalte Schmickls: „Honigbienen sind ein massiv smartes Volk mit Zehntausenden Individuen, die gemeinsam schwarmintelligente Entscheidungen treffen. Die Kolonie ist ein Musterbeispiel für Basisdemokratie – und das meine ich wörtlich, weil jede Honigbiene eine Stimme im kollektiven Entscheidungsprozess hat. Dabei kommunizieren sie im Stockdunklen über Tänze, Vibrationen, Gerüche präzise genau: In Folge fliegen dann vielleicht 3.000 Honigbienen in Richtung A, 5.000 ins Gelände B. Gleichzeitig herrscht ein totales Top-down-Prinzip, weil die Königin in gewissen Aspekten von oben bis ganz unten durchregiert. Das System ist hochkomplex und für uns Menschen derzeit kaum nachzuvollziehen.“
Und so lernen wir auch künftig weiter von ihnen, denn nichts geht ohne sie, die Honigbienen.
THOMAS SCHMICKL ist Universitätsprofessor am Institut für Biologie der Universität Graz und Leiter des Artificial Life Lab, das er 2007 nach der Rückkehr von einer Gastprofessur in den USA gegründet hat. 2012 wurde er auf den Basler Lehrstuhl für Exzellenz an der East Tennessee State University (ETSU), USA, berufen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Biologie sozialer Insekten und die ökologische Modellierung sowie die bioinspirierte Technik einschließlich Schwarm-, Modul-, Hormon- und Evolutionsrobotik. Thomas Schmickl war/ ist Partner in den EU-finanzierten Projekten I-Swarm, Symbrion, Replicator, FloraRobotica, RoboRoyale und leitend bzw. koordinierend in den EU-Förderprogramme CoCoRo, ASSISIbf, subCULTron, Atempgrad und Hiveopolis tätig. 2018 gründete er mit Kolleginnen und Kollegen den Exzellenzbereich COLIBRI an der Uni Graz, ein interdisziplinäres Netzwerk von mehr als 20 Professoren mit dem Forschungsschwerpunkt in lebenden komplexen Systemen. www.thomasschmickl.eu
FOTOS: UNI GRAZ, ARTIFICIAL LIFE LAB (KONSTANTINOV / KERNASENKO)