Spirit of Styria

Goodbye ANTIBIOTIKA?

Hoffnungsschimmer im Kampf gegen weltweit zunehmende Antibiotika-Resistenzen: Nermina Malanovic vom Institut für molekulare Biowissenschaften der Uni Graz forscht an Peptiden, die Bakterien, Pilze und Krebs blitzschnell außer Gefecht setzen.

Als sie Mitte der 1990er-Jahre vor den Grauen des Krieges aus Srebrenica nach Graz flüchtete, sprach Nermina Malanovic kein Wort Deutsch. So saß sie wenige Monate  später in der 6. Klasse des Gymnasiums der Ursulinen und konzentrierte sich aus der Not heraus auf die naturwissenschaftlichen Fächer: „Die Unterrichtssprache verstand ich nicht, dafür aber Zahlen und Formeln, denn die sind ja universell.“ Mit dem Lösungsbuch in der Hand verfolgte sie mathematische Rechengänge und chemische Formeln rückwärts, um sie zu verstehen. Einige Monate später lieferte Malanovic ihrer verblüfften Chemielehrerin die einwandfreie Prüfung.

„Ein erfolgreicher
Wissenschaftler muss weit
mehr können, als nur
exzellent zu forschen.“

NERMINA MALANOVIC
INSTITUT FÜR MOLEKULARE BIOWISSENSCHAFTEN
UNIVERSITÄT GRAZ

Knapp 30 Jahre später ist sie zweifache Mutter, mehrfach preisgekrönte Biochemikerin und eine der wenigen Wissenschafter in Österreich, die über Expertise im Forschungsbereich der antimikrobiellen Peptide verfügen. Dabei handelt es sich um kleinste und sehr flinke Eiweißmoleküle. Sie sind Teil jedes Organismus‘ und in der Lage, unerwünschte Eindringlinge rasch zu töten. Malanovic: „Jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze trägt Peptide in sich. Sie bekämpfen jeden Feind, der eine Hülle trägt: Bakterien, Pilze sowie gewisse Viren wie Corona und sogar Krebszellen.“ Vereinfacht ausgedrückt, durchlöchern die Peptide die Membranen ihrer „Gegner“ – die Zelle hat keine Chance. „Je nach Effizienz passiert diese Abwehrreaktion in Minuten oder sogar nur Sekunden.“

PHARAONENGOLD
Die Wirksamkeit der Eiweiße ist seit Jahrtausenden, sozusagen vorwissenschaftlich, bekannt. So empfehlen viele Hausmittel aus der jahrhundertealten Volksmedizin im Krankheitsfall jene Nahrungsmittel, die besonders viele Peptide enthalten. Dazu zählen etwa Propolis oder Hühnersuppe aus den Knochen. Schwarzkümmelöl – das „schwarze Gold der Pharaonen“ – galt schon im alten Ägypten als Heilmittel. Wie und wodurch das Eiweiß die Abwehrwirkung im Detail erzielt, wusste man damals freilich nicht.

NERMINA MALANOVIC

Geb. in Ljubovija (heutiges Serbien) Srebrenica-Überlebende, seit 1996 in Graz Studienabschluss Biochemie & Molekularbiologie, Uni Graz 2008 Doktorat am Institut für Biomolekulare Biowissenschaften (IBM)
Seitdem ebendort tätig Vielfach Preisträgerin u.a. 2022 Preis für Krankenhaushygiene der Österreichischen Hygienegesellschaft (ÖGHMP) Forschungsgebiet:
membranaktive bzw. antimikrobakterielle Wirkstoffe (Peptide, Octenidin)
Fokus: Alternative Wirkstoffe zu Antibiotika

PATENTANTRAG
Genau diese Funktionsweise steht heute im Mittelpunkt von Nermina Malanovics Tätigkeit. Denn je nach Aufbau, Konzentration und Zielzelle (Bakterium, Pilz o. Ä.) wirken Peptide unterschiedlich und unterschiedlich effektiv. „Wir untersuchen, wie sie funktionieren und interagieren, welche chemophysikalischen Eigenschaften sie haben, worauf sie am besten ansprechen. Dann designen wir selbst möglichst ideale neue Versionen; Fantasie und Kombinationsmöglichkeiten sind dabei fast keine Grenzen gesetzt.“ Was sich im Laborexperiment gut macht, wird in klinischen Studien getestet, anschließend im Labor nachgebessert und wiederum in die Praxis geschickt – so lange bis eine effektive Kombination von Aminosäuren vorliegt. Malanovic: „Mit zwei, drei Kandidaten stehe ich selbst kurz vorm Patentantrag.“

WHO – WARNUNG
Indessen steigt der Druck auf Gesellschaft und Wissenschaft, da Antibiotika – die traditionelle Waffe der Medizin, entdeckt in den 1920ern – ihre Schlagkraft verlieren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO listet Resistenzen neben atomaren Waffen und Pandemien als eine der drei größten Gefahren unserer Zeit für die Menschheit. Seit 30 Jahren ist kein neues Antibiotikum auf den Markt gekommen, auch Breitbandvarianten treffen bei Weitem nicht mehr alle Bakterienstämme. Es fehlt die Zeit, dies es braucht, Alternativen zu entwickeln. „Bis ein neuer Wirkstoff  zugelassen wird, die Pharmaindustrie investiert und er Eingang in den Krankenhausalltag findet, vergehen Jahre und Jahrzehnte, das kann man kaum beschleunigen“, erklärt die Wissenschafterin.

Dabei sind Peptide auch in anderen Bereichen Hoffnungsträger, etwa in der Bekämpfung sehr widerstandsfähiger Bakterien, die im Klinikumfeld monatelang überleben (volkstümlich als „Krankenhauskeim“ bezeichnet). „Die Bakterien lösen bei immungeschwächten Patienten häufig Entzündungen aus. Als Begleiterscheinung, etwa von Virenerkrankungen, können sie lebensbedrohlich werden.“ Im Worst-case gelangen sie in den Blutkreislauf und führen zu einer Sepsis: „Die Blutvergiftung ist auch heute noch ein sehr großes Problem in der Medizin. Mit jeder Stunde, die sie unentdeckt bleibt, reduziert sich die Überlebensfähigkeit des Patienten um acht Prozent. Man müsste sofort eingreifen, allerdings sind die Symptome schwer zu diagnostizieren.“

„Die Wirkung von Peptiden ist seit langer Zeit bekannt. Alte Hausmittel wie Hühnerknochensuppe, Propolis oder Schwarzkümmelöl enthalten viele dieser antimikrobiellen Stoffe.“

NERMINA MALANOVIC
INSTITUT FÜR MOLEKULARE BIOWISSENSCHAFTEN
UNIVERSITÄT GRAZ

PREISGEKRÖNT
Auf dem Gebiet der antimikrobiellen Wirkstoffe sei noch vieles unterforscht, so die gebürtige Bosnierin. Aktuelle Hürde sei die unterschiedliche Herangehensweise von Forschern weltweit. „Die Untersuchungen finden unter verschiedenen Laborvoraussetzungen statt, bei unterschiedlicher Menge, Konzentration und Anwendung der Peptide. Das macht es schwer, universelle Schlüsse zu ziehen.“

Exakt diese Objektivierbarkeit war deshalb Thema einer ausgezeichneten Masterarbeit ihrer Diplomandin Djenana Vejzovic. Die Nachwuchsforscherin  entwickelte verlässliche Methoden, um Aktivitäten antimikrobieller Wirkstoffe zu testen, untersuchte Mechanismen, die zum Zelltod in Bakterien führen, sowie die Rolle von Lipiden, sprich Fetten, bei Resistenzen. Dafür erhielt sie 2022 den Sonderpreis der Wirtschaftskammer für die beste wissenschaftliche  Nachwuchsarbeit des Jahres 2022. „Als gute Wissenschafterin muss man weit mehr können als nur exzellent zu forschen“, streut die Mentorin der Preisträgerin Rosen. „Dazu zählt: Publikationen schreiben, die eigenen Ergebnisse mündlich präsentieren, sich argumentativ gut aufgestellt um Forschungsgelder bewerben usw.“

SCHMERZ, PILZ, KREBS
Malanovic ist österreichweit eine der wenigen Experten auf ihrem Gebiet. An der Meduni Wien forscht man an Peptiden als Schmerzmittel, konkret etwa als Ersatz für Opium und Morphium. In Innsbruck widmet man sich Antipilz-Peptiden, während Dagmar Zweytick an der Uni Graz untersucht, wie die Eiweiße  Krebszellen bekämpfen. Zu Malanovics internationalen Partnern zählen Kollegen im niederländischen Utrecht bzw. Leiden, in Italien sowie England. „Jede und jeder von uns spezialisiert sich auf ihren bzw. seinen Bereich. Auf Konferenzen tauschen wir unsere Erkenntnisse aus – so leisten alle ihren Beitrag, die Forschung voranzutreiben.“

Fotos: Oliver Wolf

Folgt uns

Tretet mit uns in Kontakt, folgt uns auf unseren Social Media Kanälen. Wir freuen uns!