Energiepreise, Lieferketten, Inflation, Rezession, Zinswende, Corona, Fachkräftemangel – von der sich verschärfenden Krisenkulisse ist zunehmend das Rückgrat der steirischen Wirtschaft bedroht. Was brauchen kleine und mittelständische Unternehmen, um die Herausforderungen meistern zu können? Mit welchen Szenarien müssen wir rechnen? Dazu diskutieren fünf Branchenvertreter und Experten im Talk in der Redaktion von „SPIRIT of Styria“.
TALK AM RING ist ein Diskussionsformat von SPIRIT of Styria. Jeden Monat laden wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion am Grazer Opernring.
Die Energiekosten als großes Damoklesschwert. Was kommt noch auf Unternehmen und Private zu?
Harnik: Wir erleben Preissteigerungen von über 1.000 % beim Gas und über 600 % beim Strom. Die Unternehmen sind die Ersten, die diese Entwicklung in vollem Ausmaß spüren, weil sie eine andere Art von Stromverträgen haben als private Haushalte, die das erst zeitverzögert erleben werden. Unternehmen mit einem börsenindizierten Vertrag sind damit jahrelang gut gefahren, spüren aber jetzt die volle Wucht der Preisexplosion. Derzeit teilt sich die Unternehmerschaft in jene Firmen, die sich noch rechtzeitig mit Energie für zwei Jahre oder länger eingedeckt haben, und in Betriebe, die bis zum Schluss gehofft haben, dass es besser wird – leider vergeblich. Diese erleben mit Auslaufen ihres Energievertrages von heute auf morgen eine Verfünf- oder Versechsfachung ihrer Stromkosten. Wir als EVU sind in einer Sandwich-Position und machen dasselbe durch wie unsere Kunden. Damit gehören wir jedenfalls nicht zu den Krisengewinnern. Für uns ist die Situation genauso herausfordernd – auch aufgrund unserer relativ geringen Eigenproduktion. Kraftwerksprojekte durchzusetzen war in den vergangenen Jahren bekanntlich sehr schwer. Ich erinnere an das Murkraftwerk in Graz und an die heftige Gegnerschaft. Deren Hauptkritikpunkt damals wirkt heute fast grotesk: die mangelnde Wirtschaftlichkeit.
Talowski: Es wird dramatisch für unsere Betriebe, vor allem für klein- und mittelständische Unternehmen. Und wir sprechen hier allein in unserer Sparte von 43.000 Unternehmen mit 125.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – damit sind wir größter Arbeitgeber der Steiermark. Nicht viele dieser Betriebe konnten sich mit einem Kontingent über zwei Jahre eindecken, das geht an der Realität vorbei. Ich kenne selbst immer mehr Unternehmen, deren Stromvertrag bereits gekündigt wurde. Stromkosten, die sich verfünffachen, und Gaspreise, die sich verzehnfachen – das ist ein Faktor, den man auf eine Dienstleistung oder ein Werkstück nicht draufschlagen und an den Konsumenten überwälzen kann. Das geht einfach nicht. Zudem steigen ja nicht nur die Energiekosten, sondern auch die Kosten für Materialien, Mieten, Personal oder Kredite.
DIE TEILNEHMER
Urs Harnik
Leiter Konzernkommunikation
Energie Steiermark
Hermann Talowski
Unternehmer, Obmann Sparte Gewerbe & Handwerk WKO
Steiermark
Vinzenz Harrer
Unternehmer, WKO Regionalstellen-
Obmann Weiz, ÖGK- Landesvorsitzender
Karl-Heinz Snobe
Landesgeschäftsführer AMS
Steiermark
Ernst Rath
Steiermärkische Sparkasse,
Leitung Geschäftsfeld Kommerz
Bringen die Maßnahmen des Energiekostenzuschuss eine Erleichterung?
Talowski: 1,3 Milliarden sind besser als die ursprünglich geplanten 430 Millionen. Das ist begrüßenswert. Aber das ist immer noch viel zu wenig für die gesamte Wirtschaft – ein kleines Pflaster auf einer klaffenden Wunde. Dazu kommt, dass der Bemessungszeitraum viel zu eng ist, denn zwischen Februar und September 2022 ist ja noch nicht allzu viel passiert. Jetzt im Herbst geht es erst richtig los mit den gewaltigen Strom- und Gaspreissteigerungen. Wir brauchen unbedingt eine Ausweitung des Bemessungszeitraums – zumindest bis Mitte 2023. Dazu gibt es noch viele Fragen zur Abwicklung. Und besonders wichtig: Was ist, wenn der Topf leer ist?
Im Moment sieht es nach „first come, first serve“ aus. Das Wichtigste ist, dass Betriebe eine gewisse Sicherheit bekommen. Unternehmerinnen und Unternehmer brauchen eine Perspektive. Wir stehen vor einer dramatischen Situation, wir reden von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit im Jahr 2023. Ich weiß nicht, ob da die Regierung schon vorgesorgt hat. Ich sehe toxische Voraussetzungen, die über die Wirtschaft hereinbrechen werden. Diese werden im ersten Quartal 2023 böse aufschlagen.
Harrer: Ich sehe es ähnlich. Das beschlossene Unterstützungspaket ist ein erster Schritt, aber noch keine nachhaltige Lösung des Problems. Die Maßnahmen werden vielen Unternehmen helfen, aber die Treffsicherheit muss noch verbessert werden. Kritisch sehe ich den Betrachtungszeitraum, da die Kosten in den vergangenen Monaten zum Großteil noch nicht aufschlagen konnten. Es bleibt auch abzuwarten, wie schnell die Unterstützung bei den Unternehmen ankommt – schließlich geht es um Liquidität. Auch das Antragsverfahren scheint komplex zu sein. Ich hoffe, es kann ausgeschlossen werden, dass hier nur bei den Steuerberatern ausreichend Geld ankommt.
Müssen wir uns auf Szenarien mit hoher Arbeitslosigkeit vorbereiten?
Snobe: Die aktuelle Ausgangssituation ist ausgesprochen günstig, alle Arbeitsmarktindikatoren und die meisten Wirtschaftsindikatoren sind positiv. Wir haben eine historisch niedrige Arbeitslosigkeit, einen absoluten Beschäftigungsrekord, eine sehr niedrige Arbeitslosenquote von unter 5 % und damit einen praktisch leergefegten Arbeitsmarkt – wir alle kennen das Problem Nummer eins: den Arbeits- und Fachkräftemangel. Wir werden in diesem Jahr rund 31.000 Arbeitslose im Jahresdurchschnitt haben – einen so niedrigen Wert hatten wir zuletzt 2008 und davor auch nur ungefähr alle zehn Jahre. Ich sage das nicht, um zu beruhigen. Auch wir gehen davon aus, dass sich die Situation zum Jahreswechsel drehen wird. Schon in der zweiten Jahreshälfte 2022 spüren wir die ersten Anzeichen, dass sich die gute Dynamik seit Mitte 2021 etwas abflacht. Abhängig sind natürlich alle Prognosen von der Frage der Energieverfügbarkeit. Unsere Einschätzungen basieren darauf, dass zumindest ein notwendiges Maß an Gas verfügbar sein wird. Wenn es gar kein Gas gibt, haben wir natürlich eine schwere Rezession mit einem Minus-BIP. Aber momentan gehen die Prognostiker noch von 0,3 % Wachstum im nächsten Jahr aus. Kurz gesagt: Ja, der Arbeitsmarkt wird sich leicht drehen. Die Beschäftigung wird im Jahr 2023 nicht mehr wachsen, sondern schrumpfen – das ist das erwartbare Normalszenario. Momentan gehen wir aber von keinem katastrophalen Szenario aus – auch, weil das Energiekostenpaket den Unternehmen über die nächsten Monate helfen wird. Aber niemand hat eine Glaskugel. Es gibt viele Unwägbarkeiten.
Die Auswirkungen auf den Fachkräftemangel?
Snobe: Der Fachkräftemangel wird uns in diesem Szenario erhalten bleiben. Und die Energiekrise wird ja nicht ewig andauern. Dann braucht die Wirtschaft wieder ihre Arbeits- und Fachkräfte. Das haben wir durch Corona gelernt – deswegen haben die Betriebe von der Kurzarbeit Gebrauch gemacht. Am Arbeitsmarkt unter Druck kommen werden künftig, wie fast immer, die schlechter Qualifizierten, die über 50-Jährigen oder Menschen mit Migrationshintergrund. Bei den Frauen wird sich die Beschäftigungssituation wohl besser entwickeln als bei den Männern, weil es den produzierenden Bereich, allen voran Industrie, Handwerk und Gewerbe, aller Voraussicht nach am stärksten treffen wird.
Talowski: Der Energiekostenzuschuss zur Linderung der Kosten ist das eine, das andere ist die Frage, ob überhaupt ausreichend Mengen an Gas und Strom verfügbar sein werden. Neben der Symptombekämpfung müssen wir das Übel auch an der Wurzel packen – daher ist die Politik gefordert, endlich auch die Merit-Order abzuschaffen.
Harnik: Beim Strom sehen wir keinen Engpass, beim Gas sind Knappheiten nicht auszuschließen – ein Problem, das die gesamte Europäische Union betrifft und letztlich auch auf dieser Ebene gelöst werden muss. Als Energie Steiermark versuchen wir proaktiv zu handeln und gehen dafür auch neue Wege. So haben wir unlängst in einer Kooperation mit der Industriellenvereinigung Steiermark und der RAG für 15 Industriebetriebe erhebliche Erdgasmengen – in der Größenordnung von 150 GWh – in österreichischen Erdgas-Speichern eingelagert. Ein wichtiger Beitrag zur Versorgungssicherheit der heimischen Wirtschaft.
Harrer: Ich orte derzeit eine gewisse Grundpanik bei allem, was wir tun. Die vergangenen zwei Jahre waren ein Vorgeschmack. Jetzt sehen wir, dass die Betroffenheiten persönlicher werden, weil der Staat, nach dem stets gerufen wird, nicht alles stemmen kann. Die Pandemie hatte andere Gesetzmäßigkeiten – jetzt reden wir von gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Entwicklungen. Wenn ich mir meine Branche, den Bau bzw. Holzbau, den wir beliefern, anschaue, dann sehen wir im Durchschnitt einen Rückgang von 20-25 % seit Mitte Juli im Zuliefererbereich.
Die größten Herausforderungen aus Ihrer Sicht?
Harrer: Die Herausforderung ist, dass wir es in der dritten Generation nach dem Krieg nicht mehr gewohnt sind, dass irgendetwas weniger wird. Das kennen wir nicht und damit können wir nicht so einfach umgehen. Weder in den Haushalten noch in den Unternehmen noch beim Beitrags- oder Steueraufkommen. Wenn ich als Unternehmer zur Bank gehe und sage: „Ich habe ein Minus von 25 % budgetiert – wie kreditfähig ist das?“, wird’s schwierig, da gibt es keine Mathematik – weil wir es nicht gewohnt sind. Das zieht sich querbeet bis ins Sozialversicherungswesen, weil wir auch in der ÖGK negative Steigerungen erwarten. Ähnlich schaut’s in den Betrieben aus. Wenn wir Rückgänge haben, wird der Gestaltungsspielraum in puncto Innovation und F&E förmlich aufgezehrt – zudem ist negatives Wachstum eines Unternehmens in der Personalplanung aufgrund der Spezialisierung fast unmöglich. Bei einem Rückbau von Personal können Prozesse in Unternehmen schnell ins Wanken kommen. Ich fürchte, dass die Arbeitslosenzahlen nicht so stabil bleiben werden. Unterstützungen werden von Energiekostenzuschüssen über Produktions- und Investitionsstützungen bis hin zum Thema Risikokapital reichen müssen. Das Thema Finanzierungen geht für mich weit über den Bankensektor hinaus. Es braucht Risikokapital und mehr Risikofreudigkeit – stimuliert von der öffentlichen Hand. Damit auch der private Investor wieder anfängt, sein Kapital zu mobilisieren.
Wo sehen Sie derzeit die größten Aufgaben in der Finanzierung im Vergleich zur Corona-Zeit?
Rath: Der Begriff Multi-Krise trifft es leider ganz gut, was gerade passiert. Bei Corona war die Grundproblematik für alle irgendwie gleich oder ähnlich. Umsatzrückgänge, Hygieneregeln, die Frage von Homeoffice, die Hoffnung auf Medikamente bzw. die Impfung etc. – aber diese Krise oder Multi-Krise ist völlig anders. Wir führen derzeit viele strukturierte Gespräche mit unseren Kundinnen und Kunden, um herauszufinden, wo die entscheidenden Punkte und Herausforderungen liegen. Generell stellen wir dabei fest, dass nach wie vor eine vergleichsweise gute Grundstimmung vorhanden ist. Dabei geht es vielfach um das Thema Energie, aber nicht nur. Wir sehen, dass die Situation für die Unternehmen alles andere als uniform ist. Sie unterscheidet sich von Branche zu Branche, aber auch innerhalb einer Branche kann die Ausgangssituation völlig anders sein. Siehe das Thema Energie: Ein Betrieb hat sich abgesichert und der andere in derselben Branche nicht. Tendenziell sind größere Betriebe eher vorsichtigere Marktteilnehmer und haben besser vorgesorgt als Kleinbetriebe. Die meisten Unternehmen sind überdies überzeugt, dass sie Kostensteigerungen an ihre Kunden weitergeben können. Betroffen von der Energieproblematik ist praktisch jeder. Dennoch kommt auf die Frage nach der aktuellen Hauptbetroffenheit bei nahezu jedem Unternehmen zuerst der Fachkräftemangel. Danach folgt aber gleich das Thema Energie.
Was werden die Unternehmen aus dieser Krise lernen?
Rath: Bei der letzten Krise sah man, dass Liquidität ein entscheidender Faktor ist. Ich glaube, diesmal werden die Unternehmen insbesondere lernen, sich Verträge künftig genauer anzuschauen – auf der Lieferanten–, aber auch auf der Kundenseite. Denn Unternehmen, die preislich auf der Kundenseite fixiert sind, aber nicht auf der Beschaffungsseite, bekommen bei hohen Inflationsraten rasch ein Problem. Ich denke, das werden die Unternehmen aus der Krise mitnehmen.
Viele fragen sich: Was kann die Politik überhaupt noch leisten?
Harrer: Ich denke, der Politik wird derzeit wesentlich mehr überantwortet, als sie in der Lage ist zu leisten. Gleichzeitig ist die Wirtschaft bereits so stark reglementiert, dass wir am freien Markt nicht mehr die Möglichkeit haben, so kreativ zu sein, wie wir das in Krisenzeiten bräuchten. Daher fürchte ich, wird es auch Verlierer geben. Wir werden in den kommenden zwei, drei Jahren eine Delle erleben. Ich bin überzeugt, dass wir mehr Freiheiten brauchen – mehr Wettbewerb, um wieder mehr Dynamik aufzunehmen. Diese Grunddynamik muss von innen heraus kommen. Und ich glaube, dass wir politische Themen, die Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit betreffen, von der Parteipolitik wieder in die Sozialpartnerschaft verschieben müssen. Wenn wir die Wertschöpfungspartner nicht wieder ins Zentrum stellen, werden wir die Kurve nicht kriegen. Stromdeckel oder Zuschüsse allein lösen das Problem nicht, sondern kratzen nur an der Oberfläche.
Talowski: Ich bin überzeugt, es braucht neben den aktuellen Unterstützungen auch Antworten auf grundsätzliche Fragen: Wie geht es in der Zukunft insgesamt weiter mit unserem Wirtschaftsstandort? Denn, wenn der Ukraine-Krieg morgen aus ist, dann gehen wir übermorgen ja nicht zur alten Normalität zurück – das spielt es nicht! Wir haben unseren Wohlstand in Europa auf billiger Energie aufgebaut. Die Russen haben nach wie vor gigantische Mengen an Bodenschätzen und unerschöpfliche Energieressourcen – wenn diese sich mit Indien und China zusammentun, mit einem enormen Arbeitskräfteangebot, muss sich Europa warm anziehen. Auch darüber müssen wir diskutieren.
Harnik: Wir merken, dass es derzeit unwahrscheinlich viele Unternehmen gibt, die nicht tatenlos zuschauen, sondern selbst aktiv werden und Geld in die Hand nehmen, um etwa auf einem Hallendach eine PV-Anlage zu montieren. Die Anfragen nach Gemeinschaftsprojekten ist bei uns in Sachen Photovoltaik förmlich explodiert. Es bilden sich neue Allianzen. Auch im kommunalen Bereich. Denn für Energiewende brauchen wir das Einverständnis zwischen Investor, Bürgermeister und Grundbesitzer – wenn das vorhanden ist, dann können Projekte wahnsinnig schnell gehen. Siehe unsere Anlage in Bärnbach, dem größten Photovoltaikpark Österreichs, oder das Projekt in Neudau – das sind Projekte mit kurzen Projektzeiten.
Dennoch dauern Genehmigungsverfahren etwa für Windkraft teilweise neun Jahre, heißt es. Kommt hier nun neuer Schwung hinein?
Harnik: Auf der gesetzlichen Ebene sehe ich das leider nicht. Politische Lippenbekenntnisse dominieren, ich vermisse den nötigen Rückenwind. Im neuen UVP-Gesetz wird über Erleichterungen diskutiert, die Projekte beschleunigen sollen – aber bislang wurde nichts umgesetzt. Dabei wäre eine Beschleunigung das Gebot der Stunde.
Talowski: Jede Krise hat ihre Chance. Covid hat die Digitalisierung vorangetrieben und jetzt erleben wir einen Schub für erneuerbare Energie. Aber wir reden hier von einer Entwicklung, die fünf oder zehn Jahre dauern wird. Bloß unser Problem schlägt schon morgen auf. Die Frage ist daher: Wie schaffen wir es, diese Betriebe dorthin zu bringen, dass sie dann auch noch existieren, um künftig Photovoltaik und Ähnliches nutzen zu können? Wenn der Staat bei Corona gesagt hat, Betriebe müssen zusperren, haben sich diese Betriebe zurecht erwartet, dass der Staat sie dafür entschädigt. Und heute: Wenn der Staat nicht in der Lage ist, einen funktionierenden Energiesektor zur Verfügung zu stellen, von dem die Betriebe abhängen, dann dürfen diese ebenso erwarten, dass der Staat Mittel zur Verfügung stellt, um ihre Existenz zu sichern. Denn, wie gesagt, eine Steigerung von 1000 % kannst du nicht weitergeben – unmöglich! Das heißt aber nicht, dass wir „Koste es, was es wolle“ fortführen wollen. Betriebe mit der Gießkanne zu retten, die sowieso nicht zu retten sind – das kann’s auch nicht mehr sein.
Rath: Diese Problematik kennen wir schon. Gießkanne, Überförderung & Co. ist ein spannendes Thema, dem man sich in der Tat wieder stellen muss. Die genaue Prüfung der Förderungswürdigkeit steht oft im Gegensatz zur rasch benötigten Hilfe. Als Bank besteht unsere Rolle darin, Fremdkapital zu geben. Das ist uns vor zwei Jahren – auch mit den AWS-Garantien – gut gelungen. Und das tun wir auch jetzt – wir wollen unsere Kunden so gut wie möglich unterstützen. Dazu sind vor allem zeitgerechte Gespräche unbedingt erforderlich. Es wird dabei auch nicht ganz ohne Verlustfinanzierungen gehen – das ist klar.
Snobe: Die Politik ist nach den Überförderungen der Corona-Zeit sensibel geworden. Daher überlegt man sich die Treffsicherheit jetzt umso genauer. Die Wirtschaftshilfe ist auch befristet angedacht, um die Botschaft zu vermitteln, dass die Unterstützung nur temporär sein kann und man nicht die Gänze der Last abfedern kann. Man muss ehrlich sein: Es geht nur eine bestimmte Zeit und es wird auch Opfer geben. Der aktuelle politische Wille geht auch in die Richtung, dass es Kurzarbeit aus dem Titel Energieknappheit nicht geben wird. Wenn es um Energie geht, muss man deren Kosten fördern, aber braucht dafür nicht das Mittel der Kurzarbeit. Aus gutem Grund: Weil Kurzarbeit das Problem mit sich bringt, dass es Strukturen konserviert. Das ist Gift für eine Wirtschaft und die Innovationskraft.
Harrer: Eine Frage, die die Industrie mehr trifft als uns. Aus gewerblicher Sicht kann ich das nur begrüßen, denn es waren tatsächlich viele Menschen in Kurzarbeitsjobs geparkt, während wir in vielen Bereichen dringend gesucht haben. Wir brauchen in den Unternehmen einen Wettbewerb um Arbeitsplätze. Darüber hinaus bin ich für eine Arbeitszeitdebatte. Wir müssen die Menschen stimulieren, etwa mit steuerlichen Anreizen, mehr Stunden in der Woche zu arbeiten. In Österreich arbeiten wir im Schnitt nur 30 Stunden in der Woche – das ist für eine erfolgreiche Volkswirtschaft auf Dauer zu wenig. Auch sonst braucht es Arbeitsmarktreformen. Solange bei uns ein Ganztagsarbeitsloser mehr verdient als ein Halbtagsbeschäftigter, gibt es zu wenig Anreiz.
Was ist in der Energiepolitik nun zu tun?
Harnik: Wir haben es mit einem Unwetter schärfsten Ausmaßes zu tun – über ganz Europa. Und die Regierung kann zwar Gummistiefel und Regenschirme ausgeben, um uns zu schützen, aber sie kann das globale bzw. zumindest europäische Unwetter nicht aufhalten. Tatsache ist: Wir hängen beim Gas noch immer am Tropf von Russland sowie am Merit-Order-Prinzip der europäischen Märkte – so lange diese Abhängigkeiten bestehen, wird keine Ruhe einkehren. Umso mehr müssen wir die Investitionen in erneuerbare Energie raschest vorantreiben. Zwei Milliarden Euro hat die Energie Steiermark dafür für die nächste Jahren budgetiert. Aber die Energieproduktion allein ist es nicht, wir müssen auch die entsprechenden Netze ausbauen – ganz massiv. Und wir müssen uns auch die Frage stellen, ganz selbstkritisch, ob der Faktor Energie in den vergangen zehn Jahren nicht einfach zu billig war. Ich denke, dass der Veränderungsprozess zu mehr Energieeffizienz in vielen Bereichen aus diesem Grund nicht frühzeitig eingeleitet wurde. Es hatte kaum jemand eine Motivation, seine Prozesse zu verändern oder in erneuerbare Energie zu investieren, weil es sich nicht gerechnet hat. Damit haben wir wertvolle Zeit im Transformationsprozess verloren – die Frage ist: Wie schnell können wir das jetzt aufholen?
Rath: Auch wir in der Finanzierung sehen ganz klar diesen Zug in Richtung Alternativenergie, insbesondere Richtung Photovoltaik. Dieser Trend ist mit Sicherheit da, dabei spielt auch der Green Deal der EU und das Thema nachhaltige Veranlagung nach ESG, also Environmental Social Governance, für Banken eine Riesenrolle. Von der Grundidee her ist es nur sinnvoll, Finanzströme auf das Ziel des Ausbaus erneuerbarer Energien hin zu lenken. Das fängt jetzt erst richtig an und nimmt auch in unserem Haus immer mehr Fahrt auf.
Harnik: Wir müssen uns dennoch bewusst sein, dass erneuerbare Energie immer eine Ausgleichsenergie brauchen wird. Das sind in der Regel Gas- oder Kohlekraftwerke – im idealen Fall ein Pumpspeicherkraftwerk. Zumindest, solange es nicht gelingt, grünen Wasserstoff nicht in großen Mengen als Ausgleichsenergie zur Verfügung zu stellen. Ein Vorzeigeprojekt dazu betreibt die Energie Steiermark derzeit in Gabersdorf bei Leibnitz. Das geplante Pumpspeicherkraftwerk auf der Koralm ist leider ein gutes Beispiel für unser viel zu lasches Tempo – das Genehmigungsverfahren dauert bereits Jahre. Wir erleben es ja auch immer wieder bei unseren Windparkprojekten. Dabei müssen wir ehrlich sein: Diese Veränderung, die wir brauchen, wird auch sichtbar sein. Wir werden uns an Windräder auf den Bergen gewöhnen müssen – so, wie wir uns an Skilifte oder Bahnstrecken gewöhnt haben.
Es heißt, Politiker können den Menschen nicht die Wahrheit sagen, weil sie dann nicht mehr gewählt werden…
Snobe: Die Zukunftserwartung der Menschen ist jetzt in einer außergewöhnlichen Weise strapaziert. Wie richtig gesagt: Corona war eine Krise, bei der man gewusst hat: Irgendwann ist das vorbei. Aber das Thema der Kostenentwicklung im Energiebereich und der Energiewende wird uns lange beschäftigen. Und das weiß die Bevölkerung und man kann es der Bevölkerung auch nicht vorenthalten. Da hat die Politik gar keine Chance mehr, Wahrheiten zurückzuhalten. Das werden die Menschen sowieso spüren, im nächsten Jahr so richtig, weil dann die Teuerung in einem noch stärkeren Ausmaß passieren wird. Ich glaube, dann wird es auch zu Veränderungen in der politischen Meinungsbildung kommen.
Wie wirkt sich der zunehmende Druck auf die Arbeitsmotivation der Menschen aus?
Snobe: Wir sehen gegenläufige Tendenzen. Einerseits merken wir, dass der Druck auf unselbstständig Beschäftigte steigt. Menschen suchen schneller Arbeit, wenn sie arbeitslos werden. Und wir sehen andererseits genauso, dass sich Lebenskonzepte der Menschen ändern, und beobachten das Phänomen, dass immer mehr Menschen von selbst kündigen – diese Zahl hat deutlich zugenommen in den letzten zwei Quartalen. Die Menschen sind mobiler geworden und lösen von sich aus Dienstverhältnisse auf – oftmals, ohne gleich eine Perspektive zu haben.
Herr Rath, rechnen Sie mit erhöhten Kreditausfällen in den nächsten Jahren? Und wird sich die Zinswende dämpfend auf die Investitionsbereitschaft auswirken?
Rath: Mit Blick auf die Multikrise und den ganzen Effekten, die wir jetzt haben, darf es niemanden wundern, wenn es zu steigenden Kreditausfällen kommt. Wir können nicht erwarten, dass der Staat alles auffängt. Und wir können nicht davon ausgehen, dass alle Unternehmer fit für die Zukunft sind – so ehrlich muss man sein. Was die Zinsen betrifft: Ich erinnere mich an den Anfang der 90er Jahre, als man für das Sparbuch acht, neun Prozent Zinsen bekam und die Kreditzinsen zweistellig waren. Und trotzdem war die Kreditnachfrage sehr hoch. Warum? Weil die Unternehmer sich einen Gewinn erwartet haben. Das haben wir heute nicht in dieser Ausprägung. Andererseits sind steigende Zinsen – und seien es nur ein bis zwei Prozent – auch ein psychologischer Effekt. Aber das sollte nicht den Ausschlag geben, dass ein Unternehmer, der von seiner Investition überzeugt ist, sich von seinem Vorhaben abbringen lässt.
Ein kurzer Ausblick – wie kommen wir durch den Winter?
Harnik: Für die kommenden Monate bin ich vorsichtig optimistisch. Die Gasspeicher sind gut gefüllt. Die Dramatik sehe ich erst im Herbst und Winter 2023/2024. Dann werden die vollen Auswirkungen zur Gänze spürbar. Daher glaube ich, dass wir das Thema Energieeffizienz noch viel stärker aufs Tapet bringen müssen. Wir sind alle aufgefordert, unseren Energieverbrauch zu prüfen und uns zu fragen, was jeder Einzelne von uns tun kann, um Energie zu sparen oder selbst zu produzieren. Vom Balkonkraftwerk bis zum Windrad. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das, was wir jetzt erleben, so bleibt und den Beginn einer tiefgreifenden dauerhaften Veränderung darstellt. Alle Überlegungen müssen sich daher darauf fokussieren, wie wir alle – in Unternehmen, in der Gesellschaft, in der Politik – uns in Summe ebenso tiefgreifend verändern. Dieses Veränderungsbewusstsein brauchen wir.
Talowski: Ich denke, wir brauchen keinen Alarmismus, sondern Realismus. Ich fürchte, dass wir in eine Rezession schlittern werden. Das könnte zumindest die Inflation dämpfen, weil dann weniger Geld am Markt ist. Ich sehe aber auch, dass die private Bevölkerung draußen das Problem noch nicht in dem Ausmaß erkannt hat. Denn wir müssen damit rechnen, dass es auch zu sozialen Unruhen kommen kann. Daher glaube ich, dass die Politik jetzt entgegensteuern muss. Denn wenn schon 100.000 Menschen oder mehr wegen einer Impfung auf die Straße gehen, dann möchte ich nicht wissen, was passiert, wenn sich Menschen in ihrer Existenz bedroht sehen.
Harrer: Ich glaube, dass Unternehmen gut beraten sind, ihre Kapazitäten und Kosten der Kaufkraft anzupassen. Zudem ist es höchst an der Zeit, dass unsere Interessenvertretungen wie die Wirtschaftskammer oder Arbeiterkammer endlich in die Gänge kommen und den Platz einnehmen, der der Politik gegenüber einzunehmen ist, nämlich auf Augenhöhe. Ich glaube, dass es ein Gebot der Stunde ist, den KMU-Bereich, der die Breite in der Wirtschaft ausmacht, noch mehr in den Fokus zu rücken. Denn auf viele kleine Unternehmen zu setzen, bedeutet auch Risikoverteilung. Daher müssen wir auf die kleine und mittelständische Wirtschaft in besonderer Weise aufpassen, weil diese aufgrund ihrer Breite die Stabilität der Gesellschaft aufrechterhält.
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