Petra Kotzbeck, Wissenschafterin am JOANNEUM RESEARCH – COREMED und an der Med Uni Graz, forscht mit ihrem Team an Fettzellen und ihren mannigfaltigen Funktionsweisen. Im Zentrum stehen eine bessere Wundheilung, die plastische Rekonstruktion von Gewebe – etwa nach Brustkrebsoperationen – sowie auch Hautgesundheit und -alterung.
Wunden besser zu verstehen und Heilungsprozesse zu optimieren, ist eines der Forschungsanliegen von Petra Kotzbeck und ihrem Team. Ein neuer Ansatz dabei ist der Einsatz von Fettzellen. „Wir gehen davon aus, dass Adipozyten einen positiven Einfluss auf die Wundheilung haben, vor allem dann, wenn es zu einer starken Entzündung im Wundbett kommt“, erklärt die Wissenschafterin. Anlass dazu gab die Beobachtung, dass Fettzellen vermehrt in der Wundheilungskaskade auftauchen. Die Annahme, dass sie dort eine unterstützende Funktion innehaben, gilt es nun wasserdicht zu belegen. Noch sind Fragen offen: „Wir wissen beispielsweise nicht, ob die auftretenden Zellen aus tieferem Gewebe einwandern und sich dort zu reifen Adipozyten ausdifferenzieren, oder ob in der Haut bereits Vorläuferzellen vorhanden sind, die sich auf ein Signal hin zu Fettzellen entwickeln.“
DIE FETTZELLE ALS HEILERIN
Auch die exakte Funktionalität der Adipozyten ist ein aktueller Forschungsgegenstand: „Wir hegen sozusagen den starken wissenschaftlichen Verdacht, dass die Zellen das Wundbett auffüllen, Strukturen bilden und so den Wundverschluss unterstützen. Zudem vermuten wir, dass sie Hormone ausschütten, die die Wundheilung verbessern.“ Bereits vorliegende Studien anderer Institute stützten sich nicht auf humane, sondern alternative Modelle. „Diese spiegeln leider nicht immer wider, was im Menschen passiert, vor allem im dermatologischen Bereich. Deshalb ist es für uns wichtig, mit menschlichem Gewebe zu arbeiten.“ Das Material erhalten die Forscher von der Biobank der Meduni Graz – mit 20 Millionen Einzelproben eine der größten und renommiertesten Sammlungen der Welt.
PETRA KOTZBECK Stellvertretende Direktorin und Forschungsgruppenleiterin am Joanneum-Research-COREMED Assistenzprofessorin an der Abteilung für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie an der Medizinischen Universität Graz Geboren 1984 in Graz 2006-2008 Masterstudium der Molekularen Mikrobiologie in Graz 2012 Promotion zum Thema „Fettzellen als hormonproduzierende Zellen“ 2012-2015 Post-doc-Forschungsaufenthalt am Helmholtz Zentrum München (HMGU), Institut für Adipositas und Diabetes 2016-2020 Abteilung für Endokrinologie an der Med Uni Graz
SCHRITT FÜR SCHRITT IM LABOR
Im Labor evaluieren Kotzbeck und Team chronisches Wund-, Verbrennungs- und Narbengewebe und untersuchen etwa, ob sich Fettzellen ansammeln und diese mit makroskopischen Entzündungen korrelieren. „Weiters isolieren wir Vorläuferzellen und differenzieren diese zu reifen Fettzellen, co-kultivieren sie mit Hautzellen und schauen, welche Wechselwirkungen eintreten bzw. wie die Zellarten einander beeinflussen: Vermehren sich die Keratinozyten beispielsweise schneller oder migrieren sie stärker? Dann werten wir die Daten aus, interpretieren die Ergebnisse und stellen sie in Zusammenhang mit vergleichender Literatur.“ In der praktischen Anwendung könnten pharmazeutische Produkte, die auf den Forschungsergebnissen basieren, die Wundheilung für Patienten beschleunigen.“ Das FFG-geförderte Projekt AdipoWound läuft noch bis Ende Juli 2023.
„Ich brenne für die Lipidforschung! Fett ist wichtig, hochwirksam und lebensnotwendig für den menschlichen Organismus.“
PETRA KOTZBECK
STV. DIREKTORIN UND FORSCHUNGSGRUPPENLEITERIN AM JOANNEUM-RESEARCH-COREMED
DOPPELFUNKTION: BRÜCKEN SCHLAGEN
Auch in der angewandten Forschung widmet sich das Team dem Thema Wundheilung. Konkret entwickelt man etwa innovative Verbandsmittel wie den Indikatorverband, der notwendige Verbandswechsel farblich anzeigt, oder Materialien, die wundheilende Wirkstoffe aktiv abgeben. „Durch meine Doppelfunktion bei Joanneum Research und der Med Uni Graz schlage ich quasi die Brücke zwischen Grundlagen- und industrienaher Forschung. Je besser die Beteiligten kommunizieren, desto zielgerichteter kann Innovation stattfinden“, unterstreicht Kotzbeck das Kooperationsprinzip.
KOMPLIZIERT UND UNINTERESSANT?
Die Liebe zur Lipidforschung war ihr – im Gegensatz zum naturwissenschaftlichen Interesse – nicht in die Wiege gelegt, berichtet Petra Kotzbeck: „Eigentlich wollte ich nie auf diesem Gebiet arbeiten; Ich hielt es für kompliziert und uninteressant.“ Die Wende kam mit der Dissertation bzw. deren Thema: Fettzellen als hormonproduzierende Zellen darzustellen, lautete die Forschungsaufgabe. „Das war wahnsinnig spannend: In den 90ern-Jahren kam es zu einem regelrechten Paradigmenwechsel in der diesbezüglichen Wissenschaft.“ Bis dato hatte man mehr oder minder angenommen, Fettzellen könnten nur Fett speichern und ansonsten „unschön an verschiedensten Körperregionen sitzen“, so Kotzbeck. Bis dann die Wissenschaft herausfand, dass Fettgewebe u. a. den Stoffwechsel reguliert, Hormone ausschüttet und etwa Entzündungsprozesse beeinflusst.
Wir Forscher müssen wach sein, offen für alle möglichen Szenarien. Ohne diese Unvoreingenommenheit ist man in der Wissenschaft falsch.
PETRA KOTZBECK STV. DIREKTORIN
UND FORSCHUNGSGRUPPENLEITERIN AM JOANNEUM-RESEARCH-COREMED
GEHIRN: HUNGRIG ODER SATT?
Leptin nennt sich das erste Fettgewebshormon, das der US-amerikanische Molekularbiologe Jeff-rey Friedmann 1994 entdeckte. Es wird proportional zur Größe der Adipozyten – also der Menge des zellgespeicherten Fettes – ausgeschüttet, wirkt auf Zentren im Gehirn und unterdrückt dort den Appetit. Eine sinnvolle Selbstregulation der Natur – aber wie so oft, ist der menschliche Organismus nicht so simpel gestrickt: Adipöse Menschen produzieren sehr viel Leptin, aber es scheint eine Schwelle zu geben, ab der die appetitbremsende Wirkung nicht mehr eintritt. „Es gibt viele Theorien, warum der Körper ab einem gewissen Grad von Fettleibigkeit auf das Signal nicht mehr reagiert“, schildert Petra Kotzbeck die Komplexität dieses Forschungsgebietes. „Manche vermuten einen enzymatischen Zusammenhang; andere, dass es an der Zellwand scheitert; weitere glauben, das vermehrt vorhandene, toxisch wirkende Fettsäuren im Gewebe den Regelkreis blockieren.“ Alternative Fettgewebshormone wirken u. a. entzündungshemmend bzw. auf Leber, Muskeln oder Bauchspeicheldrüse.
FETT IST NICHT GLEICH FETT
Dass Fett nicht gleich Fett ist, sich die Zellen also je nach Körperregion und Funktion zum Teil merklich unterscheiden, macht den Forschern ebenfalls Arbeit. Beim Thema Hautgesundheit und -alterung geht es zum Beispiel darum, Fettzellen in der Gesichtshaut zu erhalten (wo sie im Gegensatz zu anderen Körperteilen im Alter stark abgebaut werden) oder um die Rekonstruktion verlorenen Gewebes durch Eigenfett in der plastischen Chirurgie. „Brustreduktion durch Eigenfettgewebe wieder aufzufüllen, provoziert weniger Abwehrreaktio nen durch den Körper. Die Methode ist schonender, besser verträglich und bringt schönere Ergebnisse.“ Soweit die bereits erwiesene Praxis – die Optimierungspotenzial birgt: „Wir wissen noch nicht, welches Gewebe für den Transfer am besten geeignet ist – das am Bauch, am Oberschenkel? Welches Gewebe wird langsamer verstoffwechselt, bleibt also stabil und braucht weniger Eingriffe? Wir haben dazu kürzlich zwei Studien veröffentlicht: Offensichtlich gibt es Marker aus dem Fettstoffwechsel, die anzeigen, wie gut das Gewebe angenommen wird.“
LEBENSNOTWENDIGES FETT
Petra Kotzbeck bricht eine Lanze für ihr Spezialgebiet: „Ich finde es wirklich schade, dass Fett landläufig so negativ assoziiert wird. Es ist angeblich gesundheitsschädlich in Nahrung und Körper, es muss vermieden, abgebaut oder abgesaugt werden. Das ist schlicht nicht richtig.“ Stattdessen sei das Gewebe essenziell für den menschlichen Stoff-wechsel. Unsere Zellmembranen brauchen Fett; es reguliert die Körpertemperatur, polstert und stützt innere Organe wie Nieren oder Darm, federt den Druck auf die Fußsohlen ab. In der Nahrung ist es als Träger fettlöslicher Vitamine wie A, D, E und K lebensnotwendig. „Ich brenne jetzt für die Lipidforschung, dabei konnte ich mir das zu Beginn meiner Laufbahn nicht vorstellen. Und das ist so wichtig in der Wissenschaft: Wir müssen wach sein, offen für alle möglichen Szenarien. Wie oft führt eine Studie zu Ergebnissen, die man nie vermutet hätte. Und wie häufig ist man geneigt, etwas auszuschließen, was sich im Nachhinein als völlig akkurat erweist. Nur wenn man diese Unvoreingenommenheit mitbringt, ist man in der Forschung richtig.“
Fotos: BERNHARD BERGMANN