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(K)ein Leichtgewicht: KREISLAUF ALUMINIUM

Stefan Pogatscher von der Montanuniversität Leoben (Department für Metallurgie) entwickelt gemeinsam mit Industriepartnern preisgekrönte Konzepte zum Aluminium-Recycling: Es geht um die Bewältigung einer der großen künftigen Herausforderungen in der Mobilitätsindustrie.

In den nächsten Jahren werden wir weltweit mit riesigen Mengen an Aluminiumschrott aus der Automobilindustrie konfrontiert werden. Die Wiederverwertung im Materialkreislauf stellt große Aufgaben an Forschung und Industrie,“ umreißt Stefan Pogatscher die Problemstellung – sie ist zugleich eines seiner Spezialgebiete. „Beim Bau dieser leichten Autos hat in der Vergangenheit niemand daran gedacht, Recyclingfähigkeit als Produkteigenschaft mitzudesignen. Man hat deshalb bis zu 40 verschiedene Aluminiumlegierungen und andere Metalle in einem Fahrzeug kombiniert. Funktionell, also aus Sicht der Konstrukteure, mag das zwar sinnvoll erscheinen. Da wir Aluminium als unedles Metall aber nur sortenrein leicht wiederverwerten können, behindert es den Recyclingprozess enorm.“ Schätzungen zufolge wird sich die Menge des zu recycelnden Aluminiums in Europa bis 2050 verdoppeln.

Der Stiftungsprofessor
Stefan Pogatscher
ist zweifacher Houska-Preisträger.

GETRÄNKEDOSE …
„Wir leben in einem Metallzeitalter“, verdeutlicht der Forscher. „Gebäude, Autos, Flugzeuge, elektronische Geräte, Kommunikation: Die Gegenstände unseres Lebens basieren auf Metallen oder werden zumindest mithilfe derselben hergestellt.“ Grundsätzlich sind Metalle sehr gut wiederverwertbar und können unendlich oft wieder eingeschmolzen werden. Das gilt auch für Aluminium – vorausgesetzt, es ist nicht mit anderen Metallen oder durch unterschiedliche Legierungen verunreinigt. Getränkedosen zum Beispiel bestehen lediglich aus ein bis zwei Legierungen, die obendrein kompatibel sind. „Aus diesem Grund funktioniert Can-to-can-Recycling rasch und effizient. Ich kann die gleiche Dose sozusagen in drei Monaten wieder in der Hand haben.“ (Anm.: In Österreich werden 7 von 10 Dosen recycelt.)

„Als man vor Jahren begann, Aluminiumautos zu bauen, hat niemand daran gedacht, wie man sie eines Tages recyceln wird.“

STEFAN POGATSCHER, MONTANUNI LEOBEN

… VERSUS AUTO
Da ein moderner Mittelklassewagen nun einmal keine Dose ist, enthält er sehr viele unterschiedliche komplexe Metalle und Legierungen, zum Teil fest verbunden und verschweißt. Der Trend zu Hightech und Komfort im Fahrzeug fordert seinen Tribut: „Stähle und Kupfer kombiniert mit unzähligen Alu-Legierungen – das sind Materialien, die sich im Sinne der direkten Wiederverwertung überhaupt nicht miteinander vertragen, aber notwendig sind für Gadgets wie Elektronik und Sitzheizungen.“ Zudem legt der Aluminiumanteil in der Mobilitätsindustrie enorm zu, da strengere Umweltauflagen großflächig Leichtbauweise verlangen. „2015 war ein Ford-Pick-up als erstes Alu-Auto das meistverkaufte Modell in den USA. Diese Fahrzeuge kommen in den nächsten Jahren zurück in den Materialkreislauf – und niemand hat sich ausreichend darauf vorbereitet.“ Den Schrott aufgrund fehlender Recycling-Infrastruktur einfach zu exportieren, wie bislang vielerorts Usus, ist keine nachhaltige Lösung: „Es herrscht weltweit hoher Forschungsbedarf.“

ZWEIFACH PRÄMIERT
Eine mögliche Lösung sind innovative Materialien und Produktionsweisen: „Wir müssen uns heute fragen: Wie sieht eine Aluminiumlegierung aus, die 30 andere Legierungen im Auto ersetzt? Wie decken wir ein breites Spektrum von Eigenschaften mit nur einem einzigen Material ab?“ Pogatscher und sein Team haben hierzu einen 2016 Houska-prämierten Produktionsprozess entworfen, der mit Industriepartner AMAG in Ranshofen praxistauglich weiterentwickelt und dafür 2022 erneut ausgezeichnet wurde. Dabei haben die Forscher zwei einander widersprechende Materialanforderungen in einem zusätzlichen Produktionsschritt miteinander in Einklang gebracht. Vereinfacht gesprochen, muss ein Autoblech sowohl stabil, als auch formbar, d.h. sicher und zugleich ästhetisch zu gestalten sein. Die Lösung der steirischen Forscher: Sie formen die Rohkarosserie in weichem Zustand in der Metallpresse und härten sie anschließend im Ofen aus.

War bereits als Jugendlicher von der Metallurgie begeistert:
Stefan Pogatscher



Was im Labor funktioniert, muss aber erst den Praxistest bestehen: „Wissenschaftliche Ergebnisse in die industrielle Fertigung zu übertragen, ist bei Weitem die größte Herausforderung“, erklärt Stefan Pogatscher. Gerade in der Metallurgie habe Forschung deshalb nur gemeinsam mit starken Industriepartnern einen Sinn. Um ein Prototypen zu produzieren, benötige man ein Werk, das Hunderte Millionen Euro kostet – undenkbar für eine öffentlich finanzierte Forschungseinrichtung. Die Montanuniversität arbeitet deshalb über Jahrzehnte mit Unternehmen zusammen: „Für Spitzenforschung braucht es einen Partner mit exzellent strukturierter F&E-Abteilung, wie wir es bei der AMAG vorfinden. Dort sitzen erstklassige Leute, die unsere Ansätze verstehen und weiterentwickeln.“ Erste Schritte erfolgen häufig im Rahmen eines Christian-Doppler-Labors (Anm.: technisch-wissenschaftliche Forschungsinstitute, die im Public-private-Partnership finanziert sind). Die Wissenschafter der Montanuniversität präsentieren eine Idee, die das Unternehmen evaluiert. „Die Frage lautet: Ist das Konzept im großen Maßstab überhaupt interessant und darstellbar? Wenn ja, gehen wir rasch in die Praxis und ziehen einen Pilotmaßstab auf.“ Diese Etappe ist aufwändig und dauert bis zu zwei Jahre. Mit rund 2000 Beschäftigten und einer Milliarde Euro Jahresumsatz sei die AMAG aber klein genug, um Innovationen sehr schnell umsetzen zu können.

METALL & MUL : TOP 15 WELTWEIT
Metallurgisch gesehen mischt Leoben an der Weltspitze mit: Das Department liegt im Shanghai-Ranking (weltweites Hochschulranking der Jiaotong-Universität Shanghai, Anm.) jährlich unter den Top 20, aktuell auf Platz 15. Damit wird die MUL als zweitbester Standort Europas knapp hinter der University of Manchester gehandelt. In den letzten 20 Jahren hat sich der Schwerpunkt jedoch stark Richtung China verlagert, das sowohl seine Produktions-, als auch Recyclinginfrastruktur strategisch ausgebaut hat. „Dieses fokussierte Vorgehen fehlt in Europa, dadurch geraten wir in die Abhängigkeit.“ Nicht zuletzt aufgrund des Umweltaspekts.

STEFAN POGATSCHER
geboren 1983
HTL für Metallurgie (vormals Berg- und Hüttenschule)
Persönlicher Zugang zur Thematik durch Großvater und Mentor Helmut Antrekowitsch (heutiger Leiter des Lehrstuhls für Nichteisenmetallurgie an der MUL)
Studium der Metallurgie an der Montanuniversität Leoben, Dissertation 2012 Forschungsaufenthalt an der ETH Zürich 2015 Bestellung zum Asssoz. Professor bzw. 2020 zum Univ.-Prof. für 2015 Metallurgie nachhaltiger Leichtmetalllegierungen
Leiter des Department für Metallurgie zweifacher Houskapreisträger
verheiratet und Vater zweier Kinder

Pogatscher: „Die Aluminiumgewinnung aus Erzen ist extrem energie- bzw. kostenaufwändig und verursacht einen großen CO2-Abdruck. Regionen mit strengen Auflagen wie die EU haben derartige Produktionsprozesse deshalb in Länder mit geringeren Standards ausgelagert. Das löst natürlich nicht das Problem.“ Während China sich erfolgreich um „grünere“ Verfahrensweisen bemühe, müssen Europa und andere Forschungsstandorte innovative Herstellungs- und Recyclingverfahren vorantreiben: Die Wiederverwertung Aluminiums reduziert den CO2-Ausstoß gegenüber der Gewinnung aus Tonerde um 95 Prozent.

Die Wiederverwertung des Aluminiumschrotts stellt große Herausforderungen an Industrie und Wissenschaft.

Stefan Pogatscher, Montanuni Leoben


KONSOLIDIERUNG EINER NEUEN DISZIPLIN
Trotz enormer wirtschaftlicher Bedeutung und intensiver internationaler Wissenschaftsaktivität gab es bis vor kurzem kein vereinheitlichtes Forschungsfeld, also keine Übersichtsarbeit oder Standardwerk. Unter Federführung von Dierk Raabe vom Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf und Stefan Pogatscher haben 22 Forschende aus renommierten Institutionen aller Kontinente über zwei Jahre lang knapp 1300 wissenschaftliche Arbeiten zu einem umfassenden Überblicksartikel kondensiert. Die Arbeit ermöglicht erstmals einen ganzheitlichen Zugang zum Kreislauf von Aluminium „von der Wiege bis zur Bahre“ aus Sicht des Materials.

Fotos: Oliver Wolf

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