Wie CO2-neutral geht Stahl? Und mit welchen Herausforderungen haben Stahlproduzenten derzeit am meisten zu kämpfen? Markus Ritter, Obmann der Fachvertretung Bergwerke und Stahl in der WKO Steiermark und Geschäftsführer des Stahl- und Walzwerks Marienhütte, sowie Andreas Graf und Huberta Eder-Karner, Vorstandsduo der Breitenfeld Edelstahl AG, über Strategien zur Dekarbonisierung und die Notwendigkeit einheitlicher
Rahmenbedingungen in Europa.
Eine Ankündigung mit Wumms. Im April gab der Aufsichtsrat von voestalpine eine der größten Investitionen der Konzerngeschichte frei: 1,5 Milliarden Euro fließen in den nächsten vier Jahren in die Errichtung neuer Elektrolichtbogenöfen in Linz und Donawitz. Grüner Strom statt Koks – damit will Österreichs größter CO2-Emittent seine Kohlendioxid-Emissionen ab 2027 um bis zu 30 Prozent reduzieren – das entspricht 2,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr bzw. fünf Prozent der Gesamtemissionen in Österreich. Schon einen Schritt weiter ist man bei Breitenfeld Edelstahl AG mit Sitz in St. Barbara im Mürztal und im Stahl- und Walzwerk Marienhütte, wo jeweils seit Längerem klimafreundlichere Elektrolichtbogenöfen im Einsatz sind. „Dadurch beträgt die CO2-Emission bei uns nur ein Zehntel des europäischen Branchendurchschnitts. Mit Investitionen in erneuerbare Energien wie Photovoltaik und Strom aus Windenergie wollen wir die Emissionen noch weiter senken“, so CTO Andreas Graf und CFO Huberta Eder-Karner von Breitenfeld Edelstahl.
AUSSTIEG MÖGLICH, ABER SEHR TEUER
„Wir haben in der Marienhütte einen Startvorteil auf dem Weg zur CO2-neutralen Stahlerzeugung – durch die Verwendung eines Elektrolichtbogenofens sowie einer Vielzahl von Klima- und Umweltschutzinvestitionen in den vergangenen Jahren“, erklärt Markus Ritter, Geschäftsführer des Stahl- und Walzwerks Marienhütte. „Auch unsere kurzen Wege im Produktionsprozess sind ein wesentlicher Faktor – die Knüppel können bei uns direkt vom Stahl- ins Walzwerk eingebracht werden. Der geringe Wärmeverlust minimiert den Erdgasverbrauch.“ Ebenso großer Pluspunkt: Der Hauptbestandteil für die Erzeugung des Betonstahls ist Schrott, der im Stoffkreislauf gehalten wird. „Eingekauft und per Bahn angeliefert wird der Rohstoffin einem Aktionsradius von 500 Kilometern, auch der erzeugte Betonstahl kommt regional zum Einsatz – das senkt die Transportemissionen massiv“, so Ritter. „Keine Selbstverständlichkeit, wenn ich an die Importe von Billigstahl mit entsprechend langen Transportwegen aus Italien denke“, mahnt Ritter, der auch als Obmann der Fachvertretung Bergwerke und Stahl fungiert und die Entwicklung in Richtung nachhaltiger Stahlproduktion – Stichwort „Green Steel“ – genau verfolgt. „Eine rechnerisch vollständige Dekarbonisierung halte ich für möglich, ist aber mit enormen Anstrengungen und Investitionen verbunden. Wir von der Industrie sind dazu bereit – aber es müssen auch die Rahmenbedingungen für die Zielerreichung sichergestellt werden“, so Ritter und nennt ein konkretes Beispiel. „Noch konnte mir niemand erklären, wo wir die gigantischen Schrottmengen hernehmen sollen, die eine europa- oder gar weltweite Umstellung der Hochofen-Route auf Elektrolichtbogenöfen zwangsläufig erfordern würde.“
„Wir von der Industrie sind bereit, den Weg Richtung CO2-neutraler Stahlerzeugung
zu gehen – aber es müssen auch die Rahmenbedingungen dafür sichergestellt
werden.“
MARKUS RITTER
OBMANN DER FACHVERTRETUNG BERGWERKE
UND STAHL IN DER WKO STEIERMARK UND
GESCHÄFTSFÜHRER DES STAHL- UND
WALZWERKS MARIENHÜTTE
Weiterer Knackpunkt: die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlindustrie. „Der Umstieg auf alternative Herstellmethoden kostet – das ist vergleichbar mit der Bio-Produktion in der Landwirtschaft. Es müsste sichergestellt werden, dass Importe aus Drittstaaten unsere Produktion nach Öko-Standards nicht vom Markt verdrängen.“ Ganz abgesehen von der Bewältigung noch vieler technologischer Herausforderungen Richtung des Wunschziels CO2-neutraler Stahl. „In der Marienhütte sind wir zuversichtlich, das Ziel zu erreichen. 100 % CO2-frei ist physikalisch zwar nicht möglich, aber nahezu CO2-frei wird uns gelingen, sowohl im Stahl- als auch im Walzwerk. Ob das allerdings schon bis 2030 gelingen kann? Da wäre ich skeptisch“, so Ritter, der betont, dass die Marienhütte seit Jahrzehnten in Graz Stahl produziert. 400.000 Tonnen Betonstahl verlassen das Werk jedes Jahr. Damit deckt Österreichs einziger Hersteller von Betonstahl rund die Hälfte des heimischen Bedarfs. Das Material ist zentraler Eckpfeiler für moderne Infrastruktur – ohne Betonstahl kein Betonbau. „Ob Schienenverkehrsprojekte oder Fundamente für Windräder – die Klimawende ist nur mit Betonstahl machbar. Damit sind wir klar Teil der Lösung“, betont Ritter. Teil der Lösung ist das Stahlwerk auch für die Wärmewende der steirischen Landeshauptstadt. Nicht weniger als 110 Gigawattstunden Wärme speist das Werk jährlich als Abwärme ins Netz der Energie Graz ein – Wärme für rund 50.000 Grazer. Rund 30.000 Tonnen CO2 werden auf diese Weise eingespart. „Damit sind wir der zweitgrößte industrielle Wärmelieferant der Stadt“, so Ritter nicht ohne Stolz. Auch in den neu entstehenden Stadtteil Reininghaus fließt Energie. „Wir versorgen Reininghaus mit Niedrigtemperaturwärme – ein weltweit einzigartiges Vorzeigeprojekt.“
STAHLERZEUGUNG STEIERMARK Stahl- und Walzwerk Marienhütte Jährliche Produktion von 400.000 Tonnen Betonstahl in Graz. Damit deckt Österreichs einziger Hersteller von Betonstahl rund die Hälfte des heimischen Bedarfs. Rund 300 Mitarbeiter. Verwendung eines klimafreundlichen Elektrolichtbogenofens. Die Abwärme des Werks versorgt 50.000 Grazer mit Wärme. voestalpine In den Hochöfen in Donawitz entstehen jährlich 1,65 Millionen Tonnen Roheisen – die Basis für die Herstellung und Weiterverarbeitung von Stahl. Der Konzern investiert gerade 1,5 Milliarden Euro in die Errichtung neuer Elektrolichtbogenöfen in Linz und Leoben-Donawitz. Damit sollen die CO2-Emissionen ab 2027 um bis zu 30 Prozent sinken. Breitenfeld Edelstahl AG 150.000 bis 250.000 Tonnen Jahreskapazität im Stahlwerk in St. Barbara im Mürztal. 330 Mitarbeiter in Österreich, Deutschland und Italien. Auch hier kommt bereits die emissionsarme Elektro lichtbogenofen-Technologie zum Einsatz.
UNGLEICHER WETTBEWERB
Darüber hinaus sieht Ritter derzeit zahlreiche große Herausforderungen für heimische Stahlerzeuger. „Allen voran die nach wie vor hohen Gas- und Strompreise. Energie, also Strom und Gas, waren im Vorjahr um über 30 Millionen Euro teurer als im Jahr zuvor“, so der Unternehmer. „Die Preise sind weiterhin hoch und die Unsicherheiten groß. Wir warten noch immer auf die konkrete Auslegung des Energiekostenzuschuss II, während uns der deutsche Gaspreisdeckel und italienische Energiepreisstützungen innereuropäisch massiv unter Druck setzen“, so Ritter, dem auch die Wettbewerbsverzerrung aus dem Titel Strompreiszonentrennung sauer aufstößt. „Ein klarer Wettbewerbsnachteil für die österreichische Industrie. Diese Trennung rückgängig zu machen, würde die Politik nichts kosten und der Industrie enorm helfen.“
MASSNAHMENPAKET ZUR STANDORTSICHERUNG
Ähnlich sehen es Andreas Graf und Huberta Eder-Karner von Breitenfeld Edelstahl AG, einem Spezialanbieter von hochwertigen Qualitäts- und Edelstahlprodukten: „Wir brauchen dringend einheitliche Rahmenbedingungen für die Erzeugung von Edelstahlprodukten in Europa. Die Krisen der letzten Jahre verursachten ungeahnte Preisexplosionen, speziell bei der Energie, und führten zu Problemen in den Lieferketten. Dazu kommt das ungelöste Th ema einer nicht gesicherten Gasversorgung. Um diesen Verwerfungen entgegenzuwirken, wurden in den europäischen Industrieländern durch nationalstaatliche Förderstrukturen leider völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen geschaffen“, so das Vorstandsduo. „Die Industrieförderungen waren in Österreich im Vergleich, speziell mit Deutschland und Italien, sehr verhalten, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit für eine Vielzahl von Produkten nicht mehr gegeben war – eine sehr große Herausforderung für uns als exportorientiertes Unternehmen. Mehr als 90 % unserer Produkte gehen in die umliegenden Länder. Um konkurrenzfähig zu bleiben, benötigt die Stahlindustrie eine stabile und leistbare Energieversorgung. Daher sollte die Regierung darauf achten, dass die Energiepreise nicht ins Unermessliche steigen und gleichzeitig Anreize schaffen, um den Einsatz von erneuerbaren Energien in der Produktion zu fördern.“
„Es braucht stabile Energiepreise, fairen internationalen Handel, gut ausgebildetes Personal, die Förderung von Forschung und Entwicklung und steuerliche Anreize, um hochwertige Stahlproduktion in Österreich sicherzustellen.“
ANDREAS GRAF UND
HUBERTA EDER-KARNER
VORSTAND DER BREITENFELD
EDELSTAHL AG
Auch die zunehmenden Handelsstreitigkeiten zwischen großen Volkswirtschaften wie den USA und China machen dem Unternehmen zu schaffen. Andreas Graf: „Diese haben zu einem Anstieg von Zöllen und anderen Handelsbarrieren geführt – mit direkten Auswirkungen auf unsere Exportchancen, da wir mit höheren Kosten konfrontiert sind, um unsere Produkte auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu halten.“
Dazu kommen immer strenger werdende europäischen Umweltvorschriften – vor allem im Hinblick auf Emissionsgrenzwerte und Energieeffizienzstandards. „Österreichische Edelstahlerzeuger müssen massiv in umweltfreundliche Technologien investieren und ihre Produktionsprozesse optimieren, um den regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden“, betont Huberta Eder-Karner. Eine weitere Herausforderung sehen Graf und Eder-Karner im Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. „Um diesem entgegenzuwirken, sind gezielte Ausbildungsprogramme und strategische Partnerschaften mit Bildungseinrichtungen nötig.“ Die wichtigsten Maßnahmen aus ihrer Sicht? „Es braucht eine Kombination aus gezielten wirtschaftspolitischen Maßnahmen, um die Rahmenbedingungen für österreichische Edelstahlerzeuger zu verbessern. Nur durch Förderung von Forschung und Entwicklung, stabile Energiepreise, fairen internationalen Handel, gut ausgebildetes Personal und steuerliche Anreize können wir gemeinsam sicherstellen, dass Österreich weiterhin für seine hochwertigen Stahlprodukte bekannt bleibt.“
In Kooperation mit der Fachvertretung Bergwerke und Stahl
Fotos: Oliver Wolf, iStock, beigestellt