Spirit of Styria

DAS BESTE für die Reste

Zündquellen im Abfall, „unintelligente“ Produkte und kontraproduktive Gesetze: Über aktuelle Herausforderungen in der Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft und die erfolgreiche Transformation der Abfallbranche zur (Sekundär-)Rohstoffindustrie diskutieren hochkarätige Branchenvertreter bei unserem Roundtable in der Redaktion von „SPIRIT of Styria“.
Angeregte Diskussion über Recycling und Ressourcen
in den Räumlichkeiten von „SPIRIT of Styria“ mit Herausgeber
Siegmund Birnstingl und CR Wolfgang Schober
TALK AM RING 
ist ein Diskussionsformat
von SPIRIT of Styria. Jeden Monat laden
wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion am Grazer Opernring. 

Rohstoffkrise, Energiekrise & Co – sind das gute Zeiten für die Abfall- und Ressourcenwirtschaft? Müller-Mezin: Ich würde sagen, im Moment haben wir eher eine schwere Zeit, weil auch wir von der Energiekrise stark betroffen sind – vor allem die Mehrkosten für Diesel und Strom sind enorme Herausforderungen für die Branche, die nicht so einfach zu stemmen sind. Der Markt läuft insgesamt unrund – die Preise gehen rauf und runter, was die Planung erschwert. Wir müssen sehr flexibel sein. Gleichzeitig sind wir natürlich froh, unseren Beitrag als Rohstofflieferant liefern zu können und damit an vorderster Front die Transformation in eine Kreislaufwirtschaft mitzugestalten.

Mittermayr: Wir sind allesamt durch Corona, Energiekrise, Störungen in den Lieferketten etc. stark getroffen – aber auch von der hohen Inflation, weil unsere Branche gerade sehr viel investiert. Gleichzeitig sehen wir auch erfreuliche Entwicklungen: Immer mehr Unternehmen verstehen, dass sie den Lebenszyklus ihrer Produkte ganzheitlich betrachten müssen. Betriebe wollen Produkte künftig länger im Kreislauf halten und den CO2-Footprint verringern – auch Vorgaben, wie das Lieferkettengesetz oder die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung, wie etwa die EU-Taxonomie tragen dazu bei. Damit verbunden sind immer höhere Anforderungen an uns Abfallwirtschafsbetriebe – vor allem der Aufwand für Dokumentationen ist enorm. Die Zeiten sind sicher so herausfordernd wie noch nie. Aber das Gute: Der Wandel bringt nicht nur Risiken, sondern auch viele Chancen. Ich freue mich, dass die Bedeutung unserer Branche für den Klimaschutz mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein rückt.

DIE TEILNEHMER:INNEN

Daniela Müller-Mezin
Geschäftsführerin Müllex/Jerich Trans, Obfrau FG Entsorgungs- und
Ressourcenmanagement,
WKO Steiermark

Ralf Mittermayr
CEO Saubermacher AG

Silvia Schweiger-Fuchs
Geschäftsführerin REDWAVE

Manfred Grubbauer
Vertriebsleiter FCC Austria
Abfall Service AG

Roland Pomberger
Leiter Lehrstuhl Abfallverwertungstechnik
und Abfallwirtschaft,
Montanuni Leoben

Grubbauer: Dass die Branche im Wandel ist und sich viele Chance auftun, kann ich nur bestätigen. Ebenso, dass die Märkte gerade sehr volatil sind. In der Coronazeit sind deutlich größere Abfallmengen auf den Markt gekommen. Während der Lockdowns waren viele zuhause und habe ihre Keller geräumt, dadurch stiegen die Mengen an Restmüll und Sperrmüll massiv. Auch während der Lockerungen wurde sehr viel konsumiert. Das hat sich 2022 komplett gedreht, seither sind die Mengen stark rückläufig – in einem Ausmaß, wie wir es noch nie gesehen haben Es gibt ein Minus von rund 7% im kommunalen Bereich und rund 10-15 % bei Gewerbe- und Industriemengen. Offensichtlich wird weniger konsumiert – auch im Onlinehandel. Wir sehen einen massiven Einbruch bei Preisen für Altpapier. Die Nachfrage ist deutlich zurückgegangen. Eine Trendumkehr, denn während Corona hat der Onlinehandel geboomt – die Nachfrage nach Verpackungskartons war extrem, was die Papierpreise insgesamt steigen ließ.

Schweiger-Fuchs: Die hohe Nachfrage nach Verpackungskartons hat sich auch auf einige unserer Kunden negativ ausgewirkt, denn die Aufbereitung von Papier ist sehr fortschrittlich in Österreich. Der Fokus lag immer auf der Aufbereitung von hochwertigen Papieren und diese Aufbereitung setzte eine sehr gute technische Sortierlösung voraus. Durch den verstärkten Onlinehandel hat sich der Faserbedarf völlig verschoben. Im Altpapier ist der Anteil an hochwertigem Papier, der einen wesentlich höheren Verkaufspreis als Karton hat, inzwischen sehr gering.

Grubbauer: Beim Papier ist es trotz allem ein „Jammern auf hohem Niveau“. Wenn man sich die EU-Vorgaben für die Recyclingquoten 2025 anschaut, haben wir in Österreich bei Altstoffen wie Papier oder Altglas eine sehr hohe Verwertungsquote. Da sind wir im vorderen Spitzenfeld. Wo massiv Handlungsbedarf besteht, das ist der komplette Kunststoffbereich. Die Vorgabe bei Kunststoffverpackungen lautet 50 % bis 2025, wir stehen derzeit bei rund 25 %.

Pomberger: Kunststoffverpackungen, wohlgemerkt! Diese machen nur einen kleinen Teil der gesamten Kunststoffe aus, etwa 30 % – worüber kaum jemand spricht. In Österreich haben wir insgesamt rund eine Million Tonnen Kunststoffe im Abfall – davon sind ein Drittel Kunststoffverpackungen und für dieses Drittel liegen wir ungefähr bei 25 % Recycling. So wenig wird erst stofflich verwertet. Ob wir die 50 % in zwei Jahren erreichen – da bin ich eher skeptisch.

Müller-Mezin: Dabei stellt sich für mich die Frage: Ist das Ziel ohne Industrie zu schaffen? Müssten nicht Kunststofferzeuger, vor allem in der Verpackungsindustrie, mitziehen, damit wir solche Quoten erreichen können? Wir alle kennen das Problem der Multi-Layer-Verpackungen der Kunststoffindustrie, also jene Verpackungen, die aus mehreren Schichten und unterschiedlichen Kunststoffen bestehen – diese können trotz modernster Technik nicht richtig sortiert werden und sind damit fürs Recycling verloren. Daher muss hier dringend beim Produktdesign angesetzt werden.

Schweiger-Fuchs: Das kann ich als Vertreterin der Sortiertechnikbranche nur bestätigen. Das ist wirklich ein Riesenproblem. Auch in einer hochmodernen Hightech-Aufbereitungsanlage sind diese gemischten Kunststoffe nicht mehr zu trennen. Es gibt eben einen großen Unterschied zwischen Kunststoff und Stoffen wie Papier oder Glas, die einen viel homogeneren, standardisierten Stoffstrom aufweisen. Das heißt, der In-Verkehr-Bringer von Kunststoffverpackungen ist gefordert und müsste sich überlegen, wie man den Kreislauf schließbar machen kann.

Pomberger: Die Recyclingfähigkeit eines Produkts hat für die Industrie bislang eben keine Rolle gespielt. Der Großteil der Folien vor allem im Lebensmittelbereich, sind Multi-Layer-Folien, die aus drei, vier oder fünf verschiedenen Kunststoffen bestehen – laminiert oder verklebt, sie zu trennen ist technisch-physikalisch unmöglich. Bisher hat die Industrie die Recyclingfähigkeit auch gar nicht interessiert. Dabei wäre Recyclingfähigkeit der Schlüssel.

Grubbauer: Man könnte auch Anreize für den In-Verkehr-Bringer schaffen. Derzeit ist der Linzenztarif für das In-Verkehr-Bringen einer einfachen Kunststofffolie derselbe wie bei einer Multi-Layer-Folie – das kostet gleich viel! Es bräuchte unterschiedliche Lizenztarife. Eine Folie, die leichter zu recyceln ist, sollte günstiger in der Entsorgung sein als eine Multi-Layer-Folie. Das wäre ein Anreiz für die Verpackungsindustrie umzusteigen.

Schweiger-Fuchs: Ich finde, dass die Berichterstattung in den Medien falsch läuft. Über das Verbot von Strohhalmen und Wattestäbchen aus Plastik wird berichtet, als wäre das der ganz große Wurf – in Wahrheit ist das aber ein Nebenschauplatz. Aber für Bereiche, wo die Politik wirklich einen Riesenhebel hätte, etwas zu bewegen, gibt es zu wenig Aufmerksamkeit.


Sind Probleme dieser Art nur auf EU-Ebene zu lösen?
Mittermayr: Gerade in der Abfallwirtschaft sind rechtliche Rahmenbedingungen europaweit enorm wichtig. Vieles wird auf EU-Ebene entschieden, jedoch kann der Einzelstaat auf vielen Ebenen Einfluss nehmen. Leider werden im politischen Diskurs die Dinge oft nicht bis zum Ende durchgedacht – siehe das Beispiel der neuen gesetzlichen Verpflichtung, den Abfalltransport für Recyclingrohstoffe auf die Bahn zu verlagern. Was im ersten Moment toll klingt – Bahn statt Lkw – erweist sich beim zweiten Blick als kontraproduktiv: Dadurch werden unsere Sekundärrohstoffe gegenüber Primärrohstoffen, die per Lkw mit hohen Belastungen ins Land kommen, teurer. Unsere Branche wird auf diese Weise benachteiligt und Recycling weniger attraktiv. Eigentlich sollte es genau umgekehrt sein.

Müller-Mezin: Das kann gar nicht funktionieren. Nicht jeder Entsorger hat einen Bahnanschluss, aber selbst wenn, ließe es sich kaum umsetzen – die Technik dafür ist einfach nicht vorhanden.

Mittermayr: Ich unterstelle allen Akteuren ja immer gute Intentionen, doch die Themen sind meist komplexer, als zu Beginn angenommen. Man will in der Grundidee das Klima schützen, aber bewirkt das Gegenteil. Dabei steht unsere Branche wie keine andere für Klimaschutz. Die österreichische Abfallwirtschaft hat ihren CO2-Ausstoß seit 1990 halbiert – das ist schon beeindruckend, weil die Müllmengen in der Zwischenzeit ja sogar gewachsen sind. Damit sind wir der Industriezweig mit der größten Reduktion an CO2. Diese Halbierung müssen wir auch in anderen Bereichen der Gesellschaft schaffen. Dazu kann jeder und jede beitragen: Das richtige Trennen ist einer der wesentlichsten Beiträge, die ich als Bürger tagtäglich zum Klimaschutz leisten kann.

Pomberger: Das kann ich nur unterstreichen. Getrennte Sammlung und Recycling sind ein persönlicher Beitrag des Bürgers zu Ressourcenschonung und Energieeinsparung. Ich sage immer: Die wichtigste Sortieranlage ist der Mensch. Schmeißen wir ein recyclingfähiges Stück achtlos in den Restmüll, bleibt meist nur die thermische Verwertung. Verbrennen ist nicht schlecht. Wenn man die Energie nutzen kann, macht das Sinn. Aber man kann es nur einmal verbrennen. Wenn das Stück hingegen im Stoffkreislauf verbleibt, spart das Energie und CO2. Die Frage ist: Wie bringen wir das verstärkt in die Köpfe hinein?

Müller-Mezin: Das ist auch für mich die entscheidende Frage. Denn dem Bürger scheint das immer noch zu wenig zu kümmern, weil sonst würde er mehr beitragen. Stattdessen sehen wir: Unsere Quoten gehen nach unten, weil weniger getrennt wird als vor zehn Jahren. Daher braucht es meines Erachtens wieder mehr Aufklärung von Seiten der Kommunen, vor allem in den Städten, wo die Trennquote eindeutig schlechter ist. Die Anonymität einer Stadt ist hier sicher mitverantwortlich – dazu kommt das Fakt, dass in Ballungszentren immer mehr Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern leben, in denen Mülltrennung schlicht keine Rolle spielt. Woher sollen sie es wissen, wenn wir es ihnen nicht mitteilen und vorleben? Es braucht mehr Aufklärung und Information.

Schweiger-Fuchs: Ich orte hier eine gewisse Doppelmoral in der Gesellschaft: Offiziell ist ja jeder für Umweltschutz, viele engagieren sich für „Friday for Future“ oder Ähnliches – aber wenn es um konkrete Handlungen geht, um einen echten Beitrag, dann erscheint es manchen schon zu viel, den Biomüll aus dem Küberl zu kratzen.



Mittermayr: Wir haben viele Untersuchungen zu diesem Thema gemacht. Dabei sehen wir, dass Anspruch und Wirklichkeit leider oft auseinanderklaffen. Der große Faktor bei der Trennmoral ist tatsächlich die Frage der Anonymität – ein psychologisches Phänomen. Im verdichteten Wohnbau mit einer gemeinsamen Müllinsel ist die Trenn-Qualität in der Regel schlechter als im Einfamilienhaus am Land. Daher brauchen wir smarte Maßnahmen, um die Bewusstseinsbildung positiv zu beeinflussen. Warum erklärt uns die Werbung etwa ständig, dass es Coca-Cola oder Manner gibt, obwohl wir das seit Langem wissen? Aus einem einzigen Grund: Damit wir ständig daran erinnert werden, wenn eine (Kauf-)Entscheidung ansteht! Und so verhält es sich auch beim Mülltrennen. Statistisch gesehen, schmeißen wir sechs Mal am Tag etwas weg – jedes Mal treffen wir eine Entscheidung. Wir müssen Dinge finden, die uns helfen, dass der Stellenwert der „richtigen“ Entscheidung ständig präsent bleibt. Und wir müssen Anreize schaffen, das Richtige zu machen.

Pomberger: Ich kenne Menschen, für die ist die eigene Mülltonne quasi ein Familienmitglied – und die kümmern sich auch entsprechend darum. In der Anonymität eines Hochhauses und wenn bei einer Müllinsel „eh schon alles daneben liegt“, schaut das natürlich rasch anders aus. Meine Überzeugung: Wie sollten verstärkt mit „Nudging“ arbeiten, also kleinen Anreizen, einem „Anstupsen“ – bei Strafen wäre ich vorsichtig, „Müll Watcher“ halte ich für keine gute Idee.

Mittermayr: Ich glaube auch, dass Incentive-Systeme hier ein starke Hebel sind. Wir haben uns gerade an einem Start-up beteiligt, das sich mit diesen Themen beschäftigt.

Was bringen Pfandsysteme?
Mittermayr: Grundsätzlich bin ich sehr für Anreizsysteme. Bei den PET-Flaschen – wie geplant – halte ich den Impact für überschaubar, da wir ohnehin schon über eine sehr hohe Recyclingquote von rund 80 % verfügen. Da gibt es viele andere Produkte, wo man eine bessere Wirkung hätte. Bei Gerätebatterien etwa begnügt sich die EU mit einer 45 % Recyclingquote, das verstehe ich nicht. Dabei ist der Rohstoffgehalt dort besonders hoch. Das Tolle: Im Batterie-Recycling können wir bis zu 90 % der Metalle zurückgewinnen.

Grubbauer: Pfand ist im Prinzip ja auch ein Anreiz-System. Wenn ich etwas zurückbringe, bekomme ich dafür Geld, also eine Belohnung. Die gesamte österreichische Entsorgungswirtschaft hätte großes Interesse in Österreich die Lithium-Ionen-Batterien zu bepfanden. Schließlich haben wir ein Riesenproblem in unseren Anlagen mit Fehlwürfen von Lithium-Ionen-Batterien. Tagtäglich brennt irgendwo eine Anlage. Das ist dramatisch!

Müller-Mezin: Lithium-Ionen-Batterien sind für jeden in der Abfallwirtschaft eine gewaltige Herausforderung. Es ist ja mittlerweile so, dass man fast keinen Versicherer mehr findet wegen des Risikos – für uns auch ein enormer Kostenfaktor. Die Branche hat bereits Millionen in Brandschutzmaßnahmen investiert.

Mittermayr: Das Thema Pfand für Lithium-Ionen-Batterien kann man nur auf EU-Ebene regeln, weil es als Produkt Ländergrenzen überschreitet. Wir haben einfach das Problem, dass das an sich tolle und im normalen Gebrauch unbedenkliche Produkt Batterie oft im falschen Müllkübel landet und – wenn es in einer Müllbehandlungsanlage geschreddert oder im Müllwagen gequetscht wird – zur brandgefährlichen Zünd-quelle wird. Eine Batterie mit drei bis fünf cm Länge kann ein ganzes Fahrzeug oder eine ganze Anlage in Brand setzen.

Pomberger: Wir arbeiten seit zehn Jahren in diesem Bereich und wissen: Wenn wir Batterien getrennt sammeln, dann werden sie auch recycelt. Das Problem beim Elektronikschrott ist aber, dass sich die Batterie oft gar nicht herausnehmen lässt – mit all den Folgeproblemen. In einer Tonne Restmüll in Österreich sind rund 20 Batterien enthalten, davon mindestens eine Lithium-Ionen-Batterie und von diesen Batterien sind 30 % in einem Ladezustand, der einen Brand auslösen kann – derzeit sind das ungefähr 1,5 Millionen Zündquellen pro Jahr im Abfall. Ein Wunder, dass nicht mehr passiert.

Schweiger-Fuchs: Wenn man sich das Produktdesign über die Jahre anschaut, finde ich, dass da eine Negativentwicklung passiert ist. Denn in der Vergangenheit waren die Akkus fast überall entnehmbar.

Müller-Mezin: Ich frage mich, wie es sein kann, dass ein Gesetzgeber es zulässt, dass Lithium-Ionen-Batterien in Produkten versteckt auf den Markt gebracht werden, ohne dass wir eine Entsorgungslösung haben. Das Problem haben wir bei vielen Produkten. Vor allem die ganzen Billigprodukte, die großteils aus dem asiatischen Raum kommen, stellen uns vor Herausforderungen – ich sage nur „Blinkschuhe“.

Grubbauer: Gewisse Dinge können nur EU-weit geregelt werden. Die Politik hat eine sehr große Verantwortung, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Da gibt es schon Vorgaben, aber oft sind sie einfach zu lasch. Zum Glück gibt es jetzt eine neue Verordnung, die diese fest verbauten Akkus bei Geräten verbietet – das heißt, künftig müssen diese entnehmbar sein. Zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Aber an all diesen Beispielen sehen wir: Ob Lithium-Ionen, Kunststoff oder Bahntransport – entweder reagiert die Politik, was die Rahmenbedingungen betrifft, zu langsam oder sie agiert zum Teil falsch.

Mittermayr: Wir leben in einer Zeit, in der irrsinnig schnell neue Produkte auf den Markt kommen. Für mich persönlich am schlimmsten sind diese neuen E-Wegwerf-Zigaretten – das scheint ein großer Trend zu sein. Ein absolut unintelligentes Produkt: Damit ersetzt man ein kritisches Wegwerfprodukt, den Zigarettenstummel, durch ein noch kritischeres aus Kunststoff plus Batterie. Denn viele entsorgen das nicht ordnungsgemäß, sondern schmeißen es einfach weg.

Pomberger: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es intelligente Produkte gibt und dumme Produkte.

Schweiger-Fuchs: Und diese sollte man verbieten – finde ich!

Pomberger: Ob Verbote der richtige Weg sind – darüber lässt sich streiten. Aber die EU hat ja bewiesen, dass sie sich nicht scheut, Produkte zu verbieten. Single use plastic wie Trinkhalme und Ähnliches hat die EU verboten. Das muss man auch anerkennen.

Grubbauer: Für mich nicht mehr als Symbolpolitik. Einerseits werden solche Produkte verboten, die mengenmäßig sicher nicht unser größtes Problem sind, aber gleichzeitig ist es in Europa erlaubt, dass bis zum Jahr 2035 deponiert werden darf. Dabei reden wir von Unmengen an Treibhausgasen, die in die Atmosphäre emittieren.

Pomberger: Tatsächlich haben wir derzeit noch immer knapp 100 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle, die auf Deponien in Europa eingegraben werden. Das dabei entweichende Methan ist 24-mal treibhausgaswirksamer als CO2. Die EU arbeitet langsam, aber sie arbeitet. Und wenn wir uns die abfallwirtschaftliche Entwicklung in den Ländern anschauen, dann sieht man schon, dass es vorangeht – es könnte natürlich schneller und konsequenter sein. Dass manche Länder auf der Bremse stehen, hat wirtschaftliche Gründe. Die Deponierung ist einfach das billigste Entsorgungsverfahren.

Müller-Mezin: Der Wandel hin zu Kreislaufwirtschaft braucht eine jahrelange Vorbereitung. Diese Transformation geht nicht von heute auf morgen. Daher muss ich sagen, das taugt mir schon, was uns gelungen ist – und welche Industrien wir heute bereits mit Sekundärrohstoffen versorgen. Ob Recycler wie Ecoplast, aber auch energetische Verwerter aus der Industrie wie Lafarge/Thermo-Team, Norske Skog oder die Enages, die mit unseren Abfällen fossile Brennstoffe ersetzen. Gleichzeitig finde ich es nach wie vor grotesk, dass wir immer noch dafür zahlen, dass wir ihnen Energie liefern und sie sich Öl und Gas sparen. Das ist für mich nicht logisch.

Zuletzt wurden Pläne bekannt, wonach die Stadt Graz vermehrt auf thermische Verwertung setzen will und die Errichtung einer Verbrennungsanlage andenkt. Eine gute Idee?
Pomberger: Zum einen ist es in Zeiten von Energieknappheit logisch, Abfall als Energiequelle zu nutzen, aber auf der anderen Seite ist Abfall ein knappes Gut. Wir können die Abfallmenge in einem bestimmten Gebiet nicht beliebig erweitern. Und wenn man sich die aktuell in Frage kommenden Abfallmengen anschaut und diese den Verbrennungskapazitäten, die wir in der Steiermark schon haben, gegenüberstellt, dann kommt man zum Schluss, dass wir schon jetzt etwa die doppelte Kapazität an Verbrennungsanlagen haben. Neue Kapazitäten würden dieses Ungleichgewicht weiter vergrößern. Die Frage wäre dann also: Wo kommt der Abfall dafür her? Macht es Sinn, dass eine neue Anlage dann die bestehenden konkurrenziert? Man kann davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren auch im benachbarten Ausland immer mehr solcher Verbrennungsanlagen entstehen werden. Darauf zu setzen, dass alle zu uns liefern, ist womöglich eine Illusion. Abgesehen davon, dass der Bevölkerung schwer zu erklären sein würde, dass wir hier bei uns eine Anlage bauen, für die der Großteil des Abfalls aus dem Ausland kommt. Aber ich sage auch, bei diesem Thema gibt es nicht nur eine Meinung.

Müller-Mezin: Ich bin für eine offene Diskussion. Natürlich sollte es immer oberstes Ziel sein, dass der Müll möglichst regional dort aufbereitet und verwertet wird, wo er anfällt. Aber wenn das nicht möglich ist, muss man es eben überregional lösen – und da müssen wir schon auch die Wahrheit sagen, was die Stoffströme betrifft und ich sage, Gott sei Dank haben wir bei uns die Anlagen und die Technologien, dass wir auch Abfall aus Italien bei uns aufbereiten können – zum wechselseitigen Vorteil. Wie würde es sonst bei unserem Nachbarn ausschauen? Und beim Thema Müllverbrennung fehlt mir manchmal der ehrliche und pragmatische Blick. Schauen wir uns nur die modernen Anlagen an, die bei uns in der Steiermark stehen – allesamt mit Rauchgasreiningungsanlagen auf dem neuesten Stand, wo oben kein Dreck und keine Schadstoffe mehr raus-kommen – im Gegensatz zu dem, was Menschen zuhause oft verheizen. Es wäre schon auch Aufgabe der Politik, das besser zu erklären – am Ende könnte man für Klima und Umwelt viel gewinnen.

Grubbauer: Wir haben beste Erfahrungen mit unserer thermischen Verwertungsanlage, die wir in Zistersdorf betreiben und mit der wir Strom produzieren. Verbrennen ist ein wichtiger Baustein in der Kette der Gesamtabfallverwertung. Stoffliche Verwertung hat immer Vorrang, aber für gewisse Abfallströme brauchen wir Verbrennungsanlagen, bei denen der Energieinhalt der Reststoffe zumindest noch thermisch verwertet wird. Was Graz betrifft, glaube ich, würde eine Anlage nur mit eigenen Mengen nicht wirtschaftlich sein. Da müsste man absolut überregional denken. Aber jedes andere Wirtschaftsgut führen wir ja auch die ganze Zeit quer durch Europa, dagegen gibt es kaum Widerstand – aber beim Abfall sind Importe oder Exporte böse. Das müsste man auch einmal hinterfragen. Daher sollten wir anfangen, größer zu denken, wenn wir eine Kreislaufwirtschaft haben wollen. Dann müssen wir wirklich europaweit denken und dürfen die Grenzen nicht so dicht machen. Denn es wird nicht jedes Land mit allen Recyclinganlagen für jeden Abfall ausgestattet sein.

Pomberger: Richtig, in der Politik herrscht immer noch die Meinung, Abfall über die Grenzen zu bringen, ist prinzipiell etwas Anrüchiges. Ich glaube, dass man sich von diesem Paradigma lösen muss. Warum soll es negativ sein, wenn ein Land aus welchem Grund auch immer keine hochwertigen Anlagen hat, dass man diesen Rohstoff dann in ein anderes Land exportiert, wo man ihn sehr wohl nutzen kann – um ihn zu recyceln oder daraus Energie zu gewinnen. Und nebenbei auch noch Wertschöpfung zu generieren.

Mittermayr: Eine neue Müllverbrennungsanlage hat immer zwei Seiten: eine politische und eine wirtschaftliche. Bei der Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz bin ich zuversichtlich. Noch nie war die Zeit so reif wie jetzt, vor Ort Energie aus regionalen Rohstoffen zu produzieren und damit Gas oder Erdöl zu ersetzen. Der zweite Faktor – der betriebswirtschaftliche – ist etwas komplexer, denn man kann so eine Anlage nicht losgelöst von der Umgebung sehen. Faktum ist: Graz wäre einfach zu klein für eine Anlage bzw. die Müllmengen wären zu gering. Das heißt, man bräuchte Abfall aus der Umgebung. Entscheidend ist daher eine gesamtwirtschaftliche Kalkulation. Dabei sind viele Faktoren zu berücksichtigen – mit schwer kalkulierbaren Parametern, etwa die insgesamt rückläufigen Müllmengen. Beispiel Frankreich: Dort setzt man auf ein ganz neues System für den Sperrmüll. Alte Möbel gehen gar nicht mehr in den Besitz der Öffentlichen Hand über, sondern werden von der Möbelindustrie zurückgenommen. Das ganze System ist in Bewegung – Stichwort erweiterte Produzentenverantwortung – und bewegt sich in Summe in die richtige Richtung, in Richtung Kreislaufwirtschaft. Zu langsam, ja, aber die Entwicklung passiert. Denn wenn wir es nicht schaffen, die Welt in eine Kreislaufwirtschaft zu transformieren, wer dann?

Schweiger-Fuchs: Ich glaube auch, dass diese Überregionalität entscheidend ist und dass Europa dabei eine wesentliche Rolle spielt. Dabei würde ich mir persönlich wünschen, dass die Gesetzgebung mutiger und schneller wird. Wir haben als international tätiges Unternehmen einen guten Einblick, wie es in der Recyclingbranche weltweit läuft. Dabei sehen wir, dass sowohl in den USA als auch in Asien die Regierungen längst erkannt haben, was in Europa die letzten 20 Jahre entstanden ist, und wie man dort massiv auf die Tube drückt. Daher habe ich die Sorge, dass Europa sich ein wenig auf den Lorbeeren ausruht, und wir gar nicht merken, dass wir in manchen Bereichen überholt werden. Daher müssen wir alles tun, um unsere Vorreiterrolle zu sichern.

Mittermayr: Wir machen es halt oft sehr kompliziert in Europa. In der Hinsicht sind uns die Amerikaner vielfach voraus – siehe auch den aktuelle Inflation Reducion Act, mit dem die USA massiv das Recycling im Land vorantreibt. Was mich trotz allem positiv stimmt: Es werden auch in der EU starke Schritte gesetzt und unsere große Chance in Europa ist, dass wir mit Innovationen und Technologien einfach vorne sind. Wir müssen nur aufpassen, dass wir uns den Vorsprung nicht aus der Hand nehmen lassen. In Europa haben wir die Rohstoffe nicht und daher führt kein Weg an der Kreislaufwirtschaft vorbei. Kreislaufwirtschaft wird immer mehr eine Industrie und wie alle großen Industrien braucht sie leistungsfähige Lieferketten. Man muss es klar sagen: Wir sind eine Rohstoffindustrie.

Müller-Mezin: Das kann ich nur unterstreichen. Wir sind die Rohstofflieferanten der Gegenwart und noch mehr in der Zukunft. Wir können stolz sein auf das Erreichte, aber auch die kommenden Herausforderungen sind groß. Um sie zu meistern braucht es alle Beteiligten, wie in einer großen Familie: Die Entsorgungsbetriebe, die Industrie, die Technologielieferanten, die Wissenschaft, die politischen Rahmengeber und natürlich die öffentliche Verwaltung. Denn ohne Genehmigungen für neue Anlagen können wir die künftigen Aufgaben nicht bewältigen. Es braucht auch in diesem Bereich große Anstrengungen.

Fotos: ISTOCK, OLIVER WOLF

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