Spirit of Styria

WIE VIEL START-UP braucht die Wirtschaft?

Perspektiven und Potenziale für den Start-Up-Standort Steiermark

Wie gut entwickelt ist das steirische Start-up-Ökosystem? Wo liegen seine besonderen Stärken, wo gibt es noch Potenziale und Nachhalbedarf? Inwieweit gefährden die multiplen Krisen der Gegenwart die Entwicklungsmöglichkeiten heimischer Start-ups? Zu diesen Fragen lud „SPIRIT of Styria“ Protagonisten der heimischen Start-up-Szene zum Roundtable in die Redaktion.
Angeregte Diskussion über den Start-up-Standort Steiermark
in den Räumlichkeiten von „SPIRIT of Styria“ mit Herausgeber
Siegmund Birnstingl und CR Wolfgang Schober
TALK AM RING 
ist ein Diskussionsformat
von SPIRIT of Styria. Jeden Monat laden
wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion am Grazer Opernring. 

Wie entwickelt ist das steirische Start-up-Ökosystem? Sind wir schon so gut, wie wir gerne wären – oder fehlt noch was?
Eibinger-Miedl: Grundsätzlich liegen mir als Wirtschaftslandesrätin sowohl etablierte als auch neu gegründete Unternehmen am Herzen – unser Wirtschaftsstandort braucht beide. Start-ups bringen aber einen großen Mehrwert für den Standort, weil sie Innovationen auf den Markt bringen und das Potenzial haben, viele neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ich denke, dass sich unser Start-up-Ökosystem in den vergangenen Jahren sehr gut weiterentwickelt hat. Seitens des Landes haben wir zuletzt einen noch größeren Fokus auf das Thema gelegt und neue Förder- und Finanzierungsinstrumente geschaffen. Aber klar, zufrieden geben wir uns nicht, wir wollen noch besser werden!

Ludwig: Wer zufrieden ist, hat schon verloren. Daher arbeiten wir stets an der Verbesserung des Ökosystems – auch an den Services, die die SFG anbietet. Wir sind gerade dabei, die bestehenden Förderungsprogramme für Gründerinnen und Gründer um- und auszubauen sowie auch die Finanzierungsprogramme zu adaptieren. Vor allem die Gründung der Startupmark auf Initiative der Landesrätin bringt viele neue Impulse. Ebenso wie die Denkfabrik, die wir zu diesem Thema eigens initiiert haben und in die sich dankenswerterweise auch Maximilian Seidel aktiv einbringt. Damit wollen wir an allen möglichen Schrauben drehen, um noch effektiver zu werden – sowohl für Start-ups als auch für Scale-ups.

Pock: Gerade für uns in der Life-Science-Branche spielen Start-ups eine herausragende Rolle – sie sind die Treiber der Innovation! In der Steiermark haben wir das Glück, dass wir mit unserem Ökosystem gerade für Life-Science-Gründungen besonders attraktiv sind. Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, welches Assets wir hier haben mit unseren Supportmöglichkeiten und der Struktur an Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Auch das internationale Feedback ist sehr gut. Wir bekommen immer wieder Anfragen aus dem Ausland, was die Gründungen von Start-ups in der Steiermark betrifft. Start-ups sind ein Teil von unserer Kultur, sie beleben unseren Standort, sie ziehen auch andere Menschen an und halten Menschen hier. Start-ups geben eine Perspektive für die junge Generation. Insofern ist der Wert von Start-ups gar nicht hoch genug einzuschätzen – ökonomisch und emotional.

DIE TEILNEHMER:INNEN

Barbara Eibinger-Miedl
Steirische Landesrätin für Wirtschaft, Tourismus, Regionen, Wissenschaft und Forschung

Christoph Ludwig
Geschäftsführer Steirische Wirtschaftsförderungsgesellschaft SFG

Lejla Pock
Geschäftsführerin Human.technology
Styria HTS

Maximilian Seidel
Start-up-Investor,
Gründer und
CEO Situlus Holding

Daniela Pak-Graf
Geschäftsführerin Merkur Innovation Lab
der Merkur Versicherung

Hannes Meixner
Financial Company Buildung &
Investorennetzwerk Raiffeisen TATEN-Bank

Gernot Eder
Business Development & Innovation-Manager
Silicon Alps Cluster

Eder: Ich habe das Ökosystem schon aus mehreren Blickwinkeln betrachten dürfen und kann mich nur anschließen. Ich war einige Zeit für ein Start-up in der Medizintechnik tätig, hatte zwischenzeitlich selbst eine Firma, die auch Startups betreute, und bin jetzt beim Silicon Alps Cluster für Start-ups zuständig. Ich glaube, dass wir angefangen von den Fördermöglichkeiten des Landes bis hin zur erstklassigen Forschungslandschaft ein sehr gutes Ökosystem vorfinden, um Gründer in allen Phasen gut zu unterstützen. Und ich glaube auch, dass Cluster-Organisationen viel für die Entwicklung von Start-ups beitragen können – ob in der Finanzierung oder in der Vernetzung. Wir können auch sehr stolz sein, dass die handelnden Personen in den Organisationen sehr gut zusammenarbeiten. Das macht einen Unterschied, wenn die einzelnen Akteure alle an einem Strang ziehen. Das merken wir beispielsweise bei jeder Besprechung der Startupmark – das geht in eine sehr gute und richtige Richtung.

Meixner: Ich kann mich zwar allem anschließen – wir haben sicherlich ein gutes Netzwerk und tolle Fördermöglichkeiten – aber ich sehe es dennoch etwas kritischer. Vor allem in einem Punkt: Wenn man mit Leuten außerhalb der Steiermark spricht, muss man zugeben, dass wir ein Thema nicht geschafft haben: die internationale Sichtbarkeit! Daher glaube ich, dass das in Zukunft die große Vision sein sollte. Ein wirklich gutes Start-up-Ökosystem ist international. Und zieht auch internationale Talente an. Im Silicon Valley sind über 50 % der Mitarbeiter von Start-ups Nicht-Amerikaner. Daher denke ich, dass wir die Steiermark in dieser Hinsicht noch ein bisschen aufbrechen müssen. Das wäre der wichtige nächste Schritt, um richtig international erfolgreich zu sein. Denn geographisch haben wir eine ausgezeichnete Lage. Und die Lebensqualität ist es auch extrem hoch.

Pak-Graf: Aus Sicht eines Dienstleistungsunternehmens wie der Merkur Versicherung ist es natürlich toll, dass sich die Steiermark ein wenig weiterentwickelt von seiner Automobil- und Industrielastigkeit hin zu einer Health-Tech oder e-health-Region, in der auch viele neue Start-ups entstehen können. Das nehmen wir sehr deutlich wahr, weil auch viele junge Firmen zu uns kommen. Ich kann mich Hannes Meixner nur anschließen: Regionalität ist gut, aber wir sehen gerade bei den Geschäftsmodellen, die unsere Start-ups entwickeln, dass Regionalität nicht reicht. Wenn sich diese von Start-ups zu Scale-ups entwickeln wollen, muss man zumindest den DACH-Raum mitabdecken. Gerade im Gesundheitsbereich bringt das aufgrund der unterschiedlichen Regulatorien, die es überall gibt, besondere Herausforderungen mit sich.

Seidel: Ich hatte 2016 die Möglichkeit, mich nach dem Ausstieg aus unserer Firma in Deutschlandsberg (Anm: Verkauf der Seidel Electronics) völlig neu zu orientieren. Die Frage von meinen Freunden damals lautete unisono: „Und, wo zieht ihr jetzt hin?“ (lacht) Meine Frau kommt schließlich aus München, ich aus Düsseldorf. Dass man in Graz nicht nur leben, sondern hier ein Business aufbauen kann, hat offensichtlich niemand vermutet. Dabei war für mich immer klar: Wir bleiben hier! Ich wusste zu dieser Zeit ja schon, dass es in Richtung Start-ups gehen wird und ich künftig in diesen Bereich investieren werde. Denn ich habe gespürt, dass der Nährboden, der sich hier in der Steiermark bietet, einfach phänomenal ist. Wir leben hier, wo andere Urlaub machen. Wir haben Industrie, tolle Bildungsinstitutionen und eine hervorragende Förderlandschaft. Besser kann man es nicht antreffen. Bis auf eine Ausnahme habe ich ausschließlich steirische Beteiligungen, derzeit schaue mir auch gerade drei neue an – aus unterschiedlichen Bereichen. Daher ja! Auch ich bin der Meinung, dass wir uns international noch besser verkaufen müssen, damit die Sichtbarkeit höher wird. Damit insbesondere mehr ausländisches Kapital zu uns kommt.

Stichwort internationale Sichtbarkeit – wie können wir sie steigern?
Eibinger-Miedl: Mit unserer Initiative Startupmark haben wir in den vergangen ein, zwei Jahren genau diese Themen reflektiert: Wo sind wir gut? Wo können wir noch besser werden? Was das Ökosystem betrifft, sind wir Spitze – das zeigt sich auch in der Zufriedenheit der Start-ups am Standort. Laut einem österreichweiten Ranking sind unsere Start-ups in der Steiermark am zufriedensten – auch im Vergleich mit Wien und Linz. Zentrales Thema der angesprochenen Denkfabrik ist genau jenes der internationalen Sichtbarkeit. Das betrifft aus meiner Sicht aber nicht nur den Start-up-Bereich, sondern den Standort insgesamt. Daher haben wir erste Schritte gesetzt und mit Anfang des Jahres ein neues Standortmarketing für die Steiermark etabliert. Künftig hat die Steirische Tourismus und Standortmarketing-Gesellschaft die Aufgabe, die Steiermark international nicht nur im Tourismus – wo wir schon gut sind –, sondern auch in anderen Bereichen sichtbarer zu machen. Einen Schwerpunkt werden wir dabei auf Start-ups legen – mit entsprechenden Events und Kampagnen außerhalb der Steiermark. Dennoch: International passiert schon einiges. Wir dürfen nicht vergessen, dass Graz einen Business-Inkubator der ESA beherbergt. Dazu kommt eine Reihe von Forschungsleuchttürmen. Kein Grund zur Selbstzufriedenheit, aber ein Ansporn, das Gute weiter auszubauen.

Ludwig: Derzeit entsteht auf den Inffeldgründen ein großes neues Headquarter für die Silicon Austrian Labs, des drittgrößten außeruniversitären Forschungszentrums Österreichs. Schon heute arbeiten bei SAL Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus fast 50 Nationen. Auch das soeben eröffnete Datahouse, ein Gemeinschaftsprojekt der TU Graz mit der SFG, hat internationale Strahlkraft. Dafür sorgen auch unsere COMETZentren, von denen 60 % in der Steiermark beheimatet. Zudem haben wir mit der JOANNEUM RESEARCH auch das zweitgrößte außeruniversitäre Forschungszentrum Österreichs in der Steiermark. Das heißt, wir müssen nicht immer ins Silicon Valley schauen, wir haben hier selbst unser eigenes Valley, eines ohne Wüste, aber mit leistbaren Immobilienpreisen – ein technologisch pulsierendes Mur Valley. Ich kenne einige Start-ups mit ehemaligen Mitarbeitern aus dem Silicon Valley, die zu uns gekommen sind und hier sehr glücklich sind. Wir haben hervorragende Standortvorteile, die auch immer stärker wahrgenommen werden.

Pock: Ich darf bestätigen: Gerade im Life-Science-Sektor sind wir international sehr gut besetzt. Auch in den genannten COMET-Kompetenzzentren sind oft 40 bis 50 Nationen am Werk – und es wird nur noch Englisch gesprochen. Der HTS-Cluster ist grenzüberschreitend tätig, wir machen seit Jahren Delegationsreisen und wollen den Standort nach außen noch sichtbarer machen. Das trägt auch Früchte – ebenso wie unser großer Event, der Health Tech Hub (HTH), der sich an Start-ups in 70 Nationen in aller Welt richtet. Ende März findet das Finale des Corporare Calls im Rahmen des HTH statt. Unser Life-Science-Standort erhält laufend Anfragen von Start-ups, immer wieder gibt es auch Incoming Missions aus dem Ausland – mit begeistertem Feedback. Ein israelisches Unternehmen, das sich bei uns im Vorjahr angesiedelt hat, drückte es mit folgenden Worten aus: „I felt like a child in a toy store!“ Das muss uns noch bewusster werden. Daher habe ich mir als Geschäftsführerin vorgenommen, unsere Stärken noch mehr nach außen zu tragen. Wir haben den großen Vorteil, dass wir auf geographischen engen Raum sehr intensiv mit hoher Qualität besetzt sind und vieles anzubieten haben – und dass wir eine ausgesprochen gute Kooperationskultur haben. Man kennt sich halt und hat kurze Wege, das ist der Vorteil eines kleineren Standorts. Daher funktioniert die Vernetzung auch viel besser als etwa in Wien.

Eder: 80 % der Wertschöpfung der heimischen Mikroelektronik wird in der Steiermark und in Kärnten erzielt, die bundesländerübergreifende Kooperation funktioniert schon ausgezeichnet. Und wir haben die besten Voraussetzungen, um auch weit über die beiden Bundesländer hinaus zu strahlen. Die Silicon Austria Labs sind etwa aus der Silicon Austria Initiative 2016 hervorgegangen – mit bereits 300 Mitarbeitern an drei Standorten und dem Headquarter in Graz. Da wird Spitzenforschung auf internationalem Top-Level betrieben. Der Weg stimmt also – und wir gehen weiter. Im EBS (Electronic Based Systems)-Center, wo wir als Cluster beheimatet sind und Räumlichkeiten freiwerden, wollen wir – ähnlich wie das ZWT (Zentrum für Wissens- und Technologietransfer) – künftig KMU und Startups die Möglichkeit bieten, sich bei uns anzusiedeln. Wir haben dort auch Laborflächen, um Technologien weiterzuentwickeln. Darüber hinaus pflegen wir eine europaweite Kooperation – die Silicon Europe Alliance, innerhalb derer wir unterschiedliche Themen gemeinsam vorantreiben. Auch dabei sind Start-ups ein Thema – etwa in Form einer Start-up-Mission, mit der wir international hinausgehen werden. Dazu kommt, dass wir große Konzerne im Cluster haben wie u.a. Infineon oder AT&S, die international ausgerichtet sind – mit Niederlassungen in aller Welt. Das macht es uns leichter – wir legen großen Wert darauf, Start-ups und KMU mit den Corporates zusammenzubringen. Dazu laufen eigene Initiativen.

Wie bringen wir vermehrt Venture Capital ins Land?
Seidel: Das ist der wichtigste Puzzle-Teil, der uns noch fehlt. Dass noch mehr Investoren von außen kommen, die sehen, was wir hier an Möglichkeiten und tollen Start-ups mit teils disruptiven Technologien haben. Wenn ich nur meine Beteiligungen hernehme – ob Smart Shirt oder Temperaturpflaster, das sind wirklich außergewöhnliche Innovationen, die Weltkonzerne nicht hinbekommen haben. Was solche Technologien brauchen, ist meist ein langer Atem. Denn Technologien müssen reifen, sie brauchen Zeit, bis sie sich am Markt durchsetzen. Auch die beste Förderlandschaft oder Business Angels, die in den siebenstelligen Bereich gehen können, reichen dann nicht mehr aus. Diese Firmen brauchen das Vertrauen eines größeren Kapitalgebers, der an die Idee glaubt und das Team mit mehreren Millionen ausstattet – nach dem Motto: Jetzt arbeitet mal in Ruhe! Nur dann hat man diesen langen Atem. Fehlen solche Kapitalgeber, kommt es oft zu der Situation, dass diese Start-ups gar nicht wirklich groß werden, sondern frühzeitig einen Exit machen müssen und ihre Technologie an einen Konzern verkaufen. Wenn uns das das beim einen oder anderen Start-up gelingen würde, dann wäre in puncto Visibility schon viel erreicht.

Meixner: Darum geht es mir, um diese große Vision! Es braucht diese Zielsetzung! Wenn man im Ausland auf einer Startup-Veranstaltung weilt und sagt, man ist aus Graz, dann fragt jeder: Woher? Wenn man sagt, man ist aus Tel Aviv, dann sagt jeder: Voll cool! Das müsste die Vision sein! Das wir uns letztendlich dorthin bewegen! Als TATEN-Bank machen wir ja auch viel in der Akzeleration und haben auch schon Unerfreuliches erlebt: Nämlich dass Start-ups, die hier ihren Ursprung haben, sich letztlich nicht in der Steiermark angesiedelt haben. Aus verschiedenen Gründen. Zuletzt hatten wir den Fall, das eines unserer Unternehmen letztendlich in Zagreb gegründet hat – das müsste nicht sein. Unterm Strich: Vieles passt genau so, wie es ist. Aber ich bin überzeugt, wir können noch besser werden, gerade was das Standortmarketing im Startup-Bereich betrifft. Wenn wir hier noch mehr Gas geben, ist noch viel mehr möglich. Das ist die positive Message.

Eibinger-Miedl: Auch wir waren im Zuge einer Delegation mit dem HTS-Cluster bereits in Tel Aviv, um von den Besten zu lernen. Dort wird dieser Mindset in allen Gesprächen spürbar, egal ob du mit einem politischen Vertreter oder Unternehmensverantwortlichen redest, hörst du: „We are the Startup Nation!“ Ein Selbstverständnis dieser Art entsteht nicht von heute auf morgen, wir haben noch viel Arbeit vor uns – aber in diese Richtung bewegen wir uns!

Seidel: Ich finde, es gibt eine unheimliche Vielzahl an Impulsen und Initiativen in der ganzen Start-up-Landschaft – ob in den Clustern oder den COMET-Zentren. Aber ich bin der Meinung, dass man diese Dinge noch besser bündeln könnte – beispielsweise könnte man ein großes Event machen, auf das die Welt schaut. Internationale Vorbilder wie Bits & Pretzels in München gibt es ja – da kommt alles hin, was Rang und Namen hat. Zudem sollte man auf bundespolitischer Ebene ansetzen – Stichwort Beteiligungsfreibetrag. Es gibt so viel Geld in Stiftungen oder Immobilien. Wenn man steuerliche Anreize für die Investition von privatem Kapital in Start-ups schafft, könnte man viel bewegen. Bildlich gesprochen, die Basisarbeit bei uns ist toll: Start-ups sprießen wie Schwammerl aus dem Boden, aber ohne Gießen wird kein Steinpilz daraus. Und das geht nur mit Geld, mit privatem Geld. Die Aufgabe der öffentlichen Hand sehe ich darin, Brücken zu bauen und Türen zu öffnen.

Wie viel Risiko soll die öffentliche Hand nehmen? Welche aktuellen Instrumente hat die SFG?
Eibinger-Miedl: Die öffentliche Hand arbeitet mit öffentlichen Geldern – daher darf nicht viel Risiko genommen werden. Ich glaube, dass wir den möglichen Spielraum ohnehin schon sehr gut nutzen. Wir haben in der SFG entsprechende Programme geschaffen, wie etwa die „Risikokapital!Offensive“ oder „Venture Capital“. Dazu haben wir auch das neue Programm „Start!Klar Plus“ ins Leben gerufen, um Start-ups für Pitches vorzubereiten, damit diese bei Finanzierungsrunden noch besser abschneiden.

Ludwig: Wir sind sehr aktiv in der Finanzierung von Start-ups, wir haben heuer bereits sieben Gründungen mit Venture Capital finanziert, zumeist Huckepack mit privaten Investoren. Kleine frühphasige Start-ups fi-nanzieren wir im Rahmen einer „Risikokapital!Offensive“, in der Größenordnung zwischen 50.000 bis 150.000 Euro an echten Eigenkapital. Im Bereich Venture Capital, meist ebenso gemeinsam mit anderen Business Angels, geben wir bis zu 1,5 Mio. Euro. Unser Ziel ist dabei immer, privates Kapital anzureizen. Wir wollen nicht verstaatlichen oder „verländern“, sondern versuchen, möglichst viel privates Kapital in Start-ups bzw. Scale-ups hineinzubringen. Entscheidend ist, über die verschiedenen Wachstumsphasen hinweg adaptierte Förderung- und Finanzierungsinstrumente zur Verfügung zu haben. Hier hilft uns auch die EU, so können wir im Förderbereich auch sogenannte EFRE Mitteln einsetzen. Die Steiermark agiert hier sehr erfolgreich und lukriert unter allen Bundesländern am meisten Mittel. Derzeit versuchen wir gerade mit Landesmitteln sowie EU-Mitteln ein neues Programm auf die Beine zu stellen, um aus noch mehr Forschungsergebnissen von Universitäten oder Forschungseinrichtungen Unternehmensgründungen zu generieren.

Eder: Auch wir erleben, dass das, was an Förderungen oder Finanzierungen angeboten wird, von Start-ups stark angekommen wird – ob von SFG, FFG oder aws. Da gibt es zum Glück eine Reihe von Möglichkeiten, die gerne als Starthilfe genutzt werden. Damit kommt man zumindest in der ersten Phase schon recht weit. In spezifischen Branchen wie der Medizintechnik sind die Herausforderungen freilich größer.

Pak-Graf: Die starke Vernetzung der Forschungspartner können wir nur bestätigen – sie spielt auch für uns eine zentrale Rolle. Gerade der Medizintechnikbereich kommt aus dem Umfeld der TU Graz, der Uni Graz und der FH JOANNEUM. Wir arbeiten auch sehr eng mit den Kompetenzzentren zusammen, vor allem mit dem Know-Center. Toll, dass sich Graz da so stark positioniert hat. Den universitären Background von Produktentwicklungen sehen wir als extrem wichtig für die Steiermark. Das merken wir immer wieder an der Herkunft der Unternehmen, die sich bei uns melden. Aber wir sehen auch jedes Mal, das sich diese im ersten Moment mit einem Corporate etwas schwer tun – weil sie das kulturell nicht gewohnt sind. Daher kann ich Initiativen wie „Startklar plus!“ nur begrüßen – denn da sehen wir noch eine Lücke. An diesen Punkt scheitern viele. Was schade ist – weil die Idee ist oft genial. Immer wieder staune ich, wie junge Studierende auf so tolle Ideen kommen. Aber am Verkauf hapert’s dann oftmals. Denn man muss eine Idee auch verkau fen können – das ist meist der Knackpunkt.

Kurz zum Geschäftsmodell des Innovation Lab: Sie sind einerseits selbst ein Start-up, arbeiten andererseits auch mit anderen Startups zusammen?
Pak-Graf: Richtig, wir sind ein konzerneigenes Start-up, unser Investor ist gewissermaßen das Mutterunternehmen. Das heißt, wir müssen mit jeder Idee pitchen. Was uns am Anfang etwas schwerfiel, ich komme ja selber aus einem Corporate. Aber man lernt dadurch, Start-ups besser zu verstehen und in deren Lebens- und Problemwelt hineinfühlen. Im Fokus stehen bei uns im Innovation Lab KI-Themen, Data Science und Data Analytics – immer mit der Perspektive, daraus einen Mehrwert für die Kunden der Merkur Versicherung zu generieren. Und darüber hinaus haben wir vor mehr als einem Jahr begonnen, uns selbst mit Start-up-Beteiligungen zu beschäftigen. Auch das ist Teil des Innovation Lab. Wir suchen Beteiligungen, die zur strategischen Ausrichtung unserer Branche passen. So haben wir uns im Vorjahr an einem spannenden Start-up beteiligt, zur Zeit laufen mehrere Prüfungen. Die Hürden im Medizintechnik-Bereich sind leider sehr hoch. Aufgrund der besonders strengen Regulatorien sind unsere Anwälte meist über Monate beschäftigt – schließlich sollen am Ende des Tages ja unsere Endkunden auch etwas davon haben. Da dürfen wir keine Fehler machen.

Bei der Finanzierung von Start-ups sprechen wir meist von Investoren, Business Angels und Förderungen. Welche Rolle spielt die Hausbank?
Meixner: Ein spannendes Thema, denn grundsätzlich sind die Möglichkeiten für Banken in der reinen Start-up-Finanzierung aufgrund der strengen Regulatorien limitiert. Es gilt der Grundsatz, dass ein Unternehmen zumindest Kundenumsätze aufweisen sollte, damit eine Finanzierung in Frage kommt. Daher ist es nicht einfach, in Frühphasen Fremdkapital zu vergeben. Daher ist Eigenkapital für die meisten Start-ups das Mittel der Wahl. Dennoch können Banken in der Frühphase unterstützen – einerseits als Partner der Förderinstitute als auch bei bestimmten Zwischenfinanzierungen. Umso wichtiger ist die Zusammenarbeit mit Fördereinrichtungen, die entsprechende Garantien bereitstellen. Diese Förderfinanzierungen machen aber nicht alle Banken, weil es relativ viel Auf-wand bedeutet. Wir als TATEN-Bank haben hier einen unserer Schwerpunkte. Grundsätzlich sind wir aber keine eigenständige Bank, sondern wie der Raiffeisen Club, eine Submarke von Raiffeisen. Die Bank hinter der TATEN-Bank in der Steiermark ist die RLB Steiermark. Und weil der RLB Start-ups am Herzen liegen und diese für die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts ganz entscheidend sind, versuchen wir als Bank, innovative Finanzierungslösungen anzubieten – so finanzieren wir auch im Nachrang bzw. bieten gegebenenfalls auch Beteiligungen an. Das ist der Punkt, wo man sich als Bank einfach weiterentwickeln muss – ganz im Sinne unserer Transformation bzw. unseres internen Entrepreneurship-Programms „Hummelflug“. Deshalb sitze ich hier im Hummelflug-Pullover. (lacht) Damit versucht die RLB den Wandel in Richtung Innovationskultur voranzutreiben.

Wie sehr ist der Gestaltungsspielraum von Start-ups derzeit durch multiple Krisen eingeschränkt?
Eibinger-Miedl: Was die Gründungszahlen betrifft, haben wir uns in den letzten zwei Jahren, auch in der Corona-Zeit, sehr gut entwickelt. Oft sind Krisen auch der Auslöser für Neues. Insofern bleibe ich positiv gestimmt, vor allem, weil wir gerade im Green-Tech-Bereich in der Steiermark die größte Dichte unter den Startups haben. Genau deren Geschäftsideen sind in Zeiten der Klima- und Energiekrise gefragt.

Ludwig: Die Impulszentren der SFG sind zu 99 Prozent gefüllt, wir haben in den letzten zwei Jahren massiv ausgebaut. Das Datahouse wurde schon angesprochen, auch in Niklasdorf im Murtal haben wir einen Zubau getätigt und an der Medizinischen Universität sind wir mit dem ZWT Accelerator gerade in den letzten Zügen des Neubaus, der das ZWT 1 um attraktives Gebäude erweitert. Die Nachfrage nach Flächen ist ungebrochen. Es sind im Moment sicherlich herausfordernde Zeiten, aber Zeiten wirtschaftlicher Anspannung waren in der Vergangenheit immer schon Gründerzeiten.

Pock: Das kann ich nur bestätigen. Die Stimmung ist gut, also vor allem die Life-Science-Branche ist relativ krisensicher, weil Gesundheit immer Konjunktur hat. Unsere Herausforderungen betreffen das angesprochene Thema Venture Capital, davon ist einfach zu wenig am Markt. Die zweite Hürde in der Life-Science-Branche betrifft die Regulatorien. Jeder, der sich auf diesen Weg begibt, weiß, dass die Reise eine sehr lange ist, bis man alle Zulassungen geschafft hat. Und das Dritte: Wir haben so viel Innovationskraft, aber wir können unsere Innovationen heimischen Patienten in Österreich durch den erschwerten Marktzugang im Gesundheitssystem nicht in dem Ausmaß zur Verfügung stellen, wie wir das gerne möchten. Dabei könnten unsere Innovationen viel für ein nachhaltiges Gesundheitssystem leisten – mit Hightech in der Prävention und in der verbesserten Therapie. Damit ließen sich auch die Kosten im Gesundheitssystem reduzieren.

Eder: Wir bemerken, dass die Stimmung auch bei uns sehr positiv ist. Das sieht man daran, dass wir Anfang des Jahres knapp 30 Start-ups im Cluster hatten, mittlerweile sind es 40, ein starkes Wachstum. Und wir schauen sehr stark darauf, dass wirklich die relevanten Firmen zu uns kommen, die von der Technologie her passen. Eine Herausforderung ist natürlich schon, dass viele Start-ups genau diese Chips in den Produkten einsetzen, die jetzt vielfach fehlen. Der EU Chips Act bringt jedenfalls eine enorme Dynamik mit sich, wenn in den nächsten Jahren die angekündigten 43 Milliarden in Europa investiert werden. Dabei müssen wir alles daran setzen, dass auch KMU und Startups davon profitieren.

Die berühmte „Kultur des Scheiterns“ – wie sehr gehört sie zum Start-up-Business?
Seidel: Jeder kennt den Spruch: Man braucht zumindest zehn Start-ups, denn nur eines von zehn wird was. Das heißt, im Umkehrschluss müsste jedem klar sein, dass aus neun nichts wird. Bloß von diesen neun redet keiner gerne, da wird auch wenig darüber berichtet, aber das gehört zum Geschäft einfach dazu. Es gibt Chancen und Risiken – das ist Unternehmertum.

Ludwig: Oft sind es die erfolgreichsten Unternehmen am Markt, also die Sterne am Himmel, die vorher auch schon mal gescheitert sind – vielleicht sogar schon zweimal. Das gehört zum Wesen von Start-ups, in einer bestimmten Phase auch einmal die Strategie zu ändern und dann aber nicht aufzugeben, sondern einen zweiten Anlauf zu nehmen, der dann im besten Fall sehr wohl aufgeht. Zudem investieren viele gar nicht so sehr in den Businessplan, sondern ins Team – in die Menschen.

Pak-Graf: Absolut, für uns ist das Team hochprioritär bei unseren Bewertungen. Weil die Menschen müssen die Idee zum Fliegen bringen. Bei Beteiligungen kommt es leider immer wieder vor, dass wir die Stopp-Taste drücken müssen – gerade im Medizintechnik-Bereich mit seinen spezifischen Zertifizierungsanforderungen. Start-ups brauchen einen sehr langen Atem – und für ein großes Unternehmen stellt sich dann die Frage, wie weit man mitgeht, wenn das Ziel nicht erreichbar scheint. Zudem kann eine Privatversicherung in Österreich nicht beliebig Alleingänge machen, wenn der öffentliche Bereich nicht mitzieht. Wir könnten eine Start-up-Innovation zwar irgendwie in unser Ökosystem einbauen und Kunden zur Verfügung stellen, aber wenn es keinen Übergang zum öffentlichen System gibt, würde das Geschäftsmodell scheitern.

Meixner: Derzeit sehe ich eine große Herausforderung: Die steigenden Zinsen führen dazu, dass der Venture-Markt stark eingebrochen ist. Dadurch wird es für Scale-ups extrem schwer zu skalieren. Auch die Bewertungen sind jetzt wesentlich niedriger als in der Vergangenheit. Das führt dazu, dass der eigene Cashflow an Bedeutung gewinnt und Expansionen nicht so schnell stattfinden. Das wird auch dazu führen, dass das eine oder andere Start-up Probleme bekommen wird. Das sind die Rahmenbedingungen, die wir nicht wirklich beeinflussen können. Das Positive: In den Hoch-Zeiten der vergangenen Jahre wurde viele Dinge finanziert und mit ganz viel Geld gehypt, wo man sich, nüchtern betrachtet, teils die Frage stellen konnte: Braucht man das wirklich? Wenn jetzt weniger Geld da ist, kommt es wohl zu einem Umdenken und einer Konzentration auf das, was wirklich wichtig ist.

Fotos: ISTOCK, OLIVER WOLF

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