Nachhaltige Stahlproduktion im Stadtgebiet: Schrott ist in der Marienhütte der Rohstoff für infrastrukturell essenziellen Betonstahl, der wiederum zu 100 Prozent stofflich verwertbar ist. Drei Viertel der im Schmelzprozess benötigten elektrischen Energie werden in das Grazer Fernwärmenetz ausgekoppelt. Davon profitiert Reininghaus, allerdings tun sich mit neuen Plänen Konfliktpotenziale auf.
Seit Jahrzehnten wird mitten in Graz Stahl produziert. Es sind 400.000 Tonnen, die die Marienhütte in der Südbahnstraße pro Jahr verlassen. Österreichs einziger Hersteller von Betonstahl deckt rund die Hälfte des heimischen Bedarfs ab. Geschäftsführer Markus Ritter lässt keinen Zweifel daran, dass das Material ein unverzichtbarer Eckpfeiler für eine moderne Infrastruktur ist – für die Errichtung von Krankenhäusern genauso wie von Brücken, Tunnel oder Fundamenten von Windrädern. „Auch die Energiewende schaffen wir ohne Betonstahl nicht“, betont der Unternehmer. Die Metamorphose vom Rohstoff Schrott bis zum fertigen Produkt wird dabei in rund drei Stunden und unter Mithilfe von Kalk, Kohlenstoff, Sauerstoff, Erdgas und mehreren tausend Grad im Elektrolichtbogenofen vollzogen. Das Beispiel Marienhütte zeigt, wie Schwerindustrie Ansprüchen an Effizienz und Nachhaltigkeit gerecht werden kann: Abfall gibt es im Produktionsprozess nahezu keinen. Der Aktionsradius des Unternehmens weist nicht mehr als 500 Kilometer auf. Der Schrott wird seit vielen Jahren nahezu zu 100 Prozent über die Bahn angeliefert, der erzeugte Betonstahl kommt wiederum regional im Bau zum Einsatz. Damit sind die Transportemissionen im Vergleich zu internationalen Mitbewerbern in der Branche gering. Und: Eingesetzter Betonstahl ist zu 100 Prozent recyclingfähig.
MARIENHÜTTE Als Österreichs einziger Hersteller von Betonstahl versorgt das Grazer Stahl- und Walzwerk die heimische Bauwirtschaft. Die Marienhütte ist Teil einer Gruppe mittelständischer österreichischer Unternehmen, die sich alle in Familienbesitz befinden, und beschäftigt rund 300 Mitarbeiter. KONTAKT STAHL- UND WALZWERK MARIENHÜTTE GMBH Südbahnstraße 11 8020 Graz T 0316 59 75 0 www.marienhuette.at
KURZE WEGE
Kurze Wege sind auch im Produktionsprozess ein Pluspunkt: Die Knüppel, 13 Meter lange Barren, können aufgrund der kompakten Bauweise des Werkes mit 900 Grad direkt ins Walzwerk eingebracht werden. Der Wärmeverlust wird dadurch minimiert, was wiederum eine Erdgasersparnis von 50 Prozent nach sich zieht. Das zum Walzen verwendete Kühlwasser wird in der Marienhütte im Kreislauf geführt – es wird gereinigt und wieder zur Kühlung verwendet.
„Ein modernes, effizientes Betonstahlwerk verursacht heute keine nennenswerten Emissionen mehr“, betont Ritter. Betonstahl aus der Marienhütte trägt das SustSteel-Kennzeichen, das die Nachhaltigkeit der Produktion überwacht – ökonomische und ökologische Kennzahlen sowie soziale Kriterien wie Arbeitssicherheit und freiwillige Sozialleistungen werden dabei gleichermaßen berücksichtigt. Die Marienhütte ist eines der ersten Unternehmen in Europa, das mit dem Kennzeichen ausgezeichnet wurde.
Ritter setzt aus Überzeugung auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen für Folgegenerationen und nennt das „enkelgerecht“: „Wer nach diesen Prinzipien baut, muss sich auch nicht dafür schämen.“
VERANTWORTUNGSVOLLES HANDELN
Verantwortungsbewusstes Handeln im Sinne der Zukunft schließt die Gegenwart freilich mit ein. „Wir sind der Beweis dafür, dass Industrie auch in einem urbanen Umfeld gedeihen kann“, sagt Ritter. Schon seit 1992 wird im Produktionsprozess entstehende Abwärme ausgekoppelt. 75 Prozent der elektrischen Energie, die man für das Einschmelzen des Schrottes benötigt, kommt als Fernwärme Grazer Haushalten zugute.
Stahlwerk von nebenan. Die Metamorphose vom Schrott bis zum fertigen Produkt im Stadtgebiet birgt auch Herausforderungen – umso mehr, je näher der Wohnbau rückt.
Die jährliche Menge beläuft sich derzeit auf rund 110 Gigawattstunden, „wir befinden uns in der Kooperation mit der Energie Graz bereits in der sechsten Ausbaustufe“, so der Geschäftsführer. Das bedeutet auch: 50.000 Grazerinnen und Grazer können so versorgt und 30.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Die Marienhütte ist damit der zweitgrößte industrielle Wärmelieferant der Stadt. Für den benachbarten neuen Stadtteil, der derzeit im Werden begriffen ist, ist man also ein effizienter Nahwärmeversorger. „Wir können Reininghaus mit Niedrigtemperaturwärme versorgen. Das ist einzig und allein aufgrund der kurzen Wege möglich“, sagt Ritter „es ist ein weltweit einzigartiges Vorzeigeprojekt“.
ÜBERREIZTE GRENZEN
Dass der Wohnbau nun allerdings anders als ursprünglich geplant weit näher an das Unternehmensareal heranrücken soll, bereitet Ritter Kopfzerbrechen. „Die Alte Poststraße als natürliche Grenze für die Wohnbebauung wäre sinnvoll. Unser Wunsch im Rahmen der Flächenwidmungsplanung war es daher auch, dass eine Wohnnutzung jenseits dieser Grenze dezidiert ausgeschlossen wird. Das ist aber nicht der Fall. Das Industriegebiet wurde gegen unsere ausdrücklichen Bedenken zum Kerngebiet umgewidmet. Das erlaubt gemischte Nutzungen, in denen Wohngebäude auch zulässig sind. Demgegenüber steht nunmehr ein Vorhaben, in dem die betroffenen Flächen ganz überwiegend zu Wohnzwecken genutzt werden sollen.“ Die Rede ist von mehreren zehngeschoßigen Gebäuden mit mehreren hundert Wohneinheiten, so Ritter, die nun jenseits der Alten Poststraße nahe dem Werksgelände sowie nahe dem Seveso-II Schutzgebiet der Linde Gas entstehen sollen. „Wir waren daher gezwungen zu reagieren und haben unser Einspruchsrecht wahrgenommen. Es ist nicht unser Zugang, zu streiten, aber ich muss den Standort schützen. Ich frage mich auch ganz grundsätzlich nach der Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens.“
Bereits in Angriff genommen wurden die Bauarbeiten auf jenem Teil des Geländes, auf dem der Schulcampus entsteht. Bei einer derartigen Nutzung sieht Ritter auch gar keinen Konflikt, „denn das Problem der Lärmbelastung entsteht vor allem in der Nacht. In den letzten 30 Jahren sind wir dem Anspruch gerecht geworden, dass Industrie und Urbanität durchaus gut zusammengehen können. Das ist unser Credo. Mit den aktuellen Wohnbauplänen werden unsere Bestrebungen allerdings überreizt“, gibt der Unternehmer zu bedenken.
KÜNFTIGE HERAUSFORDERUNGEN
An unternehmerischen Herausforderungen mangelt es auch auf anderen Ebenen nicht. Dazu zählt die Verdreifachung der Energiepreise. „Das ist aber ein europaweites Thema, das alle trifft. Diese Entwicklung führt zugleich vor Augen: Energie ist teuer, ja, aber sie ist auch wertvoll. Daher sollte man sie bewusst einsetzen.“ Wenn einerseits immer mehr Bereiche elektrifiziert werden sollen und damit immer größere Mengen an Strom notwendig sind, andererseits aber bereits Sorge vor Stromengpässen besteht, hält Ritter Praktiken für sinnvoll, wie sie in manchen Ländern bereits bestehen. In Frankreich beispielsweise wurde ein Strom-Wetterbericht mit zu erwartenden Spitzenbelastungen eingeführt. Auf diese Weise will man Bürger aktuell über die Auslastung informieren, um sie für einen bewussteren Umgang mit Strom zu sensibilisieren. Trotz aller Ungewissheiten fällt der Blick in die Zukunft positiv aus: „Die großen Hebel der Dekarbonisierung wurden bei uns längst in Gang gesetzt, jetzt versuchen wir die kleineren Früchte zu ernten. Freilich werden wir uns auch verstärkt mit den Möglichkeiten von Wasserstofftechnologien auseinander-setzen“, sagt der studierte Jurist, der bis 2000 als Beamter der EU-Kommission in Brüssel tätig war. Die Zeiten sind reif für nachhaltige Veränderung: „Was jetzt gerade stattfindet, gibt uns allen einen weiteren immensen Schub in Richtung Energieeffi-zienz und Ressourcenschonung. Es geht darum, Stoffkreisläufe noch viel stärker zu schließen, Lieferketten zu analysieren, in Konzepten regionaler Versorgung zu denken. Die momentane Situation bietet große Chancen. Die Diskussion darüber muss nur ehrlich, fair und wahrheitsgetreu geführt werden. Vor 20 Jahren haben Industrieunternehmen noch gebremst, aber jetzt haben es viele verstanden. Der Wille der Industrie, Entwicklungen voranzutreiben und selbst wegweisend zu sein, ist in jedem Fall da. Natürlich ist dafür aber ein massives Umkrempeln alter Gewohnheiten notwendig.“
FOTOS: OLIVER WOLF, MATHIAS KNIEPEISS, CHRISTIAN KREMSER