Die steirische Keramikkünstlerin Selma Etareri ist mit ihrem Atelier DA LOAM in der Grazer Mariahilferstraße weit über die Grenzen Österreichs bekannt. Im Interview mit „SPIRIT of Styria“ spricht sie von der Suche nach Freiräumen in den kalten, finsteren Wintern im Elternhaus in Bad Hofgastein, ihrem Begriff von Ästhetik, der nicht gängigen Schönheitsidealen entspricht, und warum in ihren körperhaften, dünnwandigen Tongefäßen eine Bewegung eingearbeitet ist, die an einen Tanz erinnert.
Selma Etareri entstammt einer Künstlerfamilie: „Der Vater war Bildhauer und Drechsler. Überall waren Holz und Stein, Materialien, die man so brauchte. Für mich war es der Ton, der mich am meisten gereizt hat. Um meinen Vater zu zitieren: Die is’ vom Gatsch nicht wegzukriegen.“ Im Elternhaus, in Bad Hofgastein, inmitten von freiem, unverbautem Land damals, fand Selma Etareri auch einen anderen, strengen Ton vor: „Ich bin sehr einfach aufgewachsen. Meine Eltern waren mit den fünf Kindern reichlich überfordert, das ist verzeihlich. Es gab konservative Altlasten wie ein Mann-Frau-Gefälle: Die Bildhauerei war für die Söhne, die Tochter soll Keramik machen.“ Unerschöpflich aber waren die künstlerischen Möglichkeiten und der Vater als Lehrer. „Und irgendwo zwischen kreativ, chaotisch und verklemmt bin ich großgeworden.“ Um Ruhe zu finden und mit ihren Gedanken alleine zu sein, suchte sich die Künstlerin in den kalten und finsteren Wintern einen Raum „wo ich ins Finster schaute. In die Welt. Bis sich Bilder umdrehten. Die Berge bekamen Gesichter – im Frühling andere als im Winter. Wenn es schneite, war der Schnee das Licht“. Das Haus war immer voller Besucher, sagt Selma Etareri. „Der Schriftsteller H.C. Artmann hat oft mit meinem Vater gesoffen. Paul Flora war zu Besuch, sogar Konrad Lorenz.“ All diese Begegnungen übten großen Einfluss aus: „Obwohl ich mir manchmal wünschte, ich wäre doch aus einer Beamtenfamilie. Es ist viel schwerer, den Künstlervater in deinem Ich loszuwerden, die Bildhauerbrüder, die Mama, für die Rosarot und Himmelblau im Farbkasten nichts zu suchen hatte. Bis zu seinem Tod wiederholte der Vater: Hör auf mit dem Figuren-Modellieren. Mach schöne Vasen und schönes Geschirr!“
„Striche auf Tassen
tanzen rundherum,
fühlen sich alleine, verwandeln sich,
treten in Beziehung zueinander. Der Kreis schließt sich,
die Bewegung ist ausgeführt.“
SELMA ETARERI
KERAMIKKÜNSTLERIN
ÄSTHETIK DER FORMENVIELFALT
Selbstredend machte Selma Etareri das Gegen-teil, kämpfte sich frei von Konventionen, suchte – und fand – ihre Nische, ihren Raum in der Welt der Kunst: Körperhafte Gefäße, inspiriert von der kraftvollen weiblichen Schönheit. Vulven, die sich öffnen wie Blumenknospen. Figurative Fabelwesen aus der Mythologie und Fantasie entsprungen. „Ich bin allergisch auf „nur schön“. Für mich ist gerade etwas ästhetisch, das nicht ideal ist: Eine verblühte Blume in der Natur, ein Körper, der keinem vermeintlichen Ideal entspricht.“ Laut Selma Etareri wäre eine positivere Haltung der unglaublichen Vielfalt des Lebens gegenüber wünschenswert. „Es gibt für mich keinen Fehler, den ich nicht unglaublich begrüßen würde. Denn Fehler waren es, die mich über die letzten 40 Jahre zu mir gebracht haben; aus denen heraus ich künstlerisch etwas erschaffe.“ Zu dieser Sichtweise brachte sie Butoh, eine japanische, ausdrucksstarke Tanzform. „Meine Tanzlehrerin, Yumiko Yoshioka, sagte einmal: ‚Don‘t try to be beauty‘ – nicht schön sein probieren.“
Selma Etareri
Geboren 1968, lebt als freischaffende Keramik- und Performancekünstlerin in Graz.
Spezialisiert auf Plastiken und Skulpturen aus Ton und Bronze, große Gefäße aus Steinzeug, Bilder in Mischtechnik und Zeichnungen sowie Geschirr aus Porzellan (bemalt mit Oxiden und Edelmetallen) Gründung Galerie und Atelier „DA LOAM“ im Jahr 2005 in der Mariahilferstraße in Graz. Seitdem kuratiert sie ebendort jährlich fünf Ausstellungen nationaler und internationaler Künstler und bietet Keramik-Workshops an.
Zudem engagiert sie sich mit ihrem Verein „DA LOAM“ mit Projekten im öffentlichen Raum für die Förderung von Kindern und Jugendlichen sowie für (inter-)kulturellen Austausch. www.selma-keramik.at
GEFÜHLE IN TON GEBRANNT
Diese aus ihrem Inneren geborenen Bewegungen übersetzt die Künstlerin vom Tanz auf ihre keramischen Massen. „Siehst du diese Vase? Wie beim Tanzen entsteht auf der Drehscheibe unten die Bewegung, wird von mir oben verdoppelt und ganz am Schluss intensiviert, so lange, bis ein Makel entsteht. So wird sie zur Figur. Auch meine Zeichnungen, ob auf Leinwand oder am Ton, drücken meine Empfindungen aus. Striche auf Tassen tanzen rundherum, fühlen sich alleine, verwandeln sich, treten in Beziehung zueinander. Der Kreis schließt sich, die Bewegung ist ausgeführt.“ Jedes der von Selma Etareri geschaffenen figurativen Keramikobjekte ist als Unikat etwas Einzigartiges. Die Handgriffe der Künstlerin sind ihnen eingeschrieben. „In einer körperlich anstrengenden Tätigkeit wie dem Töpfern ist der Körper stets da. Mein Körper arbeitet intuitiv Zustände heraus – Emotionen wie Freude, Trauer oder Wut. Oft ist diese Arbeit Heilung. Bei Selma Etareris archetypischen Figuren ragen nicht grundlos Zungen aus dem Bauch. Der Bauch spricht, er denkt, er entscheidet, reagiert mit einem Gefühl, sagt uns, ob uns was guttut. In der Hysteria (altgriechisch für Gebärmutter) wohnt Weisheit und die Fähigkeit, Leben zu erschaffen. So ist die Gestaltung weiblicher Figuren eine Passion der Künstlerin. „Das ist wie das Rauslassen von etwas Ungezähmten in mir. Meine Figuren haben Tierköpfe. Verletzte Flügel. Manche Figuren kommen und gehen, andere wollen bleiben, wollen spielen, streiten, etwas austragen, wollen nicht unbedingt alt werden, wollen nicht mehr jung sein – wie die Krokodilfrau, die mich seit Jahrzehnten begleitet. Was auch immer in meinem Kopf vorgeht während der Arbeit: Wenn ich zum Kichern anfange, werden die Figuren gut. Dann fängt es an, interessant zu werden.“
Die Künstlerin lässt sich von mythologischen Gottheiten und Fabelwesen inspirieren.
Die Zeichnung als direktester Ausdruck an Emotionen
DÜNNE SCHALE, WIDERSTANDSFÄHIGE OBJEKTE
Seit 30 Jahren arbeitet Selma Etareri als Keramikerin. Ihr Kunst- und Keramikstudio DA LOAM in der Mariahilferstraße in unmittelbarer Nähe des Kunsthauses existiert seit 2005. Mit ihren unverwechselbaren, formenvielfältigen Kunstgegenständen hat sich Selma Etareri weit über die Grenzen Österreichs hinaus schnell einen Namen gemacht. Darunter finden sich ebenso Alltagsgegenstände wie dünnwandiges Porzellangeschirr, das die Künstlerin mit Oxiden und Edelmetallen sowie gekonntem Pinselstrich und gezeichneten Bildgeschichten verziert. Obwohl sie ihre Objekte vorher auf Papier skizziert, ist Selma Etareri flexibel. „Wenn beim Arbeiten etwas passiert, das viel schöner ist, als das ursprünglich geplante, bin ich bereit, ungeahnten Wegen zu folgen.“ Seit 15 Jahren betreibt die Künstlerin eine eigene Porzellangießerei: „Die erste Form, der Prototyp, ist meist aus Ton geformt. Daraus entsteht eine Gipsform, in die Porzellanschlicker eingegossen und nach einigen Minuten wieder ausgegossen wird. Das Porzellan legt sich wie ein dünner Film an die Wand der Form – die Schale entsteht“, erklärt die Künstlerin. Diese Abgüsse werden versäubert, bemalt, glasiert und vergoldet und bis zu dreimal gebrannt. So entstehen Kleinserien. Durch die individuelle Bemalung ist jedes Stück einzigartig. Jedes der Objekte ist gesintert und so im täglichen Gebrauch sehr widerstandsfähig.
IMPROVISATION UND FREIRÄUME
Widerstandsfähig – ein Wort, das auch privat auf die Künstlerin zutrifft. „Ich habe meine vier Töchter allein großgezogen. Das war nicht einfach als Künstlerin. Aber Ich glaube, ich habe meinen Kindern mitgegeben, was nicht leicht zu bekommen ist: Die Zuversicht, dass man es schafft, solange man improvisiert. Der Körper transformiert, wenn man ein Kind kriegt. Der Verstand auch. Du lernst dich neu kennen, das Leben neu kennen. Viele meiner Figuren haben wohl aus diesem Grund mütterliche Attribute“, verrät Etareri, und fügt hinzu: „Seit Mai sind alle Kinder aus dem Haus. Und ich stelle mir die brennende Frage: Was mache ich da jetzt? Wo ich plötzlich nicht nur Mutter, sondern auch wieder Ich sein darf? Momentan genieße ich das Alleinsein, zu reisen, die Konzentration auf die Kunst. Meine Vision ist, über meinen Verein DA LOAM die Galerie für internationale Künstler zugänglich zu machen, indem ich Ausstellungen und themenbezogene Workshops organisiere. Ich selbst möchte mir wiederum Zeit nehmen, die Flügel auszubreiten und neue Freiräume zu suchen.“
FOTOS: OLIVER WOLF, BEIGESTELLT