Spirit of Styria

GRÜN IST DAS NEUE GOLD

PARADIGMENWECHSEL IN DER CHEMISCHEN INDUSTRIE

Das „Schwarze Gold“ war gestern. Die Wissenschaft erschließt biobasierte Ressourcen als Alternativen zu Materialien aus Erdöl und anderen fossilen Rohstoffen. An diesem Paradigmenwechsel arbeiten preisgekrönte Forscherinnen und Forscher wie Katalin Barta Weissert vom Institut für Chemie an der Uni Graz. Die Grundlagenforscherin entwickelt aus Holz und anderer Biomasse neue Substanzen für die Industrie und gründet mit ihrem Team gerade ein Spin-off.

Sie wissen: Wir leben auf zu großem Fuß. Um allen Menschen auf der Erde einen mitteleuropäischen Lebensstandard zu ermöglichen, bräuchten wir dreimal mehr Energie und Nahrung, Wasser und Land, als uns zur Verfügung steht. Wer Mathematik hatte, der rechne: Es geht sich nicht aus. Einen Lösungsweg bietet die Kreislaufwirtschaft, die allen zukunftstauglichen Wirtschafts- und Wissenschaftssystemen bzw. -denkweisen zugrunde liegt. Ziel ist, Ressourcen so oft zu recyceln und wiederzuverwenden, dass in einem geschlossenen Kreislauf weit weniger neue Ressourcen gebraucht werden und kaum Abfälle und Emissionen entstehen. Träte das Modell heute in Kraft, erzielte die EU bis 2030 einen jährlichen Nettonutzen von 1,8 Billionen Euro. Allein in den Bereichen Mobilität, Infrastruktur und Ernährung könnte man die CO2-Emissionen halbieren, so prognostiziert der World Wildlife Fund (WWF). Um im großen Maßstab wiederzuverwerten, braucht es in ebenso großem Maßstab nachhaltige Substanzen – und Erdöl ist eine solche nicht. Auch das wissen wir. Dennoch pulsiert Erdöl in der Lebensader der modernen Industrie, weil es den Ausgangsstoff für eine ungeheure Fülle an alltäglichen Produkten bildet. Alle Arten von Kunststoffen, Farben, Klebstoffe, Kunstfasern, Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Kosmetika etc. basieren auf Kohlenstoffverbindungen, die zu über 85 Prozent aus fossilen Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas und Kohle stammen. Erdölbasierte Polymere sind in der Regel nicht biologisch abbaubar und chemisch nur zu einem unverhältnismäßigen Preis, etwa durch die Erhitzung auf über 500 Grad Celsius, ein ungeheurer Energieaufwand.

Die Wissenschaft ist ein so kreatives und gesellschaftlich sinnvolles Tätigkeitsfeld. Talente zu coachen und weiterzuentwickeln, ist eine zentrale Aufgabe.

KATALIN BARTA WEISSERT,
UNIVERSITÄTSPROFESSORINFÜR CHEMIE AN DER UNI GRAZ

170 MILLIARDEN TONNEN: WEITGEHEND UNGENUTZT
Vor diesen Hintergründen erhalten nachwachsende Ressourcen eine immens hohe Bedeutung in der zukunftsgewandten chemischen Industrie. Die Natur liefert weltweit jährlich ca. 170 Milliarden Tonnen pflanzliche Biomasse; davon werden bisher nur zirka drei bis vier Prozent wirtschaftlich genutzt. Eine besonders vielversprechende Quelle ist Holz bzw. die Lignocellulose, die härteren Pflanzen als Strukturgerüst dient. Lignocellulose kommt in Getreide, Stroh, Schilfrohr sowie Holz vor. Insbesondere die phenylartigen Verbindungen im Bestandteil Lignin gelten als zukunftsträchtiger Rohstoff für neue, kreislaufwirtschaftstaugliche Polymere.

„Wir haben umweltfreundliche Tenside für Waschmittel, Shampoos oder Kosmetik entwickelt und möchten diese
über ein Spin-off auf den
Markt bringen.“

KATALIN BARTA WEISSERT
UNIVERSITÄTSPROFESSORIN
FÜR CHEMIE AN DER UNI GRAZ

KREATIVE METHODEN
Und hier sind wir mitten im Forschungsgebiet von Katalin Barta Weissert. Die gebürtige Slowakin ist Professorin am Institut für Chemie der Uni Graz mit dem Schwerpunkt „Grüne Chemie“. „Wir beschäftigen uns mit fundamentalen Fragen der Katalyse von Biomasse. In der Steiermark liegt der Rohstoff nahe – passend zum großen Waldbestand im Bundesland. In unserer Arbeit entwickeln wir neue, kreative Methoden, um Stoffe wie etwa Zellulose und Lignin in seine kleinsten Bestandteile zu zerlegen und dann wiederaufzubauen.“ Als Nebenprodukt der Papierindustrie ist Lignin in großen Mengen verfügbar und wird derzeit dennoch fast ausschließlich verbrannt, um Energie zu gewinnen. „Es gibt weitaus sinnvollere und wertvollere Methoden, diesen Rohstoff zu nützen!“ Am Ende der vielen neu entwickelten Katalyse-Schritte steht eine breite Palette an Produkten und Anwendungsmöglichkeiten: Epoxidharze, Polymere, Polycarbonate, Polyester u.v.m. Sie sind Bestandteile von Windrädern, Surfboards, Fassaden, Flugzeugen und Autos, kommen in der Bauund Bekleidungsindustrie oder als Komponenten der Elektrotechnik und Elektronik zum Einsatz. Und es ist höchste Zeit: „Die Plastikverschmutzung und das Übermaß an CO2-Ausstoß sind sozusagen ‚unintended consequences‘ (wörtlich: unbeabsichtigte Auswirkungen) der erdölbasierten Produktion, die in den frühen Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts nicht vorausgesehen wurden.“ Die wirklich große Aufgabe der heutigen Wissenschaft ist, nicht nur umweltfreundliche Alternativen, sondern auch bessere Materialien zu entwickeln, damit Industrie und Verbraucher motiviert sind, umzusteigen.

Markus Hochegger-Krawanja wird das Spin-off leiten.

Aus diesen Rohstoffen entstehen neue Polymere.

SPIN-OFF FÜR GRÜNE TENSIDE
Aktuell sind Katalin Barta Weissert und sechs ihrer Mitarbeiter dabei, eine ihrer wissenschaftlichen Entwicklungen in ein universitäres Spin-off überzuführen. „Wir haben amphiphile Substanzen beforscht und umweltfreundliche Tenside entwickelt, die wir in Waschmitteln, Shampoos oder im Kosmetikbereich einsetzen möchten. Derzeit skalieren wir die Prozesse vom Labormaßstab auf das industriell notwendige Niveau hoch und stellen die Finanzierung auf“, berichtet die Trägerin des (mit 2,5 Millionen Euro dotierten) EIC Transition Grant ‚PureSurf‘ der EU. Jetzt werden die Tenside von Industriepartnern getestet, dann geht es auf Investorensuche. Markus Hochegger aus Barta Weisserts Arbeitsgruppe wird das Spinoff leiten. „Wir denken, hier europaweit einzigartige Produkte anbieten zu können.“ Und wieder geht es nicht nur um umweltfreundliche Alternativen, sondern auch darum, bessere Produkteigenschaften anzubieten als State of the Market. Apropos Europa: Die chemische Forschung an der Uni Graz ist international. Barta Weisserts Arbeitsgruppe gehören Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus Österreich, Italien, Ungarn, China, Mexiko und Indien an. Die Forscherin selbst promovierte im deutschen RWTHAachen, war danach vier Jahre an der University of California, Santa Barbara, sowie an der Yale University tätig und arbeitete vor ihrem Ruf nach Graz als Professorin am renommierten Stratingh Institute der niederländischen Universität Groningen. „Wir sind weltweit vernetzt und unterhalten Kontakte mit der Schweiz, Schweden, den Niederlanden, USA, China und Indien, um nur einige zu nennen. Gerade in der Grünen Chemie genießt die Uni Graz einen hervorragenden internationalen Ruf.“

Forschung ist Teamarbeit: Barta & Hochegger

SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT: FRAUEN IN DER FORSCHUNG
Nachwuchsprobleme sieht die Mutter dreier Kinder in der Chemie derzeit nicht. „Wir haben sehr viele Talente, männlich und weiblich, und ich betrachte es als eine zentrale Aufgabe in der Wissenschaft, diese Menschen aktiv und ihren individuellen Fähigkeiten entsprechend zu coachen und zu fördern. Wir müssen Begeisterung wecken für die Wissenschaft, die ein so kreatives, inspirierendes und gesellschaftlich sinnvolles Tätigkeitsfeld ist.“ Ihr selbst wurde die Chemie buchstäblich in die Wiege gelegt. „Meine Mutter war Chemieprofessorin an einem Gymnasium und ich durfte schon als Kind in ihr kleines Schullabor und dort kleine Experimente machen. Nie habe ich mich gefragt, ob ich als Frau Wissenschafterin werden oder mich in MINT-Fächern behaupten könnte. Der Gedanke kam mir einfach nicht. Dieses Gefühl der Selbstverständlichkeit wünsche ich allen Frauen.“

Katalin Barta Weissert
Geb. 1980 in der Slowakei
Seit 2017 am Institut für Chemie der Uni Graz (seit 2019 volle Professur)
2013–2017 Universität von Gronigen (NL)
2011–2012 Yale University, USA
2008–2010 University of California
2008 PhD, RWTH-Aachen, Deutschland
2003 Master of Chemistry, Eötvös-Loránd- Universität, Ungarn
Mutter von drei Kindern (sieben, vier und zwei Jahre)

Die gebürtige Slowakin forscht im Bereich „Grüne Chemie“ und hat sich schon als Kind für Naturwissenschaften interessiert.
Nominiert für den „SPIRIT-Award for Women in Science“ 2024.

Auszeichnungen/ Stipendien (Auszug):
2023 ERC Consolidator Grant ‚StimulART‘ (2 Mio. Euro)
2023: Phönix – Der österreichische Gründungspreis für „Abfall zu Abwasch“
2023 Top 100 Female Innovators in DACH Region –
2023 Top 12 ‚Manufacturing‘ – SHEconomy
2022 Styria Innovation Award – Category Sustainability
2021 EIC Transition Grant ‚PureSurf‘ (2,5 Mio. Euro)
2015 ERC Starting Grant ‚CatASus‘ (1,5 Mio. Euro)
www.bartagroup.org

FOTOS: OLIVER WOLF, BEIGESTELLT

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