Spirit of Styria

Next Stop: Bus ohne Fahrer

Die Zukunft der urbanen Mobilität: Die visionären Unternehmensgründer Holger Postl und Pete Speck schufen mit der in Leibnitz ansässigen Firma eVersum still und heimlich einen führenden Hersteller von E-Bussen, die teilautonomes Fahren erlauben. Die Shuttles des Start-ups mit einem Entwicklungs- und Produktionsstandort in Maribor sorgen bereits in deutschen Städten für Furore und nehmen derzeit Kurs auf England, Griechenland, Kanada und Japan.

Hier sitzt jeder Handgriff. Behutsam setzen zwei Mitarbeiter ein futuristisch wirkendes Element auf die Dachfront des Busses. Gleichsam die Krönung eines wochenlangen Fertigungsprozesses. Das optoelektronische Element – mit Lidar, Radar und Kamera – gibt dem Vehikel hochpräzise Augen und macht das 6,9 Meter lange Gefährt zum intelligenten Verkehrsteilnehmer – mit der Lizenz zum teilautonomen Fahren. Im Inneren des Busses geben teils noch unverkleidete Stellen den Blick auf das Hightech-Innenleben frei, nur eines sieht man nicht: die Legion an Lithium-Ionen-Batteriezellen unter unseren Füßen, die sich über die gesamte Unterkonstruktion des Fahrzeugs erstreckt. Das Lenkrad befindet sich auf der rechten Seite. Aus gutem Grund. „Schon nächste Woche geht dieser Bus in Belfast in Betrieb. Dort wird er künftig Einheimische und Touristen durch das Hafengebiet Belfast Harbour, bekannt für das Titanic Museum, transportieren“, erklärt Holger Postl, als er uns durch die großflächige Montagehalle von eVersum, angesiedelt in der Limbuška Cesta, wenige Kilometer von Maribor entfernt, führt. Der Bus, der von Mitarbeitern des Kooperationspartners OXA (Großbritannien) gerade kalibriert wird, ist nur eines von mehreren Fahrzeugen in der Montagehalle – an rund einem halben Dutzend Busse wird am Tag unseres Besuchs hantiert, manche existieren erst als Stahlgerüst, andere werden bereits mit Karosserie bestückt oder mit Elektronik ausgerüstet. Ein Bus trägt ein Schild mit der Aufschrift „Greek“, eine aktuelle Bestellung aus Athen – andere Shuttles sind für den deutschen Markt bestimmt. Dazu befinden sich Aufträge aus Kanada, Japan sowie diversen Ländern Europas im Bestelleingang. „45 E-Busse lautet das Produktionsziel für dieses Jahr, im Jahr 2026 peilen wir 150 an – rund die Hälfte davon AD-ready, also für den (teil-)autonomen Fahrbetrieb“, erzählt Postl beim Rundgang durch den Betrieb mit rund 80 Mitarbeitern vor Ort. Dazu kommen rund 20 Beschäftigte in Leibnitz sowie an den Standorten in UK und der Schweiz. Dimensionen, die staunen lassen. Ein kaum bekannter E-Bus-Fabrikant mit Sitz in der Steiermark und internationalem Produktionsnetzwerk und globalen Ambitionen – wie kam es dazu?

E-BUSSE MITTLERER GRÖSSE ALS MARKTLÜCKE
Die ungewöhnliche Geschichte begann im Jahr 2017. Holger Postl, aus Oberösterreich stammender, langjähriger Mitarbeiter von MAN, kündigt seinen Job beim slowenischen Bus-Produzenten TAM und beschließt, gemeinsam mit Weggefährten – darunter dem erfahrenen Industriemanager Pete Speck aus der Schweiz – die Gründung einer eigenen Firma für die Entwicklung und Produktion von elektrisch betriebenen Bussen: der Start von eVersum. „Unser Ziel war es, die Entwicklung und Konzeption eines E-Busses von Grund auf neu zu denken. Wir haben gesehen, dass gerade im mittleren Größensegment eine Lücke besteht – die großen Produzenten, auch die Chinesen, setzen auf große Busse ab 12 Meter Länge und im unteren Segment beschränken sich Hersteller meist auf 15-Sitzer à la Mercedes Sprinter. Der Bereich dazwischen wurde kaum adressiert.“ Ein Segment, auf das Postl mit eVersum abzielte.

Unternehmensgründer Holger Postl in der Montagehalle
von eVersum in einem Gewerbepark nahe Maribor
Zwei eShuttles touren mittlerweile durch das
touristische Belfast Harbour in Nordirland.

FINANZIERUNG AUS DEM CASHFLOW
„Klassische Start-up-Investoren in diesem Bereich zu finden, ist in Europa extrem schwer“, so Postl. „Family, Friends and Fools – wie es so schön heißt – standen für eine Finanzierung auch nicht zur Verfügung, daher wurde Cashflow über Engineering- und Handelsprojekte generiert. Geld, das wir in die Entwicklung unserer Produkte steckten“, so Postl, der stolz ist, seit acht Jahren in Folge – auch ohne großen Geldgeber – positiv zu bilanzieren. „Die Entwicklung eines E-Busses ist technologisch und regulatorisch hoch komplex, es braucht Jahre der Vorentwicklung und damit einen langen Atem“, so Postl. Nicht minder anspruchsvoll ist der Aufbau eines professionellen Zuliefernetzwerks – eine Aufgabe, der sich Supply-Chain-Fachmann Pete Speck annahm. Orchestriert vom Headquarter in Leibnitz aus wuchs der Entwicklungs- und Produktionsstandort in einem Gewerbezentrum in Maribor sukzessive – quantitativ ebenso wie an Kompetenzen. Heute vereint der Standort Industrial Design, Mechanical und Electronic Engineering sowie Software Design. „All diese Kompetenzen in einem Haus – das ist für ein Unternehmen unserer Größe durchaus ungewöhnlich“, so Postl. „Talente aus unterschiedlichen Nationen wirken mittlerweile an unserer Vision mit und wollen ihren Beitrag leisten, technologisch führende E-Busse auf die Straße zu bringen.“

Wir haben den Sprung von einer F&E-Einheit zu einem technologisch führenden Produktionsbetrieb geschafft.

HOLGER POSTL, Gründer und CEO eVersum

PREMIERE IN FRIEDRICHSHAFEN UND MANNHEIM
Eine Vision, die mittlerweile Realität wurde. Mit dem eShuttle und dem eTrain hat eVersum zwei Produkte zur Marktreife entwickelt. Der eShuttle feierte im Vorjahr in den deutschen Städten Friedrichshafen und Mannheim seine Weltpremiere – und das in teil-autonomer Ausführung. „Autonomes Fahren stand zu Beginn bei uns gar nicht im Fokus und ist uns gewissermaßen passiert“, gesteht Postl. „Unser Know-how in diesem Bereich wuchs mit den Anforderungen – vielfach in Folge von Entwicklungskooperationen mit großen Zulieferbetrieben aus der Mobilitätsindustrie.“ Darunter ein folgenschweres Entwicklungsprojekt mit der ZF Friedrichshafen AG, einem der größten Automobilzulieferer weltweit mit einem Jahresumsatz von 45 Milliarden Euro. „Im Zuge dessen stellte uns ZF vor die Herausforderung, sogenannte by-wire-Technologien zu implementieren und die Kommunikationsnetze innerhalb der Fahrzeuge weiterzuentwickeln.“ Die Challenge gelang – ein technologischer Meilenstein für das Start-up. „Seither sind wir in Europa im Bereich autonomes Fahren eine bekannte Adresse. Wir haben im Segment teilautonome E-Busse mittlerweile eine Alleinstellung, die sich erfreulich auf die Auftragslage niederschlägt“, erklärt der Unternehmer.

Bereits in drei deutschen Städten sind E-Busse von eVersum im Betrieb. In Friedrichshafen und Mannheim sind eShuttles unter dem Projektnamen RABus (Reallabor für den automatisierten Busbetrieb) im städtischen Linienverkehr teilautonom unterwegs. „Teilautonom heißt: Es sitzt war noch ein Sicherheitsfahrer am Fahrersitz, aber dieser greift nur noch in Ausnahmefällen ins Geschehen ein“, so Postl. „Schon in einigen Jahren wird auch dieser nicht mehr nötig sein – der nächste Schritt sind Control-Center, die vollautonom fahrende Busse von einer Kontrollstation aus überwachen und nur mehr im Fall des Falles per Fernsteuerung eingreifen.“ Einer der Hauptgründe, warum Verkehrsbetriebe diese Systeme forcieren, sei der zunehmende Fahrermangel. „Schon jetzt fehlen 10.000 Fahrer in Deutschland. Das Delta wird in den nächsten Jahren auf 100.000 steigen.“ Aber auch ohne den Autonomiegrad überzeugen E-Busse von eVersum mit Wirtschaftlichkeit, betont Postl. „Im Schnitt haben sich die etwas höheren Anschaffungskosten nach vier Jahren durch die geringeren Betriebskosten amortisiert.“

Die eVersum-Gründer und Geschäftsführer Holger Postl und Pete Speck
mit einem Kunden vor ihrem aktuellen Produktportfolio (v.l.)

Teilautonomer eShuttle created in Styria
unterwegs auf den Straßen Mannheims sowie in Friedrichshafen

Hightech mit Stil: Das Interior des eShuttle erfüllt alle Anforderungen
an Design, Funktionalität und Sicherheit.

GROSSES MEDIENECHO: AHOI IN HAMBURG
Daher setzen auch die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein, das drittgrößte kommunale Busunternehmen Deutschlands, auf das Know-how von eVersum. Fünf eShuttles wurden im Rahmen des Projekts AHOI bereits bestellt und der Öffentlichkeit präsentiert. Ende des Jahres werden sie in den Realbetrieb gehen. „Die Ankündigung sorgte für ein Rauschen im deutschen Blätterwald – ein unbekanntes österreichisches Unternehmen schafft etwas, das großen deutschen OEMs nicht gelingt“, lächelt Postl nicht ohne Stolz. „15 weitere Shuttles sind im Rahmen des Projekts bereits geplant.“ Die Projektsumme: 37 Millionen Euro. Auch aus der Heimat Österreich kommen erste Aufträge – ein eShuttle ist am Flughafen Wien im Einsatz. Auch an einer Ausschreibung der ÖBB Postbus GmbH nimmt eVersum gerade teil. Dazu kommen, wie erwähnt, Bestellungen aus Athen, aber auch aus Japan und Kanada, wo die Toronto Transit Commission auf Hightech aus der Steiermark bzw. Slowenien setzt. Auch weitere Bestellungen aus Deutschland liegen bereits vor. Und in Belfast rollen nach der Anlieferung des eingangs beschriebenen Fahrzeugs alsbald zwei eShuttles durch den Belfast Harbour.

„Wir haben in kurzer Zeit viel erreicht und den Sprung vom F&E-getriebenen Start-up zum technologisch führenden OEM von E-Bussen geschafft. Und wir haben auch in Zukunft Großes vor“, resümiert Holger Postl. „Wir verfolgen eine konsequente Wachstumsstrategie. Dabei sind Investoren weiterhin sehr willkommen, um unsere Skalierung voranzutreiben.“ Denn das mittelfristige Ziel ist ambitioniert: „In ein paar Jahren sollen es 1.000 produzierte Einheiten jährlich sein. Die Zukunft der urbanen Mobilität rollt langsam an – und wir sind ein Teil davon.“

Fotos: eVersum

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