Brüssel, wir müssen reden!
Die EU-Taxonomieverordnung schreibt europäischen Unternehmen vor, ihre „taxonomiekonformen“ Umsätze, Investitions- und Betriebsausgaben zu veröffentlichen. Ein Blick in die Geschäft sberichte der betroffenen Unternehmen zeigt, dass im EU-Recht „gut gemeint“ oft das Gegenteil von „gut“ ist.

Wahrscheinlich „taxonomiekonform“ (wenn auch nicht umweltfreundlich): Geschäftsbericht 2024 des Versicherungskonzerns GRAWE – die Pflichtangaben laut Taxonomieverordnung sind auf den Seiten 186 bis 320 abgedruckt.

Eher nicht „taxonomiekonform“: Geschäftsbericht 2019 des japanischen Instantnudelherstellers Nissin Foods in Manga-Form
Der (eher aus der Biologie und dem Steuerrecht bekannte) Begriff „Taxonomie“ bezeichnet im EU-Recht die von Unternehmen verpflichtend anzuwendenden Kriterien zur Bestimmung, wie ökologisch nachhaltig eine Investition ist. Alle Unternehmen, die nach der Richtlinie 2014/95/ EU (NFRD) oder der Richtlinie 2022/2464 (CSRD) zur nicht-finanziellen oder Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sind (z.B. bei mehr als 40 Millionen Euro Umsatz und über 250 Mitarbeitern), müssen detaillierte Angaben dazu machen, wie und in welchem Umfang ihre Tätigkeiten mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind.
Geschäftsberichte von Unternehmen sind meist keine literarischen Leckerbissen. Aber sie erfüllen im Wirtschaftsleben einen sinnvollen Zweck: Sie informieren über den Geschäftsverlauf. Da sie natürlich auch der Selbstdarstellung dienen, werden sie oft grafisch aufwendig gestaltet und auf hochwertigem Papier gedruckt – es gibt sogar eigene Designpreise für Geschäftsberichte.
In letzter Zeit enthalten die Geschäftsberichte europäischer Unternehmen oft über dutzende und hunderte Seiten hinweg nur Tabellen mit Zahlenreihen (meistens Nullen) oder mit ornamentalen Mustern aus Kreuzen und Linien. Hauptverantwortlich dafür sind die zahlreichen Berichtspflichten, die im Rahmen des „European Green Deal“ eingeführt wurden, u. a. eben durch die „Taxonomieverordnung“ 2020/852.
Konkret müssen Unternehmen angeben, welcher Anteil ihrer Umsätze, Investitionen und Betriebsausgaben mit ökologisch nachhaltigen Tätigkeiten verbunden ist.
Dies ist schwierig, weil die Unternehmen für jedes angebotene Produkt, jede angebotene Dienstleistung und jede Betriebsausgabe (!) einzeln prüfen müssen, ob sie (1.) einen „wesentlichen Beitrag“ zu einem Umweltziel leistet, (2.) keine „erhebliche Beeinträchtigung“ der Umwelt verursacht, (3.) „OECD-Leitsätze“ und „UN-Leitprinzipien“ einhält und (4.) diversen „technischen Bewertungskriterien“ entspricht, die von der EU-Kommission in nicht weniger als vier delegierten Verordnungen und einem 593 Seiten umfassenden Dokument festgelegt wurden.
Georg Eisenberger
ist Universitätsprofessor für öffentliches Recht an der Universität Graz und Partner des auf öffentliches Wirtschaftsrecht spezialisierten Anwaltsbüros Eisenberger mit Büros in Graz, Wien und Brüssel.
Alexander Brenneis
ist Lektor für Bau- und Raumplanungsrecht an der Technischen Universität Graz und ebenfalls Partner bei Eisenberger Rechtsanwälte.
Alle Umsatz- und Ausgabenpositionen müssen zugeordnet und jährlich aufgeschlüsselt werden. Die EUKommission stellt dazu Online-Tools zur Verfügung, u.a. einen „Taxonomie-Navigator“, einen „Taxonomie-Kompass“ und einen „Taxonomie-Kalkulator“.
Die Zielsetzung der EU-Taxonomie ist, Kapitalflüsse in klimafreundliche Sektoren umzulenken und ökologisch nachhaltiges Wachstum zu fördern.
Aber welchen Beitrag zum Klimaschutz leistet es, wenn etwa der Geschäftsbericht eines Versicherungsunternehmens innerhalb eines Jahres von 220 Seiten (2023) auf 432 Seiten (2024) anwächst?
Wer liest die 135 Seiten an Pflichtangaben, die sich allein aus Artikel 8 der Taxonomieverordnung ergeben, und zieht daraus „informierte“ Schlüsse für Investmententscheidungen?
Können diese Berichtspflichten überhaupt irgendeinen signifikanten Beitrag zur Zielerreichung leisten? Oder erhöhen sie nur den Papierverbrauch?
Brüssel, auch darüber müssen wir reden!
In Kooperation mit Eisenberger Rechtsanwälte
Fotos: beigestellt