An ihrem Standort in Werndorf südlich von Graz verkörpert die einst als Vianova gegründete „Allnex Austria GmbH“ eine jahrzehntelange steirische Innovations- und Produktionstradition. Unter thailändischer Flagge stehen die Zeichen beim Entwickler und Hersteller wasserlöslicher Kunstharze nun auf noch mehr Nachhaltigkeit.
Inmitten von Äckern und Einfamilienhauszeilen mutet die industrielle Formation ein bisschen wie aus einer anderen Welt an. Zum einen die durch ihre Kamintürme und die massiven Blockbaukörper den Blick von weither auf sich ziehenden beiden Kraftwerke Mellach. Und nördlich davon zwischen Bundesstraße 67 und der Mur ein Industrieareal, dessen Innenleben, ein Konglomerat von Hallen und Gebäuden, sich den Blicken der Vorbeikommenden weitgehend entzieht. Es sind zwei Unternehmen, deren Standorte sich hier eng aneinander schmiegen: die Isovolta AG, Hersteller von Elektroisoliermaterialien, technischen Laminaten und Verbundwerkstoffen, sowie die 1948 – ein Jahr vor dem Nachbarn – unter dem Namen Vianova gegründete heutige Allnex Austria GmbH.
Der gebürtige Flensburger Götz Pelikan, seit 2016 allnex-Standortleiter und Geschäftsführer der Allnex Austria GmbH in Werndorf, an der Schnittstelle von Forschung und Innovation – das neue F&E-Zentrum zur Weiterentwicklung wasserlöslicher Kunstharze wurde im Oktober eröffnet.
Unlängst erst, erzählt Götz Pelikan, allnex-Standortleiter und Geschäftsführer der Allnex Austria GmbH, habe er hier im Gelände Vertreter lokaler Sportvereine zu Gast gehabt. Oft seit vielen Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft lebend, hätten die meisten seiner Gäste eingestandenermaßen kaum eine Vorstellung gehabt, worum es hier überhaupt gehe. Wobei das Geheimnisvolle und in manchen Augen vielleicht sogar Bedrohliche, das der Chemieindustrie wohl nicht zuletzt ob ihrer nicht selten als gefährlich eingestuften Zutaten anhaftet, nach Absolvierung der obligatorischen Sicherheitsunterweisung rasch respektvoller Gelassenheit Platz macht, wie wir bei unserem Aufenthalt feststellen durften. Auch die Leuchttafel, die anzeigt, dass sich hier seit Monaten kein Arbeitsunfall mehr ereignet habe, vermittelt Vertrauen. Schließlich wurde dieser Betrieb ja dereinst gegründet, um einer bahnbrechenden Innovation den Weg zu bereiten, die einen bedeutenden Wirkungsbereich der Chemie von seinen giftigen Anteilen befreite: wasserlösliche Kunstharze – Basis für vielfältigste Anwendungen wie etwa Lacke und Farben, Beschichtungen und Kunststoffe.
ALLNEX AUSTRIA GMBH 1948 auf der Grundlage der Entwicklung wasserlöslicher Kunstharze durch den Grazer Chemiker Herbert Hönel als „Vianova“ gegründet, beschäftigt die „Allnex Austria GmbH“ heute an ihrem Produktions- und Forschungsstandort in Werndorf südlich von Graz ca. 360 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon 80 F&E-Bereich. Das neue, im Oktober 2022 eröffnete und um etwa 7 Millionen Euro errichtete Forschungszentrum löste den bisherigen Forschungsstandort in der Grazer Leechgasse ab. Im Werk in Werndorf werden jährlich ca. 80.000 Tonnen Kunstharze erzeugt, ca. 90 % davon sind wasserlöslich. allnex-Kunstharze werden in einem breiten Spektrum von Anwendungen wie z. B. Farben, Lacken und anderen Arten von Beschichtungsprodukten für Gebäude, Fahrzeuge, Industrie, Verpackungen und Unterhaltungselektronik eingesetzt. Ca. 15 Prozent der Produkte verbleiben im Inland, ca. 70 Prozent gehen in die EU, der Rest in andere Regionen.
ALS SPINNEREI ABGETAN
Anfangs von der Fachwelt belächelt und sogar zum Spinner erklärt, hatte der Grazer Chemiker Herbert Hönel an seiner Vision festgehalten und ein Verfahren entwickelt, um bei der Kunstharzherstellung problematische Lösungsmittel durch Wasser zu ersetzen. Ein Meilenstein für die umweltfreundliche und gesundheitlich unbedenkliche Herstellung und Verwendung von Kunstharzen, der mit den Jahrzehnten nur noch an Bedeutung gewonnen hat und Hönel nicht erst posthum – er starb 1990 im Alter von 100 Jahren – zum Umweltpionier werden ließ.
Nichts Bedenkliches oder gar Bedrohliches kann Götz Pelikan, 55, gebürtiger Flensburger, Absolvent der Universität Karlsruhe, danach in gehobenen Managementfunktionen in mehreren Unternehmen der Chemieindustrie und seit 2016 bei der Allnex Austria GmbH tätig, auch in dem Umstand erkennen, dass Hönels unternehmerisches Vermächtnis, die Vianova, nach zahlreichen Eigentümerwechseln – über die einstige Höchst AG und die US-amerikanische Cytec Solvay Group war das Unternehmen unter dem Namen allnex 2013 zu einem der größten amerikanischen Private-Equity-Fonds, der Advent International Corporation, gelangt – nun erneut neuen Eigentümern überantwortet wurde. Seit 1. Jänner 2022 befindet sich allnex im Besitz der zum thailändischen Mineralölund Chemiekonzern PTT Public Company Limited zählenden PTT Global Chemical Public Company Limited (PTT).
NEUE BESEN KEHREN NACHHALTIG
„Jeder, der länger in der chemischen Industrie tätig ist“, erklärt Pelikan, „hat solche Eigentümerwechsel bereits miterlebt. Sie entspringen der Logik des sich verändernden globalen Marktes und der Fokussierung auf Kerngeschäftsbereiche. Eine Verweildauer von acht Jahren sei für einen Private-Equity-Fonds ohnehin schon außergewöhnlich. Etwa sieben Millionen Euro wurden noch unter der Ägide der ehemaligen Eigentümer in ein im Oktober seiner Bestimmung übergebenes Forschungs- und Entwicklungszentrum am Standort Werndorf investiert. Weitere ca. 10 Millionen flossen und fließen im Zeitraum 2021/22 in Modernisierung und Erweiterung der Produktionsanlagen. Eine Investitionstätigkeit, die, wie der Standortchef darlegt, Kontinuität und zukünftige Bedeutung des Standorts unterstreicht und über das routinemäßige jährliche Investitionsvolumen von etwa 3,5 bis 6 Millionen Euro klar hinausweist.
Die gesamte allnex-Gruppe mit ihrem Holdingshauptquartier in Frankfurt/Main und insgesamt 34 Produktionsstandorten und 23 Forschungs- und Technologiezentren weltweit berufe sich, betont Pelikan nicht ohne Standortstolz, auf die wasserlösliche Innovationstradition und das Gründungsjahr des steirischen Herkunftsstrangs und beziehe daraus zentrale Gehalte der Unternehmens-DNA. Doch könnten sich Verantwortliche und die rund 360 – davon 80 im neuen F&E-Zentrum – Werndorfer Beschäftigten von der Geschichte wohl nichts abbeißen, wenn nicht auch die neuen thailändischen Eigentümer eine klare Vision von der Zukunft des Unternehmens hätten.
allnex mit Sitz in Frankfurt am Main und mehr als 4000 Mitarbeitern weltweit an 34 Produktionsstätten und 23 Forschungs- und Technologiezentren ist der global führende Hersteller von industriellen Beschichtungsharzen und Additiven für Architektur-, Industrie-, Schutz-, Automobil- und Speziallacke und -tinten und bietet eine umfangreiche Produktpalette, die innovative Flüssigharze und Additive, strahlungshärtende und Pulverbeschichtungsharze und Additive sowie Vernetzer für den Einsatz auf Holz-, Metall-, Kunststoff- und anderen Oberflächen umfasst. Seit 1. Jänner 2022 befindet sich allnex im Besitz der thailändischen PTT Global Chemical Public Company Limited. https://allnex.com/en
NACHWACHSENDE RESSOURCEN
Der Fokus auf Nachhaltigkeit, der von Bangkok aus über die Frankfurter Zentrale an die Standorte, darunter den steirischen, kommuniziert werde, decke sich, so Pelikan, mit der hierorts jahrzehntelang gelebten und bereits in der Gründung an gelegten Praxis, hebe diese Ausrichtung aber auf ein neues Level. „Wir sind angehalten, uns noch konzentrierter dieses Themas anzunehmen, etwa in Richtung von noch mehr Energieeffizienz in der Produktion und indem wir sehr fokussiert daran arbeiten, mineralölbasierte Ressourcen durch Rohstoffe auf nachhaltiger und erneuerbarer Basis zu substituieren.“ Eine bedeutende Schubwirkung sei dabei von der – nach der Übersiedlung der bisher in der Grazer Leechgasse ansässigen F&E-Unit nach Werndorf – noch engeren Verschränkung von Forschung und Entwicklung auf der einen und Produktion auf der anderen Seite zu erwarten. So soll der bereits rund 90-prozentige Anteil von umweltfreundlichen wasserlöslichen Produkten noch weiter ausgebaut werden. Als Vision steht die weltweit führende Rolle bei der Entwicklung und Produktion von wasserlöslichen Kunstharzen im Raum. „Im Segment der industriellen Beschichtungsharze“, so Pelikan, „nehmen wir diese Führungsposition bereits ein.“ Mit der direkten Kommunikation zwischen Entwicklung und Produktion sowie einer Pilot- und Testproduktion, so Pelikan, lasse sich einer der zentralen Werte des Unternehmens, nämlich die Kundennähe – speziell wenn es um die Entwicklung neuer und die Optimierung bestehender Lösungen sowie deren Anwendung in benachbarten Bereichen gehe – noch intensiver materialisieren.
7 Millionen Euro wurden allein in das mehrgeschoßige Forschungszentrum am allnex-Standort Werndorf investiert. Insgesamt rund 360 Beschäftigte arbeiten am Standort, davon 80 in der Forschung und Entwicklung.
BREITE UND FLÜSSIGE PRODUKTPALETTE
Insgesamt werden am Werndorfer Areal in 26 sogenannten chemischen Reaktoren mit den entsprechenden verfahrenstechnischen Extensions – gleichsam Fabriken in der Fabrik – in Chargenund Fünfschichtproduktion rund 950 Produkte in ca. 1500 Gebindegrößen hergestellt und – allesamt flüssig – zur Weiterverarbeitung zu Lacken, Beschichtungen und Kunststoffen an die verschiedenen Industrien, darunter auch namhafte Hersteller von Autoserienlacken, geliefert. Insgesamt, überschlägt Pelikan, gehe ein gutes Drittel der Produktion direkt oder indirekt in den Automotivebereich, rund zwei Drittel verteilen sich auf andere Industrien und Anwendungsgebiete. Mit einer breiten Diversifizierung, die gerade durch die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren noch verfeinert werden soll, habe sich der steirische Standort auch in Krisen und unter Konjunkturschwankungen als resistent erwiesen.
Auf dem Weg zu den Zielen gelte es nun, so Pelikan, sich wie schon in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten den jeweils aktuellen Herausforderungen zu stellen. Dabei gehe es etwa um die kontinuierliche Modernisierung der Anlagen, die Automatisierung der Steuerungen, die Steigerung von (Energie-)Effizienz und ökologischer Nachhaltigkeit, den Ausbau des Innovationsvorsprungs, die Entwicklung neuer Produkte und Anwendungen … Und ganz akut darum, sich der über allem schwebenden „Drohung“ des Arbeits- und Fachkräftemangels zu widersetzen. „Wir haben einen signifikanten Anteil physischer Arbeit in unseren Prozessen, der sich nicht oder nur schwer automatisieren lässt.“ Was den Menschen Arbeitsplätze und Auskommen sichert, erweist sich für Unternehmen zusehends als Achillesferse. Eine Herausforderung, die Götz Pelikan auch als Interessenvertreter der Industrie in Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung bewegt: „Wir werden neben Aus- und Weiterbildung auch über qualifizierten Zuzug nachdenken müssen, um unsere Qualität als Standort halten zu können“, mahnt er. Er selbst habe in der chemischen Industrie, speziell am ebenso forschungs- wie produktionsorientierten allnex-Standort im steirischen Werndorf ein Betätigungsfeld gefunden, das ihn in all seinen Aspekten fasziniere und motiviere. „Der Bezug zu Naturwissenschaft und Technik, die unternehmerische Herangehensweise, aber auch das Zugehen auf die Menschen, die hier arbeiten – das ist es, was ich mir für meinen Berufsweg immer gewünscht habe.“
FOTOS: OLIVER WOLF, PORR/HARRY SCHIFFER