Der Grazer Bildhauer Paul Lässer ist Gründungsmitglied des Kunstvereins Roter Keil, der in Graz mittlerweile zur Institution in Sachen Kunst, Handwerk, Design und zahlreichen Ausstellungsformaten geworden ist. Im Gespräch erzählt er von der künstlerischen Suche als Zustand der Unschärfe, warum ein Künstlerkollektiv ohne Ehrenamt nicht funktioniert und warum eine Stadt Zwischenräume wie den Roten Keil braucht – dessen Zukunft derzeit im Ungewissen liegt.
Schon früh war das Zeichnen eine Ausdrucksform, mit der ich meine Umgebung festhielt“, sagt Paul Lässer. „Ich hatte gute Voraussetzungen, weil meine Mutter Malerin und mein Vater Musiker ist. Da war also eine gewisse Offenheit in diese Richtung da.“ Als eine ehemalige BE-Lehrerin das Skizzenbuch Lässers, der damals 13 Jahre alt war, für eine Ausschreibung für einen Förderpreis junger KünstlerInnen einreichte, wurde der Grundstein seiner späteren Karriere gelegt: Er gewann den Preis – und entschloss sich später, die Oberstufe in der Ortweinschule zu absolvieren. „Mir wurde klar, dass in der Bildhauerei bzw. plastischen Formgebung von Skulpturen, also in einem direkten, handwerklichen Abgleich, ich mich am besten ausdrücken kann.“ Nach der Matura wollte Lässer das Medium Bildhauerei weiterführen und gründete kurzerhand gemeinsam mit Schulkollegen den Kunstverein Roter Keil.
OHNE EHRENAMT KEIN VEREIN
„Zuerst aus einer Notwendigkeit heraus, denn die Bildhauerei benötigt eine gewisse Größe an Raum und viele Werkzeuge. Durch den Kunstverein konnten wir Ressourcen teilen, Interessen zusammenlegen und eine Fläche schaffen, wo das möglich ist.“ In einer Hinterhofgarage auf insgesamt 240 Quadratmetern. In der Idlhofgasse hat alles begonnen. In den kommenden Jahren wurde die Kerngruppe aus Bildhauern mit Grafikern, Malern, Zeichnern und Keramikern erweitert. Schon bald wurde der Platz eng und man fand in einer Fabrikshalle in der Vinzenzgasse genug Platz für Ateliers und Arbeitsbereiche, in der fast 30 Künstler ihrer Arbeit nachgehen. Außerdem befindet sich ein Showroom am Griesplatz, in dem regelmäßig Werke des Kollektivs gezeigt werden. „Eine kollektive Nutzung ergab sich nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Sicht“, klärt Lässer auf. Einerseits finanziert sich der Rote Keil über Mitgliedsbeiträge in der Höhe von 70 Euro im Monat, für die den Künstlern die ganze Werkstatt zur Verfügung steht – von Glasbläserei und einer Schneiderwerkstatt über eine Schweißerei, Gips- oder Holzverarbeitung bis hin zu einem Siebdruckbereich. Andererseits wird der Verein von der öffentlichen Hand wie z.B. vom Land Steiermark und der Stadt Graz subventioniert. „Man muss unbedingt erwähnen, dass die Werkstatt ebenso Auftragsarbeiten durchführt und nur deshalb getragen wird, da alle Mitglieder eine große Bereitschaft für ehrenamtliche Tätigkeiten mitbringen“, fügt Lässer an.
Paul Lässer ist Gründungsmitglied des Vereins Roter Keil, der aktuell nach einem neuen Atelier-Standort sucht. „Eine Stadt und die Gesellschaft brauchen einen Ort der Kunst als einen Raum dazwischen“, sagt Lässer.
„Der Rote Keil ist eine
Künstlercommunity, die
sich gegenseitig in allen
Lebenslagen unterstützt,
einen weiten Kunst- und
Kulturbegriff lebt und für
viele nicht mehr wegzudenken ist.“
PAUL LÄSSER
BILDHAUER
KOLLEKTIVE AUSSTELLUNGEN UND INTERNATIONALE SICHTBARKEIT
Eine weitere, wichtige Säule des Roten Keil ist die Artikulation gemeinschaftlicher Ausstellungsthemen sowie Konzepte und Symposien, um nicht nur symbolisch als Gruppe einen gemeinsamen Nenner zu finden, sondern auch nach außen als Kollektiv in seiner Vielgestaltigkeit und Diversität wahrgenommen zu werden. „Beim Roten Keil mietet niemand einfach nur so sein Kämmerchen an – jeder hat in einem gewissen Maße den Anspruch, dass so eine Art Metawesen entsteht, welches auch genährt werden muss und durch die individuellen Positionen der Mitglieder Produkte zeitgenössischer Kunst hervorbringt“, erklärt der Skulpteur. Gab es früher im Monatstakt Ausstellungen, wählte der Verein dieses Jahr aufgrund der besseren Realisierbarkeit ein anderes Modell. In kleineren Gruppenausstellungen finden und erfinden sich in der Keil Gallery in der Idlhofgasse 62 kleinere, flexible Formationen nationaler und internationaler KünstlerInnen. „Der Rote Keil wird, auch durch Artists in Residences zunehmend internationaler und entwickelt eine Strahlkraft weit über die Grenzen der Stadt Graz hinaus“, verrät Lässer. Wie am Beispiel der letzten Ausstellung „Serge“, die bis Ende Mai lief. Neben Paul Lässer widmeten sich Jan Hasenauer, Lluís Martínez, Maria Schneider sowie Simon Storz dem Begriff der „Suche“ als untrenn barer Bestandteil des künstlerischen Akts der Kreation. „Search“ wandelt sich zu „Serge“, um „Suche als Zustand der Unschärfe zu sehen, den jeder Mensch kennt. Schließlich sind wir alle Suchende“, schmunzelt Paul Lässer.
Der Bildhauer hat sich in „Serge“ künstlerisch selbst auf die Suche gemacht: An überdimensionalen Fischerhaken hängen Silikonwürmer mit menschlichem Antlitz, am Haken zur Passivität verdammt und ihrer eigenen Suche ausgeliefert. Die Angelschnur, in den Boden hineingespannt, deutet an, dass etwas in der Tiefe schlummert. Gleichsam, in einem Dimensionssprung, hängen Köder von der Decke, erzeugen die Perspektive, als Betrachter „an den Haken zu gehen“.
Werke Paul Lässers, wie hier aus der Werkserie „YOLO“, werden in nationalen und internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt.
Ein Teilmodell der Sitzgruppe, die in der Kaiserfeldgasse in Graz aufgestellt werden wird.
PERSPEKTIVE UND RAUM ALS EXPERIMENT
Die sehr facettenreichen Werkserien des Künstlers zeigen Lässers Leidenschaft zum Experiment mit Perspektive, Raum und Symbol. „Meine plastischen Werke laden Betrachter zur Interaktion ein“, erklärt Paul Lässer. Einen sogar praktischen Nutzungscharakter weist ein noch namenloses Projekt auf, das Lässer zusammen mit Eva Prechtl im Auftrag des Amts für Jugend und Familie plant: In der Kaiserfeldgasse 25 in Graz werden ab 24. Juli drei figurale Sitzmöbel aus Gussbeton aufgestellt – eine Hommage an den Formenreichtum der Stadt Graz als City of Design. In kubischen Elementen formt Paul Lässer drei überdimensionierte Figuren, dank deren Übergröße auch Erwachsene wieder eine Kinderperspektive einnehmen sollten. Als Sockelelemente fungieren sie als spielerischer Thron und laden zum Herumkraxeln und gemütlichen Zusammensitzen ein. Eine „Begegnungszone“, die belebt. Durch die Möglichkeit, den öffentlichen Raum zu bespielen, wird das Genre der Bildhauerei weiters einem breiteren Publikum zugänglich. Und mehr noch, durchbricht es den funktionalen Charakter von Räumen. Lässer: „Der Arbeitsplatz, der Wohnraum, der Freizeitpark – die Kunst dehnt diese orthografischen Zuschreibungen zu Entwicklungsräumen aus.“ Der Künstler verfolgt den Anspruch, die ernste, pathetische Art, die Kunst oft hat, ein wenig aufzulockern, und gleichzeitig gewisse Phänomene und Themen in unserer Gesellschaft zu kommentieren und zu hinterfragen. Lässer: „Sei es nur, die Skurrilität vom Menschsein zu skizzieren – und noch wichtiger, wirft meine Kunst durch ihre Ergebnisoffenheit die eine oder andere Frage auf.“
Die Ateliers in der Vinzenzgasse umfassen eine Glasbläserei, Schneiderwerkstatt, Schweißerei Gips- und Holzverarbeitung sowie Siebdruck.
Die Serie „Flamingos“ aus dem Jahr 2019 zeigt lebensgroße Flamingos aus Stahl, die einen skizzenhaften Stil in der dritten Dimension zeigen.
Paul Lässers Beitrag zur Ausstellung „Serge“: Fischköder mit menschlichem Antlitz zeigen die Suche als Zustand der Unschärfe.
NOCH IST NICHTS IN STEIN GEMEISSELT
Auf die Frage, was Paul Lässer für die Zukunft plant, hält er kurz inne. „Bald läuft unser Mietvertrag für die Gemeinschaftswerkstatt aus. Noch haben wir keine neue Location gefunden“, sorgt sich Lässer, der jedoch keinen Zweifel am Fortbestehen des Kollektivs hat. „Es ist einfach ein feines Miteinander, eine Community, die sich gegenseitig in allen Lebenslagen unterstützt, einen weiten Kunst- und Kulturbegriff lebt und für viele von uns in unserem Schaffen nicht mehr wegzudenken ist. Und ich glaube auch, dass eine Stadt und die Gesellschaft einen solchen Ort brauchen, einen Raum dazwischen,
eine eigene Biosphäre abseits von Geradlinigkeit und rein wirtschaftlichem Denken“, sagt Paul Lässer, der gemeinsam mit dem Verein Roter Keil artistische Botschaften verstärken und noch breiter in die Zukunft tragen will. „Wir hoffen auf Unterstützung und Resonanz von außen“, appelliert Lässer an Fördergeber. Denn, plastisch ausgedrückt, ist derzeit bis auf die Werke Paul Lässers dahingehend noch nichts in Stein gemeißelt.
Paul Lässer
Künstler, Bildhauer Geboren 1992 in Graz
Lebt und arbeitet in Graz
Bis 2011 Ortweinschule für plastische Formgebung
2012 Gründung des Kunstvereins Roter Keil
Seit 2015 selbstständiger Künstler
Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, darunter Yolo
(2022, Schaufenstergalerie Scharf, Graz),
Wesen und Kreaturen (2022, Rotor, Graz),
Protest! (2023, Graz Museum)
www.roterkeil.at
FOTOS: OLIVER WOLF, ROTER KEIL/PAUL LÄSSER