Spirit of Styria

HERZBLUT & HIGHTECH – neue Wege für die Landwirtschaft

Digital, regional und direkt – wie können Landwirte und Lebensmittelproduzenten mit frischen, neuen Ideen in Vermarktung und Vertrieb ihre Chancen verbessern? Welche innovativen Konzepte können dazu beitragen, um die regionale und nachhaltige Lebensmittelproduktion in der Steiermark zu stärken? Expertinnen und Experten diskutieren bei uns am Roundtable zu „essen-ziellen“ Fragen.

Angeregte Diskussion über „Neue Wege in der Landwirtschaft“ in den Räumlichkeiten von
„SPIRIT of Styria“ mit Herausgeber Siegmund Birnstingl und CR Wolfgang Schober
TALK AM RING 
ist ein Diskussionsformat
von SPIRIT of Styria. Jeden Monat laden
wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion am Grazer Opernring. 

Die Frage an die Landwirte: Wo sehen Sie derzeit die größte Herausforderung für Ihren Betrieb?
GOMBOTZ: Bei uns ist das ganz sicher der Mitarbeitermangel. Die Herausforderung, Saisonarbeitskräfte zu bekommen, wird immer größer. Ohne sie würde es bei uns keine Beeren oder Paradeiser geben. Bislang waren wir in der glücklichen Lage, stets Kräfte aus Slowenien zu bekommen, jedoch kommt jetzt immer weniger nach, die jungen, vielfach gut ausgebildeten Leute bleiben aus. Natürlich bin ich auch dafür, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeit gut entlohnt werden – keine Frage. Gleichzeitig sind die zuletzt stark gestiegenen Lohnkosten eine Riesenherausforderung für uns.

Daher suchen wir nach Lösungen. Wir investieren auch immer weiter in Automatisierung – etwa im Bereich Verpackung oder Qualitätskontrolle. Direktvermarktung macht bei uns nur einen kleinen Teil aus, wir betreiben mit der „Ab Hof Box“ einen kleinen Selbstbedienungsladen. Hauptabnehmer unserer Produkte ist der Lebensmitteleinzelhandel. Das funktioniert grundsätzlich gut, bedarf aber immer wieder guter Kommunikation und Abstimmung. Wir müssen stets am Ball bleiben, um unsere Produkte im Handel gut platzieren zu können.

SCHLEGL: Wir haben einen Legehennenbetrieb mit 14.500 Hühnern und sind reiner Direktvermarkter. Im Jahr produzieren wir ungefähr vier Millionen Eier und verkaufen sie direkt an Konsumenten, Händler, Gastronomen bzw. kleinere Wiederverkäufer. Eine Besonderheit von uns sind unsere Lebensmittelautomaten, die wir für den Vertrieb unserer Eier sowie Produkten von Partnerbetrieben nutzen. An mittlerweile zehn Standorten in und um Graz bieten wir in diesen Automaten ein Vollsortiment an – neben Eiern auch Nudeln, Säfte, Milchprodukte oder Fleischwaren. Ein breites regionales Portfolio ist wichtig, um den Konsumenten zu erreichen. Die Automaten haben wir während der Pandemie stark ausgebaut, sie sind für uns nach wie vor ein wichtiger Vertriebsweg – und ein zweites Standbein. Denn wir sehen, dass die Preise stark schwanken und die Betriebskosten schnell rauf- und runtergehen, sodass wir nicht lange vorausplanen können. Für uns in der Landwirtschaft ist das ein Problem, weil wir unsere Produktion langfristig planen und finanzieren müssen.

DIE TEILNEHMER

Irene Gombotz
Beeren- und Gemüsehof Gombotz in Hof bei Straden, Mitglied der Beerengut Bauerngemeinschaft
Straden („Die Jungen Wilden Gemüsebauern“)

Michael Fend
Geschäftsführer Regionalmanagement Vulkanland, Initiative „Netzwerk Lebensmitteltechnologie Vulkanland“

Franz Habel
Gründer „Vulcano Schinkenmanufaktur“
und der Schinkenerlebniswelt
in Auersbach

Hans-Peter Schlegl
Legehennen-Betrieb in Haselsdorf- Tobelbad, „Der Hofveitl“, Obmann der Gefl ügelwirtschaft Steiermark, Betreiber von Lebensmittelautomaten

Gernot Tändler
Gründer von get2e (vormals paradieschen.at), Technologiepartner bei der Weizer Direktvermarktungs-Plattform
moakt.at

HABEL: Ich sitze heute in einer Doppelfunktion hier – als Schweinebauer und als Unternehmer in der Lebensmittelverarbeitung mit „Vulcano“. Als Bauer geht es mir derzeit gut, denn aktuell sind die Erzeugerpreise so hoch wie seit Langem nicht. Auch die Kosten sind nach all den Verwerfungen wieder im Griff, Futtermittel bekommt man heute etwa um den halben Preis wie noch vor eineinhalb oder zwei Jahren. Vor allem haben die meisten Schweinebauern keine Lohnkosten, was derzeit das größte Glück ist. Denn als Unternehmer machen mir die gestiegenen Lohnkosten – ähnlich wie bei Irene Gombotz – zu schaffen. Diese sind in den vergangenen zwei Jahren steil angestiegen – um die 15 Prozent. Das ist ein Riesenthema, das derzeit ja viele Betriebe massiv belastet.

SCHLEGL: In der Schweinebranche gibt es derzeit europaweit sinkende Bestände – auch in Österreich. Dieses geringe Angebot im Vergleich zur unverändert hohen Nachfrage verursacht das derzeitige Preishoch – das kann sich aber sehr rasch wieder ändern. Und in einem halben Jahr kann alles ganz anders ausschauen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass in einigen EU-Staaten wie Spanien oder Polen gerade große Produktionen hochgefahren werden – dort wird billigst Fleisch produziert zu weit niedrigeren Tierwohlstandards als bei uns.

HABEL: Richtig, die Lage kann sich rasch wieder ändern, aber derzeit geht es uns gut. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis – momentan gibt es zu wenig Fleisch in Europa, daraus resultieren gute Preise für uns Bauern. Die Herausforderung ist sicher das ständige Auf und Ab und die mangelnde Planbarkeit, wie schon gesagt wurde.

SCHLEGL: Übrigens – auch die Legehennenbestände sind in Österreich gesunken. Derzeit haben wir ungefähr 7,4 Millionen Legehennen offiziell gemeldet, rund 380.000 Plätze weniger als zuletzt. Und einmal stillgelegte Produktionen wieder hochzufahren, ist sehr schwer.

HABEL: Die gestiegenen Lohnkosten bei „Vulcano“ sorgen für einen Kostendruck, der in den Preisen kaum unterzubringen ist. Wir haben zwar Preisehöhungen gemacht, sind aber unter zehn Prozent geblieben – rein rechnerisch hätten wir das Doppelte machen müssen. Aber das hätten wir wohl nicht überlebt. So haben wir nur einen Teil der Kosten weitergegeben und darüber hinaus versucht, Kosten bei uns zu reduzieren. Was Betriebe in unserer Größe zusätzlich hemmt und herausfordert, ist die ausufernde Bürokratie. Kleine Betriebe scheitern oft daran. Wir brauchen zu viele Mitarbeiter für rein bürokratische Aufgaben, Qualitätsmanagement und so weiter – unzählige Dokumente, wo jeder Punkt und Beistrich stimmen muss. Das ist kaum noch zu bewerkstelligen. Hier wäre unter anderem auch der Gesetzgeber – aber auch wir alle selbst – gefordert, etwas zu ändern.

Sie vermarkten sowohl direkt als auch über den Einzelhandel. Wie geht’s Ihnen damit?
HABEL: Wir verkaufen mittlerweile 30 bis 40 Prozent direkt an den Endkunden, in unserem Shop in Auersbach bzw. über den Webshop, wo der Verkauf während der Pandemie massiv nach oben gegangen ist. Wir haben es geschafft, das Niveau hoch zu halten. Was wir beobachten, ist, dass auch der Handel selbst massiv unter Druck geraten ist. Wir brauchen den Handel, er ist wichtig für die Gesellschaft und wir haben auch ein sehr gutes Einvernehmen mit ihm. Ich bin auch bereit, den Handel zu verteidigen, er ist nicht der Böse. Der Handel hat die ähnlichen bzw. selben Probleme der hohen Kosten wie jeder andere Betrieb auch – und da ist es logisch, dass er aus seiner Position heraus versucht, das Beste zu machen, mit all den Unannehmlichkeiten, wie wir sie selbst kennen – ausgelöst durch den enormen Druck von Konsumentenseite. Unser Nachteil im Handel ist, dass wir unser Produkt inklusive der gesamten Philosophie einfach gut erklären müssen – und je mehrstufiger der Handel, desto mehr wird die Botschaft verwässert. Mit jeder Handelsstufe verliert man auf dem Weg zum Endkunden 50% der Markenbotschaft. Bei einem vier- oder fünfstufigen Vertrieb bleibt von unserer Philosophie nicht mehr viel übrig – und es wird dann eben schwer, die höheren Preise drüberzukriegen. Wir wollen künftig vom Lebensmittelhandel unabhängiger werden – und haben dazu vor zwei Jahren ein Fünf-Jahres-Konzept erarbeitet.

Welchen Beitrag können bessere Vernetzung und neue Plattformen leisten, um die Landwirtschaft in der Region zu stärken?
FEND: Eines unseres Herzensprojekte in der Südoststeiermark ist das „Netzwerk Lebensmitteltechnologie Vulkanland“. Das Vulkanland bzw. darüber hinaus die ganze Steiermark verfügt über eine hohe Dichte an qualitativ hochwertigen Lebensmittelproduzenten und -veredlern entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Diese besser zu vernetzen und sichtbarer zu machen, ist unser Ziel. Es handelt sich dabei vorwiegend um kleinstrukturierte Betriebe, die den internationalen Preiskampf auf Dauer nicht gewinnen können. Unsere Stärke in der Region ist aber, dass wir sehr viel „Hirn pro Hektar“ haben – wie es vor Jahren einmal ein Vortragender ausgedrückt hat. Das heißt aber auch, dass es unsere Aufgabe ist, entsprechend intelligente bzw. veredelte Produkte auf den Markt zu bringen, untereinander besser zusammenzuarbeiten und damit die Wertschöpfungstiefe zu erhöhen. Und dafür wollen wir die Plattformen bieten, auf denen sich die Produzenten abstimmen und austauschen können. Ein Erfolgsbeispiel ist Vulkanland-Weizen – damit wurde ein Netzwerk von Weizen-Bauern geschaffen, die die Wertschöpfungskette ein Stück weit geschlossen haben und dadurch unabhängiger von Marktpreisen werden konnten. Ich bin sicher, solche Konzepte haben Zukunft.

Worauf wird es dabei ankommen?
FEND: Wir sind gefordert, immer wieder die Botschaft zu vermitteln, was an unserem Produkt besser, hochwertiger und regionaler ist – so wie das Vulcano praktiziert. Das müssen wir den Konsumenten erklären – warum rechtfertigt dieser Schinken bzw. jene Beeren einen höheren Preis? Ein Schlüssel dafür sind Erlebnismanufakturen – ein Thema, das wir im Vulkanland durch Route 66 forcieren. Ich glaube, dass diese Art der Kommunikation künftig noch viel Potenzial hat – damit hat man die Möglichkeit, Besucherinnen und Besucher auf den Hof zu laden, die sich direkt vor Ort die Produktion anschauen und damit einen direkten Bezug zum Produkt bekommen. Und dann spielt es auch keine Rolle, ob ein Produkt ein paar Cent mehr kostet. Damit ist man in einer ganz anderen Liga – vergleichbar mit dem Wein-Geschäft. Daher sollten wir wieder lernen, mehr über den Wert eines Produkts zu sprechen als über den Preis. Dann können wir auch wieder mehr dafür verlangen.

SCHLEGL: Während Corona haben wir erlebt, dass Konsumenten bewusster eingekauft haben und bereit waren, für Bio und Regionalität mehr zu bezahlen. Leider sehen wir jetzt den Umkehrtrend, aufgrund der allgemeinen Teuerung kaufen die Konsumenten vermehrt beim Disconter ein bzw. greifen zur Angebotsware. Aber ich stimme zu – es ist enorm wichtig, eine Botschaft zu vermitteln und den Konsumenten auf den Wert von Qualitätsprodukten hinzuweisen. Dennoch gibt es diese Kluft zwischen Diskont und Premiummarken und ich glaube nicht, dass der Absatz im höherpreisigen Segment ins Unendliche wachsen kann. Der Markt ist beschränkt – und in Österreich sind wir zu kleinstrukturiert, um für den EU-Raum oder den Weltmarkt zu produzieren. Daher trete ich dafür ein, dass alle Landwirte ausreichend gute Erzeugerpreise bekommen für ihre Produkte, die dann auch die große Masse erreichen und nicht nur eine Minderheit, die sich Premium leisten kann. Das wäre keine wünschenswerte Entwicklung, dass wir in Österreich nur noch Premium produzieren und der Rest, die große Menge, kommt dann aus dem Ausland.

FEND: Seit Jahren sprechen Studien vom sogenannten „Hybridkonsumenten“ – genau das erleben wir jetzt. Das sind Konsumenten, die sowohl billige Produkte einkaufen als auch ausgewählte Produkte im hochpreisigen Segment, die man sich einfach leisten will. Ich glaube, dass beides möglich sein wird. Daher brauchen wir sowohl das eine als auch das andere – also Spezialitäten im gehobenen Segment als auch günstige Produkte für die Masse. Kompliziert wird es ja erst durch die Preismechanismen entlang der Wertschöpfungskette. Denn ein guter fairer Preis für den Weizen, für den der Bauer zehn Cent mehr bekommt, hätte ja keinen spürbaren Einfluss auf den Brotpreis. zehn Cent mehr im Endpreis sind komplett vernachlässigbar – das Problem ist nur, dass jeder Händler und Zwischenhändler dann wieder 50 Prozent draufschlägt, sodass es sich dann am Ende auf den Brotpreis auswirkt.

GOMBOTZ: Nicht nur die Kommunikation mit dem Endkonsumenten ist wichtig, um die Botschaft weiterzutragen, sondern auch die Kommunikation mit dem Handel ist entscheidend. Wir von den „Jungen Wilden Gemüsebauern“ sind in der glücklichen Lage, dass wir als Gruppe direkt an den Handel verkaufen, ohne Zwischenhändler. Dadurch ist es viel leichter zu kommunizieren – etwa, wenn es um Ernteausfälle geht oder Ähnliches. Auf jede Rückmeldung des Handels können wir, wenn irgendwo Probleme oder Wünsche auftauchen, sofort reagieren – dieser direkte Kontakt ist enorm wertvoll und hilft, eine stabile Lieferbeziehung aufrechtzuerhalten. Daher empfehle ich, Kooperationen und Zusammenschlüsse einzugehen – als einzelner Landwirt hat man sicher weniger Gestaltungsspielraum.

Stichwort Kooperation: Viele Kleine, die eine starke Einheit in der Region bilden, ist die Grundidee von moakt.at – was steckt dahinter?
TÄNDLER: Die Idee hinter moakt.at ist, kurz gesagt, eine Plattform zu entwickeln, die Warenwirtschaft in Regionen – statt in Gebäuden oder Lagern – denkt und die Angebote der Region wirklich sichtbar macht. Ausgangspunkt ist der Verein „Weiz is(s)t regional – Verein zur Steigerung der regionalen Lebensmittelversorgung und -qualität im Genussraum Weiz“. Dort hat man sich unser Herzens- und Pionierprojekt paradieschen.at in St. Marein bei Graz angeschaut und uns schließlich als Technologiepartner an Bord geholt. Mittlerweile haben sich in dem Verein rund 45 Produzenten zusammengeschlossen, die auf moakt.at ihre Produkte präsentieren und auf unterschiedlichen Vertriebswegen verkaufen. Eine Reihe unterschiedlicher Bauern und Verarbeitungsbetriebe sind mit dabei – vom Apfelbauern über den Essigproduzenten bis zur Fleischerei Feiertag oder den Weizer Schafbauern. Entscheidend war, ein in der Anwendung einfaches und benutzerfreundliches System zu schaffen – für Konsumenten und Produzenten.

Wie funktioniert der Vertrieb?
TÄNDLER: Einerseits durch einen MoaktBus, einen E-Bus, der zweimal in der Woche eine Runde fährt und zu festgelegten Zeiten fixe Haltestellen ansteuert. Bei diesem Bus kann man direkt einkaufen, aber auch per Click & Collect vorbestellte Ware abholen. Das heißt, man kann seinen ganzen Wocheneinkauf dorthin bestellen. Wir sehen, dass die Vorbestellungen deutlich steigen. Darüber hinaus bietet Weiz eine MoaktStation, eine 24/7-Abholstation, an der künftig die Ware 24 Stunden am Tag abgeholt werden kann – über Click & Collect Vorbestellungen, zudem bietet ein fixes Selbstbedienungs-Sortiment ein vielfältiges Einkaufserlebnis. Ein wichtiges Zusatz-Segment ist das B2B-Geschäft. Die Fachschule Naas etwa hat beschlossen, so regional wie möglich einzukaufen, und nutzt dazu moakt.at sowie den eigens geschaffenen B2B-Bereich, um größere Mengen zu günstigeren Konditionen einzukaufen. Weiteres spannendes Geschäftsfeld: Kürzlich hat die erste große Firma der Region – Magna Heavy Stamping in Albersdorf – beschlossen, moakt.at für ihre Verbesserungsvorschlags-Geschenke zu nutzen und ermöglicht ihren Beschäftigten, über diese Plattform Geschenke, die ihnen für Verbesserungsvorschläge gewährt werden, einzulösen. In Summe sind wir mit diesem System auf einem sehr guten Weg – die Region, vor allem die regionale Wertschöpfung im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittel profitiert. Ich zitiere meinen ehemaligen CEO, der mich sehr geprägt hat: „Macht sichtbar, was schon da ist! So schnell kann eine globale Lieferkette nie werden.“ Denn wir haben es verlernt, zuhause einzukaufen. Das wollen wir ändern.

Welches Potenzial sehen Sie darin?
TÄNDLER: Das Potenzial ist riesig, wir haben auch schon Anfragen anderer Regionen, auch aus Deutschland. Ich bin überzeugt Omni-Channel-Lösungen wie moakt.at gehört die Zukunft, es braucht diese Verschmelzung aus stationärem Handel und E-Commerce. Und wir müssen die Infrastruktur nutzen, die bereits vorhanden ist. Wir brauchen nicht ständig neue Lager bauen, diese sind bereits da. Das sind die Th emen, die uns bei get2e am Herzen liegen. Wir schauen, was an Infrastruktur bereits vorhanden ist. Denken wir etwa nur an Fahrschulen – deren Autos fahren mit leeren Kofferräumen durch die Gegend. Warum nutzen wir sie nicht für die Logistik? Wir wissen: In rund 95 Prozent der Pendler-Pkws zwischen Graz und Weiz sitzt nur eine Person. Was wären das für Lieferkapazitäten? Damit sparen wir uns künftig auch viele teure Lagerflächen – Lagerhallen sind teuer und ineffi zient. In unserem Fall ist die Region das Lager. Wir müssen anfangen, Dinge neu zu denken bzw. logistisch zu denken. Man muss nicht alles einlagern und sofort verfügbar machen. Bei uns wird alles, was an Gemüse, Fleisch und Fisch frisch sein muss und teuer zu lagern ist, vorbestellt. Die Menschen sind auch zunehmend bereit, das zu tun.

HABEL: Ein tolles Konzept, ich gratuliere! Vieles ist im Wandel. Wir haben ja Freunde in Singapur – die sagen immer, dass die uns im Online-Bereich um zehn Jahre voraus sind. Es gibt auch dort noch einen stationären Handel, aber Lebensmittel kauft in Singapur nur noch jemand in einem Geschäft ein, der etwas vergessen hat und das dann im Vorbeifahren besorgt. Es gibt viele neue Konzepte, die auf uns zukommen – und ich glaube, diese werden im Zeitalter der Digitalisierung und der KI sehr schnell kommen. Ich bin sicher, dass im Handel enorme Veränderungen passieren werden. Sicher ist auch, dass der Kunde näher am Produzenten sein möchte. Das ist bislang beim mehrstufigen Handel schwer bis nicht möglich gewesen.

TÄNDLER: Das Problem des Handels ist, dass schon viel zu viel Infrastruktur da ist. Wir brauchen nicht noch mehr – und keine weiteren Lagerhallen mehr. Wir müssten es nur schaffen, die bestehende Infrastruktur besser zu organisieren. Das schaffen wir, wenn wir die Daten, die uns die Technologie schon heute gibt, richtig analysieren und wir dementsprechend agieren. So sollten wir künftig weniger darauf den Fokus legen, wo die Menschen schlafen, sondern darauf, wo sie sich tatsächlich aufhalten. Das heißt, wir müssen viel mehr in Richtung Arbeitsstätte bringen. Wir müssen viel mehr Wege nutzen, die jeden Tag passieren – etwa von Pendlern, wie vorhin angedeutet. Damit werden wir LKWs nicht völlig ersetzen, aber viele kleine Transporte kann ich sehr wohl abdecken. Etwa Wien-Graz, eine Strecke, die sehr oft am Tag zurückgelegt wird, oder Gleisdorf-Graz, oder Vulkanland-Graz. Oder Weiz-Kapfenberg. Wie viel Äpfel könnte ich auf diese Weise aus Weiz nach Kapfenberg liefern? Dann bräuchte man keine Äpfel mehr aus fernen Ländern.

GOMBOTZ: Das wäre auch für uns spannend, wenn wir uns künftig solch neuer Logistiknetze bedienen könnten. Ich finde es wichtig, dass man über den Tellerrand des eigenen Betriebs hinausschaut und sich auch von anderen Betrieben inspirieren lässt. Dabei nehme ich immer wieder sehr viele Inputs mit. Das gilt auch für den Besuch von Messen. So sind wir jedes Jahr auf der Fruit Logistica in Berlin dabei – jedes Mal ein Erlebnis. Innovation ist für uns ganz wichtig. Momentan interessieren wir uns sehr für das Thema Automatisierung in der Verpackung. Mit Himbeeren geht das noch nicht, aber mit der Heidelbeere ist es schon möglich. Auch Heidelbeer-Erntemaschinen gibt es schon. Allerdings haben wir noch das Problem, dass wir durch die Verwendung von Hagelnetzsystemen eingeschränkt sind. Wir arbeiten aber an einer Lösung.

SCHLEGL: Ich glaube dennoch, dass die Automatisierung nicht das Patentrezept sein wird. Denn im Endeffekt bleibt die Marge für uns Landwirte im Großen und Ganzen immer die gleiche bzw. wird uns von Seiten unserer Abnehmer keine größere zugestanden. Denn jeder Einkäufer beim Handel weiß ganz genau, zu welchen Kosten wir produzieren und wie hoch die Marge sein muss, damit es sich ausgeht. Das heißt, wenn wir es schaffen, günstiger zu produzieren, wird der Handel auch die Preise senken.

HABEL: Wie schon gesagt – der Handel ist unter Druck. Im Lebensmitteleinzelhandel geht es momentan zu, das ist unvorstellbar, was wir da mitbekommen – vor allem im mittleren Preissegment. Der Hauptgrund ist natürlich, dass die Leute laufend das Gefühl vermittelt bekommen, real einfach weniger Geld in der Tasche zu haben. Dennoch glaube ich, dass wir Österreicher gut daran tun, in der Produktion auf Spezialprodukte zu setzen. Mit Weltmarktpreisen können wir nicht konkurrieren. Unser Weg kann nur über die Qualität gehen, über die Veredelung, über höherwertige Produkte. Es gibt auch den Markt dafür – bei der Masse werden wir niemals mitkommen. Aber es braucht in jedem Fall Kommunikation und Aufklärung.

TÄNDLER: Aufklärung und Transparenz – diese sind ganz wichtig. Ein Beispiel: Weiz hat derzeit rund 370 Prozent Überproduktion an Äpfeln – es wird viel exportiert. Wie kann es nun aber sein, dass ich hier in Weiz im Supermarkt einen Apfel aus Südafrika, aus über 13.000 Kilometer Entfernung, bekomme? Okay, weil er so billig ist – kann sein. Aber schon deswegen finde ich moakt.at als Initiative so großartig, weil die Leute endlich anfangen, über Lieferketten und Einkaufsverhalten nachzudenken. Und damit haben wir die Chance, dass in Zukunft nicht nur wir Konsumenten, sondern auch die großen Handelsketten umdenken. Weil einen Apfel aus Südafrika in Weiz überhaupt anzubieten, ist ein Paradoxon sondergleichen. Das kann nicht richtig sein!

SCHLEGL: Die Idee unterstütze ich voll, muss aber dazu sagen, dass ich in meinen jungen Jahren auch vieles ausprobiert habe und mit einigen Visionen auch schon gescheitert bin. Beim Endkonsumenten zählen vor allem Preis und Qualität, aber auch der Faktor Bequemlichkeit – da bin ich mir bei regionalen Plattform-Konzepten dieser Art nicht ganz sicher. Ich hoffe, dass es funktionieren wird. Ich glaube auch, dass solche Angebote künftig ihre Chancen haben werden, aber wahrscheinlich nur in einem beschränkten Ausmaß wachsen werden.

TÄNDLER: Es funktioniert bereits. Kaum jemand zweifelt daran, dass Amazon Food in Österreich erfolgreich sein wird – wenn sie einmal starten werden. Und das werden sie. Das heißt, wir müssen rechtzeitig anfangen, Alternativen zu erarbeiten und anzubieten. Das Problem vieler Regionalplattformen ist ja, dass, wenn ich dort etwas bestelle, ich fünfmal Versandkosten bezahlen muss, weil jeder einzeln verschickt. Das haben wir gelöst – wir machen einen Sammelversand bzw. ein Click & Collect-Fach, wo alles aus der Region hin geliefert wird. Der Shop ist tagsüber auch offen, damit auch ältere Menschen ganz normal einkaufen können.

FEND: Zweifellos eine spannende Entwicklung, die uns in der regionalen Wertschöpfung künftig sicher helfen kann. Insgesamt denke ich, müssen wir aber schon auch die Kulturfrage stellen – denn wir haben uns in der Gesellschaft von der Kultur her weit von Lebensmitteln, vom Ursprünglichsten, das wir brauchen, entfernt. Es ist nicht so lange her, dass wir 30, 40 Prozent unseres Familieneinkommens für Lebensmittel ausgegeben haben – das vergisst man oft. Früher hatte der Großteil der Menschen mit der Landwirtschaft direkt etwas zu tun gehabt. Die Leute haben gewusst, was es heißt, ein Hendl oder ein Schwein zu halten bzw. was dahintersteckt, bis man eine Frucht oder ein Gemüse ernten kann. Wir haben uns sehr stark entfernt von der Produktion. Ich glaube, auch die Landwirte haben sich teilweise ein bisschen versteckt und wollen nicht immer alles her-zeigen. Und dadurch kommen die Produkte dann in den Augen der Konsumenten nicht mehr vom Landwirt, nicht mehr vom Feld, sondern quasi aus dem Supermarkt. Daher denke ich, dass wir uns dieser Kulturfrage, was sind unsere Lebensmittel wert und wo kommen sie her, wieder vermehrt stellen müssen.

GOMBOTZ: Es gibt dazu ein spannendes Projekt mit dem Landesverband für Steirische Gemüsebauern, das wir als „Junge Wilde“ unterstützen. Darin arbeiten Landwirte mit Grazer Kindergärten zusammen, denen Hochbeete zur Verfügung gestellt werden, um darin jedes Jahr Gemüse anzusetzen – vom Grazer Krauthäuptel bis zum Fruchtgemüse. Den Kindern taugt es – sie laufen jeden Tag raus, um zu schauen, ob die Paradeiser schon rot geworden sind oder wie groß die Pflanzerln bereits sind. Eine super Initiative, damit die nächste Generation wenigstens einen kleinen Bezug zur Landwirtschaft bekommt.

Ihr größter Wunsch bzw. Ihr Anliegen?
FEND: Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, unsere Standards nach unten zu setzen. Im Gegen-teil: Wir sollten stolz darauf sein, dass wir Vorreiter sind und das auch bleiben. Damit das am Markt funktioniert, müssen wir unsere Art der Lebensmittelproduktion und der Landwirtschaft gut und ehrlich kommunizieren und eine Kultur prägen, in der Lebensmittel mehr Wert haben. Und damit auch einen höheren Preis.

GOMBOTZ: In der Kommunikation mit dem Handel und den Endkonsumenten müssen wir auch aufzeigen, dass wir durch unsere kleinstrukturierte Landwirtschaft in Österreich einen großen Zusatzvorteil haben: nämlich eine Risikostreuung. Wir sollten noch mehr kommunizieren, dass wir Landwirte für die Gesellschaft auch eine gewisse Versorgungssicherheit gewährleisten.

HABEL: Ich bin voller Hoffnung und glaube fest daran, dass eine gute Entwicklung auf uns zukommt. Natürlich stehen wir Bauern vor großen Herausforderungen. Wir leben in einer Zeit der Veränderung – und der, der sich am besten anpasst, ohne sich und seine Philosophie zu verlieren, kann zu den größten Gewinnern zählen. Es entsteht gerade ein neues kollektives Bewusstsein – gerade im Lebensmittelbereich wollen die Leute wissen, wo etwas herkommt. Das spielt uns in die Hände. Wir werden alle gefordert sein, das Beste daraus zu machen, mit gutem Vorbild voranzugehen und positiv über uns zu reden.

Fotos: Oliver Wolf, iStock

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