Die Zukunft der Freien Berufe
KI-gestützte Roboter im Arztkittel? Ein Chatbot als Anwalt 4.0? Oder generative KI als der bessere Architekt von morgen? Wo liegen die Chancen, Risiken und Herausforderungen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Praxis der Freien Berufe? „SPIRIT of Styria“ lud die Präsidenten der Landeskammern der Freien Berufe in der Steiermark zur KI-Spurensuche in den Berufsfeldern Medizin, Recht, Steuerberatung, Architektur und Pharmazie.

Der Abgesang kommt wohl zu früh. Die euphorischsten Apologeten des technischen Fortschritts sehen für Berufsgruppen wie Ärzte und Steuerberater bereits das Ende nahen und sie in mittelferner Zukunft durch KI-gesteuerte Chatbots ersetzt. Stehen humanoide Roboter mit Hyperintelligenz, die in Echtzeit medizinische Diagnosen und optimierte Steuererklärungen generieren, tatsächlich ante portas? „Nein, Prognosen dieser Art halte ich für übertrieben“, so Dominic Neumann, Unternehmensberater für IKT und Obmann der Fachgruppe UBIT in der WKO Steiermark. „Künstliche Intelligenz schreitet weiter voran, aber die Sorge, dass sie massiv Arbeitsplätze vernichtet, teile ich nicht. Schon gar nicht in Bereichen der Freien Berufe, wo es sehr viel zwischenmenschlicher Interaktion bedarf.“ Das bedeute aber nicht, dass nicht auch Jobs wegfallen würden. „Einfachere, wenig komplexe Tätigkeiten werden künftig von digitalen Tools ersetzt bzw. werden es schon heute – siehe der Bereich Belegerkennung und automatisierte Buchungen, aber für den Jahresabschluss und das Quartalsgespräch wird es auch weiterhin den Steuerberater brauchen“, bringt Neumann ein konkretes Beispiel. Am meisten Potenzial sieht er im medizinischen Bereich. „Das Anwendungsspektrum von KI reicht hier von der Mustererkennung in CT- oder MRT-Bildern über optimiertes Matching bei Spenderorganen bis zum vermehrten Einsatz von Robotik in der Chirurgie.“ Aber auch alle anderen Gruppen der Freien Berufe würden immer mehr von KI-Anwendungen profitieren. „Und ja, KI ist auch mit Risiken und Auf-wand verbunden, aber – richtig eingesetzt – wird der Nutzen bei Weitem überwiegen.“
KI in der Medizin
„Künstliche Intelligenz ist dabei, die Medizin grundlegend zu verändern – und das spüren wir bereits in der täglichen Praxis“, bestätigt Michael Sacherer, Präsident der Ärztekammer Steiermark. „Besonders in der Diagnostik hat KI ihren festen Platz gefunden und entwickelt sich rasant weiter. Dennoch bleibt sie ein Werkzeug, das die ärztliche Expertise ergänzt, aber nicht ersetzt. Wo uns die KI Administratives abnimmt, ist sie am wertvollsten für uns Ärztinnen und Ärzte. Denn dort ermöglicht sie uns mehr Zeit mit unseren Patientinnen und Patienten“, so Sacherer. „KI ist ein Werkzeug, das natürlich schneller große Datenmengen analysieren kann – aber dabei immer Transparenz, Nachvollziehbarkeit und eine kritische ärztliche Bewertung braucht. Die Verantwortung für die Diagnose und Therapieentscheidung liegt bei uns Ärztinnen und Ärzten und muss immer bei ihnen bleiben. Wir fordern daher klare ethische und regulatorische Rahmenbedingungen, um die Sicherheit und Qualität der KI-Anwendungen zu gewährleisten.“ Zudem seien die zugrundeliegenden Daten und ihre Qualität entscheidend. „Datenschutz und die Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht müssen immer oberste Priorität haben.“ Als Beispiel für den Einsatz von KI-Tools im diagnostischen Alltag nennt Sacherer CT- und MRT-Untersuchungen. „KI-gestützte Bildverarbeitung ist Teil der modernsten Technologien. Dadurch können wir bei der Diagnose unterstützt werden.“ Die steirische Ärzteschaft stehe der Digitalisierung und dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz grundsätzlich offen gegenüber. „Vorausgesetzt, der Nutzen für die Patientenbetreuung ist klar erkennbar und die ärztliche Verantwortung bleibt gewahrt. Die Ärzteschaft von morgen braucht digitale Kompetenz, um KI-Tools sicher und kritisch anwenden und beurteilen zu können, sowie die Fähigkeit, sie in die klinische Entscheidung einzubinden.“

„KI ist kein Ersatz für ärztliche Erfahrung und Empathie – aber sie ist ein mächtiges Werkzeug, das uns hilft, die bestmögliche Versorgung für unsere Patientinnen und Patienten sicherzustellen.“
MICHAEL SACHERER
Präsident Ärztekammer
für Steiermark
Fazit
„KI wird die Hausärztin bzw. den Hausarzt nicht ersetzen, sondern als wertvolles Werkzeug unterstützen. Denn die ärztliche Rolle umfasst weit mehr als nur die Analyse von Symptomen: Empathie, das persönliche Gespräch, das Erkennen von Zwischentönen und das Eingehen auf individuelle Lebenssituationen sind durch Maschinen nicht ersetzbar. Gerade bei komplexen oder mehrdeutigen Beschwerden, in der Langzeitbetreuung und bei sensiblen Entscheidungen bleibt der Mensch unverzichtbar. Die beste Versorgung entsteht dort, wo menschliche und künstliche Intelligenz Hand in Hand arbeiten.“

KI in der Rechtsanwaltskanzlei
„Der Einsatz von KI umfasst unterschiedliche Assistenz- und Automatisierungslösungen, die in Kanzleien den Alltag erleichtern“, erklärt Michael Kropiunig Präsident der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer. „Die am häufigsten verwendeten KI-Tools dienen der Rechtsrecherche, der Texterstellung und der Zusammenfassung. Überall dort, wo durch KI die Effizienz gesteigert oder Kosten eingespart werden können, sieht man schon heute eine sehr weite Verbreitung.“ Allen voran KI-basierte Diktiersoftware („spart natürlich Zeit, weil Zwischenschritte bis zum Abgetippt-werden entfallen“) und Rechtsrecherche-Tools. „Diese werden von den großen juristischen Verlagen angeboten und können bereits juristische Fragen beantworten sowie die Quellen gleich dazu verlinken“, so Kropiunig. „Als Rechtsanwältin bzw. Rechtsanwalt muss man den neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen sein.“ Schon allein, weil die Digitalisierung ja auch bei den Gerichten – Stichwort elektronischer Akt und elektronische Akteneinsicht – voranschreite. „Die Anwälte von morgen brauchen eine gewisse technische Affinität, aber vor allem das Wissen, wie man mit KI umgeht und wie man die Ergebnisse bewertet.“ Wichtig sei dabei auch, die Mitarbeiter ins Boot zu holen. „Denn diese müssen mit den neuen Lösungen arbeiten. Daher müssen wir entsprechend schulen, nicht nur, was die Umsetzung und Anwendung betrifft, sondern auch in Hinblick auf das Datenschutzrecht, das anwaltliche Berufsrecht – Stichwort Verschwiegenheit – und den AI-Act“, so der Standesvertreter. „Schließlich sind manche Lösungen, die einem die KI präsentiert, klar ,erfunden‘. Die KI berechnet eine mögliche Lösung und nennt sogar Quellen in der juristischen Recherche – ob diese aber stimmen, muss ich selbst beurteilen.“ Kritisch sieht er auch den Einsatz von ChatGPT in einer Kanzlei. „Man muss sich bewusst sein, dass die Daten, die ich eingebe – vor allem, aber nicht nur in den Gratis-Varianten – von den Systemen gesammelt und zum Training der KI verwendet werden. Was genau mit den Daten passiert, wo diese gespeichert werden, wer alles Zugriff hat usw. ist nicht bekannt. Das muss ich bedenken, wenn ich einen Vertrag oder Schriftsatz mit Hilfe der KI analysieren oder übersetzen will“, so Kropiunig und erinnert an das das höchste Gut des Berufsstandes: die anwaltliche Verschwiegenheit. „Diese muss unter allen Umständen gewahrt werden, gerade auch beim Einsatz von KI.“

„Das höchste Gut des Berufsstandes ist die anwaltliche Verschwiegenheit. Diese muss unter allen Umständen gewahrt werden, gerade auch beim Einsatz von KI.“
MICHAEL KROPIUNIG
Präsident Steiermärkische Rechtsanwaltskammer
Fazit
„Die persönliche Beratung, das vertrauliche Gespräch zwischen Rechtsanwälten und Mandanten wird nie ersetzt werden können. Für anwaltliche Tätigkeit brauche ich mehr als reines Fachwissen. Es gilt, die für die Mandantin bzw. den Mandanten individuell beste Lösung zu finden. Dafür greifen wir auf unsere langjährige Erfahrung vor Gericht und außergerichtlich zurück. Die Beratungstätigkeit ist viel mehr als ein Chatbot-mäßiger Frage-Antwort-Ablauf. Es braucht auch ein gewisses Gespür für die Menschen und die Situation, Einfühlungsvermögen, Empathie, nicht nur, aber vor allem auch während einer Gerichtsverhandlung.“
KI in der Steuerberatung
„KI ist bereits heute ein integraler Bestandteil unserer Steuerberatungskanzleien – wenn auch oft im Hintergrund“, betont Klaus Gaedke, Präsident der Kammer der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen (KSW). „Besonders in den Bereichen Belegerkennung, automatisierte Buchungsvorschläge, Rechnungsanalyse und Fristenkontrolle wird KI eingesetzt, um repetitive Aufgaben effizienter zu erledigen. KI kann in der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung und der Lohnverrechnung unterstützen, etwa durch die automatische Erkennung von Abweichungen oder durch Optimierungsvorschläge auf Basis vergangener Daten.“ Auch bei der Datenvorbereitung für Jahresabschlüsse sowie bei der Analyse von Klientendaten könne KI zunehmend genutzt werden. Eine Reihe von KI-Tools sei bereits heute Standard in Kanzleien – beispielweise FINMATICS mit automatisierten Buchungsvorschlägen und KI-gestützter Belegerkennung oder KI-unterstützte Literaturdatenbanken von LEXISNEXIS, MANZ und LINDE. „Auch der Einsatz von Chatbots wird in der Klientenkommunikation und internen Recherche zunehmen. Denkbar ist etwa ein KI-gestützter Assistent, der Mitarbeitende bei der Recherche im EStG oder UStG unterstützt und komplexe Sachverhalte schnell zusammenfasst“, so Gaedke, der seine Kolleginnen und Kollegen sehr aufgeschlossen gegenüber Digitalisierung und Automatisierung sieht. „Dies wird auch beschleunigt durch den Fachkräftemangel und den zunehmenden KI-Einsatz in der Finanzverwaltung. Der Steuerberater von morgen benötigt digitale Grundkompetenzen, ein Verständnis für Datenstrukturen und Automatisierung sowie die Fähigkeit, technologische Entwicklungen kritisch zu beurteilen und sinnvoll in bestehende Prozesse zu integrieren.“ Die größten Risiken durch den Einsatz von KI sieht Gaedke neben Datenschutz, IT-Sicherheit und Transparenz vor allem in der Qualitätssicherung: „Automatisierte Prozesse müssen laufend kontrolliert und evaluiert werden. Besonders der Einsatz von ChatGPT ist aus datenschutzrechtlicher Sicht sensibel, insbesondere, wenn personenbezogene oder steuerlich relevante Daten unverschlüsselt an externe Server, zumeist außerhalb der EU, übermittelt werden. Die Nutzung von ChatGPT sollte daher ausschließlich in einer on-premise oder datenschutzkonformen Cloud-Version erfolgen.“

„KI kann vieles – aber sie verfügt nicht über die Fähigkeit zur rechtlichen Würdigung komplexer Sachverhalte oder zum Erkennen wirtschaftlicher Zusammenhänge.“
KLAUS GAEDKE
Präsident Kammer der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen
Fazit
„Unser Berufsstand wird nicht ersetzt, sondern ergänzt. KI kann einfache Anfragen beantworten oder Prozesse automatisieren – aber sie verfügt nicht über die Fähigkeit zur rechtlichen Würdigung komplexer Sachverhalte, zum Erkennen wirtschaftlicher Zusammenhänge oder zur persönlichen Beratung und Klientenvertretung gegenüber Behörden. Steuerberatung ist und bleibt ein People-Business, bei dem der Mensch im Zentrum steht – ergänzt durch moderne Technologie. Routinetätigkeiten werden weiter automatisiert, während die Beratungsfunktion, strategische Planung und menschliche Kommunikation an Bedeutung gewinnen. KI wird zur Effizienzsteigerung beitragen und das Berufsbild noch attraktiver machen – insbesondere für junge Talente, die eine digitale Arbeitsumgebung erwarten.“

KI im Notariat
„Dieser Veränderungsprozess hat längst Fahrt aufgenommen und ist auch nicht mehr aufzuhalten“, so Dieter Kinzer, Präsident der Notariatskammer für Steiermark. „KI in Notariaten ist bereits heute ein Werkzeug zur Effizienzsteigerung, aber keinesfalls ein Ersatz für Notarinnen und Notare.“ Die Zukunft sieht er als hybrides Modell: menschliche Expertise, ergänzt durch smarte Technologien. „Man kann und darf sich dem Thema nicht verschließen und sollte von Anfang an dabei sein. KI kann in Sekunden Millionen von Dokumenten durchsuchen und relevante Informationen extrahieren. Die Ergebnisse bzw. Informationen müssen aber – gerade im Rechtsbereich – immer von einem Menschen überprüft, bewertet und eingeordnet werden.“ In Notariaten würden bereits vielfach umfassende KI-Lösungen für rechtliche Recherchen verwendet, die präzise Textanalysen und rechtliche Antworten auf Basis hochwertiger Quellen bieten. „Dadurch beschleunigt man die rechtliche Recherche – vor allem bei der Suche nach gerichtlichen Entscheidungen und Fachliteratur. Das ersetzt natürlich nicht die profunde menschliche Prüfung, kann aber unglaublich viel Zeit ersparen“, so Kinzer, der seinen Berufsstand als moderner Rechtsdienstleister und „Brückenbauer“ zwischen der analogen und digitalen Welt sieht. „Nahezu alle notariellen Amtshandlungen können bei uns mittlerweile online durchgeführt werden. Dies ermöglicht es Klienten, Urkunden entweder händisch oder digital zu unterschreiben – je nach Präferenz und Situation. Wir bieten auch hybride Urkunden an und nutzen digitale Plattformen, um den Zugang zu notariellen Dienstleistungen zu erleichtern.“

„KI in Notariaten ist ein Werkzeug zur Effizienzsteigerung, aber kein Ersatz. Die hoheitlichen notariellen Tätigkeiten dürfen nur Notarinnen und Notare persönlich vornehmen.“
DIETER KINZER
Präsident Notariatskammer
für Steiermark
Fazit
„KI in Notariaten ist heute ein Werkzeug zur Effizienzsteigerung, aber keinesfalls ein Ersatz. Sie hilft, Zeit zu sparen, Fehler zu reduzieren und das Fachpersonal zu entlasten. Der Einsatz von KI im Rechtswesen bietet große Chancen – birgt aber auch konkrete Risiken, etwa fehlende Empathie, Rechtsunsicherheit sowie die Gefährdung von Datenschutz und Informationssicherheit. Darüber hinaus dürfen die hoheitlichen notariellen Tätigkeiten wie Beurkundung oder Beglaubigung nur von Notarinnen und Notaren persönlich vorgenommen werden. Die Haftung und Verantwortung verbleiben dadurch stets bei uns – und das ist im Sinne der Rechtssicherheit auch gut so.“
KI in der Apotheke
„Auch in der Pharmazie kann man Künstliche Intelligenz in vielen Bereichen nutzen“, erklärt Alexandra Fuchsbichler, Präsidentin der Apothekerkammer Steiermark. „Behandlungen können effizienter und effektiver durchgeführt werden, allerdings muss man hier alle Möglichkeiten gut abwägen und auch ethische Fragen überlegen.“ Für die Entwicklung neuer Medikamente etwa können Datenmengen schneller verarbeitet und für die personalisierte Medizin Behandlungspläne schneller und besser analysiert werden. „Diagnosen und die optimalen Behandlungen werden rascher und genauer erstellt und letztlich ist auch die Überwachung und Nachverfolgung von Reaktionen und Wirksamkeiten einfacher.“ Eine Reihe von KI-Tools werde künftig – zum Teil schon heute – in einer Apotheke zum Standard. „Die Frage nach Medikamenten und Dosierungen wird bald vermehrt über Chatbots und virtuelle Assistenten laufen. Interaktionsprüfungen und Dosierungs empfehlungen werden in verschiedenem Ausmaß bereits eingesetzt“, so Fuchsbichler. „Daten über Lagerbestände und Vorhersagen zum Bedarf an Medikamenten können Bestellprozesse optimieren und Engpässe verhindern. Und schließlich werden individuelle Medikationspläne und Telepharmazie in der virtuellen Beratung die Versorgung von immobilen Patienten verbessern“, so Fuchsbichler, die ihre Zunft dem Thema KI gegenüber sehr aufgeschlossen sieht. „KI wird bereits in einigen Apotheken eingesetzt. Noch im kleineren Rahmen, aber es wird mehr“, so die Standesvertreterin, die als größte Risiken Datenschutz, mangelnde Transparenz und Sicherheit sieht. „Daher braucht es klare Richtlinien und sorgfältige Planung. Es empfiehlt sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen menschlichem Urteilsvermögen und KI-gestützten Entscheidungen.“

„KI wird uns unterstützen, aber Chatbots können den Menschen nie ersetzen – es fehlt an Empathie und der persönlichen Ansprache.“
ALEXANDRA FUCHSBICHLER
Präsidentin Apothekerkammer Steiermark
Fazit
„Chatbots können Apothekerinnen und Apotheker nie ersetzen – es fehlt an Empathie und der persönlichen Ansprache. KI wird uns unterstützen. Unsere Rolle im Gesundheitssystem wird künftig noch stärker, weil wir durch unser flächendeckendes Netz direkt bei den Menschen sind und wir dank KI unsere Arbeit noch effizienter und besser machen können.“
KI im Ziviltechnikerbüro
„In unserem Alltag ist KI längst angekommen“, erklärt auch Gustav Spener, Präsident der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Steiermark und Kärnten. „In vielen Fällen wird sie direkt in bestehende Softwarelösungen integriert und unterstützt dort ganz konkret – etwa bei Prognosen von Energieverbräuchen oder der Planung von Wartungsintervallen. KI hilft bei der Identifikation typischer Fehler oder der automatisierten Auswertung von Drohnenaufnahmen im Bestand“, so Spener. „Generative KI wird in der frühen Entwurfsphase eingesetzt – zur Ideengenerierung, Variantenerstellung oder bei der Visualisierung von Bauprojekten.“ Speziell bei repetitiven, datenbasierten Aufgaben wie Mengenermittlungen oder Variantenvergleichen bringe KI spürbare Effizienzgewinne. „Auch im Projektmanagement und bei Ausschreibungen setzen sich intelligente Assistenzsysteme zunehmend durch.“ Was kann eine KI besser als der Mensch? „Wo große Datenmengen in kürzester Zeit analysiert werden müssen, ist uns KI überlegen. Ein Beispiel sind städtebauliche Simulationen oder Anwendungen, die Grundstücke analysieren“, so Spener. „Eine KI kann innerhalb von Sekunden hunderte Varianten durchrechnen – unter Berücksichtigung von Belichtung, Lärmbelastung, Erschließung und vielem mehr. Dabei generiert sie z. B. Planungsvarianten für frühe Machbarkeitsstudien.“ Auch generative KI bringe Vorteile – sie erstellt Texte, Bilder oder Entwurfsideen auf Basis weniger Informationen. „Das hilft enorm bei Basisaufgaben sowie Datenanalysen und beschleunigt viele Prozesse im Büroalltag.“
Eine Reihe von KI-Tools komme in Büros von Ziviltechnikern bereits zum Einsatz – etwa in der intelligenten Auswertung von Gebäudedaten bei digitalen Zwillingen. „Auf Basis von BIM-Modellen und Live-Daten aus Sensoren z. B. zu Temperatur, Belegung oder Luftqualität kann eine KI allgemeine Muster erkennen, Energieverluste identifizieren, die Auslastung von Gebäudeteilen analysieren oder Wartungsbedarfe vorhersagen. Anders als klassische Regelwerke lernt die KI dabei aus historischen Daten und passt ihre Vorhersagen laufend an – das ermöglicht vorausschauende Instandhaltung und eine effizientere und ressourcenschonendere Gebäudenutzung.“ Im frühen Stadium des Planungsprozesses ermögliche die Prüfung zahlreicher Varianten eine fundierte Entscheidungsgrundlage für den Menschen – und eröffne zugleich Spielräume für Kostenoptimierungen.
Wichtig sei, dass Ziviltechniker befähigt werden, KI gezielt und verantwortungsvoll einzusetzen. „Eine der wichtigsten Aufgaben besteht daher darin, den Umfang einer KI-Lösung klar zu definieren und für eine nachvollziehbare sowie transparente Datenbasis zu sorgen.“

„KI kann viele Prozesse beschleunigen – aber Chatbots schaffen keine lebenswerten Räume. Moral, Kreativität und Reflexionsfähigkeit lassen sich nicht automatisieren.“
GUSTAV SPENER
Präsident der Kammer
der ZiviltechnikerInnen für Steiermark und Kärnten
Fazit
„KI kann viele Prozesse beschleunigen – sie ersetzt jedoch weder gestalterisches Denken noch Verantwortung, Unabhängigkeit oder die Fähigkeit, gesellschaftliche, kulturelle und funktionale Anforderungen miteinander zu verbinden. Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker bringen unabhängiges Fachwissen, ethisches Bewusstsein und kreative Visionen ein – all das ist durch keine Maschine ersetzbar. Chatbots schaffen keine lebenswerten Räume. Moral, Kreativität und Reflexionsfähigkeit lassen sich nicht automatisieren. Wir sehen uns als technische Notare, die unabhängig von Einzelinteressen mit einem hohen Maß an gesellschaftlicher Verantwortung unseren Lebensraum und damit unsere Zukunft gestalten. Die Technologie soll auch in Zukunft dem Menschen dienen und nicht umgekehrt.“
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