Spirit of Styria

„KNALLHART, aber machbar“

Energieexperte Karl Rose, langjähriger Direktor im Weltenergierat, hält Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts trotz Scheitern der Pariser Klimaziele für möglich, plädiert für Realismus und Technologieoffenheit statt politischem Wunschdenken und Ideologie und sieht die Steiermark in der Transformation auf einem guten Weg.

Das Ziel der EU lautet Klimaneutralität bis 2050. Ist es machbar?
ROSE: Klimaneutralität in Europa bis 2050 ist sicher im Bereich des Möglichen, ein paar Jahre auf oder ab – das ist bei so komplexen Prozessen kaum vorhersagbar. Aber ein Spaziergang wird es nicht, vor allem, wenn man sich die näher gelegenen Ziele ansieht. Eine Reduktion von 90 % der Emissionen bis 2040 halte ich für sehr ambitioniert und wird sich schwer ausgehen. Das gilt umso mehr für den globalen Maßstab. Weltweit ist Indien, künftig mit Abstand das bevölkerungsreichste Land der Erde, der große Unsicherheitsfaktor. Daher sollten wir realistisch sein und uns endlich eingestehen, dass das Pariser Klimaziel von 1,5 Grad nicht mehr zu erreichen ist. Auch das 2-Grad-Ziel schaffen wir wahrscheinlich nicht mehr.

Welches Klimaziel halten Sie für realistisch?
ROSE: Derzeit sind wir auf dem Weg in Richtung 2,7 Grad. Wenn wir uns anstrengen, schaffen wir aber noch 2,2 oder 2,3 Grad. Jedes Zehntel Grad zählt, das stimmt natürlich. Das 1,5-Grad-Ziel war ein normatives Ziel der Politik, eine Wunschvorstellung. Dafür hätten wir schon mindestens 15 Jahre früher beginnen müssen. Das Pariser Klimaziel zu verfehlen, heißt aber nicht, dass wir alle untergehen werden – das ist Unsinn und Panikmache. Es heißt auch nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen sollen – im Gegenteil! Wir müssen uns weiter sehr anstrengen.

Wie kann der Ausstieg aus Öl gelingen?
ROSE: Ein kompletter Ausstieg aus fossilen Energiequellen ist kurzfristig unrealistisch, wir werden Öl und Gas für nicht-energetische Nutzungen noch lange brauchen. Rund 20 Prozent des Öls wird als Rohstoff in unterschiedlichen Industrien verwendet, etwa in der Pharmaindustrie oder bei unzähligen Alltagsprodukten, ob Lippenstift, Duschgel, Bekleidung oder Fensterrahmen. Bei der energetischen Nutzung sollte der Ausstieg bis Mitte des Jahrhunderts machbar sein. Aber die Transformation wird auch hohe Kosten verursachen.

Karl Rose
Nach Abschluss des Studiums der Erdölwissenschaften an der Montanuniversität Leoben führende Positionen bei Royal Dutch Shell, langjähriger Direktor im Weltenergierat in London, danach Chefstratege der Abu Dhabi National Oil Company ADNOC sowie Mitglied des Aufsichtsrats der OMV.
Aktuell Aufsichtsratsvorsitzender der Energie Steiermark und Universitätsprofessor am Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship der Uni Graz

Mit welchen Kosten rechnen Sie?
ROSE: Billige fossile Energie wird es nicht mehr geben. Meine Schätzung ist, dass im Übergang die Energiepreise 20 Prozent höher sein werden. Aber wir werden das überleben und es wir nicht ruinös. Das Problem ist ja nicht der Status im Jahr 2050, denn eine dekarbonisierte Wirtschaft, die auf erneuerbarer Energie beruht, wird auch wirtschaftlich von Vorteil sein. Aber das Problem ist die Übergangsphase: Wir müssen, um den Übergang zu schaffen, jetzt noch Investitionen in fossile Infrastruktur leisten, die aber keine 30-jährige Laufzeit mehr haben, sondern nur fünf oder zehn Jahre – also viel zu kurz, um die Investitionen zurückzuverdienen. Wer wird das alles finanzieren? Allein in Deutschland müssen jetzt 20 Gaskraftwerke gebaut werden. Wir brauchen diese, um die Schwankungen der erneuerbaren Energie auszubalancieren. Das heißt, es wird sehr teuer, da darf man sich keine Illusionen machen.

Wünschen Sie sich hier mehr Ehrlichkeit von der Politik?
ROSE: In Energiefragen herrscht in der Politik – wie auch in der Gesellschaft – leider ein weit verbreiteter Mangel an Fachwissen. Dazu gibt es die Tendenz der Politik, den Wählern immer viel zu versprechen. Konkret haben wir es beim Thema Energie mit einem Trilemma aus Preis, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit zu tun. Wenn man sich für einen Punkt in diesem Dreieck entscheidet, kann man nur zwei Dimensionen abdecken und entfernt sich automatisch von der dritten. Das heißt, wenn ich mich etwa für eine nachhaltige und sichere Energieversorgung entscheide, dann werde ich vom Eckpunkt Preis ziemlich weit weg sein. Und wenn ich eine sichere und billige Energieversorgung haben will, dann bin ich weit weg von Nachhaltigkeit – denn dann bin ich bei der Kohle. Alle drei Punkte sind in der Übergangsphase nicht erfüllbar.

„Was wir dringend brauchen, sind Fortschritte in der Energiespeicherung. Dafür sind weitere Investitionen in die Forschung nötig.“

KARL ROSE
ENERGIEEXPERTE

Der globale Energieverbrauch hängt noch zu rund 80 % am fossilen Tropf. Auf welchem Pfad befindet sich Österreich?
ROSE: In Österreich ist dieser Wert deutlich geringer, vor allem im Strombereich liegen wir bereits bei rund 75% erneuerbare Energie. Aber selbst wir haben noch ein Delta von 27 Terawattstunden zu schließen und damit noch viel Arbeit vor uns. Beispielsweise müssen wir die Photovoltaik im Land verelffachen – das sind enorme Mengen. Ganz abgesehen von den Bereichen Wärme, Industrie und Transport, wo wir noch stark von Fossilen abhängig sind. So müssen wir unsere Biogas-Produktion bis 2040 verfünzigfachen – das ist schnell einmal als Ziel in einem Gesetz formuliert, aber was das an Herausforderungen bei Bau und Betrieb solcher Anlagen in der Praxis bedeutet, wird zu wenig diskutiert. Eine Autarkie, von der viele träumen, wird nicht möglich sein – wir werden als hoch entwickeltes Industrieland auch weiterhin auf Energieimporte angewiesen sein, in Zukunft dann eben von Wasserstoff oder Wasserstoff-Derivaten wie Ammoniak und Methanol. Die werden dann übrigens aus Ländern des Südens wie Saudi-Arabien oder den Emiraten kommen, die gerade enorm in die Wasserstoffproduktion investieren.

Was braucht es zudem noch, um die Energiewende zu schaffen?
ROSE: Was wir dringend brauchen, sind Fortschritte in der Energiespeicherung. Dafür sind weitere Investitionen in die Forschung nötig. Wenn wir es schaffen, Energie in großem Stil zu speichern, dann wäre das ein Gamechanger für die Transformation. Und – zum vorhin genannten Punkt – die Transformation muss systemisch gemanagt werden. Der Markt allein wird es nicht richten, aufgrund vieler notwendiger Investitionen, die sich in der Übergangsphase nicht rechnen. Darauf wird derzeit zu wenig geachtet! Ein großes Manko sehe ich leider in der Struktur der Europäischen Union, die Entscheidungsprozesse lähmt. Dadurch verliert Europa gegenüber Amerika und China geostrategisch sowie wirtschafts- und standortpolitisch. Es bräuchte dringend eine Reform der EU-Entscheidungsfindung.

Industrie, Wärme oder Verkehr: Wo sehen Sie die größte Herausforderung beim Umstieg?
ROSE: Industrie und Wärme werden wir schaffen, aber Transport und Mobilität sind die Knackpunkte. Österreich bzw. die Steiermark sind dermaßen zersiedelt – das werden wir mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs alleine nicht lösen. Die Elektromobilität leistet zwar einen großen Beitrag, wird aber nicht das Allheilmittel sein. In Summe halte ich es für einen Fehler, nicht technologieoffen zu sein, siehe das Verbrennerverbot – aber ich denke, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Und mit Blick auf die weitere Zukunft: Eine Riesenherausforderung werden künftig die Bereiche Bodennutzung und Lebensmittelversorgung sein, wo auch dringend Maßnahmen nötig sind. Die Bauernproteste von heute sind erst ein lauer Vorgeschmack auf das, was uns künftig erwartet, wenn wir dieses Kapitel angehen.

Wie sehen Sie die Steiermark auf dem Weg der Transformation?
ROSE: Österreich hat im europäischen Vergleich sicher gute Karten und innerhalb Österreichs sehe ich die Steiermark gut aufgestellt. Es gibt eine klare Energiepolitik des Landes und eine klare Strategie der Energie Steiermark zur Dekarbonisierung bis 2040. Es werden Milliarden Euro in den Umbau der Energiesysteme investiert und wir haben viele spannende und innovative Projekte in der Pipeline – von Windkraft bis zur Geothermie. Zudem ist die Steiermark eine Großmacht im Bereich Green-Tech mit hochinnovativen Unternehmen, tollen Universitäten und Forschungseinrichtungen.

Soll das Thema Kernkraft weiterhin tabu bleiben?
ROSE: Europa ist in der Frage total gespalten. Deutschland hat hier mit seinem politisch motivierten Ausstieg meiner Meinung nach einen großen Fehler gemacht – die deutschen Kernkraftwerke zählten zu den sichersten der Welt. Man muss aber die Kirche im Dorf lassen: Nuklearkraft allein wird uns nicht retten, der weltweite Anteil an der Energieerzeugung liegt um die zehn Prozent. Nuklearkraft ist teuer und wir haben fast keine studierten Fachkräfte auf diesem Gebiet. Dennoch bin ich gegen Denkverbote. Denn neben der traditionellen Nuklearkraft gibt es auch viel Forschung rund um die Entwicklung einer neuen Generation von Thorium-Reaktoren, also wesentlich ungefährlicheren Mini-Reaktoren – das könnte eine Zukunftsoption sein. Mich stört generell, wenn politische Entscheidungen ideologiegetrieben und nicht sachlich begründet gefällt werden. Ähnlich auch beim Thema Carbon Capturing – wir werden diese Technologie brauchen, daher sollte man sie nicht verbieten. Das halte ich für ganz entscheidend, wenn wir die Wende schaffen wollen: Technologieoffenheit in der Zielerreichung statt Verbote und Ideologie!

Ihr Resümee: Die Energiewende ist knallhart, aber schaffbar?
ROSE: Wir werden die Pariser Ziele nicht schaffen, aber wir werden nicht untergehen. Die Transformation wird teuer, aber nicht ruinös! Wir haben in den 70er Jahren prozentuell am Haushaltseinkommen schon weit mehr für Energie ausgegeben als heute. Unsere Gesellschaft ist in dieser Hinsicht halt sehr verwöhnt – eine Vollkasko-Mentalität, von der wir uns wohl verabschieden müssen.

FOTOS: CHRISTIAN JUNGWIRTH

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