Christian Möstl und sein Team vom Austrian Space Weather Office mit Sitz in Graz-Reininghaus forschen auf dem Gebiet der Heliophysik und arbeiten an Modellen für eine Weltraumwettervorhersage in Echtzeit. Ziel: Rechtzeitig vor Sonnenstürmen zu warnen, die unsere Technologieinfrastruktur weltweit blitzartig schachmatt setzen können. Die Forschung steht nun vor einem Entwicklungssprung.
Satelliten, Stromversorgung, Flugverkehr – tragende Pfeiler des technologisierten Lebens, wie wir es kennen: Nichts geht mehr ohne sie. Dass (irdische) Unwetter mitunter Stromnetze ganzer Provinzen lahmlegen ebenso wie Vulkanausbrüche den Flugbetrieb eines halben Kontinentes, ist erwiesen. Weniger Beachtung findet bislang der Weltraumwetterbericht. Dabei können Sonnenstürme unser Erdmagnetfeld empfindlich stören – mit potenziellen Folgen bis hin zum monatelangen Blackout. Sonnenstürme entstehen aus heftigen Sonneneruptionen (CMEs) und sausen mit 400 bis 800 Kilometer pro Sekunde durchs Weltall. Bis 2025, wenn der elfjährige Sonnenzyklus seinen Höhepunkt erreicht, werden mehr dieser magnetischen Teilchenmassen die Erde erreichen, vermutet die Wissenschaft.
MAGNETFELD ALS SCHLÜSSEL
Wissenschafter von den USA über Europa bis nach Südafrika arbeiten deshalb intensiv daran, die geomagnetischen Phänomene möglichst früh und exakt vorhersagen zu können. Eines der weltweit führenden Forschungsteams sitzt in „Österreichs Weltraumhauptstadt“, nämlich Graz. „Ob ein Sonnensturm die Erde beeinträchtigt, hängt stark von seiner magnetischen Struktur ab. Vereinfacht erklärt, haben Sonnenstürme eingebaute Schalter, die entweder auf „on“ oder auf „off“ stehen. Das gibt den Ausschlag, ob und wie sich das Event auf der Erde auswirkt“, erklärt Christian Möstl. Er leitet das Austrian Space Weather Office der GeoSphere Austria in Graz-Reininghaus seit dessen Gründung im September 2022. „Es wird noch etwas dauern, bis wir sagen können: ‚Der geomagnetische Sturm geht jetzt auf der Sonne los, er wird in genau drei Tagen X Stunden lang genau dort auftreffen und diese Schäden verursachen.‘ Was aber möglich sein sollte: Beim Auftreffen des Events auf der Erde einzugrenzen, was in den kommenden 12 oder 24 Stunden passiert.“ Die derzeit besten Vorhersagen erreichen einen Zeitvorsprung von rund 30 Minuten – für die meisten Anwender wie Satelliten- oder Stromnetzbetreiber deutlich zu wenig, um zu reagieren.
Austrian Space Weather Office Mit 1. Jänner 2023 fusionierte die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) mit der Geologischen Bundesanstalt (GBA) zur Geosphere Austria, Österreichs Bundesanstalt für Geologie, Geophysik, Meteorologie und Klimatologie. Das dort angesiedelte Austrian Space Weather Office erforscht Grundlagen der Heliophysik und entwickelt Anwendungen zur Weltraumwettervorhersage in Echtzeit, Stichwort Sonnenstürme. Leiter ist der Grazer Astrophsiker Christian Möstl.
HOCHSAISON FÜR SONNENFORSCHER
Das Forschungsgebiet existiert seit 20 bis 30 Jahren und hat aktuell quasi Hochsaison: „Wir profitieren von den fantastischen neuen Sonnensonden im All wie der Solar Orbiter und der Parker Solar Probe. Sie liefern Unmengen an wertvollen Daten und ermöglichen der Wissenschaft den Sprung aufs next level“, erklärt Möstl. (Anmerkung: Solar Orbiter wurde von der ESA am 10. Februar 2020 gelauncht. Die NASAMission Parker Solar Probe ist seit 12. August 2018 im All unterwegs und erreicht an 24. Dezember 2024 ihren sonnennächsten Punkt, nur knapp sechs Millionen Kilometer vom Fixstern entfernt.)
Das Timing könnte nicht besser sein: „Der Zusammenschluss von ZAMG und GBA zur Austrian Geo-Sphere und Gründung des Autrian Space Weather Office kam für uns zeitlich ideal.“ Das Büro vereint Grundlagenforschung im Bereich Sonnenwinde mit konkreter Anwendungsentwicklung für verbesserte Sturmvorhersagen – eine seltene Doppel-Positionierung. Ebenfalls rar: Von den zehn Teammitgliedern sind mehr als zwei Drittel Frauen; im Durchschnittsalter ist man/frau nur 33 Jahre alt. Als Finanzgeber agieren derzeit der österreichische Forschungsförderungsfonds FWF sowie der Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats, eine millionenhoch dotierte Risikoforschungsförderung. Die nächsten fünf Jahre sollen die internationale Konkurrenz auf die Plätze verweisen: „In unserer Branche läuft derzeit so etwas wie ein globales Wettrennen, wer als Erster seriöse Echtzeitvoraussagen tätigen kann. Wir haben uns etwas Herausragendes vorgenommen – mit sehr guten Chancen.“
Aufgrund des enormen Zuwachses an verwertbaren Daten steht die
CHRISTIAN MÖSTL, LEITER AUSTRIAN SPACE WEATHER OFFICE
Weltraumwetterforschung vor dem Sprung aufs nächste Level.
WIR NEHMEN DIE ABKÜRZUNG
Viele außerösterreichische Wissenschaftsgruppen im Universitätsumfeld erarbeiten das Thema umfassend und integrieren viele Messgrößen in ihre Simulation – auch, um viel publizieren zu können. Die Methode reduziert zwar Prognose-Unsicherheiten, dauert aber bis zu zehn Tagen – viel zu lang im Hinblick auf die angestrebte Echtzeitsimulation. Deshalb haben sich die Grazer für einen radikal anderen, direkten Weg entschieden: „Wir konzentrieren uns ausschließlich auf jene physikalischen Daten, die wir für die Vorhersage wirklich brauchen. Dabei fokussieren wir einen Schlüsselaspekt, der die Vorhersagequalität wesentlich beeinflusst. Dadurch sind wir viel schneller als andere Gruppen.“ Eine Basisanwendung hat das Team bereits erarbeitet; sie kam zum Einsatz, als im diesjährigen März bzw. April der bislang stärkste Sonnensturm seit dem Jahr 2015 über die Erde fegte. Der Raumsonde Solar Orbiter war es davor erstmals gelungen, einen Sonnensturm zu vermessen und die Daten zur Erde zu schicken – einen Tag bevor das Ereignis hier ankam. Christian Möstl twitterte die Prognosen seines Themas und erbrachte so „live“ und in Echtzeit den Beweis über die eigene Leistung.
Während das Frühjahrs-Event in Österreich nur vereinzelte Polarlicht-Sichtungen brachte, zeigten Groß-Events in der Vergangenheit die potenzielle Macht der Magnetstürme. 1989 verursachte ein Sonnensturm in Kanadas Provinz Quebec bei heftigen Minusgraden ein neunstündiges Blackout für sechs Millionen Menschen. Die Folge: ein Chaos, weil Verkehrsleitsysteme, Flughäfen und die Fernwärmeversorgung ausfielen. Heute, über 30 Jahre explodierende Technologieabhängigkeit später, wäre der Impact freilich ungleich heftiger: Kaum vorstellbar ein Szenario, in dem etwa Schäden an Transformatoren unserem Stromnetz über Monate den Stecker zieht.
Christian Möstl, Physikstudium an der Uni Graz 2009 Dissertation über Sonnensturm-Magnetfelder an der Universität Graz in Astrophysik inkl. Forschungsaufenthalte an der University of New Hampshire, USA 2011 Josef Krainer Förderungspreis 2011-2012 Marie Curie Stipendium University of California Berkeley, Forschungsaufenthalte am Jet Propulsion Laboratory der NASA zu Modellierung von Sonnenstürmen 2016 Arne Richter Preis der Europäischen Geowissenschaftlichen Union für die gesamten Arbeiten zum Weltraumwetter 2022 ERC Consolidator Grant für neue Ansätze zur Sonnensturmvorhersage sowie Gründung des Austrian Space Weather Office für Grundlagenforschung in der Heliophysik bis zur angewandten Weltraumwettervorhersage diverse Projektentwicklungen (FWF, EU), 110 wissenschaftliche Publikationen, über 4.000 Zitierungen und mehr als 3.000 Follower auf Twitter
AUSBLICK: DIE ESA-SONDE VIGIL
Die in Planung befindliche ESA-Raumsonde Vigil bildet indes ein Highlight am Forschungshorizont. Sie startet 2029, um sich an der Spitze eines gleichschenkeligen Dreiecks im 60-Grad-Winkel zwischen Sonne und Erde zu positionieren. Möstl ist begeistert: „Das ist eine echte Traumsonde – sie setzt ein Konzept um, von dem die Community weltweit schon sehr lange spricht.“ Die Sonde soll bis zu zehn Jahre lang „von der Seite“ auf Sonnenwinde und -stürme schauen und diese aus nie dagewesenen Blickwinkeln erfassen. „Der Clou: Wir haben dieses Forschungsgebiet im Zuge der STEREO-Mission 2006 gemeinsam mit Kollegen aus den USA und UK mitaufgebaut. Unsere Expertise ist quasi mit an Bord. Die zu erwartenden Daten werden die Modelle erneut stark verbessern.“
Executive summary: ein hochrelevantes all-umfassendes Wissenschaftsgebiet, das Grazer Forscher im Spitzenfeld mitentwickeln.
Foto: Oliver Wolf