Spirit of Styria

Vom klimafitten Wald ZUR ZUKUNFTSFITTEN HOLZWIRTSCHAFT?

Der Wald – wichtigster Klimaschützer und gleichzeitig Hauptbetroffener des Klimawandels. Wie bedroht sind die steirischen Wälder durch die Erderwärmung? Mit welchen Maßnahmen und wissenschaftlichen Methoden kann die Klimafittness des Waldes gestärkt und damit die Verfügbarkeit des Baustoffs Holz für die Wertschöpfungskette gesichert werden? Fragen, die „SPIRIT of Styria“ mit einer hochkarätigen ExpertInnenrunde diskutierte – am idealen Ort, im Wald.
Angeregte Diskussion im Grazer Leechwald (Waldschule Graz) über „Klimafitte Wälder“
mit SPIRIT-Herausgeber Siegmund Birnstingl (l.) und CR Wolfgang Schober (M).
TALK AM RING 
ist ein Diskussionsformat
von SPIRIT of Styria. Jeden Monat laden
wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion am Grazer Opernring. 

Wir sitzen hier im idyllischen Leechwald in Graz. Wie wird dieser Wald in 50 Jahren aussehen?
HOHENWARTER: Ich bin sicher, dass es hier anders aussehen wird, auch wenn dieser Wald gute Voraussetzungen hat – durch seine gute Durchmischung von Baumarten und der Altersstruktur. Das Hauptproblem ist, dass die Sommer in der Steiermark schon heute um drei Grad wärmer sind als vor 30, 40 Jahren, aber nicht niederschlagsreicher. Pro Grad Temperaturanstieg verdunstet um 7 % mehr Feuchtigkeit. Wir werden in Zukunft eine weitere Erwärmung erleben, damit wird der Trockenstress für die Wälder zunehmen und wir werden gerade in den weniger bewirtschafteten Wäldern eine natürliche Auslese erleben. Die Bäume kommen schon jetzt oft geschwächt aus dem Winter, oft noch verstärkt durch Spätfrostereignisse – es gibt eine Vielzahl an meteorologisch-klimatalogischen Entwicklungen, die dem Wald zunehmend zusetzen, besonders in tieferen Regionen.

SCHMIEDTBAUER: Ich bin selbst praktizierende Forstwirtin und kann Ihnen sagen, dass der Wald sicher anders aussehen wird. Wir haben bereits in den vergangenen Jahren gesehen, dass sich unsere Wälder verändern – ja, verändern müssen. Deshalb ist nachhaltige Waldbewirtschaftung so wichtig, weil wir damit laufend eine standort- und klimaangepasste Weiterentwicklung der Wälder sichern.

LANGMAIER: Dieser Wald, der Leechwald, hat ja neben seiner Nutzfunktion auch eine wichtige Erholungsfunktion für die Grazerinnen und Grazer. Dadurch hat man schon frühzeitig viel experimentiert und dabei auf verschiedene Baumarten gesetzt. Daher hat dieser Wald in 50 Jahren meines Erachtens gute Chancen. Unterschiedliche Baumarten, auch verschiedene Herkünfte – das sind wissenschaftlich betrachtet günstige Faktoren. Daher kann man von diesem Wald sicher auch lernen.

TIPPELREITHER: Eine gute Durchmischung mit viel Laubhölzern kann mit Trockenheitsstress besser umgehen. Aber der typische Wald in der Steiermark sieht natürlich anders aus als der Leechwald. Dominierend in weiten Teilen des Landes ist der Wirtschaftswald mit entsprechender Holznutzung. Dort haben wir ganz andere Voraussetzungen. Dabei spielt die Funktion des Nutzwaldes gerade für den Waldbesitzer eine wichtige Rolle. Der Wald sichert Einkommen, Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Darüber hinaus ermöglicht das gewonnene Holz die Bindung von CO2 in Gebäuden und Möbeln sowie weiteren Anwendungen aus Holz.

DIE TEILNEHMERINNEN

Elena Haeler
Projektmitarbeiterin
ForForestInnovation,
Bundesforschungszentrum für Wald (BFW)

Gerhard Hohenwarter
Meteorologe und Waldbesitzer,
GeoSphere Austria

Magdalena Langmaier
Projektleiterin ForForestInnovation,
Bundesforschungszentrum
für Wald (BFW)

Bernd Poinsitt
Geschäftsführer Waldverband
Steiermark und Waldbesitzer

Simone Schmiedtbauer
Abgeordnete zum Europäischen Parlament, Land- und Forstwirtin
(Teilnahme via Video-Call)

Christian Tippelreither
Geschäftsführer Holzcluster
Steiermark

HAELER:
Klar, es gibt ganz andere Wälder als diesen. Dort, wo wir reine Fichtenbestände haben, sieht die Zukunft ein bisschen düsterer aus. Genau diesen Blick in die Zukunft wollen wir in unserem Projekt ForForestInnovation, finanziert vom Waldfonds der Republik Österreich, ermöglichen. Wie wird ein bestimmter Wald in 20, 40 oder sogar 80 Jahren ausschauen? Dies wollen wir anhand von 3D-Visualisierungen konkret aufzeigen – klar und anschaulich. Wie wird das Waldbild ausschauen, wenn man bestimmte Maßnahmen setzt – beispielsweise mit Laubbäumen verjüngt – oder eben nicht setzt? Die Visualisierungen basieren dabei auf wissenschaftlichen Daten der Österreichischen Waldinventur ÖWI und der dynamischen Waldtypisierung der Steiermark (FORSITE).

POINSITT: Eine Durchmischung erhöht die Resilienz, ganz klar. Aber es gibt natürlich Gründe, warum in vielen Wäldern heute die Fichte dominiert. Sie wurde in der Vergangenheit forciert, weil sie viele Vorteile bietet – auch in der Pflege bzw. beim Schutz vor Wildverbiss. Eine Fichte kann bis zu 95 % industriell verarbeitet werden – weit mehr als ein Laubbaum. Daher würde ich den Nadelholzanteil auch in Zukunft bei 60 oder 70 Prozent sehen. Aber für die Vitalität eines Waldes ist die gute Durchmischung entscheidend, auch die Altersstruktur, die zweischichtig sein sollte – also neben älteren, höheren Bäumen braucht es eine Schicht jüngere Bäume. Das begünstigt den Lichteinfall, der für die Humusbildung des Bodens essenziell ist. Eine geschlossene Kronenschicht, die kaum Licht durchlässt, verhindert den Humusaufbau.

SCHMIEDTBAUER: Wir Land- und Forstwirte sind nicht nur die Ersten, die die Folgen des Klimawandels spüren, wir sind auch die wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen diese Entwicklung. Wir sind es gewohnt, in Generationen zu denken, denn wir wollen später einmal gesunde Wälder und eine intakte Natur an die nächste Generation weiterreichen. Daher braucht es ein Umdenken im Umgang mit Ressourcen. Ein Kernelement des Wandels hin zu einem nachhaltigeren Europa ist der nachwachsende Rohstoff Holz. Mit ihm können wir nicht nur fossile Rohstoffe wie Beton oder Plastik substituieren, sondern auch CO2 speichern. Mit einem Kubikmeter Holz kann man eine Tonne CO2 binden! Wir in Österreich haben die nachhaltige Waldbewirtschaftung über Generationen hinweg perfektioniert und sind anderen Ländern Vorbild darin, die vielfältigen Anwendungen von Holz zu nutzen.

Zu welchen Baumarten raten Sie Waldbesitzern?
POINSITT: Eine Baumart der Zukunft ist für mich die Birke. Sie ist relativ schnellwachsend, ökologisch wertvoll für den Boden, gut sägefähig, kommt mit Trockenheit zurande und wird auch vom Wild nicht so stark verbissen. Und sie lässt sich vielfältig nutzen, ob als Zellstoff, Säge- oder Brennholz. In einem waldbaulichen Prozess würde ich die Birke künftig nicht vernachlässigen. Wer eine Waldverjüngung plant, sollte 10 bis 15 % Birke mitbedenken.

TIPPELREITHER: Tatsächlich hat die Birke eine kurze Umtriebszeit. Und sie ist der Fichte in der technologischen Verarbeitbarkeit sehr ähnlich, kann also mit der klassischen Sägetechnologie eingeschnitten werden und lässt sich gut trocknen und zu Brettsperrholz oder Brettschichtholz verkleben. Es gibt auch Lösungen, bei denen Birke und Fichte in einem Hybridaufbau kombiniert werden. Aber es geht noch mehr. Wir können damit künftig unterschiedliche Materialien substituieren, nicht nur Baustoffe, sondern auch Glasfaser, Karbon oder Aluminium. Holz ist der optimale Werkstoff für Leichtbaulösungen. Es gibt bereits Start-ups, die Rotorblätter von Windrädern aus Holz entwickeln, auch wir forschen seit Jahren an Automotive-Komponenten aus Holz. Damit haben wir auch ökologisch einen irrsinnigen Hebel in der Hand. Daher liegt uns der Austausch zwischen Forstwirtschaft und Holzindustrie so am Herzen. Wir müssen die Wälder fit machen für die Zukunft, um Wertschöpfung und Arbeitsplätze zu sichern. Mit dem Holz wollen wir einen zweiten Wald in der Stadt schaffen.

Wie standortabhängig ist die Wahl der Baumarten?
POINSITT: Im Wesentlichen ergibt sich die Baumart durch den Standort und die Höhenlage. Aber auch durch die Ausgangslage. Denn man kann ja das, was vorhanden ist, nicht von heute auf morgen umdrehen. Wenn wir vor allem die Fichte in den Beständen um 10 bis 20 % zugunsten von Laubbäumen verringern, wäre schon viel gewonnen. Laubholz ist gut für den Humus- und Bodenaufbau. Je mehr Humus, desto besser die Wasserspeicherfähigkeit – gerade in Zeiten von Trockenstress. In Nadelholzbeständen zählt jeder Laubbaum, egal welcher.

HOHENWARTER: Laubbäume schützen auch vor der Ausbreitung des Borkenkäfers. Denn ein Problem des Klimawandels ist, dass der Borkenkäfer auch in höhere Lagen vordringt. In gewissen Höhen hat er sich bislang nur einmal pro Jahr vermehrt. Doch jetzt, da es bereits wärmer wurde, steigt diese Grenze, wo er eine zweite Brut hat. Oft sieht man auch schon eine dritte Generation. Die Population explodiert dann regelecht – ein exponentielles Wachstum. Die Höhenstufe, bis in welche es eine zweite Borkenkäfergeneration gibt, ist in den letzten Jahrzehnten deutlich angestiegen. Auch kommt der Käfer in immer größere Höhen. Jetzt sieht man Käfer-Schadholz schon auf über 1.800 Metern. Auch sonst zeigen sich die Folgen des Klimawandels in unterschiedlichen Regionen Österreich bereits dramatisch, etwa im Wein- und Waldviertel. Was wir allgemein sehen: Biodiversität schützt den Wald und humusreiche Böden können mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir längere Trockenphasen haben, steigt. Fichtenwälder mit humusarmen Böden, wo kein Licht durchkommt, sind besonders gefährdet. Dort wächst kaum etwas aus dem Boden – das sind meist Biodiversitätswüsten.

Wie kann die Wissenschaft helfen?
HAELER: Es gibt bereits ein gutes Instrument, die Dynamische Waldtypisierung, das Empfehlungen für die optimale Baumartenwahl der Zukunft erlaubt. Baumarteneignungskarten zeigen Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern, wie geeignet eine Baumart an einem Standort in der Steiermark ist. Auf diesen Daten baut unser Projekt ForForestInnovation auf. Dazu nutzen wir noch die Daten der ÖWI. Steiermarkweit wird dafür der Wald an über 2.000 Punkten vermessen. Wir haben beide Datenquellen verknüpft und verwenden diese in Waldwachstumsmodellen, um die zukünftige Waldentwicklung in der Steiermark zu simulieren. Damit können wir je nach Klimaszenario und abhängig von den Maß-nahmen, die ein Waldbauer setzt, vorausberechnen, wie ein Wald in Zukunft an einem bestimmten Standort aussehen wird und was dies für die Ökosystemleistungen des Waldes bedeutet – also für die Holzernte, CO2-Speicherung oder Biodiversität. Der Clou: Wir können diese Waldbilder mittels Web-App visualisieren. Zusätzlich erhält man Informationen darüber, was es wirtschaftlich bedeutet, wenn man eine gewisse Holzmenge einer bestimmten Baumart erwartet. Für Waldbesitzende ist dieses Tool ungemein hilfreich, da sie mit Hilfe dieser Visualisierungen und Informationen ihre Entscheidungen treffen können.

LANGMAIER: Eine Besonderheit in der Forstwirtschaft sind ja die langen Zeiträume. Ein Wald wächst sehr, sehr langsam – die Bäume sind oft 100 oder 150 Jahre alt, im Bergwald auch 300 Jahre. Im Gegensatz zur Landwirtschaft, wo ich teils mehrmals pro Jahr ernten kann, wächst ein Baum je nach Baumart zumindest 50, 60 Jahre. Alles, was unsere Vorfahren einst gemacht haben, haben sie aus bestem Gewissen gemacht und mit Blick auf die nächste Generation. Das gilt auch für die aktuellen Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer – auch sie müssen viele Jahre nach vorne schauen.

HOHENWARTER: Diese langen Zeiträume sind auch das Hauptproblem beim Umgang mit dem Klimawandel. Denn der Mensch ist ein Wesen, das besser kurzfristige als langfristige Entwicklungen abschätzen kann. Daher ist der Wald ja das perfekte Gegenbeispiel für den Menschen, wo es uns zumindest teilweise gelingt, über Generationen zu denken. Denn wenn ich heute einen Baum pflanze, dann weiß ich, dass ihn meine Tochter oder mein Sohn erst in 60 Jahren ernten kann. Der Erwärmungstrend für die nächsten Jahrzehnte ist durch die hohen Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre bereits vorgegeben. Derzeit tun wir alles auf dem Planeten, um ihn weiter zu verschärfen. Aber die Auswirkung von heute spüren wir erst in 20 oder 25 Jahren. Und genau das ist außerhalb des Vorstellungsvermögens der Menschen.

POINSITT: Im Wesentlichen sollten sich Waldbesitzer drei Fragen stellen: Woher kommt der Wald? Wohin geht er? Wohin will ich ihn haben? Spannend wird es meist, wenn Kalamitäten eintreten – ob Windwurf oder Käferholzanfall. Dann steht man vor akuten Entscheidungen. Für klassische Waldbesitzer braucht es Beratungswerkzeuge wie die Dynamische Waldtypisierung oder künftig jene von ForForestInnovation – auch die persönliche Beratung vor Ort ist ganz entscheidend. Das gemeinsame Besprechen von Maßnahmen im Wald, anhand anschaulicher Karten oder digitaler Tools, ist aus unserer Erfahrung das effektivste. Das Problem ist nur, dass notwendige Pflegeeingriffe fünf oder zehn Jahre später oft nicht mehr gemacht werden. Diese Pflege wäre aber absolut notwendig. Dabei haben wir schon mit der „einfachen“ Baumart Fichte Durchforstungs- und Pflegerückstände, weil in vielen Regionen Menschen nur mehr im Nebenerwerb tätig sind oder die Waldflächen überhaupt hoffern sind.

LANGMAIER: Das Problem ist sicher, dass die Zahl der aktiven Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer abnimmt und es immer mehr hofferne Eigentümer gibt. Diese haben den Wald oft geerbt, manchmal wissen sie gar nicht genau, wo er überhaupt liegt. Die können sich vieles gar nicht vorstellen – am wenigsten die Zukunft. Daher muss man das einfach bildlich vermitteln. Was heißt es etwa konkret, wenn einem 100%-igen Fichtenwald Lärche und Zirbe beigemischt werden oder in tieferen Lagen auch verschiedene Laubbaumarten? Um das zu erkennen, braucht es die visuelle Unterstützung. Damit schaffen wir eine Motivation für den Waldumbau und die aktive Waldbewirtschaftung. Uns geht es darum, neue Wege zu gehen – mit Social Media und unserer 3D-Visualisierung, damit wir alle Betroffenen erreichen. Daher bin ich als Forscherin am Bundesforschungszentrum für Wald sehr froh, dass es Initiativen wie den Waldfonds gibt. Es ist für Österreich essenziell, dass in diesem Bereich geforscht wird und Maßnahmen für die Zukunft des Waldes gesetzt werden.

HAELER: Das Schöne: Mit unserem Tool können wir die Leute dort abholen, wo sie stehen. Von Kleinwaldbesitzerinnen und -besitzern bis zu Leuten aus der Politik. Daher wird der Zugang via Laptop oder Smartphone ganz einfach sein. Spätestens Ende 2024 soll die Web-App ForForestInnovation einsatzfähig sein. Damit wählt man auf einer Karte der Steiermark den Standort und die Höhenlage sowie die Baumarten-Durchmischung aus – und schon erhält man eine Visualisierung des zukünftigen Waldbildes. Mit ForForestInnovation kann man seinem Wald beim Wachsen zuschauen!

SCHMIEDTBAUER: Mit dem Innovationsgeist der heimischen Forstbranche sind wir europaweiter Champion. In der Forstwirtschaft gewinnen wir immer mehr Wissen – und dieses Wissen kommt nicht von irgendwo. Dafür braucht es Motoren für den Wandel und die Weiterentwicklung. Das Projekt ForForestInnovation ist ein großartiges Beispiel dafür.

TIPPELREITHER: Zum Stichwort Innovation: Als Holzcluster haben wir die gesamte Holzwertschöpfungskette im Blick und damit auch das Zusammenwirken von Urproduktion und Weiterverarbeitung. Wir wollen innovative Produkte und Lösungen schaffen – ob für Gebäude oder künftig auch für Bauteile in Autos, Zügen, Flugzeugen oder Maschinen. Soeben wurde etwa ein neues CD-Labor eröffnet, das sich mit dem Thema 3D-Drucker aus biogenen Materialien beschäftigt. Wir wollen die Wertschöpfung in der Region sichern, indem wir diese Produkte und Technologien ständig weiterentwickeln. Daher müssen wir auch andere Branchen motivieren und begeistern für unseren Rohstoff. Für all das braucht es künftig ganz bestimmte Baumarten. Ganz eng damit verknüpft sind auch die Investitionszyklen in der Industrie. Und wir müssen endlich anfangen, den Lebenszyklus von Produkten zu betrachten und mehr auf den Energieausstoß bei der Produktion achten. Dafür braucht es auch ein Umdenken auf politischer Seite und andere Rahmenbedingungen – etwa bei der Bauordnung oder im Bereich Mobilität mit anderen Besteuerungssystemen. Denn wir wissen, dass die Zementproduktion in der Bauindustrie einer der größten CO2-Emittenten weltweit ist – im Gegensatz zum nachwachsenden Baustoff Holz. Mit Holz haben wir einen hochtechnologischen und industriell fertigbaren Bau- und Werkstoff aus dem Wald. Damit können wir gerade im urbanen Raum mit vorgefertigten Holzmodulen in die Aufstockung gehen und dadurch Versiegelungen vermeiden.

Wie weiß ein Waldbesitzer heute, wie das Klima in 20 oder 30 Jahren sein wird?
HOHENWARTER: Die Basis für Klimamodelle sind Emissionsszenarien – d.h. wie viel Triebhausgas wird weltweit ausgestoßen aufgrund unseres Wirtschafts- und Lebensstils? Dieser Ausstoß ergibt die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre, daraus ergibt sich der Temperaturanstieg, der in unterschiedlichen Weltregionen unterschiedlich ausgeprägt ist. Auf diese Modelle können wir mit Forschungsprojekten wie FORSITE oder ForForest-Innovation aufsetzen. Damit können wir sagen: Wenn es um zwei Grad wärmer wird und der Nieder-schlag abnimmt, dann hat das für diesen und jenen Baum bestimmte Vor- oder Nachteile. Das kann man für jedes Szenario durchspielen.

POINSITT: Ich empfehle, am besten immer vom Worst-Case-Szenario auszugehen. Denn bei zwei Grad ändert sich für den Waldbesitzer ohnehin nicht viel. Wenn man sich an vier oder sechs Grad orientiert und danach handelt und es werden dann doch nur zwei Grad, dann hat man nichts falsch gemacht bzw. im Worst Case alles richtig. Man muss die Leute aufrütteln und ihnen möglichst plakative Beispiele vorzeigen. Deswegen ist es so wichtig zu visualisieren – damit man sieht, was passiert, wenn man nix tut! Das gilt auch für die Gesellschaft: Wenn wir uns nicht bewusst ändern, werden wir ein großes Problem haben. Denn es wird sicher nicht alles gleich bleiben! Klar ist: Die Natur nimmt keine Rücksicht auf den Menschen.

Welche Rolle spielen die Waldbesitzer?
SCHMIEDTBAUER: Die Waldbesitzerinnen und -besitzer sind der Schlüssel zu jeder Strategie, die wir für unsere Wälder vorsehen. Egal, was wir planen oder beschließen, sie sind diejenigen, die diese Strategien, Pläne und Vorhaben auf ihrem Grund und Boden umsetzen und damit mit Leben füllen müssen. Ohne sie geht es nicht. Deshalb setze ich mich in meiner Arbeit dafür ein, dass vor allem auch in der Forstwirtschaft die Subsidiarität gewahrt bleibt. Das bedeutet, dass wir uns daheim gut um unsere Wälder kümmern können. Ein Wald in Spanien braucht etwas anderes als ein Wald in Österreich.

LANGMAIER: Mit ForForestInnovation können wir den Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern zeigen, dass es eine Waldveränderung geben kann. Sie wird sowieso stattfinden, besser wir steuern sie bewusst. Im Endeffekt liegt es in den Händen der Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer, den Weg in Richtung aktive Waldbewirtschaftung zu gehen.

Die EU-Forststrategie sieht eine Außernutzungstellung großer Waldflächen in Österreich bzw. Europa vor. Ihre Einschätzung?
SCHMIEDTBAUER: Die Waldstrategie der EU-Kommission geht aus meiner Sicht in die völlig falsche Richtung. Es ist ein Widerspruch, wenn man auf der einen Seite hochambitionierte Klimaziele erreichen will, gleichzeitig aber die Wald- und Holznutzung im Übermaß reglementiert. Man muss dazu sagen, dass es sich hier um eine Strategie der EU-Kommission handelt und nicht um ein Gesetz, das eine unmittelbare Auswirkung hat. Allerdings dürfen wir uns auch keine Illusionen machen. Eine Strategie gibt die Richtung vor. Wir haben daher im Europaparlament unsere eigene EU-Forststrategie verabschiedet. Diese besteht jetzt neben der Strategie der EUKommission und wir haben darin eine Mehrheit für einige sehr wichtige Punkte zusammengebracht und ein starkes Dokument im Plenum verabschiedet. Wir haben uns etwa klar für die Stärkung der Waldbesitzerinnen und -besitzer und des Subsidiaritätsprinzips positioniert. Wir Waldbesitzerinnen und -besitzer sind diejenigen, die der EU-Waldstrategie mit der Umsetzung auf unserem Grund und Boden erst Leben geben. Wir müssen bei den künftigen Gesetzesinitiativen zum Wald berücksichtig werden. Wir dürfen unsere Wälder nicht zu Kohlenstoffmuseen werden lassen, sondern müssen sie auch nachhaltig bewirtschaften. Ein überalteter Waldbestand etwa wird in Zeiten des Klimawandels eher zum Risikofaktor, als dass er eine CO2-Senke bleibt.

TIPPELREITHER: Um künftig Holz industriell für unterschiedliche Produkte, ob in unseren Holzbaulösungen oder im Bereich Mobilität einzusetzen, brauchen wir bewirtschaftete Wälder. Sie sind ein Schlüssel für den Klimaschutz. Umso wichtiger ist eine vernünftige Forststrategie auf EU-Ebene, die ausreichende Waldflächen sicherstellt. Was ich schizophren finde: Wir stecken Milliarden in „Carbon Capture“-Forschungen, um völlig ineffizient CO2 aus der Luft zu holen, und vergessen dabei, dass wir mit dem Wald eine natürliche hocheffektive „Carbon Capture“-Lösung haben. Nutzen wir doch die natürlichen Stoffkreisläufe, die wir haben und setzen dafür Forschungsgeld ein.

POINSITT: Es ist ein Irrglaube zu meinen, Wald außer Nutzung zu stellen schafft eine höhere Biodiversität. Ob man es glaubt oder nicht: Die höchste Biodiversität in einem bewirtschafteten Wald ist die Böschung links und rechts einer Forststraße. Wenn ich einen Wald sich selbst überlasse, reden wir ja nicht von einem Urwald – viele haben falsche Bilder im Kopf. 30 % außer Nutzung zu stellen, wäre ein Armageddon für unseren Wald und unsere gemeinsame Wertschöpfungskette. Für das Klima wäre wenig erreicht und die Rohstoffverfügbarkeit stark eingeschränkt.

HAELER: Ein Vorteil der verhältnismäßig kleinräumigen Waldbewirtschaftung in Österreich ist, dass dadurch auf Landschaftsebene eine gewisse Heterogenität an Lebensräumen entsteht. Wenn also kleinräumig auf eine Nutzung verzichtet wird, kann es dort z.B. größere Mengen an Totholz geben, das eine wichtige Rolle für die Waldbiodiversität spielt. Solche Bestände bieten vielen spezialisierten Arten einen Lebensraum, während z.B. aktiv bewirtschaftete, offenere Wälder wiederum von lichtliebenden Arten bevorzugt werden.

LANGMAIER: In Österreich können wir uns glücklich schätzen. Wir haben eines der besten Forstgesetze europaweit, wir haben ein tolles Netz an Nationalparks, wo aktiver Naturschutz und Außernutzungstellung in Kerngebieten ohnehin passiert, bzw. auch noch Naturwaldreservate und Trittsteinbiotope. Aber 47 % der österreichischen Fläche sind Wald. Und damit haben wir auch die Aufgabe, diese Wälder zu bewirtschaften, um die Funktionen des Waldes als Nutz- und Schutzwald sowie zur Erholung und Wohlfahrt sicherzustellen. Umso wichtiger ist es, Bilder zu erzeugen und die Zukunft zu visualisieren und damit die Leute abzuholen.

HOHENWARTER: Ja, es sind Bilder, mit denen man arbeiten muss – auch in der Klimatologie. Wir müssen die Menschen mit Bildern abholen. Das ist stets verbunden mit Emotionen. Das Problem beim Umgang mit dem Klimawandel ist das Wording – wir reden zu oft von Verzicht! Verzicht ist ganz negativ besetzt. Man muss die Menschen abholen und motivieren. Ist es ein Verzicht, wenn wir in der Stadt weniger Autoverkehr haben und mehr Grün? Ist es nicht ein Gewinn, wenn ich mich freier bewegen kann und die Luft besser ist, weil wir mehr Bäume und Grünflächen haben? Für all das müsste die Politik langfristig denken und handeln, was im täglichen politischen Geschäft aber oftmals nicht passiert.

Haben wir ausreichend Rohstoff in den heimischen Wäldern?
POINSITT: Ja, es wächst weit mehr nach, als entnommen wird. Allein in der Steiermark sind es jedes Jahr rund 20 Prozent mehr Zuwachs, als geerntet wird.

TIPPELREITER: Gerade im Baubereich wird derzeit viel im Bereich Kreislaufhaltung geforscht – wie können wir Holz kaskadisch nutzen? Wie können wir etwa Brettsperrholz, das jetzt verbaut wird, in 50 Jahren wieder in ein neues Gebäude verbauen? Dafür braucht es technologische Entwicklungen bis hin zu datengetriebenen Systemen. Wir schonen künftig den Einsatz von Rohstoffen, wenn wir das Holz kaskadisch in der Nutzung halten.

Die Frage an den Klimaexperten: Wenn Sie einen Wunsch freihätten, was würden Sie sich wünschen?
HOHENWARTER: Was ich mir wünsche, ist Mut. Denn Veränderung beginnt stets bei einem selbst. Ich kann nur mich selbst verändern. Und Veränderung ist ein aktiver Prozess, sie passiert nicht von allein. Wenn wir den Mut aufbringen, Veränderung zuzulassen, dann haben wir es in der Hand, um allen möglichen Krisen entgegenzutreten und etwas Positives zu bewirken. Für die Veränderung braucht es auch die Wirtschaft. Viele Betriebe sind heute längst bereit, etwas zu ändern. Selbst die Ökonomen sagen: Wenn wir uns nicht den Herausforderungen stellen und Anpassungen in unserem Wirtschaftssystem vornehmen, wird uns dies teurer kommen, als wenn wir jetzt auf ein nachhaltiges Wirtschaften umstellen. Es stellt sich also die Frage, ob es nicht ein neues Wirtschaftssystem braucht, in dem Natur- und Umweltschutz zwei grundlegend wichtige Säulen darstellen.

Oft hört man zum Thema Klimawandel: „Wir in Österreich bemühen uns eh so, aber die anderen, etwa in China oder Indien, sind das Problem.“
HOHENWARTER: Klima ist weltweit und hört nicht an der Grenze auf. In der Atmosphäre dominieren globale Zirkulationsmuster, die Treibhausgase über die ganze Welt verbreiten. Wenn ich höre, dass wir uns eh so anstrengen, aber die Chinesen oder Inder machen nicht mit, sage ich immer: Bemühen wir uns wirklich!? Das glaub ich nicht, überhaupt nicht! Klar, China betreibt immer noch viele kalorische Kraftwerke, aber damit werden die Handys, Tablets oder E-Auto-Batterien produziert, die wir verwenden. Wir sind alle in der Verantwortung. Was es braucht, ist ein Systemwandel. Nur wenn wir unser Verhalten ändern, kann der Turnaround gelingen.

HAELER: Ich habe das Gefühl, in Bezug auf den Wald wollen wir unterm Strich eh alle das Gleiche, einen widerstandfähigen, klimafitten Wald, aber die Positionen sind zum Teil etwas verhärtet. Ich bin sicher, in Österreich muss es möglich sein, dass wir in dieser wichtigen Frage an einem Strang ziehen. Es braucht wertschätzende Zusammenarbeit und konstruktive Kommunikation – das Ziel sind faktenbasierte Entscheidungen auf allen Ebenen. Dafür liefern wir als Wissenschafterinnen und Wissenschafter die Grundlagen.

Fotos: Oliver Wolf, beigestellt

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