Inflation, Krisenstimmung und die Online-Konkurrenz setzen den Einzelhandel unter Druck wie seit Langem nicht. Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit sich der heimische Handel nachhaltig behaupten kann? Wie kann der Innenstadthandel belebt werden? Welche neuen Konzepte sind nötig, damit Händler in Zukunft punkten können? „SPIRIT of Styria“ lud BranchenvertreterInnen und EinzelhändlerInnen zum Roundtable.
TALK AM RING ist ein Diskussionsformat von SPIRIT of Styria. Jeden Monat laden wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion am Grazer Opernring.
Trotz der Fülle aktueller Herausforderungen – sehen Sie auch Chancen in der Krise?
RAVAI: Die Branche ist sicherlich im Umbruch, keine Frage. Ich sehe die derzeitige Phase als große Chance für Weiterentwicklungen. Digitalisierung, Omnichannel, das Zusammenspiel von Online und Offline – das ist der Weg in die Zukunft. Neben den Herausforderungen, die alle in der Branche betreffen, haben wir mit unserem Geschäft am Joanneumring in Graz derzeit am meisten mit der aktuellen Großbaustelle zu kämpfen. Eine schwierige Situation. Da hilft auch kein Schönreden: Wir brauchen die Erreichbarkeit mit dem Auto und Parkplätze für unsere Kunden und Lieferanten – daran führt kein Weg vorbei.
MÜNZER: Handel ist Wandel, das war schon immer so. Die Pandemie war in dieser Frage sicher ein Brandbeschleuniger, der uns alle überrascht hat. Am Ende hat sich gezeigt, dass der stationäre Handel daraus gelernt hat. Binnen kürzester Zeit wurden digitale Angebote geschaffen oder erweitert, etwa mit Click & Collect – das hat super funktioniert und den stationären Handel befruchtet. Ein Beweis dafür, welche Chancen Umbrüche mit sich bringen können, wenn wir bereit sind, uns aus der Komfortzone zu bewegen und den Kunden wirklich in den Mittelpunkt stellen. Wir müssen uns immer wieder hinterfragen: Steht der Kunde wirklich im Fokus unserer Bemühungen? Schauen wir mit den Augen des Kunden? Wie wollen wir ihn bedienen? Wie freundlich sind wir? Welche Service-Angebote bieten wir? Und zu welchen (Öffnungs-)Zeiten? Wir sind alle gefordert, unser Profil zu schärfen und zu vermitteln, dass wir verlässliche Partner sind – dann bieten sich aus meiner Sicht weiterhin sehr viele Chancen. Klar ist aber auch: Es wird Verlierer geben, das bringt jeder Wandel mit sich – egal, ob im Handel oder sonstwo.
KADA: Ich sehe es ähnlich: Im Handel finden immer wieder Konsolidierungen statt. Beispiele von Handelspleiten findet man auch in der Vergangenheit. Die Treiber des Wandels sind multifaktoriell – das Internet spielt natürlich seit Jahren eine zentrale Rolle, die Entwicklungen sind dadurch sehr dynamisch. War gerade noch Omnichannel das große Schlagwort, stehen wir derzeit schon wieder vor dem nächsten Entwicklungssprung. Umso mehr ist heute Flexibilität gefragt. Ich bin sicher: Jene, die flexibel sind und sich anpassen, werden auch in Zukunft erfolgreich sein.
WOHLMUTH: Klar, Veränderungen wird es immer geben, aber derzeit haben wir mit einer besonderen Situation zu kämpfen: der schwindenden Kaufkraft in Österreich. Diese setzt den stationären Handel, aber auch den Onlinehandel unter Druck. Als Sparte bekommen wir die Probleme der Händler hautnah mit, weil viele bei uns anrufen und sich Rat holen. Die Eigenkapitaldecke ist oft dünn und Finanzierungen bei den Banken werden schwieriger. Derzeit müssen wir besonders auf die kleinen Händler schauen, die ihre Rahmenkredite oft überziehen müssen. Viele Betriebe haben derzeit ein Problem mit der Liquidität, daher sind wir froh, dass die Banken in der Regel sehr kooperativ sind, wenn es Aussicht auf Besserung gibt. Ein schwieriger Balanceakt.
DIE TEILNEHMERINNEN
Gerhard Wohlmuth
Spartenobmann Handel WKO Steiermark, renommierter Winzer (Weingut Wohlmuth, Fresing)
Edith Münzer
Center-Managerin
MURPARK Graz
Andrea Ravai
Store und Retail Managerin
Knilli Graz
Dino Kada
KADA Südsteiermark/
Kadashop Leibnitz
Rainer Rauch
Geschäftsführer Modehaus Roth (zehn Standorte) sowie WKO Obmann-Stv. Landesgremium Steiermark des Handels mit Mode und Freizeitartikeln
Was schwächt den Handel am meisten?
WOHLMUTH: Es sind eine Reihe von Faktoren – allen voran die hohen Zinsen. Dadurch müssen die Menschen mehr Geld für Fixausgaben aufbringen – ob für Mieten oder Kreditraten – und das Budget für den privaten Konsum sinkt. Dazu kommen die hohen Energiekosten, die das Geldbörserl der Konsumenten schmälern und unsere Betriebe belasten – hier sind der Staat und die Länder in die Pflicht zu nehmen, da die Energiegesellschaften die sinkenden Preise am Spotmarkt oft nur verzögert weitergeben. Gerade in Landeshaupt- und Bezirksstädten sind die Mieten für die Flächen hoch, auch die Lagerkosten für die Online-Händler sind explodiert. Und schließlich steigen die Personalkosten. Daher appelliere ich schon jetzt an die Gewerkschaften, mit Augenmaß in die kommenden KV-Verhandlungen zu gehen. Viele Betriebe können weiter steigende Personalkosten nicht mehr stemmen. Die Händler können die Mehr-kosten ja nicht so einfach weitergeben. Ein echtes Problem, denn wir brauchen Handelsunternehmen, die Gewinne machen, damit sie in die Zukunft investieren können. Nur dann sichert man Arbeitsplätze. Betriebe, die die Möglichkeit zum Export haben, sind etwas im Vorteil. Ich sehe es an unserem Weinbaubetrieb. Wir haben einem zweistelligen Zuwachs im Export, aber beim Inlandsgeschäft hinken wir hinterher. Das passt auch zu einem internationalen Trend: Im Vorjahr konnten Duty Free Shops ihre Umsätze fast verdoppeln. Daran sieht man, dass viele Menschen noch immer in Kauflaune sind.
RAUCH: Ich finde ebenso, dass wir eine Riesenchance aus der Krise nützen können und müssen. Wir sind nicht erst seit zwei Jahren im Umbruch, sondern wir reden seit mindestens zehn Jahren von Digitalisierung – Corona hat zweifellos vieles beschleunigt. Man hat gesehen, es geht auch anders und man kann neue Wege finden. Unser Vorteil ist, dass wir ein Familienbetrieb sind – so wie es viele davon in Österreich gibt. Dadurch kann man schneller reagieren und Chancen nutzen. Die Mischung aus Online und Stationär ist längst essenzieller Bestandteil für den Erfolg. Vielen ist bewusst geworden: Die Kunden kaufen heute anders ein, gleichzeitig haben die meisten Sehnsucht nach menschlicher Begegnung im Einzelhandel. Daher kommt uns das, was wir in den vergangenen 40 Jahren aufgebaut haben, heute zugute: die persönliche, ehrliche Beratung. Ein zentrales Thema gerade in der Krise. Die Kunden agieren heute nach dem Motto: Wenn ich schon etwas weniger Geld zur Verfügung habe, dann möchte ich es für das Richtige ausgeben. Und mit der Beraterin bzw. dem Berater meines Vertrauens finde ich das richtige Teil. Und das Kleidungsstück zieht man dann nicht nur einmal an, sondern öfter.
Als Repräsentant des Modehandels: Wie würden Sie die Stimmung derzeit beschreiben?
RAUCH: Ganz unterschiedlich. Wir haben alle unsere Herausforderungen. Sowohl die Konzerne bzw. Filialisten als auch die Familienbetriebe im Handel, für die ich im Besonderen sprechen kann. Unternehmer denken und investieren eher langfristig. Dazu gehört, wie erwähnt, der Online-Bereich, in den viele Unternehmen investiert haben – so wie wir. Dabei haben wir es mit ganz neuen Herausforderungen zu tun – wie z.B. den Retourenquoten. Heuer im Frühjahr hat der Handel stark bei „Anlassmode“ profitiert – im Jahr nach Corona wurden wieder viele Feste gefeiert. Das ist der Branche sehr zugute gekommen.
RAVAI: Das kann ich nur bestätigen! 2022 war ein Top-Jahr. Man hat gemerkt, die Leute wollen wieder raus und gut angezogen sein. Jogginghosen-Look adé (lacht), stattdessen Anzüge und schöne Kleider. Die Kunden kamen wieder ins Geschäft und haben das persönliche Einkaufserlebnis genutzt. Parallel dazu hat sich auch unser Online-Portal gut entwickelt. Das aktuelle Jahr verläuft hingegen nicht so berauschend, die Umsätze sind zurückgegangen. Der Hauptgrund ist die Baustelle bzw. die Baustellen – wir sind ja mehrfach betroffen. Dadurch haben wir Einbußen von rund 30 Prozent – ein massives Problem. Wir haben zwar viele Stammkunden, diese kommen aber nicht alle aus Graz und tun sich schwer mit der Anfahrt. Es geht auch gar nicht darum, unmittelbar vor der Tür parken zu können – aber zumindest irgendwo in der Nähe sollte es möglich sein. Und das geht derzeit nicht! Dabei ist die Parksituation schon ohne Baustelle eine Riesenherausforderung – und die Tiefgaragen sind extrem teuer und für auswärtige Kunden nicht leicht zu finden. Viele Geschäfte sind betroffen. Daher haben wir eine Petition gestartet, es gab auch ein Treffen mit der Frau Bürgermeisterin und der Frau Vize-Bürgermeisterin.
Sind Sie auf offene Ohren gestoßen?
RAVAI: Das große Problem ist die mangelnde Kommunikation. Wir bekommen keine richtige Auskunft. Wir wissen nicht, wie lange die Baustelle noch dauert und ob danach die Neutorgasse wieder befahrbar sein wird bzw. ab wann? Oder ob und wie viele Parkplätze es danach geben wird. Alles völlig offen. Nebenan bei Wein & Co. musste das Lokal „Fridda&Maxx“ sogar schließen, weil es den Lieferanten nicht möglich war, Ware anzuliefern – ohne Vorankündigung. Niemand kann oder will uns Konkretes sagen, was die Zukunft bringt. Zum Glück gibt es die Tiefgarage von Kastner&Öhler, die viele unserer Kunden nutzen. So finden viele dann doch den Weg zu uns. Wir bieten wirklich ein umfangreiches Service, offline und online. Wir haben eine Änderungsschneiderei und Maßschneiderei und sind stolz auf unsere Wohnzimmeratmosphäre. Bei uns gibt‘s neben der persönlichen und individuellen Beratung Prosecco und Kaffee. Die Kunden sollen sich bei uns einfach wohlfühlen.
Ihre wichtigste Forderung?
RAVAI: Eine bessere Kommunikation seitens der Stadt während der Baustelle. Sowie der Wunsch nach besser gekennzeichneten Parkplätzen und Tiefgaragen wie z.B. in Udine. Auch eine Gratis-Straßenbahn am Samstag würde uns helfen, damit die Leute in die Stadt kommen.
Wie entwickelt sich das Jahr 2023 im MURPARK?
MÜNZER: Das Jahr 2023 verläuft gut – unerwartet gut, möchte ich fast sagen. 2022 ist wieder alles angesprungen. Die Kunden waren so glücklich, dass sie wieder kommen konnten, nachdem es keine Kontrollen mehr gab. Wir verdrängen ja alle ein bisschen, dass wir Anfang 2022 noch den 3G-Nachweis kontrollieren mussten – im Rückblick fast unglaublich. Die Kunden hatten eine Freude, dass sie wieder von einer Verkäuferin bzw. einem Verkäufer begrüßt wurden und dass sie wieder die Möglichkeit hatten, zu probieren und zu gustieren. Da sieht man: Der Mensch braucht den Menschen. Und auch im Jahr 2023 haben wir trotz Inflation ein gutes Jahr. Die Menschen kommen und geben Geld aus. Im Vergleich zu 2022 haben wir Steigerungen im zweistelligen Prozentbereich, in der Frequenz sind wir fast wieder dort, wo wir 2019 waren. Das hätte sich keiner erwartet. Im Schnitt ist die Entwicklung positiv und trotz der Herausforderungen erleben wir eine gute Stimmung bei unseren Partnern. Gleichzeitig sind die Kosten natürlich gestiegen, vor allem die Energiekosten – aber auch hier setzen wir viele Maßnahmen und agieren sehr nachhaltig, etwa indem wir unsere Beleuchtung bis Ende 2024 komplett auf LED umrüsten.
Wodurch entscheidet sich der MURPARK von anderen Shopping-Centern?
MÜNZER: Abgesehen von unserer einzigartigen verkehrstechnischen Erschließung mit Anbindung an die Autobahn und viele öffentlichen Verkehrsmittel würde ich sagen: Der MURPARK hat eine optimale Größe – nicht zu groß und nicht zu klein. Wir bieten ein umfassendes Angebot – vor allem in der Nahversorgung, ohne dass man sich darin verliert. Wir bekommen auch regelmäßig als Feedback, dass unsere Familienfreundlichkeit sehr geschätzt wird. Entscheidend für den Erfolg eines Einkaufszentrums ist immer der Mix aus Geschäften, Gastronomie und Erlebnis. Wir haben ein vielschichtiges Portfolio aus Handels-, Gastro- und Dienstleistungsbetrieben – mit dieser Vielfalt können wir punkten, so wie die Innenstadt mit ihrem einzigartigen Ambiente punkten kann. Aber man muss den Kunden auch einen Mehrwert bieten – durch unterschiedliche Maßnahmen, ob Kinderbetreuung, Events, Ausstellungen oder Aktionen. Damit die Kunden spüren, dass sie bei uns willkommen sind.
Herr Kada, Sie betreiben ein Fachgeschäft für Haushalt, Garten und Werkstatt – neben dem physischen Geschäft am Hauptplatz in Leibnitz verkaufen Sie auch Online über den Kadashop. Wie nachhaltig war der Online-Boom in der Corona-Zeit?
KADA: Bei uns ist das Online-Segment während der Pandemie explosionsartig angestiegen. Und ist danach auf dem hohen Niveau geblieben – was auch mich selbst überraschte. Natürlich haben wir immer wieder investiert und stehen gerade wieder vor einem großen Sprung. Generell muss man unterscheiden: Ist man Online-Pure Player oder bietet man eine Kombination, die stationär und online verbindet? Denn im reinen Online-Bereich reden wir von einer absoluten Preisorientierung. Da wird nur geschaut, wo gibt es was am billigsten. Aber genau das kommt dem stationären Handel jetzt zugute, denn der Online-Handel hat immer extremst knapp kalkuliert und bekommt jetzt durch die gestiegenen Kosten, vor allem die Zinskosten, Probleme mit der teuren Lagerfinanzierung. Statt dem Wachstums-Dogma hält nun der Ertragsgedanke im Online-Segment Einzug. Daher leidet der reine Online-Handel derzeit auch mehr. Wir sind durch die Verbindung von Stationär und Online zum Glück gut aufgestellt. Dabei wichtig zu betonen: Heutzutage wird nahezu jede Kaufentscheidung bereits online getroffen. Wenn die Menschen das stationäre Geschäft betreten, haben sie sich meist schon online vorinformiert. Wer online nicht präsent ist, ist in der potenziellen Entscheidung schon ausgeschieden. Daher brauchen stationäre Betriebe eine Webpräsenz mit toller Usability. Das macht den Unterscheid.
Insgesamt ist der Online-Anteil am Gesamthandelsumsatz in Österreich leicht gesunken. Eine Trendwende?
WOHLMUTH: Nein, das denke ich nicht, im Gegenteil: Wir betreiben in der WKO das „Go Online Service Center“, wo wir Betriebe auf ihrem Weg zur Online-Präsenz unterstützen. Dabei sehen wir einen ungebrochen großen Andrang. Es kommen viele zu uns, die einen Online-Shop installieren wollen. Derzeit liegen wir bei rund 25 Prozent. Künftig werden es noch mehr. Denn ich gebe Herrn Kada Recht: Jeder Betrieb sollte auch virtuell am Markt sein, weil die Produkt-Vorinformation immer wichtiger wird. Die Betriebe, die die beiden Welten gut verbinden können, haben meist auch nicht so große Umsatzeinbrüche.
RAUCH: Wir sind digital sehr präsent, um den Kunden ins Geschäft zu bringen – mittlerweile ein unverzichtbares Medium. Wer keinen Online-Shop hat, ist auch nicht sichtbar. Worauf wir immer mehr Wert legen: Wir wollen künftig online den gleichen Service bieten wie stationär! Die Online-Präsenz bringt auch neue Kunden ins Geschäft, etwa Touristen, die dann von unserer Qualität vor Ort begeistert sind. Da gibt es viele Beispiele in der Steiermark – viele Geschäfte, die das ähnlich machen. Entscheidend ist der Erlebnisfaktor. Wenn wir dem Kunden die Möglichkeit bieten, mit der Partnerin bzw. dem Partner schöne Stunden bei uns zu verbringen, dann bringt ihm das einen Mehrwert. Es ist wie ein kleiner Teilurlaub in der Innenstadt oder im Geschäft, wo man einen Kaffee oder Frizzante genießen kann – das schafft diesen Erlebniswert. In unseren Geschäften wollen wir den Eindruck vermitteln, dass Freundinnen und Freunde auf Besuch kommen – und dabei persönlich beraten werden. Wir legen an allen unseren Stand-orten Wert auf ein stimmungsvolles Ambiente. In unserem neuen Modehaus in Gleisdorf ist uns das besonders gut gelungen. Dort haben wir vieles von dem umgesetzt, was wir in den vergangenen Jahren international an Erfahrungen gesammelt haben.
Wie können die Innenstädte belebt werden?
WOHLMUTH: Das klare Statement lautet: Wir brauchen mehr Parkplätze und die Möglichkeit der Erreichbarkeit. Die Kunden müssen in die Städte hineinfahren können, sonst kommen sie nicht. Denn niemand will sein Packerl irgendwohin schleppen müssen. Wir brauchen Park- und Zufahrtsmöglichkeiten. Und in Graz setzt man momentan offenbar alles daran, die Zufahrtsmöglichkeiten aufgrund der Baustellen zu schließen – und auch danach will man möglichst wenig Parkplätze anbieten. Selbstverständlich sind auch wir für Grünbereiche und Bepflanzungen, aber bitte nicht so, dass es nur dem Handel schadet.
RAVAI: Ich bin ja selbst leidenschaftliche Radfahrerin und besitze im Moment gar kein Auto. Aber wir müssen auch einsehen – nicht alle wollen mit dem Rad fahren oder haben die Möglichkeit dazu, weil sie z.B. älter sind oder etwa im Grazer Umland wohnen. Wie gesagt: Die Parkplätze müssen nicht direkt vor dem Geschäft sein, es reichen welche in der Nähe oder aber es gibt gute Alternativen, wie z.B. vernünftige Park&Ride-Anlagen wie beim Murpark.
MÜNZER: Das Park&Ride der Stadt Graz beim MURPARK funktioniert im Gegensatz zu anderen deshalb, weil die Anbindung so bequem ist. Und wir Menschen mögen es nun mal bequem. Keiner will fünf Schritte mehr gehen als nötig – da geht man lieber ins Fitnessstudio. Beim MURPARK hat man vom Park&Ride nur ein paar Meter zur Straßenbahn und muss nicht mit dem Auto in die Stadt – ich nütze auch selber diese Möglichkeit. Und vor allem braucht man nicht umzusteigen. Diese optimale Anbindung ist für mich der Erfolgsfaktor des Park&Ride beim MURPARK.
KADA: Innenstädte sind mir seit Jahren ein Riesenanliegen. Österreich hat hier international eine Sonderstellung, weil bei uns eine überbordende Flächenversiegelung passiert ist, die es sonst fast nirgendwo gibt. Ich fürchte, die Politik ist mit dem Thema Raumordnung bzw. Raumplanung schlichtweg überfordert, daher haben Kommunalpolitiker auf Teufel komm raus Flächen rund um die Städte versiegelt. Es regiert kurzfristiges Maximieren statt nachhaltigem Denken. Es lohnt ein Blick ins Ausland – ein echtes Erfolgsbeispiel ist für mich Maastricht. Dort wurden bis in die historische Innenstadt hinein Zufahrtsstraßen mit einer gelungenen Ring-Bildung und unzähligen Garagen und freien Parkplätzen geschaffen, die allesamt begrünt sind. Und von dort aus kann man fußläufig jede kleine Einkaufsstraße besuchen. Die Einkaufszentren, die in der Innenstadt geschaffen wurden, sind offengehalten. Man sieht rein und man sieht raus – man hat immer das Gefühl, man ist in der Innenstadt. Millionen Menschen besuchen Städte wie Maastricht, weil sie dort nicht nur konsumieren, sondern einen Kurzurlaub verbringen – dort wurlt es, dass man glaubt, man ist in einer italienischen Stadt. Von Maastricht könnte man einiges lernen. Vor allem das: Eine Stadt muss erreichbar sein, sie muss besuchbar sein. Dafür braucht es Konzepte und vor allem muss man endlich Legislatur-übergreifend denken und handeln.
WOHLMUTH: Handel hat viel mit Raumplanung und Verkehrspolitik zu tun. Umso unverständlicher, warum die zuständige Bundesministerin Gewessler die dritte Fahrspur auf der A9 südlich von Graz so vehement ablehnt. Wenn ich in der Früh nach Wien fahren will, muss ich eine Stunde früher losfahren, damit ich rechtzeitig in Wien bin, weil man Richtung Graz ewig im Stau steht. Wir haben 100.000 Pendler vom Süden Richtung Graz, das ist einfach Faktum.
RAUCH: Die Verkehrspolitik ist natürlich ein entscheidender Punkt, klar. Was mir ebenso auffällt: Wir erfahren als Händler in der Innenstadt von der Politik kaum Unterstützung im Marketing oder von Seiten des Tourismus. Es gibt Städte, in denen wir uns als Handel aktiv zusammentun und etwas gemeinsam auf die Beine stellen. Es kann herausfordernd sein, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Oft scheitert es daran, dass die Interessen zu unterschiedlich sind. Doch es ist für die Zukunft entscheidend, gemeinsame Aktivitäten zu schaffen, damit wir die Leute in die Stadt bringen – nicht nur das eigene Klientel, sondern auch neue Kunden. Ich sehe: Dort, wo man zusammengreift und gemeinsam etwas macht, hat man auch Erfolg.
RAVAI: Wie in Graz mit „Echt Graz“ sollte es vielleicht auch ein „Echt Leibnitz“ oder Ähnliches geben. Da gibt es sicher viele Aktionen, z.B. mit Events, die Attraktivität schaffen. Es können ja ruhig auch einmal längere Öffnungszeiten sein. Als Händler muss man sich auch dem Zeitgeist anpassen. Ich habe meine Öffnungszeiten schon geändert und habe mittlerweile am Donnerstag bis 21:00 Uhr offen. Dafür habe ich am Montag geschlossen. Das wird sehr gut angenommen und es wäre schön, wenn da möglichst viele Händler mitmachen. Da gäbe es ganz viele Aktivitäten, die ein City Management setzen könnte.
Dauerthema Personalmangel – wie schwer ist es, junge Leute für eine Karriere im Handel zu motivieren?
WOHLMUTH: Wir sehen derzeit, dass der Mangel nicht mehr so groß ist. Das ist auf die angespannte Lage im Handel zurückzuführen. So haben wir dieses Jahr ein Vielfaches an Insolvenzen als im Vorjahr. Dadurch wird Personal frei und die Firmen rechnen streng, wie sie den Personaleinsatz optimieren können, weil das Personal zu einem immer größeren Kostenfaktor wird.
KADA: Was den Mangel betrifft, muss man doch unterscheiden zwischen Personal und Fachpersonal. Eine zwischenzeitliche Mangelsituation, die immer auftritt, hat aber auch positive Auswirkungen auf die Beziehung zum Mitarbeiter. Viele Arbeitgeber machen sich Gedanken, wie sie selbst attraktiv erscheinen und gute Leute binden können. In Form von Zuwendungen jeglicher Art, das muss nicht immer nur finanziell sein – vielfach geht um Ausbildungen, Flexibilität und Ähnliches. Viele Unternehmensverantwortliche haben dadurch gelernt, mehr auf die Mitarbeiter zuzugehen.
RAUCH: Fachkräfte sind am Markt schwer zu bekommen. Dabei müssen wir uns auch selbst an der Nase nehmen und Lehrlinge ausbilden. Im Modehaus Roth setzen wir stark auf die eigene Lehrlingsausbildung sowie generell auf die Weiterbildung der Mitarbeiter. Wir investieren sehr viel in Schulungen. Wir bekommen auch weiterhin Bewerbungen, weil wir, so denke ich, einen guten Ruf haben. Aber die große Masse kommt heute auch nicht mehr, und bei den Noten in den Zeugnissen müssen wir manchmal ein Auge zudrücken. Der Handel hat früher oft einen schlechten Ruf gehabt. Das hat sich schon stark geändert – es ist ein schöner Beruf mit vielen Vorzügen und täglichen Erfolgserlebnissen.
RAVAI: Wir kriegen auch immer wieder Bewerbungen, denn nicht alle jungen Menschen wollen studieren. Wir haben auch immer wieder Schulabbrecher, die sich bewerben – diese Quereinsteiger sind oft sehr geeignet. Sie sind modeaffin, haben Fashion-Kompetenz und kennen sich auch bei Social Media aus. Sie bringen oft ganz viel Leidenschaft mit und kennen alle Fashion-Trends. Im besten Fall können wir sie in unserem Online-Handel einsetzen. Und wir bilden diese dann weiter aus. Wertschätzung und freies Denken spielen heute eine ganz wichtige Rolle bei den jungen Leuten.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten – welcher wäre das?
RAVAI: Ich wünsche mir, dass Graz nicht zur Geisterstadt wird, sondern pulsiert – im Handel und in der Gastronomie. Es ist schließlich immer ein Miteinander. Ich wünsche mir ein reges Leben in den Lokalen und Geschäften. Auch in Pop-ups, die belebt und bespielt werden, sodass die Leute wieder gerne in die Stadt kommen. Das ist mir wirklich ein Herzensanliegen, denn ich bin Grazerin durch und durch und liebe meine Stadt.
RAUCH: Auch mein großer Wunsch wäre, dass die Innenstädte leben und aufblühen. Ich liebe die Innenstädte – das Flair, das wir in einer Stadt, gerade auch in den Regionen, bieten können, ist etwas Schönes und Einzigartiges. Zudem wünsche ich mir, dass der Zusammenhalt unter den Händlern noch größer wird. Wir brauchen uns nicht die Konkurrenz in der eigenen Stadt suchen, denn die sitzt längst woanders – bei den Online-Konzernen im World Wide Web. Daher wäre mein Wunsch, dass immer mehr Händler beginnen umzudenken und bereit sind, etwas gemeinsam zu machen. Auch ich sehe den Mix aus Gastro und Handel als wichtigen Erfolgsfaktor – wir haben ja gesehen: Wenn eine Säule geschlossen hat, dann leiden beide.
MÜNZER: Ich sehe es ähnlich: Was uns weiterhilft, sind Partnerschaften – egal, ob in einer Stadt oder in einem Shoppingcenter. Ein Shoppingcenter ist ja ein Mikrokosmos des Miteinander. Es ist das gemeinsame Ziel, die Kunden glücklich zu machen, damit sie wiederkommen. Mit welchen Maßnahmen bleibt jedem selbst überlassen. Wie gesagt: Der Kunde muss im Mittelpunkt stehen, Jammern oder Krankjammern führen nie zum Erfolg.
KADA: Mein Wunsch ist definitiv, die Erreichbarkeit der Innenstädte zu verbessern. Und dabei ist nicht nur die Kommunalpolitik gefordert, sondern auch die jeweilige Landespolitik, um die Aktivitäten der Gemeinden untereinander besser zu koordinieren. Das Schrebergartendenken der Gemeinden ist kontraproduktiv. Man müsste klar sagen: Das wollen wir nicht, weil es nicht funktioniert – es kann nicht jeder Ort alles nur ein bisschen machen und das mehr schlecht als recht.
WOHLMUTH: Auch für mich ist die Erreichbarkeit der zentrale Punkt. Und es braucht eine gesunde Symbiose zwischen Einkaufszentren und dem stationären Handel in den Innenstädten. Wir wissen, dass die Einkaufszentren ja flächenmäßig künftig nicht mehr erweitert, sondern eher umstrukturiert werden, weil der Erlebnischarakter im Vordergrund steht. Das sollte auch in der Innenstadt so sein. Entscheidend ist, dass Gastronomie, Tourismus und Handel eine gute Symbiose bilden. Denn wir wissen, im Urlaub wird immer noch etwas mehr oder etwas teurer eingekauft.
Fotos: Oliver Wolf, ISTOCK