Spirit of Styria

KONTINUITÄT der Veränderung

Die Gleisdorfer Binder+Co AG – ein steirischer Weltmarktführer – zeigt sich fast 130 Jahre nach der Gründung innovationsbewusster denn je. Das Produktportfolio aus High-End-Maschinen für die Bereiche Aufbereitung, Umwelttechnik und Verpackung korrespondiert mit dem zunehmenden Bewusstsein für Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft.

Kontinuität und Veränderung – zwei einander nur scheinbar widersprechende Begriffe, die miteinander ganz unterschiedliche Reaktionen eingehen können. Seit 1984 ist die Spezialsiebmaschine BIVITEC des in Gleisdorf ansässigen Innovationsunternehmens Binder+Co auf dem Markt: die einfachste Lösung für die Trennung bzw. Klassierung schwer siebbarer Schüttgüter, wie es in der Beschreibung heißt. Einsetzbar ist diese Maschine für unterschiedlichste Materialien mit Einsatzgebieten vom Bergbau über die Chemie bis zum Recycling, etwa von Glas.

Viele der Maschinen und Anlagen seien, so Jörg Rosegger und Martin Pfeffer, die beiden Vorstände der nicht börsennotierten Binder+Co AG, seit Jahrzehnten bei den Anwendern im Einsatz. „Jede Maschine, jede Anlage, die unser Haus verlässt, ist darauf ausgelegt, über lange Jahre reibungslos zu arbeiten.“ Auszutauschen bzw. zu erneuern seien nur Spezifizierungs- bzw. Verschleißteile wie etwa Siebmatten. Auch eine Anpassung bzw. Umrüstung auf andere Einsatzgebiete bzw. auf eine veränderte Zusammensetzung des Schüttgutes lasse sich etwa durch einen modularen Tausch der Siebmatten und eine Anpassung von Einstellungen problemlos bewerkstelligen. Eine Hürde für unaufgeregte Kontinuität seien am ehesten noch elektronische Komponenten wie etwa Kamerasysteme, Chips, Sensoren – wenn sie nämlich ans Ende ihrer Lebensdauer gelangen und von den Herstellern nicht mehr erzeugt werden. Auf der anderen Seite ließen sich bestehende Anlagen mit elektronischen Innovationen bis hin zu Anwendungen von Künstlicher Intelligenz (KI) adaptieren und aufrüsten.

Technologievorreiter und Weltmarktführer mit starkem Bekenntnis zum Standort Gleisdorf:
Jörg Rosegger (l.) und Martin Pfeffer, Vorstände der Binder+Co AG.

TECHNOLOGIEVORREITER
Jüngst erst wurde die bewährte BIVITEC-Reihe um eine neue, besonders energieeffiziente und noch flexibler an die jeweilige Aufgabenstellung anpassbare Variante erweitert. „BIVITEC e+“, so die Bezeichnung, spare je nach Spezifikation bis zu 40 Prozent Gewicht und 65 Prozent Energie ein und sei zudem beliebig stapelbar. Die „Geräte“ des Sortiersystems CLARITY wiederum, die neben anderen Sensorsystemen auch mit der neuesten sensorischen Errungenschaft, der Laser-Induced-Breakdown-Spectroscopy-Technologie – kurz: LIBS-Technologie – ausgestattet sind, lassen in ihrer lässig designten Kompaktheit den technischen Laien ihren Einsatzzweck nicht einmal erahnen. Ihre Mission: die effiziente und präzise Sortierung diverser Materialien nach den unterschiedlichsten Kriterien wie Farbe, Form, Materialart, Dichte, chemische Zusammensetzung, elektrische Leitfähigkeit oder ihren Transmissionseigenschaften, also ihrer Durchlässigkeit für (Licht-)Strahlen.

KI, präzisiert Pfeffer, ermögliche es den Maschinen in solchen Sortiersettings im Optimalfall aus Millionen von sensorgenerierten Datensätzen und Informationen selbst ihre Unterscheidungskriterien zu entwickeln; wenn es etwa – nur ein Beispiel – um das Heraussortieren wertvoller Natursteinanteile aus Asphaltabriss gehe. Mit „b-connected“ sei zuletzt auch ein Tool zur digitalen Steuerung und Vernetzung von Maschinen und Anlagen lanciert worden. Keine der Maschinen – und folglich auch keine der Anlagen – komme übrigens von der Stange, alle seien sie individuell für ihr jeweiliges Aufgabengebiet adaptiert und eingestellt.

BINDER+CO
Gegründet 1894 in Graz vom Schlossermeister Ludwig Binder, 1954 Entwicklung des „Systems Bilder“ für Vibrationssiebmaschinen, 1960 Übersiedlung nach Gleisdorf, 1971 Eingliederung in die damalige VOEST, Entwicklung erster Groß-anlagen für Steine- und Erdenindustrie sowie Bergbau, 1978 erste Verpackungsanlagen, 1989 Einstieg in den Bereich der Altglassortierung, 1991 Reprivatisierung unter mehrheitlichem Engagement des Industriellen Herbert Liaunig (Auricon), 1998 Anbindung an Waagner-Biro (ebenfalls Auricon), 2006 Binder+Co AG, Notierung an der Wiener Börse, 2008 Joint Venture Statec Binder, 2011 Übernahme eines italienischen Maschinenbauunternehmens, nunmehr Comec-Binder S.r.l., 2016 Rückzug von der Wiener Börse, Gründung einer US-Vertriebstochter. 
Eigentümerstruktur (Stand 2022): 47,9 % Liaunig Industrieholding AG, 17,6 % Treibacher Industrieholding GmbH, 13,5 % Austro Holding GmbH (Erhard F. Grossnigg), 7 % Veit Sorger; weitere Anteile halten andere Kernaktionäre, Management und Mitarbeiter bzw. befinden sich im Streubesitz.

Insgesamt rund 380 Beschäftigte, davon die meisten in Gleisdorf, erzielten 2022 einen Umsatz von 130,15 Mio. Euro in den drei Bereichen Aufbereitungstechnik, 
Umwelttechnik und Verpackungstechnik. F&EAusgaben 2022 2,48 Mio. Euro, Investitionen 2022: 5,6 Mio. Euro.

Unternehmen der Gruppe: 
Binder+Co AG, Statec Binder GmbH, Comec-Binder S.r.l, Binder+Co USA, Inc. 

MODULAR NACHHALTIG
Nicht nur bei riesigen, häufig mehrgeschoßigen Vielkomponentenanlagen mit Investitionsvolumina, die – etwa im avancierten Glasrecycling – in zweistellige Euromillionenbereiche vorstoßen können, erweist sich das modulare Konzept als Schnittstelle kontinuierlicher Veränderung. Kein Zufall also, sondern Beleg für die Nachhaltigkeit der Erzeugnisse, dass mittlerweile über 29 Prozent des Gesamtumsatzes der Binder+Co AG aus dem Titel After-Sales-Services stammen. „Wir haben über die Jahre eine erhebliche Basis an Anlagen und Maschinen bei unseren Kunden weltweit installiert und überallhin liefern wir auch wieder Ersatz für Verschleißteile oder Module zur Modernisierung und Erweiterung“, erläutert Jörg Rosegger die Logik hinter dieser imponierenden Zahl.

„Wenn Altstoffe etwa im Glasrecycling verschmutzt und mit Fremdstoffen wie Etiketten, Kunststoff- oder Metalldeckeln vermengt an 365 Tagen jeweils 24 Stunden durchgehend in höchster Effizienz und Qualität sortiert werden müssen, dann trennt sich die Spreu vom Weizen“, bringt Rosegger den USP des Unternehmens auf den Punkt. „Dann gibt es nur mehr ganz wenige Firmen, die die dafür nötigen technologischen Voraussetzungen auf höchstem Level erfüllen können. Die extrem komplexe und diffizile Verfahrenstechnik hinter den Prozessen – das ist das Herzstück unseres Know-hows.“

An den Gleisdorfer Standorten von Binder+Co werden alle Schlüsselkomponenten
entwickelt und erzeugt.

DISKRETION INKLUSIVE
Bei der Exposition seiner Referenzen übt sich das Unternehmen allerdings in geradezu asketischer Zurückhaltung. Konkrete Kundennamen finden sich (so gut wie) nicht. Das habe schon seine Richtigkeit, erläutern die Vorstände. „In den Nischen, in denen wir tätig sind, kennen uns die Kunden und wir kennen sie. Da musst du Geschäftsbeziehungen nicht an die große Glocke hängen.“ Zu den Kunden der Gleisdorfer Technologievorreiter zählen Unternehmen aller Größenordnungen aus unterschiedlichsten Branchen, darunter Bergbau, Bau- und Bauzulieferindustrie, Recycling, aber auch Futter- und Düngemittelerzeugung sowie Agrarindustrie. Mit der Muttergesellschaft Binder+Co sowie den beiden Tochterunternehmen Comec-Binder S.r.l. (mit Sitz in Morgano nordwestlich von Venedig) und Binder+Co USA Inc. (mit Sitz in Denver) sowie Statec Binder, einem 2008 gemeinsam mit der BT-Wolfgang Binder GmbH gegründeten und ebenfalls in Gleisdorf beheimateten Joint Venture für Verpackungstechnologie, an dem Binder+Co die Mehrheit hält, engagiert sich der steirische Maschinen- und Anlagenbauer zu ähnlich großen Teilen in den Segmenten Aufbereitungstechnik, Umwelttechnik/Recycling sowie Hochleistungsverpackung und Palettierung.

Bei einem Gesamtumsatz von ca. 130 Millionen Euro entfielen 2022 26,6 Prozent auf das von Statec Binder repräsentierte Verpackungs- und Palettierungssegment, 38,5 auf den Aufbereitungsbereich und 34,9 Prozent auf die Umwelttechnik. 42,9 Prozent des Umsatzes wurden in der EU (außer Österreich), 20,3 in Asien und Australien, 14,6 in „Resteuropa“, 12,2 in Nord- und Südamerika, 6,4 am österreichischen Heimmarkt und immerhin noch 3,6 in Afrika erzielt. In allen drei Segmenten verweist die Binder+Co mit gewissen Produkten auf eine weltmarktführende Stellung bzw. bewegt sich unter den Top-Anbietern.

KONTINUITÄT AM STANDORT
Obzwar weltweit vertreten – Binder+Co-Maschinen sind in rund 90 Ländern im Einsatz – und dynamisch wachsend, zeigt das Unternehmen auch in Standortangelegenheiten Kontinuität. Die Produktion beschränkt sich auf die zwei Gleisdorfer Werke sowie den italienischen Standort, eine Vertriebs- und Serviceniederlassung mit Sitz in Denver, Colorado, bearbeitet seit 2016 den amerikanischen Markt und konzentriert sich dabei auf das attraktive Segment Recyclingtechnik für Glas und Metalle. Eine chinesische Niederlassung wurde wieder stillgelegt, zu komplex und volatil seien Bedingungen und Regulatorien gewesen. „Das hat uns zu sehr abgelenkt, dafür haben wir einfach nicht die entsprechenden Kapazitäten.“ Heute sorgen wie in vielen anderen Märkten auch der hauseigene Vertrieb sowie Vertriebspartner für gut gefüllte Auftragsbücher.

Dass Entwicklung und Herstellung aller technologischen Schlüsselkomponenten ganz auf Gleisdorf konzentriert geblieben und kaum Produktionsschritte ausgelagert worden seien, habe sich nicht nur angesichts der jüngsten Lieferkettenabrisse als Kontinuitäts- und Verlässlichkeitsvorteil erwiesen. „Wir haben an diesem Standort“, erklärt Pfeffer, „die Wertschöpfung in ihrer ganzen Tiefe in der Hand. Wir verfügen über ein enormes Wissen, das uns die Bedürfnisse unserer Kunden verstehen und geeignete Lösungen entwickeln lässt.“ Er sei überzeugt davon, ergänzt Rosegger, dass der informelle Austausch unter den Mitabeiterinnen und Mitarbeitern auf kurzem Wege eine der wesentlichsten Voraussetzungen für kundennahe Innovationen und deren rasche Umsetzung sei. „Die Lohnkosten“, bilanzieren die beiden Vorstände, „mögen hier in der Steiermark höher sein als anderswo, doch Flexibilität, Know-how unserer Mitarbeiter und die Einbindung in eine vitale Ausbildungs-, Wissenschafts- und Clusterlandschaft sind hohe Güter.“

Wie produktiv die eingangs apostrophierte Dialektik von Kontinuität und Veränderung sein kann, beweist auch das Führungsduo selbst. Rosegger, seit 1993 im Unternehmen, gehört dem Vorstand über alle Wechselfälle seit 2007 an. Pfeffer wurde 2018 als Interimsmanager in den Vorstand entsandt, um nach einer nicht ganz so erfolgreich verlaufenen Phase Restrukturierungsschritte einzuleiten. Seine ursprüngliche Aufgabe hat er längst erledigt. Demnächst vollendet er sein sechstes Jahr – und wurde in dieser Funktion um weitere drei Jahre bestätigt. „Ein spannendes Umfeld, vielfältige Herausforderungen“, skizziert er die Motive für seine Standortkontinuität – die aus dem Geist der Veränderung gespeist ist.

FOTOS: MIAS PHOTOART, BINDER+CO AG/PALIN, EISENBERGER

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