Spirit of Styria

Das Auge muss zuerst SEHEN LERNEN

Die Grazer Künstlerin Marion Rauter lädt uns in ihr Atelier ein und erzählt von der menschlichen Verwundbarkeit und Stärke ihrer auf Leinwand zum Leben erweckten Menschen, persönlichen Schicksalsschlägen und dass der Vorgang des Malens einem guten Gespräch ähnlich ist – wenn man von der Oberfläche in die Tiefe kommt.

Künstlerin wird man nicht, man ist es. „Ich habe immer schon gemalt. Es ist einfach, wer ich bin“, verrät die Grazer Malerin Marion Rauter, die sich als Autodidaktin bezeichnet. In den 70er Jahren in Kolbnitz, einem sehr kleinen Ort in Oberkärnten inmitten idyllischer Natur aufgewachsen, setzt sich Rauter bereits seit ihrer frühen Kindheit mit der bildnerischen Kunst auseinander. „Freischaffend als Künstlerin tätig bin ich jedoch erst seit 1995“, erklärt die gelernte Drogistin. „Ich wusste, ich möchte nicht mein Leben lang aus meiner Sicht überteuerte Kosmetik verkaufen, da das wenig sinnerfüllend ist.“ So stand Marion Rauter nach der Arbeit oft bis Mitternacht vor der Staffelei – und empfand dabei Glück. „Damals dachte ich nur nicht, dass ich irgendwann einmal davon leben werde können. Deshalb habe ich meine Zeichenmappe genommen und mich bei verschiedenen Werbeagenturen beworben. Die international erfolgreiche Werbeagentur GREY group in Düsseldorf hat mir schließlich einen Job als Werbezeichnerin angeboten“, zeichnet Rauter ihre biografischen Stationen nach. Als „Kreative“ kam sie früh mit Storyboards, Fotobearbeitung und der Hochglanz-Werbewelt in Berührung. Rauters Kunst zu der Zeit, die sie ab 1991 in ersten Ausstellungen präsentierte, stand jedoch im Kontrast zu der perfekten Fassade der Marketingindustrie. Die Künstlerin bediente sich in ihrer Bildästhetik den Versatzstücken der Werbeindustrie mit ihren aufpolierten Darstellungen einer perfekten Welt und fügte – in fotorealistischer Manier mit Öl gemalt – bewusst Risse und Widerstände hinzu. Dieser Widerstreit zwischen vermeintlicher Perfektion und der körperlichen Begrenztheit des Menschen extrapolierte schon in den frühen Werken Marion Rauters Leidenschaft für die Tiefe des Lebens. Immer steht dabei der Mensch im Fokus ihrer in Werkserien eingeteilten malerischen Auseinandersetzung mit von außen auf das Ich einwirkenden Einflüssen.

Das Menschsein steht in meinen Bildern im Vordergrund. Ich versuche, Charakterzüge in meinen Portraits sichtbar zu machen – zu fragen:
Was macht diesen Menschen besonders?“

MARION RAUTER, KÜNSTLERIN

KUNST ALS ANTRIEB
Die menschliche Verletzlichkeit und Verwundbarkeit sind auch in ihren heutigen Bildern präsent. „Das Menschsein steht in meinen Bildern im Vordergrund. Ich versuche Charakterzüge in den Gesichtern, die ich portraitiere, sichtbar zu machen. Das sind nicht einfach nur Abbildungen visueller Merkmale – mir geht es um die Frage: Was macht diesen Menschen besonders? Und auch bei Tieren, die ich male, und die ich als Krafttiere bezeichne, kann man gewisse Charakterzüge erkennen, die ihnen zugeschrieben werden“, sagt Rauter. Diese „Kraft“ ist das zentrale Element, das alle Figuren verbindet. Eine ihrer letzten Werkserien trägt nicht umsonst den Titel „Heroes“: „Im Zentrum dieser Serie steht nicht der Erfolg dieser Personen, sondern die bildnerische Auseinandersetzung ihrer Schicksalsschläge. Sie alle eint, dass sie Stolpersteine aus dem Weg räumen mussten, Hindernisse überwinden. Ob das eine schwierige Kindheit war, Ablehnung, Sucht oder tragische Vorfälle. Sie sind gestärkt daraus hervorgegangen“, zeigt sich Rauter anerkennend. Mit den Portraits begann Rauter in einer schmerzlichen Phase in ihrem Leben, in der Kunst zum Selbstheilungsprozess wurde und die vielen Geschichten dieser Personen ein Trost und letztlich Antrieb bedeuteten. „Die emotional schwierigste Erfahrung in meinem Leben war sicher der Tod meines Sohnes. Danach gab es einen Punkt, da war ich an der Kippe und hatte keinen besonderen Lebenswillen mehr. Aber ich wusste, jetzt muss ich mich entscheiden, ob ich so weitermachen will, oder ob ich diese Erfahrung irgendwie nützen kann, damit sie mir hilft, zu lernen, dieses Leben so zu leben, dass ich es als Geschenk betrachte und dieses Leben auch wirklich lebe. Auch meinen jüngeren Kindern zuliebe, die eine präsente Mutter verdient haben. Diese Erfahrung habe ich auch in meine Arbeit einfließen lassen. Und das Interessante ist, dass meine Werke positiver geworden sind, weil ich dieses Geschenk des Lebens erkannte. Etwas, das selbstverständlich ist, war plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Und ich wollte, dass auch andere diese Erkenntnis nutzen und sich über die Kunst etwas aus meiner Geschichte herausnehmen können – als Antrieb, als Hilfe, ihre Geschichte neu zu schreiben“, sagt Marion Rauter.

Marion Rauter fasziniert die Lebensgeschichte von Charles Bukowski – dass er eine verletzte Seele war, die sich nach Liebe sehnte.

Die Musuo-Frauen in Tibet kämpfen als Matriarchinnen um den Erhalt alter Traditionen und sind Symbol der starken Frau.

EMPATHIE ZWISCHEN LEINWAND UND GEGENÜBER
Diese Authentizität und Stärke ist in Marion Rauters überlebensgroßen Abbildungen spürbar. Im emotionalen Austausch zwischen Gezeigtem und dem Betrachter passiert etwas zutiefst Menschliches – man fühlt mit den Personen auf der Leinwand, wodurch sich ihr Zustand der Spannung, der ihr eingemalte innerliche Konflikt hebt. Der gemalte Mensch wird nahbar. Berührt uns. Mal ist es eine Versöhnung, ein anderes Mal Ermächtigung. „Für meine letzte Ausstellung im Steiermarkhof malte ich eine alte Mosuo-Frau mit faltiger Haut und wachen Augen, die einen tiefen Blick in ihre Seele freigeben“, so Rauter. Die Mosuo-Frauen, ein Volk das im Südwesten Chinas lebt, kämpfen als Matriarchinnen um den Erhalt ihrer alten Traditionen, besitzen überraschend moderne Werte und gelten als Symbol der starken, unabhängigen, selbstbestimmten Frau.

DEN MENSCHEN SEHEN
Angesprochen darauf, woher Marion Rauter ihre Inspiration nimmt, antwortet sie: „In erster Linie muss mich etwas in irgendeiner Form berühren, und wenn es dann die Betrachter berührt, ist das das Schönste, was mir gelingen kann. Dazu setzte ich mich intensiv mit der Lebensgeschichte der von mir gemalten Menschen auseinander, um sie zu verstehen. Früher begegnete mir z.B. Charles Bukowski durch Derbheit und Rohheit, doch als ich seine Lebensgeschichte kennenlernte, habe ich erst gemerkt, dass er eine verletzte Seele war, die sich hinter Alkohol und Worten schützte und einfach nach Liebe sehnte. Ich finde: Wenn man zu portraitieren anfängt, schaut man Menschen anders an“, sagt Rauter.

In den Krafttieren Marion Rauters kann man Charakterzüge und Kräfte erkennen, die ihnen zugeschrieben werden.

Marion Rauter empfängt Besucher in ihrem Atelier und fertigt Auftragswerke an – etwa vom ganz persönlichen Krafttier.

DEN EIGENEN WEG VORZEICHNEN
Diesen Blick vermittelt Marion Rauter ihren Studierenden der Kunstfabrik Wien. „Der österreichische Künstler Giselbert Hocke sagte einmal ‚das Auge muss zuerst sehen lernen.‘ Und jeder Künstler muss seinen eigenen Weg finden. Und dazu will ich andere ermutigen, das Betrachten einer jeden Situation zu verinnerlichen, nicht nur beim Malen“, sagt die Künstlerin, die zudem darauf hinweist, dass die Kraft der Farben nicht zu unterschätzen sei: „Nach einer gewissen Zeit sieht man in den Farben andere Farben – Farben, die man zuvor noch nicht gesehen hat.“ Der Blick fürs Detail ist auch in Rauters Schaffensprozess zu finden. Die wohl-überlegte Komposition ihrer Werke zeigt hauptsächlich ausschnitthafte Darstellungen von Menschen, die perspektivisch an Kameraaufnahmen erinnert. Dies kommt nicht von ungefähr: Marion Rauter wählt Fotografien als Grundlage ihrer Bilder.

Die von Marion Rauter gemalten Personen eint, dass sie Hindernisse in ihrer Biografie überwinden mussten und gestärkt daraus hervorgegangen sind.

Damit reiht sie sich in eine Reihe berühmter Künstler wie Gerhard Richter, der erstmals die Fotografie als Vorlage für seine Werke einsetzte. Ähnlich wie Richter malt Marion Rauter die Darstellungen auf den nicht selten von ihr persönlich aufgenommenen Fotografien im Gegensatz zum klassischen Fotorealismus nicht einfach nach, sondern verleiht ihnen Eigenständigkeit. Durch eben diese malerische Be- und Aufarbeitung bildet Marion Rauter nicht bloß ab, sondern arbeitet das Innerste der Figuren heraus. „Der Vorgang des Malens ist einem guten Gespräch ähnlich. Man kommt von der Oberfläche in die Tiefe. Und so erkenne ich immer wieder, dass eigentlich in jedem Menschen Schönheit verborgen ist.“ Allein, dass Marion Rauter diese Schönheit aufspürt und für andere zugänglich macht, ist eine Kunst für sich.

Marion Rauter
1970 in Villach geboren
Lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Graz
Einzel- und Gruppenausstellungen u.a. in Philadelphia (USA), Istanbul (TUR), Czestochowa (POL), Florenz (ITA)
Vertreten von der Galerie Kunst 7 in Altendorf/Zürich
Lehrtätigkeit an der Kunstfabrik Wien

Kommende Ausstellungen:
Gruppenausstellung während des Sommerfestes der
Bakerhouse Gallery (7. Juni 2024)
Solo Show im Merkur Campus Graz (8. Oktober 2024)

Besuche in Marion Rauters Atelier in der Schützenhofgasse 8 in 8010 Graz sind möglich: Mehr Informationen: www.marion-rauter.com

FOTOS: OLIVER WOLF, MARION RAUTER

Werbung

Folgt uns

Tretet mit uns in Kontakt, folgt uns auf unseren Social Media Kanälen. Wir freuen uns!