Kann ein Atomkraftgegner in einem Land mit tief verwurzelter AKW-Ablehnung die Atomkraft revolutionieren und damit einen zentralen Baustein für die Energiewende liefern? Der steirische Physiker Mario J. Müller ist davon überzeugt. Wie der Forschungsleiter von Emerald Horizon mit kleinsten Teilchen Großes für die Welt plant, verriet er „SPIRIT of Styria“.
Das Grafitti beim Entree könnte nicht passender sein. „Imagination is more important than knowledge” – das Zitat Albert Einsteins ziert samt überlebensgroßer Abbildung des Jahrhundertphysikers die Wand des Foyers in der Grazer Karl-Huber-Gasse, dem Standort des Laboratoriums der Firma Emerald Horizon. „Das Bild ist ein Relikt unseres Vormieters, aber die Kernaussage kann ich nur unterschreiben. Ich bin überzeugt von der Kraft der menschlichen Kreativität. Nur mit Forschergeist können wir die Mammutaufgabe des Klimawandels bewältigen“, erklärt Mario J. Müller, Head of R&D des Unternehmens. „Die Energiewende allein mit erneuerbaren Energiequellen zu schaffen, ist aber ausgesprochen naiv“, betont Müller, der die Politik in dieser Frage auf einem gefährlichen Schleuderkurs zwischen Unkenntnis oder Heuchelei sieht und an den Hausverstand appelliert. „Es kann sich nicht ausgehen: Strom aus Sonne und Wind ist einfach zu volatil.“ Daher gebe es nur zwei Möglichkeiten. „Wir brauchen enorme Speicherkapazitäten, die es derzeit nicht gibt. Oder wir müssen schleunigst neue Formen der Energiegewinnung entwickeln“, so der promovierte Physiker, der mit seinem Team in beide Richtungen forscht – an innovativen Speichern und an neuen Energiequellen.
Mit ADES werden wir die Energieproduktion revolutionieren und der Welt eine sichere und effiziente Form von NullEmissionsEnergie bereitstellen.“
MARIO J. MÜLLER, HEAD OF R&D EMERALD HORIZON
WUNDERELEMENT THORIUM
Sein Fokus liegt derzeit auf einer revolutionären Art der Erzeugung von Kernenergie. „Sicherer Kernenergie“, wird Müller im Zuge des Gesprächs nicht müde zu betonen und auch anschaulich zu begründen. „Was wir vorhaben, hat so gut wie nichts mit einem klassischen AKW zu tun“, so Müller, der mit seinem Team an einer völlig neuen Generation von Kernenergiegewinnung forscht. Im Zentrum steht ein sogenanntes Thorium-Flüssigsalzkraftwerk alias ADES (Accelerator Driven Energy Source). „Als Energiequelle dient das chemische Element Thorium, ein nur leicht radioaktives, nicht direkt spaltbares Material, von dem wir nur kleine Mengen benötigen. 400 kg Thorium reichen für den Betrieb einer Anlage, die 20 Jahre Strom für 10.000 Haushalte liefern kann“, erklärt der Physiker vor dem Modell eines Teils der Anlage im Untergeschoß des Gebäudes. „Zur Erklärung: In einem AKW laufen die Kernreaktionen in den Uran-Brennstäben in selbstverstärkenden Kettenreaktionen ab und müssen mit ungeheurem Aufwand im Zaum gehalten werden, damit die ganze Anlage nicht außer Kontrolle gerät und wie eine Atombombe in die Luft fliegt“, so Müller. „Ganz anders bei uns: ADES läuft unterkritisch – es gibt keine selbstverstärkende Kettenreaktion, daher ist auch jede Art von GAU oder Super-GAU ausgeschlossen“, so Müller, ein versierter Wissenschaftskommunikator, der auch Laien die Untiefen der Kernphysik anschaulich näher zu bringen versteht. Und damit Bilder im Kopf erzeugt – etwa, wenn er den Unterschied zwischen der Spaltung und der Spallation von Atomkernen erklärt. „Anders als bei der Kernspaltung, wo große und schwere radioaktive Spaltprodukte übrigbleiben, werden bei der Spallation Atomkerne in viele kleine Einzelteile zertrümmert.“
EMERALD HORIZON Das Forschungsunternehmen mit Sitz im Science Tower Graz und einem Laboratorium in Graz-Liebenau forscht an bahnbrechenden Umweltinnovationen, allen voran an einem Thorium-Flüssigsalzkraftwerk (ADES) sowie einem Hochtemperaturspeicher auf Flüssigsalzbasis (CALstore) und einer Endlosbatterie (NES) auf Basis von Nukliden, die künftig Akkus und Batterien als Langzeitenergiequelle ergänzen soll. Gründer und CEO ist Florian Wagner, auch Gründer der Investmentfirma QBasis Investment Der Fokus liegt in der Entwicklung des Thorium-Flüssigsalzkraftwerks alias ADES (Accelerator Driven Energy Source). Das Kraftwerk vereint technologische Grundzüge eines Flüssigsalzreaktors mit der Geometrie eines Fusionsreaktors und einer passiv-sicheren Ein/Aus-Kontrolleinheit. Als Energiequelle wird Thorium verwendet. Dieses wird flüssigem Salz beigemengt und rotiert – angetrieben durch eine Zirkulationseinheit – in einem Torus (Ring). ADES arbeitet unterkritisch – ohne Kettenreaktion. Durch einen Injektor wird die Produktion von Hitze initiert. Diese wird über Wärmetauscher abgeleitet und kann zur Strom- oder Wasserstoffproduktion verwendet werden. Die Energiedichte von Thorium ist millionenfach höher als bei fossilen Energieträgern. Das heißt 1 kg Thorium entspricht energetisch ungefähr 1 Million Liter Öl oder Benzin. In einem späteren Schritt soll auch zermahlener Atommüll zur Energiegewinnung verwendet werden. Zeitplan: Prototyp im Jahr 2029, Demonstrator im Jahr 2032, danach soll es schnell gehen, Verbreitung als modulare Kleinkraftwerke (25MW-thermisch) in Containergröße
CONTAINER-KRAFTWERK OHNE GAU-GEFAHR
Der Clou bei ADES besteht im Aufgreifen unterschiedlicher, bereits bestehender Technologien und ihrer Kombination zu einem raffinierten neuen Gesamtsystem – darunter ein Teilchenbeschleuniger, dessen Technologie aus der medizinischen Forschung stammt und in der Krebsbekämpfung eingesetzt wird. Dieser Teilchenbeschleuniger schießt bei ADES Neutronen auf das Thorium, das gemeinsam mit Flüssigsalz in einem Ring (Torus) zirkuliert. Eine Pumpe hält die Flüssigkeit permanent in Bewegung. Durch den Beschuss transmutiert das Thorium in ein Uran-Isotop und zerfällt in Spaltprodukte, wodurch Energie freigesetzt wird. Die gewonnene Hitze im Flüssigsalzring – bis zu 900 Grad – wird über Wärmetauscher an zwei außenliegende Container transportiert, wo eine Gasturbine und ein Generator Strom und/oder Wasserstoff erzeugen. Der gesamte Prozess davor – Teilchenbeschleuniger inklusive Thorium-Flüssigsalzreaktor – findet in einem 40-Fuß-Container unter der Erde statt. Das Besondere: ADES kann via On-Off-Funktion ein- und ausgeschaltet werden und schaltet sich im Störfall automatisch ab. Kein GAU, keine Kernschmelze. Zudem bleibt nur ein geringer Anteil radioaktiven Materials übrig. „80 Prozent des Thoriums werden direkt in Energie verwandelt, bei Uran sind es maximal drei Prozent“, so Müller. „Und selbst im radioaktiven Rest finden sich bei uns Rohstoffe und können, etwa als Neodym, weiterverwendet werden. Daher brauchen wir auch kein Endlager für Atommüll“, betont Müller, der sich selbst als erklärten klassischen Atomkraftgegner bezeichnet. „Unterm Strich sehe ich unsere Entwicklung als Maschine zur kontrollierten Ernte von Kernenergie.“
TECHNOLOGIE-POTPOURRI ALS „BEST OF THE PAST”
Als „Best oft the Past“ bezeichnet Müller das Cross-Over aus insgesamt sieben unterschiedlichen High-End-Technologien, die er zu einem revolutionären Superkraftwerk verrührt. „Allen voran der Flüssigsalzreaktor, der bereits in den 1960er-Jahren in Oak Ridge in den USA erfolgreich getestet wurde. Die Experimente wurden eingestellt, da hier kein waffenfähiges Plutonium anfällt, was die Technologie für Staat und Militär unattraktiv machte“, so Müller. Eine anderer wesentlicher Technologie-Baustein stammt von Nobelpreisträger und Ex-CERN-Direktor Carlo Rubbia, der an einem Amplifier als Reaktor der Zukunft forschte. „Das Patent dafür lief 2018 ab, was wir uns zunutze machten. Unser Ansatz vereint technologische Grundzüge eines Flüssigsalzreaktors mit der Geometrie eines Fusionsreaktors und der Steuerbarkeit eines Teilchenbeschleunigers“, so Müller, der einst selbst am CERN forschte und Rubbia und seine Ideen persönlich kennen lernte. Kurzum: „Mit ADES erfinden wir das Rad nicht neu, sondern kombinieren funktionierende Technologien neu. Aber damit diese zusammen optimal funktionieren, braucht es Forschung – und die betreiben wir mit Hochdruck“, so Müller, der im Labor gerade hydro-mechanische Experimente am Ring durchführt. Experimente mit Thorium folgen zu einem späteren Zeitpunkt. „Die Frage der Materialität ist eine der Schlüsselfragen, da dieser Ring korrosionsbeständig über die Laufzeit von 20 bis 30 Jahre sein muss. Das würde Edelstahl nicht schaffen, daher setzen wir auf Keramiken wie Siliziumkarbid“, erklärt Müller. „Das ist auch der Grund, warum wir zur richtigen Zeit die richtige Idee aufgreifen. Denn noch vor zehn Jahren wäre vieles nicht realisierbar gewesen – weder die Hightech-Materialien, die es braucht, noch die notwendigen Simulationen in einem digitalen Zwilling.“ Zentral sind auch die Kooperationen mit nationalen und internationalen Partnern aus Forschung und Industrie. Dabei hilft dem Grazer das Netzwerk aus dessen CERN-Zeit. Darüber hinaus arbeitet Emerald Horizon mit dem renommierten Jožef-Stefan-Institut in Ljubljana zusammen, wo Komponenten für den Amplifier getestet werden.
Wer, wenn nicht Österreich wäre prädestiniert dafür, die sichere Nutzung von Kernenergie in einer GameChangerTechnologie zu ermöglichen?“
MARIO J. MÜLLER, HEAD OF R&D EMERALD HORIZON
KOOPERATIVE AUS INDUSTRIE UND FORSCHUNG
Eine enge Kooperation gibt es auch mit der Bernard-Gruppe mit Sitz in Tirol, einem Zivilingenieur-Unternehmen, das für seine Forschungsdienstleistungen Anteile am Start-up erhält. Auch die TU Graz, die Strahlenmesstechnik Graz und das Joanneum Research sind wichtige Forschungspartner. „Das Ziel ist es, unsere Kooperativen weiter auszubauen und zu stärken“, so Müller, seit 2021 an Bord des Unternehmens. Gegründet wurde es vom Salzburger Florian Wagner. Der Unternehmer ist auch Gründer der Investmentfirma QBasis Invest und war gerade auf der Suche nach Innovationen im Bereich alternativer Energien, als er Müller beim Sommer-Empfang 2019 des Green Tech Clusters zufällig kennen lernte. Mario J. Müller – damals noch technischer Geschäftsführer bei SFL Engineering – erklärte sich daraufhin bereit, die Visionen Wagners mit seinem Forschungs-Knowhow zu unterstützen. Danach ging alles Schlag auf Schlag. Bald war die Idee zu ADES geboren, seither läuft die Umsetzung generalstabsmäßig. „Für mich war wichtig, mich nicht um die Finanzierung kümmern zu müssen, damit ich mich allein auf das Forschen konzentrieren kann. Die Forschung finanziert sich durch Ausschüttungen von Fonds und durch Erträge der Emerald Horizon aus PV-Contracting, einem weiteren Geschäftsfeld des Unternehmens.“ Sichere Kernenergie, zu 100 % CO2-frei und weltweit skalierbar – klingt das nicht zu schön, um wahr zu sein? „Zu schön, um schnell wahr zu sein. Wir müssen noch ein paar Jahre intensiv in die Forschung investieren, aber wir haben keinen Zweifel am Erfolg. Mit unserem System werden wir die Energieproduktion disruptiv verändern“, betont Müller. Im Jahr 2029 soll der Prototyp fertig sein, drei Jahre später ein erster Demonstrator. „Dann gehen wir in die Skalierung – und diese sollte schnell gehen. Denn wir bauen keine Großanlagen wie bei AKWs üblich, sondern gleichsam Maschinen in einer Serienfertigung. Die modularen Kraftwerke werden wir – so das Geschäftsmodell – auch selbst betreiben.“ Die potenziellen Abnehmer für die saubere Kernenergie: Städte, Gemeinden, Industriebetriebe oder Schiffe. „Wer, wenn nicht das AKW-freie Land Österreich mit dem Sitz der Atomenergiebehörde IAEA wäre prädestiniert dafür, die sichere Nutzung von Kernenergie in einer Game-Changer-Technologie zu ermöglichen?“, fragt Müller abschließend und führt noch einen Pluspunkt ins Treffen. „Im südlichen Kärnten wurde jüngst ein riesiges Thorium-Vorkommen entdeckt. Damit könnten wir ganz Österreich tausende Jahre mit Energie versorgen“, so Müller. „Und Kärnten wäre das Dubai der Alpen.“
Mario J. Müller Geboren 1969 in Graz Matura an der HTL/BULME Graz (Elektrotechnik) Doktorat in Theoretischer Physik Von 2002 bis 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am CERN, dem Europäischen Forschungszentrum für Kern- und Teilchenphysik in Genf Müller arbeitete rund 15 Jahre in führender Position für die SFL technologies GmbH und verantwortete zahlreiche F&E-Projekte, darunter Technologie-Entwicklungen für den Science-Tower (u.a. Grätzel-Zelle, eine Farbstoff-Solarzelle, die ohne Halbleiter funktioniert)
Fotos: Oliver Wolf